26. Juni 2018

'Sommergespenster' von Mereth Ruddy

Kindle (unlimited) | Taschenbuch
Mereth & Tom

Mereth hat ihre große Liebe auf tragische Weise verloren und erhofft sich vom Leben nichts Bedeutendes mehr. Sie lebt zurückgezogen in der österreichischen Provinz und spricht mit Bäumen, Blumen und Vögeln. Der Garten ihrer Kindheit ist verwunschen, denn dort versteckt sich das Schaukelgespenst.

Da stürmt ein junger Tierarzt in Mereth' kleine, friedliche Welt und weckt ihre Hoffnung auf Zärtlichkeit und neues Glück. Doch was ist los mit diesem Mann? Welche Schatten quälen ihn? Bald weiß die sensible Mereth nicht mehr ein noch aus und wird von den Ereignissen überrollt ...

Die Geschichte einer schwierigen Liebe, zugleich eine déclaration d'amour an die österreichische Heimat.

Leseprobe:
Mit beiden Händen schob ich die Getreidehalme auseinander und kniete mich auf den warmen Ackerboden. Die Grannen kitzelten an den Armen, und ein Geißblatt-Bläuling flatterte mir an der Nase vorbei. Seit jeher liebte ich Schmetterlinge und ihre wundersame Verwandlung von der Raupe zum Falter. Sie waren ein Wunder der Natur; sie flogen in die Blüten des Frühlings, ohne sich des Endes der Zeit bewusst zu sein. Und so steckten die Gaukler der Lüfte mich immer wieder an mit ihrer Sorglosigkeit.
Ein Kaninchen hoppelte über den Weg und machte Männchen. Kein Feind in Sicht! Dann ließ es sich die frischen Kleeblätter am Wiesenrain schmecken. Ich hielt still, um das mümmelnde Häschen nicht zu stören.

In dieser Idylle kam die Erinnerung hoch, die Erinnerung an unbeschwerte Jahre, an Jahre des Glücks und der innigen Freundschaft mit Frank. Unser Debüt in der richtigen Liebe hatten wir damals vermasselt, in Irland, im Haus meiner Großeltern, als ich das Lieschen war, das in die Ritze fiel und sich in der Kuscheldecke verfing. Später klappte es wie am Schnürchen. Nichts klemmte, nichts hemmte uns, wir überwanden jedes Hindernis, alles schien im Lot.
Im Nachhinein fragte ich mich, ob mir diese Harmonie nicht hätte Angst machen müssen: so, als wäre das Ablaufdatum bereits festgestanden.

An einem Winterabend, einem Freitag, hatte sich Frank auf den Weg zu mir gemacht. Wir freuten uns auf ein gemütliches Wochenende mit gutem Essen, Kerzen und Räucherwerk. Wir wollten ins Kino gehen und anschließend kuscheln.
Das Schicksal wusste es anders.

Frank hatte sich das Auto seines Vaters geliehen. Im Radio meldeten sie Blitzeis, aber Frank hörte vielleicht Musik, wollte sich auf schöne Stunden mit mir einstimmen. Er hatte es wohl eilig gehabt.
Aus einem Waldstück heraus fuhr er in eine Rechtskurve, schleuderte von der Straße eine Böschung hinunter, überschlug sich mehrmals, und zuletzt blieb der Wagen auf dem Dach liegen. Die eingedrückte Motorhaube hatte sich ins Wageninnere geschoben und Franks Schädel zertrümmert. Er war längst tot, als die ersten Helfer kamen.
Der Anruf legte mein Leben in Schutt und Asche. Ich hatte einen Kartoffelauflauf im Ofen, der Tisch war liebevoll gedeckt.
Wenn ich zurückdachte an diese Zeit der Verzweiflung, Trauer und Hoffnungslosigkeit, dann wunderte es mich noch heute, wie ich den flammenden Schmerz hatte aushalten können, der sich tief in meine Seele brannte.

Damals war ich in die Winternacht hinausgestürzt. Unzählige Sterne funkelten am Himmel und die Milchstraße glitzerte wie ein riesiger Lamettastreif. Die Eiseskälte ließ meinen Atem gefrieren. Ich wünschte mir, Frank flöge als Zaubervogel von Stern zu Stern und hinterließe mir geheime Botschaften, die ich eines Tages in der jenseitigen Welt lesen würde. Nächtelang watete ich durch den Schnee, warf mich der Dunkelheit entgegen. Meine Schreie und mein Wimmern verhallten in der Weite der Landschaft. Auf ein Echo hoffte ich vergebens. Frank antwortete nicht. Niemand antwortete mir. Und es fielen auch keine Sterne vom Himmel und mir vor die Füße. Sie hätte ich als Zeichen deuten können, als gutes Omen, als einen Fingerzeig.
Wenn es hell wurde, setzte ich mich erschöpft auf den kalten Boden und hörte auf das Knistern der Eiskristalle, die der Morgen erwärmte.
Ich wollte eine Schneeflocke werden und auf dem Zweig eines Kirschbaums landen, um mit den erfrorenen Blüten dort auf den Frühling zu warten.
Den ganzen Winter über rannte ich, ich lief und lief, bis ich begriff, dass man seinem Schicksal nicht entfliehen konnte. Wem die Stunde schlug, der hatte dem Ruf der Ewigkeit zu folgen, ob er bereit war oder nicht. Der Tod kannte kein Pardon.
Deshalb sollte man seine Lebenszeit als Geschenk sehen, sie dankbar annehmen und das Beste daraus machen. Diese Erkenntnis half mir sehr.

Nach vielen dunklen Monaten entschied sich meine erstarrte Seele wieder für das Leben. Allein die Erinnerung blieb. Ich nahm sie mit in meine Tage, ich lud mir das vergangene Glück auf die Schultern und trug es in die Zukunft hinein.
Ich durfte mich nicht länger hängen lassen, auch Vater zuliebe. Er litt mit mir, die Trauer schadete seinem schwachen Herzen. Auch Frank hätte gewollt, wir fänden zum Licht zurück. Es ging aufwärts. Von da an träumte sich die Sonne über die Gottesäcker und Schmetterlinge ritten auf dem Wind.
Ich kaufte mir einen Hund: Toby, den überdrehten Irischen Terrier, und dieser Kerl hielt mich auf Trab. Meistens hatte er nur Schabernack im Kopf und balgte sich für sein Leben gern mit anderen Rüden. Längst hatte ich mein Herz an ihn verloren. Wie er schon aussah! Ich musste oft lachen über die drollige Schnauze und die steil aufgerichtete Rute. Toby lernte flott, was es für einen Hund zu lernen gab, und Papa kam prächtig mit ihm zurecht. Der rote Terrier brachte Lebensfreude und Kurzweil ins Haus.

Im Kindle-Shop: Sommergespenster.
Mehr über und von Mereth Ruddy auf ihrer Website.



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