8. Dezember 2018

'Karmageister' von Simone Gütte

Kindle | Tolino | Taschenbuch
Mitteldeutschland, anno 1525. Die 13-jährige Kaufmannstochter Brunhilda verliert durch den Landsknecht Dederich von Lohe ihre Mutter. Der abergläubische Raubritter fürchtet sich vor Hexen, Flüchen und Weissagungen. Als ihm die Hebamme Berthe in die Hände fällt und diese ihr Leben mit einer Prophezeiung retten will, überlegt Brunhilda, wie sie die Worte nutzen könnte, um ihn mit seinen eigenen Ängsten zu vernichten.

Siebzehn Jahre später: Der Schöpfer schickt ihr die Karmageister zu Hilfe. Sie haben sich damals in Brunhildas Schicksal eingemischt und einiges wiedergutzumachen. Nun erhalten sie ihre zweite Chance, um der jungen Frau zu helfen. Fragt sich nur, ob sie jetzt dafür bereit sind.

Leseprobe:
Die Prophezeiung
≈ 1 ≈
Berthe schürte das Feuer unter dem Kupferkessel.
»Nimm Frauenmantelkraut, füge es dem Sud hinzu, dann rührst du alles um, bis sich eine zähflüssige Masse bildet«, erklärte sie ihrer Tochter Gesine, als die Tür zur Holzhütte aufgerissen wurde und eine Magd hineinstürmte.
Erschrocken drehten sich die beiden um.
»Beeil dich, Wehmutter! Die Wehen unserer Herrin kommen bereits jede Stunde!« Die Magd war vom Laufen völlig außer Atem und japste nach Luft.
»Beruhige dich«, sagte Berthe. »Wir werden es rechtzeitig schaffen.«
»Es ist etwas geschehen. Er ist wieder da«, berichtete die Magd.
»Wen meinst du?«, fragte Berthe.
Die Magd nahm Berthe ein Stück beiseite. Mit einem Blick auf das Mädchen flüsterte sie: »Drei Eichenblätter über einer blauen Welle, das ist sein Wappen.«
Berthe überlegte eine Weile. Dann lachte sie auf. »Du meinst das Wappen des Verschmähten.«
»Nenne ihn nicht so. Wir müssen uns vorsehen!«
»Ängstige meine Tochter nicht«, sagte Berthe, als sie sah, wie Gesine die Ohren spitzte.
Aufmerksam sah das Mädchen seine Mutter an.
»Lass das Feuer nicht ausgehen, Gesine. Wenn alles fertig ist, kannst du den Kessel vom Haken nehmen, um den Sud abkühlen zu lassen. Hab keine Angst, ich bin bald zurück.«
Das Mädchen nickte und sah seiner Mutter zu, die sich eilig ihr blaues Leinentuch um die Schultern legte. Sie steckte die blonden Locken zurück, die widerspenstig unter ihrer Haube hervorlugten.
Als die Tür hinter Berthe zufiel, stellte Gesine sich auf die Zehenspitzen und warf eine Handvoll getrocknete Blätter Frauenmantelkraut in den Kessel. Gespannt verfolgte sie, wie sich diese mit dem ausgelassenen Schweineschmalz vermengten und hoch schäumten. Mit beiden Händen griff sie sich einen Holzlöffel und rührte das sämige Gemisch um.
Dies ergab eine besonders große Menge an Salbe. Sie wurde den schwangeren Frauen auf den Bauch gestrichen, damit sie weniger Schmerzen hatten, wusste sie.
Ein feiner würziger Duft stieg aus dem Kessel empor. Er breitete sich in der Holzhütte aus, die aus einem einzelnen Raum mit einer Feuerstelle bestand. Direkt daneben stand ein Tisch mit zwei Stühlen und zwei Schemeln. Unter dem einzigen Fenster der Hütte befanden sich eine große Truhe und eine Bank. Nur ein Vorhang unterteilte das Zimmer in eine Arbeitsstube mit Schlafecke.
Gesine hatte sich daran gewöhnt, dass ihre Mutter die schwangeren Frauen auf der Ebnisburg oder im südlich gelegenen Löhnsfelde besuchte. Seit ihr Vater vor wenigen Monaten unter mysteriösen Umständen zu Tode gekommen war, lebten sie allein mitten im Larawald. Zwischen den hohen Bäumen, die mit ihren Blätterdächern das Häuschen abschirmten, fanden sie alles, was sie zum Leben und Herstellen ihrer Salben und Tinkturen brauchten.
Gesine begann ein Lied zu singen, als sie an ihren Vater dachte.

»Mein Vater war ein Köhlersmann,
schichtete Holz für Kohle an.
Wachte Tag um Tag, Nacht um Nacht,
hat den Menschen Wärme und Freude gebracht.
Ruht nun tief im Larawald,
umgeben von Buchen, Eichen, sehr alt.
Verbirgt den Blick auf unser Haus
durch Äste und Zweige voller Laub.
Dass er uns behütet, ist unser Glück,
so bleiben wir beschützt zurück.«

Der Reim zauberte ihr ein Lächeln ins Gesicht, während sie die Masse umrührte.

≈ 2 ≈
Marie lief den dunklen Gang hinauf. Er führte direkt aus dem kuppelförmigen Rondell zum Ausgang des Mauselochs. Einzelne Wurzelenden hingen von der Decke herab und kitzelten sie an der Nase.
Am Ende des Ganges hielt sie inne und streckte den Kopf hinaus. Hier öffnete sich ein zweiter größerer Hohlraum, bevor man die Kuhle verlassen konnte. Marie befand sich in der Eingangshalle.
Getreideähren stapelten sich an den Wänden der Kuhle. Stück für Stück pflückte Jo, der Pförtner, die Körner von den Halmen und sortierte sie auf einzelne Haufen. Er unterbrach seine Arbeit, als er Maries Atem im Rücken spürte.
Mit schwarzen runden Kulleraugen schaute er sie an und faltete die Pfoten. »Was ist denn vorgefallen, Marie Laruu?«, fragte er.
»Na, was wohl?«, gab Marie patzig zur Antwort. »Hiero mal wieder. Wir hatten schon weit bessere Loherren als ihn.«
Jo schüttelte den Kopf. Er betrachtete die braune Waldmaus vor sich. In seinen Augen war sie wunderhübsch. Sie war etwas kleiner als er selbst, hatte ein haselnussbraunes Fell und einen weißen Unterbauch, blitzende schwarze Knopfaugen und einen zarten Flaum weicher Kopfhärchen, die vor dem Hintergrund des Mauselochs fast durchsichtig schimmerten.
Er seufzte. Wie konnte eine so hübsche Maus nur so streitlustig sein?
Marie sah zum Ausgang und schnaufte. »Ich bin eine Waldmaus«, sagte sie, und Jo bereitete sich auf einen Vortrag vor, als er den ärgerlichen Unterton vernahm. »Die Laruu-Mäuse haben sich dem Loherrn Hiero untergeordnet, aber das heißt nicht, dass wir uns alles von ihm gefallen lassen müssen!«
Sie drehte ihren Kopf zu Jo und sah ihn herausfordernd an.

Im Kindle-Shop: Karmageister.
Für Tolino: Buch bei Thalia
Mehr über und von Simone Gütte auf ihrer Website.



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