14. Februar 2019

'Aus den Fugen geraten' und 'Abgrundartig' von Bernd Töpfer

Kindle | Taschenbuch
Zwei Kurzromane

Aus den Fugen geraten
Zwei Kleinganoven planen eine Entführung, die zwar auch gelingt, aber die gar nicht nach ihren Vorstellungen verläuft. Von der Entführten verlangen sie, sie solle ihren Mann anrufen und ihn unterrichten, er habe für ihre Freilassung zwei Millionen zu zahlen. Die Frau gibt jedoch an, keinen Mann zu haben. Auch sind auf ihrem Handy keine Telefonkontakte vorhanden, überhaupt keine. Das ist schon sehr ungewöhnlich. Dann gelingt der Frau die Flucht, und sie findet Zuflucht bei einem Schriftsteller, der in einem alten Forsthaus mitten im Wald wohnt. Alles Weitere entscheidet sich in diesem Haus.

Abgrundartig
Als Kind verliert Micha durch einen dummen Unglücksfall seinen Zwillingsbruder Tommi. Dieser meldet sich nach zwölf Jahren zurück, im Gehirn vom Micha, und wirkt mental auf ihn ein. Tommi hat nur abartige Ideen, die aber bei seinem Bruder anfangs Gehör und Zustimmung finden. Micha findet Gefallen daran, bei anderen die Angst zu sehen, sie zu erforschen, zu studieren. Tommi will aber mehr als die Angst, er will den Tod der Menschen sehen.
Eine Zeit lang hört Micha auf Tommi, aber dann kommen ihm Zweifel und er verdammt seinen Zwillingsbruder.

Leseprobe:
Aus: „Aus den Fugen geraten“
Claudia Schwarz kommt langsam wieder zu sich, sie liegt auf einer Luftmatratze. Langsam setzt sie sich auf, schaut sich um. Ein Raum ohne Fenster. Eine Waschmaschine, ein großer Gefrierschrank, ein leerer Wäschetrockner, in einer Ecke ein Wäschekorb. Das ist alles. Der Raum mag viel-leicht vierzehn Quadratmeter messen. Wie kommt sie hier her? Die Erinnerung meldet sich. Mein Gott, denkt sie, was soll das? Sie bekommt keine Angst, sie hat sie schon.
Ihr fällt für das Geschehene keine Erklärung ein.
Warum? Warum sie? Tränen fließen über das schöne Gesicht. Sie stellt sich auf, lehnt sich an die Waschmaschine.
Gefangen, denkt sie. Fremden ausgeliefert. Was wollen die?
Von einem Augenblick auf den nächsten hat sich alles geändert. In einer Geschwindigkeit, die dem Gehirn nicht die Zeit ließ, alles zu verarbeiten. Sie steht immer noch an der Waschmaschine, stiert auf den Lichtschalter neben der Tür und versucht zu denken, versucht zu begreifen. Aber so einfach ist es nicht. Das Gehirn weigert sich anzuerkennen, was geschehen ist. Das Gehirn sitzt zu Hause im Wohnzimmer und entspannt sich. Aber je mehr sie sich in ihrer neuen Umgebung umsieht, diese nackten Wände, diese geschmacklose Lampe an der Decke, die Luftmatratze … das Gehirn beginnt zu begreifen.
Es ist alles anders geworden. Und dies in einer Geschwindigkeit, dass man nicht lernen kann, damit umzugehen. Alles braucht seine Zeit. Eigentlich ist es Schwachsinn, sich jetzt Gedanken zu machen.
Abwarten.
Wissen, was man von ihr will. Dann wäre sie schlauer und könnte rationaler denken. Vielleicht.
Das Denken abschalten gelingt ihr nicht. Das Gehirn rebelliert, will seine Freiheit. Und so überlegt sie weiter, stellt sich tausend Fragen und findet keine Antworten. Und sie steht noch immer am selben Platz.
Sie schrickt zusammen, denn sie hört Schritte. Ihr Puls beginnt zu steigen. Jetzt wird sie erfahren … ja, was? Wenn sie ehrlich zu sich selbst ist, dann will sie gar nichts erfahren, sie will nur weg hier. Sie will einfach ihr Leben wieder, so, wie sie es kennt.
Ohne Angst.
Ein Schlüssel dreht sich, die Tür geht auf, zwei Männer in Skimütze treten ein. Ein großer und ein kleinerer Mann. Sie kommt sich neben ihnen noch kleiner vor, als sie ohnehin schon ist.
»Sie müssen sich keine Sorgen machen, wir werden Ihnen nichts tun«, sagt der Große.
»Wenn Sie kooperieren«, fügt der andere hinzu.
»Was wollen Sie? Was habe ich Ihnen getan?«
»Alles ganz einfach, liebe Frau. Das ist eine Entführung, und wir wollen zwei Millionen Euro. Haben wir die, sind Sie wieder frei«, unterrichtet sie Robbi.
»Also je schneller wir das Geld haben, desto schneller können Sie gehen«, sagt Andi.
»Zwei Millionen? Ich habe doch keine zwei Millionen. Sie haben sich bestimmt in mir geirrt, mich mit jemand verwechselt?«, fragt sie ängstlich mit einem Hauch von Hoffnung in der Stimme.
»Wollen Sie uns verarschen?«, lässt sich jetzt Andi etwas laut vernehmen.
Die Frau zuckt zusammen.
»Sie werden Ihrem Mann eine Nachricht schicken, dass Sie entführt worden und wir zwei Millionen in bar haben wollen. Zeitpunkt Freitagabend«, teilt ihr Robbi mit.
»Mein Mann?«, fragt die Frau.
»Ja, Ihr Mann, wer sonst?«, antwortet Andi.
»Ich habe doch keinen Mann«, gibt sie jetzt verschüchtert zur Antwort.
Die beiden schauen sich an.
»Wie bitte?«, fragt Andi. »Was haben Sie eben gesagt?«
»Ich habe doch keinen Mann.«

Aus: „Abgrundartig“
Tommi und ich sind, obwohl eineiige Zwillinge, trotz allem grundverschieden, behaupte ich mal. Ich ticke nicht so wie er. Wir durften beide eine wunderbare Kindheit erleben. Unsere Eltern liebten und sorgten sich um uns, es fehlte uns an nichts. Wir waren gut in der Schule, wurden anständig erzogen, wussten uns in der Öffentlichkeit zu benehmen. Wir waren eine perfekte Vorzeigefamilie. Was in Tommis Kopf abging, wusste ja nur ich. Und im Kindesalter machte ich mir da keine weiteren Gedanken. Ich tat es als Spinnerei ab. Irgendwann würde dieser Blödsinn aufhören.
Und er hörte schneller auf als gewünscht. Der 12. Juni ist unser Geburtstag. Es war damals auch der 12.
Drei Tage später gab es keinen Tommi mehr.
Jetzt erinnert nur noch ein Grabstein an ihn. Und der auch nicht ganz so richtig. Denn er war für alle immer nur der Tommi. Aber auf dem Stein steht Thomas. Und Thomas liest sich so fremd.
Der Tod hatte Tommi mitgenommen, weil er sich wie-der mal was beweisen wollte. Aber diesmal ging es schief. Es war überheblicher Kinderblödsinn. Mit Unfug hatte das nichts zu tun. Ich wusste nichts von seinem Vorhaben, sonst hätte ich ihn doch zurückgehalten. Er hatte überhaupt keinen Grund, auf die andere Straßenseite zu rennen. Es war seine geheime Mutprobe. Tommi, der Große, der Alleskönner. Aber diesmal lief es nicht nach seinem Willen.
Wir standen auf dem Gehsteig und sahen dem Konvoi der Bundeswehr zu. Eine Panzereinheit fuhr durch unser Dorf. Das war für uns Kinder was Besonderes. Und dann, urplötzlich, rannte Tommi los, zwischen zwei Panzern über die Straße. Er wollte bestimmt zum anderen Gehsteig hinüber und uns dann zujubeln, was er wieder vollbracht hätte. Der mutige Tommi halt. Normalerweise hätte es ja auch geklappt, zwischen den einzelnen Panzern war immer ein gewisser Abstand vorhanden. Aber Tommi kam ins Stolpern.
Tommi sah nicht mehr wie Tommi aus.
Ich musste mich übergeben.
Dann schimpfte ich auf ihn. »Was hast du nur für eine Scheiße gebaut. Du bist ein Arschloch, Tommi. Und was wird nun aus mir? Du lässt mich jetzt hier allein zurück. Du verdammtes Arschloch. Ich könnte dich töten!«
Aber tot war er ja nun schon. Es folgten Albträume, wochenlang, monatelang. Ich glaube, es waren insgesamt zwei Jahre. Immer wieder der gleiche Traum. Der zermatschte Tommi. Ich schimpfte jeden Tag mit ihm. Ich verfluchte ihn. Ich sehnte mich nach ihm. Er fehlte mir einfach. Wir waren doch Zwillinge. Ohne ihn war ich doch nur ein halbes Wesen. Tommi, Tommi, wo bist du?

Im Kindle-Shop: 'Aus den Fugen geraten' und 'Abgrundartig': Zwei Kurzromane.
Mehr über und von Bernd Töpfer auf seiner Facebook-Seite.



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