17. April 2019

'Ein böserguter junger Mann' von Reinhard Skandera

Taschenbuch
Franz, ältester von 5 Brüdern, sucht das Glück in der Fremde und findet zunächst nur das Pech. Viel zu früh muss er viel zu viel Verantwortung übernehmen. Auch das Mädchen, dass er liebt, scheint unerreichbar. Franz muss lernen, dass Träume nicht einfach in Erfüllung gehen, sondern dass man darum kämpfen muss.

Das Buch zeigt, wie kompliziert die Begegnungen junger Menschen, die aus völlig unterschiedlichen Elternhäusern stammen, sind, wenn die Bindungen enger werden. Der Leser taucht ein in die Welt von Franz, dem ungelernten Arbeiter, von Rochus dem Adelssohn und Ariane dem einzigen Kind eines steinreichen Industriellen. Können aus ganz unterschiedlichen Gedankenwelten Gemeinsamkeiten entstehen, ist gar Liebe möglich?

Franz muss lernen, dass das Schlimme am Verrat ist, dass er nicht von Feinden begangen wird.

Leseprobe:
Der Ehrgeiz des Wolfgang Knesebeck ist unermesslich. Sein Ziel ist, der größte Eisen-und Stahlfabrikant der Welt zu werden. Die wichtigsten Konkurrenten sitzen im eigenen Land sowie in Großbritannien und den Vereinigten Staaten von Amerika. Seine Arbeitswoche hat 7 Tage. An einem der seltenen freien Abende mit seiner Frau Elisabeth ringt er sich zu einer Bitte durch.
„Liesel, die Amerikaner wollen große Mengen Stahl ordern. Wir können nur liefern, wenn wir ein neues Stahlwerk bauen. Bitte hilf mir mit 5 Millionen Mark.“ Liesel verfügt durch Erbschaft über große liquide Mittel, die jedoch für Wolfgang nicht zugänglich sind. Dafür hat Elisabeths Vater durch entsprechende Notarpapiere gesorgt. Sie weigert sich bisher standhaft einen Teil davon für Wolfgangs „Großmannssucht“, wie sie es nennt, herzugeben.
„Du kennst meine Meinung. Dein ungezügelter Ehrgeiz ist eine große Gefahr für die Knesebeck Werke. Wenn die Konjunktur abkühlt, musst du wieder Arbeiter rausschmeißen.“ Wolfgang bringt keine Geduld auf.
„Und wenn schon. Das war noch nie ein Problem. Du bist wie dein Vater, einmal Bauer immer Bauer, ein Furchenzieher hat keinen Mut zum Risiko.“ Schon oft hat sich Wolfgang kritisch über Elisabeths Vater geäußert. Sein Verhalten ist dem heutigen Anliegen nicht zuträglich. Elisabeth verschließt sich der Bitte des Gatten.
„Kommt überhaupt nicht in Frage Wolfgang. Lös die Probleme, die du geschaffen hast, selbst. Mein Vater war sein ganzes Leben ehrlich und fleißig und nicht von der Gier besessen wie du.“ Wolfgang denkt, mal wieder war ich zu ungeduldig. Beim Vater versteht die Tochter keinen Spaß. Er überlegt fieberhaft, wie er die Gattin überzeugen kann.
„Liesel, weißt du schon das Neueste? Der Kaiser wird den Thyssen demnächst in den Adelsstand aufnehmen.“ Das ist ein Thema, für das sich alle in der feinen gehobenen Gesellschaft entfachen, auch Elisabeth.
„Frau Thyssen sitzt der Auguste Victoria schon lange auf dem Schoß. Kein Wunder also.“
„Wenn der Kaiser wirklich die Flotte bauen will, dann braucht er mich. Dafür müssen wir noch größer werden.“ Wolfgang arbeitet seit Jahren auf das Ziel hin, in den Adelsstand aufgenommen zu werden. Die Nobilitierung kann nur vom Kaiser selbst erfolgen. Politische Motive interessieren Wolfgang dabei nicht. Auch die gesellschaftliche Stellung dient nur als Mittel zum Zweck. Allein, dass der Adel keine Steuern zahlt, macht den Stand so erstrebenswert. Jede Mark, die die Staatsmacht kassiert, kann er nicht in die Knesebeck Werke investieren. Wolfgang hat diesmal den richtigen Knopf gefunden.
„Ich überlege es mir. Aber wenn, dann ist es eine einmalige Sache. 5 Millionen, dieses eine Mal und dein Versprechen, dass du mich nie mehr wegen einer Geldspritze für die Werke ansprichst.“
„Ich verspreche es. Sieh dir den Thyssen an. Der ist an die Börse gegangen. Der Arme ist nicht mehr Herr im eigenen Hause. Natürlich kann er mit dem Zaster gehörig expandieren.“
„Wie gesagt, einmalig bin ich bereit, dir das Geld zu überlassen, zu einem Zins von 6%.“
„Was, das ist ja mehr als bei der Bank,“ regt sich Wolfgang auf.
„Dann geh doch zur Bank,“ erwidert Elisabeth betont kühl. Die Ehe der beiden feierte vor Kurzem fünfundzwanzigstes Jubiläum. Vollzogen wird sie seit vielen Jahren nicht mehr. Aufgrund der Erbschaft verfügt auch Elisabeth über ein riesiges Vermögen, weit höher als die 5 Millionen, die sie Wolfgang wohl geben wird. Er weiß wie hoch der Geldspeicher gefüllt ist. Wenn Wilhelm Ernst macht und eine Flotte baut, die so groß ist wie die der Engländer, müssen Thyssen, Knesebeck und Co. enorme Kapazitäten aufbauen. Auf die Politik ist jedoch kein Verlass. Das ist das Problem der Industriebarone. Die Eheleute Knesebeck verfolgen keine gemeinsamen Ziele. Seine Ziele sind nicht die Ihren.
„Ich brauche das Geld für die private Bibliothek, die ich nach und nach erweitern will.“ Bitter ergänzt Wolfgang:
„Und für die jungen Künstler, die dir ihre Verehrung so beseelt zuflüstern.“ Elisabeth pflegt seit Längerem streng geheime Treffen mit jungen Galanten aus dem Künstlermilieu. Wie weit diese gehen, bleibt im Verborgenen. Sie empört sich:
„Ich fördere diese Talente, mehr nicht.“ Wolfgang wäre es sogar egal, wenn zwischen seiner Frau und den jungen Männern mehr wäre. Sein Enthusiasmus gilt allein dem Betrieb. Vor der Hochzeit kannten sich Wolfgang und Elisabeth nur flüchtig. Die Eltern arrangierten die Verbindung. Ein durchaus übliches Vorgehen, um Reichtum und Einfluss beider Familien zu steigern. In diesem Fall führte der Zufall keine verwandten Seelen zusammen. Sie ist ein kluger, feinfühliger Mensch, eine fanatische Leserin. Sein Antrieb ist Geld. Mit jedem erreichten Zwischenziel wächst die Gier nach mehr. Am nächsten Morgen bespricht er die Geschäftslage mit seinem Bruder Thomas.
„Sie gibt nicht mehr als 5 Millionen. Brauchen aber 30 Millionen. Den Rest müssen wir von der Bank holen.“ Thomas Stirn ist übersät mit Sorgenfalten:
„Wolfgang, du weißt, die Zinsen sind hoch und zurückzahlen müssen wir Kredite auch. Wenn eine Delle kommt, müssen wir viele Leute entlassen.“
„Ja, dann ist es eben so. Wir müssen expandieren, sonst fallen wir zurück.“
„Wir haben auch Verantwortung für das Schicksal unserer Arbeiter. Wenn wir sie entlassen, haben sie nichts zu fressen.“
„Das ist dann die Schuld der Politik und des Kaisers. Wir können daran nichts ändern.“ Schicksale anderer Menschen oder das Wohl der Allgemeinheit tangieren Wolfgang im Gegensatz zu Thomas nicht. Er will aus den Knesebeck Werken das größte Unternehmen der Eisen- und Stahlbranche auf dem Globus machen. Thomas, der ein enges Verhältnis zur Schwägerin pflegt, klärt Wolfgang auf.
„Elisabeth wird dir nicht mehr geben. Sie hat eine Stiftung gegründet, die ausländische Buchrechte kauft. Erst kürzlich gab sie „The Call of the Wild“ des amerikanischen Autors Jack London zur Übersetzung in die deutsche Sprache in Auftrag. „Ruf der Wildnis“ ist der Titel der deutschen Version.“ Wolfgangs Gesicht drückt den Ärger aus, den er empfindet, weil der Bruder mehr weiß als er. Die Lebensgeschichte des Jack London faziniert Elisabeth. Der hat den schwierigen Aufstieg aus ärmlichen Familienverhältnissen geschafft. Sein Werdegang weckt Elisabeths Neugier. Der Mut, den die Helden seiner Geschichten aufbringen müssen, um den Gefahren der Wildnis zu trotzen, fesselt sie. Auch zwischen Vater und Tochter gab es kürzlich eine kontroverse Unterredung.
„Vati, ich möchte nicht studieren. Ich will bei den Knesebeck Werken eine kaufmännische Ausbildung machen. Das finde ich viel spannender.“ Wolfgang belehrt die Tochter:
„Mädchen aus gehobenen Kreisen studieren Musik, Kunst oder Literatur. Sie lernen, wie man ein großes Haus führt und wie man Bedienstete richtig anleitet. Eine kaufmännische Ausbildung in den Knesebeck Werken ist jungen Männern vorbehalten.“ Zornesröte überzieht Arianes Gesicht.
„Mich interessiert nicht was andere Mädchen wollen, ich will in den Werken arbeiten. Schon als kleines Kind wollte ich das. Auf keinen Fall studiere ich irgendwelchen langweiligen Kram.“ Wolfgang gibt nicht nach.
„In 1-2 Jahren heiratest du einen adeligen jungen Mann. Dadurch steigst du in den Adelsstand auf. Was wird dein zukünftiger Gatte zu einer kaufmännischen Lehre sagen?“ Ariane hegt den Verdacht, dass der Vater bereits einen Jungen im Kopf hat. Doch sie stellt ihre Fragen zurück, sondern konzentriert sich auf das Ziel im Betrieb arbeiten zu dürfen. Mit ihrem „Dickkopf“ setzte sie sich tatsächlich durch. Seit den Kindertagen liebt sie es, Zeit in den Werken zu verbringen. Sie durchkreuzt damit die Pläne der Eltern, die für eine junge Frau mit ihrer gesellschaftlichen Stellung eine baldige Vermählung mit einer adäquaten Partie vorsehen. Ariane selbst denkt noch überhaupt nicht an Heirat. Ihr heimlicher Traum ist, eines Tages die Leitung der Knesebeck Werke vom Vater zu übernehmen. Sie besitzt genug Kühnheit, sich selbst in dieser Rolle zu sehen. Das erzählt sie Wolfgang, der mangels männlichem Erben schon selbst an die Möglichkeit gedacht hat, aber noch nicht. Der findet, dass Ariane gut ins Unternehmen passt.. Für ihre Zukunft sieht er jedoch andere Prioritäten. Sie soll sehr bald den Spross einer bedeutenden adligen Familie heiraten und damit selbst in den Adelsstand aufsteigen. Der von ihm auserwählte ist Rochus von Malotki, der Sohn des Polizeipräsidenten der Provinz Rheinland. Ariane kennt ihn seit Kindesbeinen. Die Familien sind seit langer Zeit befreundet. Frau und Tochter wissen noch nichts von seiner Wahl. Wolfgang treibt seine Pläne im Geheimen voran, ohne sie mit den beiden Frauen abzusprechen. Ariane hingegen ist entschlossen, ihren persönlichen Weg einzuschlagen. Elisabeth wundert sich zwar über das Engagement, das die Tochter im Betrieb leistet, beschäftigt sich jedoch nicht ernsthaft damit. Zu sehr ist sie beschäftigt mit der Bibliothek und ihren Verehrern. Wolfgangs Kalkül ist, dass Ariane die beruflichen Pläne fallenlässt, nachdem er ihr die Partie Rochus auf dem Silbertablett serviert. Rochus steht eine glänzende Karriere beim preußischen Staat bevor. Sie kann sich auf die Aufgaben als Mutter und Haushaltsvorstand konzentrieren. Sie wird zukünftig den Namen Ariane von Malotki tragen. An einem Abend im März 1910 bittet Wolfgang Knesebeck Ariane und Elisabeth zu einer Unterredung. Wenn er in der Familie förmlich wird, liegt Wichtiges in der Luft. Das repräsentative Wohnzimmer der Villa dient als Rahmen der Zusammenkunft. Die Einrichtung des Raumes repräsentiert den Reichtum des Hausherrn. Jugendstil ist in dieser Zeit angesagt. Aufwendige florale Ornamente und Intarsien zieren die Möbel. Wolfgangs ganzer Stolz sind zwei Originale des französischen Malers Henry Toulouse-Lautrec. Der Fußboden ist bedeckt mit teuren orientalischen Teppichen. Das Familienoberhaupt ist gekleidet wie im Büro. Die Frauen tragen bunte Kleidern, die die Taille betonen. Elisabeth hält einen Fächer in der Hand, ohne ihn zu benutzen. Die ernsten Gesichter der drei deuten auf Spannung hin, die sich in Kürze entladen wird. Wolfgang geht auf und ab. Der Mann, der dem Kaiser vorgestellt wurde, ist nervös bei einem Familientreff? Offensichtlich spürt er, dass dies kein leichter Abend werden wird. Nachdem der Diener den Tee serviert hat, legt er ohne lange Vorrede los.


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