1. Februar 2019

'Wir können alles sein' von Johanna Kramer

Kindle (unlimited) | Taschenbuch
Ist es besser, von einer traurigen Liebe zerrissen zu werden, als überhaupt nicht zu lieben?

Carolina ist achtundzwanzig Jahre alt und auf der Suche nach sich selbst, als sie Brida begegnet, einer Heilerin, die vor den Trümmern ihrer zweiten Ehe steht. Zwanzig Jahre trennen die beiden Frauen, doch während Carolina vom ersten Augenblick an erkennt, welche Liebe sie verbindet, hat Brida nicht nur Angst, sich auf die Beziehung einzulassen, auch ihr Mann verhindert einen Neuanfang. Ohne Hoffnung bricht Carolina alleine nach Schottland auf, um ihren Weg als Schriftstellerin zu gehen.

Ein Roman über die Macht der Liebe, die Angst davor und den Mut, den man braucht, um seiner inneren Stimme zu folgen.

»Bri, ich glaube das Meer fließt zwischen uns. Ein Gefühl, als bewegten sich all die Wassermassen in allen Weltmeeren gleichzeitig.« - Carolina


Leseprobe:
EDINBURGH
Die Gummiabsätze meiner Stiefel klangen dumpf auf den abgewetzten Pflastersteinen, und die Fensterscheiben des Pubs, auf das ich zusteuerte, warfen ihr warmes Licht auf die nasse Straße. Ich öffnete die schwere Tür des White Hart Inn und ein Schwall warmer, feuchter Luft strömte mir entgegen. Ein verschlissener grüner Vorhang grenzte den Eingang vom Hauptraum des Lokals ab. Ich schob ihn zur Seite und trat ein wie in eine andere Welt. Es roch nach Menschen und feuchten Wintermänteln, nach Rauch und Alkohol, nach gebackenem Fisch. Im Stimmengewirr klirrten Gläser und aus irgendeiner Ecke, verborgen im Halbdunkel, erklang ein lautes, gegröltes »Slainté«, das schottische »Prost«. Das Licht war dumpf, und mit seinen dunklen Balken an der Decke wirkte der Raum einladend.
Ich schob mich an Gästen vorbei und erspähte einen freien Tisch hinten rechts in der Ecke am Fenster. Auf den Bänken lagen keine Kissen und auf dem dunklen Holztisch gab es außer verklebten Whiskyresten keine Dekoration. Von hier aus hatte ich einen guten Blick auf die lange Bar gegenüber. Leider machten sich die Schotten nicht die Mühe, ihre Gäste zu bedienen. Meinen Whisky musste ich mir selbst holen und auch gleich bezahlen. Ich bestellte zwei Gläser Dalwhinnie und fragte mich, wo Brida blieb. Gedankenverloren drehte ich das Glas zwischen meinen Händen und roch an der goldenen Flüssigkeit darin. Sie duftete sanft und würzig, fast sinnlich nach Honig und Heide mit etwas Rauch. Die Stimmen der Menschen und ihre Sprache hatten etwas Beruhigendes, etwas Sehnsuchtsvolles an sich, etwas, das sich nach uralten, längst vergangenen Zeiten anfühlte.
Ich ließ die letzte Nacht noch einmal in meinem Kopf aufleben, in meinem Mund, auf meiner Haut. Mit einem Lächeln leckte ich mir über die Lippen und nahm noch einen Schluck.
»Danke, dass du mir auch gleich einen bestellt hast.«
Brida stand grinsend vor mir und legte ihren Mantel ab. Sie wusste genau, worüber ich gerade nachgedacht hatte. Das sah ich an ihrem Blick, der ebenfalls die Erinnerung an die letzten Wochen in sich trug.
»Puh, ist das wieder ein schottisches Wetter. Ich brauche dringend etwas, das mir den Magen wärmt.« Sie setzte sich auf die Bank gegenüber.
»Auf uns.« Ich hob das Glas.
»Slainté«, antwortet sie mit einem Leuchten in den Augen. Unsere Gläser trafen sich klangvoll in der Mitte. In diesem Moment ertönte eine Gitarre neben uns, laut und kraftvoll. Eine Geige schloss sich an, fast so, als würde sie mit uns feiern. Die Töne flogen mir schnell und rhythmisch entgegen und zusammen mit ihnen wanderte mein Herz in die Höhe. Der Sänger war ein junger Schotte, er hatte dunkles Haar und eine kräftige Stimme. Es war derselbe, den wir an unserem allerersten Abend hier gehört hatten.
Ich wandte den Blick von ihm ab und richtete ihn wieder auf Brida. Sie war gerade dabei, sich eine Zigarette aus dem verschnörkelten Silberetui zu nehmen, steckte sie sich in ihren lippenstiftroten Mund und sah mir in die Augen, während sie ihre zu Schlitzen zusammenkniff und die Flamme des Feuerzeugs mit einem Ratsch aufflammte. Als sie den Rauch aus ihrem Mund blies, ruhte mein Blick auf ihren Lippen, wie noch wenige Stunden zuvor ihre warme Haut an meinem Körper. Ich wandte mein Gesicht ab und versuchte, meine Gedanken auf etwas anderes zu lenken.
Manchmal bekam ich Panik, man könnte mir meine Leidenschaft von den Augen ablesen. Das trieb mir eine Röte in die Wangen, auf die ich lieber verzichten wollte. Schottland hatte einen mystischen Einfluss auf meine Gefühle. Etwa so, als riefen mich alte Erinnerungen zu sich, als wollte mir das Land von meiner Vergangenheit erzählen. Ein Gefühl, das eine Melancholie in mir hervorrief, die am ganzen Körper spürbar war. Ich nahm noch einen Schluck Whisky. Wir hatten schon einmal hier gelebt. Da war ich mir sicher. Ich konnte es in den Wolken lesen und im Heidekraut riechen. Es schien überall präsent zu sein, wenn wir in Edinburgh durch die Gassen der Altstadt gingen, wenn wir mit dem Auto über die schmalen Straßen, durch die Täler und über die Berge der Highlands rollten.
Plötzlich schien jemand meinen Namen zu rufen. Ich war so weit zurückgereist, dass ich zuerst nicht bemerkte, dass es eine Stimme aus der Gegenwart war.

Im Kindle-Shop: Wir können alles sein.
Mehr über und von Johanna Kramer auf ihrer Website.



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