21. Juni 2019

'Petermanns Chaos' von Eva Joachimsen

Kindle | Tolino | Taschenbuch
Blog Eva Joachimsen
Das Leben des pedantischen Buchhalters Wilhelm Petermann gerät aus den Fugen, als seine chaotische jüngere Schwester mit ihren drei kleinen Kindern, Hund und Katze in seiner Zwei-Zimmer-Wohnung auftaucht.

Lydia, das verwöhnte Nesthäkchen der Familie, ist vor Eheproblemen weggelaufen und bürdet Wilhelm ihren Nachwuchs auf, während sie sich auf die Suche nach einer neuen Bleibe macht. Natürlich leiden auch die Nachbarn unter dem Lärm und der Unruhe im Haus und reagieren verärgert.

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Leseprobe:
Geschockt ließ sich Wilhelm auf einen Küchenstuhl sinken. Typisch Lydia. Wie sollte er als Junggeselle seine Neffen beschäftigen? Er hatte weder Ahnung von Kindern, noch Spielzeug im Haus. Sonst sah er sie zu Weihnachten und den Geburtstagen. Da waren sie fast die ganze Zeit mit ihren Geschenken beschäftigt und halbwegs friedlich. Darüber war er immer recht froh, denn die übrige Zeit nervten sie mit Sonderwünschen oder Wutanfällen, wenn die Wünsche nicht sofort erfüllt wurden.
„Onkel, spielst du Fußball mit mir? Liest du vor?“ Und wenn der Onkel nicht auf der Stelle reagierte, schrien sie sich die Kehlen wund. Es kam auch vor, dass er Nico vorlas, während Sascha tobte, weil Wilhelm mit ihm eine Burg aus Holzbausteinen bauen sollte. Bei den Mahlzeiten konnten sich die Erwachsenen kaum unterhalten, da Lydia die Kinder ermunterte zu erzählen, ohne Rücksicht auf die übrigen Gäste bei Tisch. Und jetzt war er diesen Ungeheuern alleine ausgesetzt.
Sein Blick fiel auf den Staubsauger. Die Scherben! Er sprang hoch, holte die Splitter aus dem Badezimmer, wo er sie aus der Hand gelegt hatte, warf sie in den Mülleimer und saugte den Teppich gründlich. Hannibal verzog sich jaulend in die Küche. Cleo sprang vom Sofa über die Anrichte auf den Schrank und beobachtete ihn. Wilhelm hatte das Gefühl, gleich würde der Kater von oben angreifen, ihm wieder in den Nacken springen. Nachdem er den Ohrensessel und das Sofa gründlich von den Katzenhaaren befreit hatte, fiel sein Blick auf Sascha, der an den glänzenden Knöpfen der Stereoanlage drehte.
„Nein, Sascha, lass die Musikanlage in Ruhe“, sagte er so scharf, dass der Junge erschrocken aufhörte und unter den Tisch flüchtete.
„Onkel Wilhelm, ich habe Hunger“, jammerte Nico.
„Du hast doch gerade etwas gegessen.“ Wilhelm musterte den Neffen wie ein lästiges Insekt.
„Ich habe trotzdem Hunger“, schluchzte Nico.
„Na, komm, dann suchen wir etwas Essbares.“ Wilhelm nahm ihn an die Hand und marschierte in die Küche.
„Magst du ein Käsebrot?“
„Iiii, Käse.“ Nico schüttelte sich und weinte lauter.
„Magst du Schinken?“
Nico schüttelte den Kopf. „Ich will Leberwurst.“
„Die habe ich nicht. Aber wie wäre es mit Marmelade?“
Plötzlich versiegten die Tränen und Nico strahlte. „Ja, Marmeladenbrot.“
Schnell strich Wilhelm eine Scheibe und Nico langte zu. Er verschlang sie in kürzester Zeit und verlangte eine weitere. Sein Onkel staunte, wie eine kleine, zarte Gestalt solche Mengen verdrücken konnte.
Jetzt schrie Sascha. Wilhelm ließ Nico in der Küche und kniete sich vor den Couchtisch.
„Sascha, komm bitte raus“, lockte er.
Aber Sascha brüllte nur: „Mama, Mama.“
„Komm zu uns in die Küche.“ Der Junge brüllte weiter.
„Mama ist gleich wieder da. Nachher bauen wir euch ein schönes Bett. Soll ich vor dem Schlafen etwas vorlesen?“ Das Weinen wurde lauter.
Wilhelm versuchte es mit einem Kinderlied.
Sascha ließ sich einfach nicht beruhigen.
„Möchtest du ein Marmeladenbrot?“, probierte Wilhelm. Sascha weinte weiter. Jetzt fing auch noch Anna-Lena im Schlafzimmer an zu schreien.
Wilhelm holte sie aus dem Wagen und nahm sie auf den Arm. Aber ihr Brüllen verstärkte sich. Hannibal jagte aufgeregt bellend durch die Wohnung. Schließlich sprang er, weiter laut kläffend, an Wilhelm hoch. „Sch, sch, still“, wies Wilhelm den Hund zurecht. Vergeblich. Natürlich wusste er genau, dass Lydia den Hund nicht erzog. Hannibal hatte bisher nie pariert. Er schaukelte das Baby und lief im Schlafzimmer hin und her. Sein Gesicht verfärbte sich rot. Feine Schweißperlen bildeten sich auf Stirn und Nase. Wie konnte Lydia ihn bloß mit ihren Bälgern allein lassen? Er verstand jetzt, warum Eltern ihre Kinder zu den Großeltern oder Tagesmüttern abschoben. Dieses Geschrei hielt niemand aus.
Als etwas an seiner Hose zerrte, schaute er hinunter. Nico versuchte, seine Aufmerksamkeit zu wecken.
„Du Onkel, an der Wohnungstür ist jemand“, sagte er.
„Hast du einfach aufgemacht?“, fragte Wilhelm entsetzt.
Nico nickte. „Es hat ganz lange geklingelt, und du bist nicht hingegangen. Jetzt ist Hannibal weggelaufen“, erklärte Nico lapidar.
„Nicht auch noch“, stöhnte Wilhelm. Insgeheim hoffte er, dass der blöde Köter auf der Straße überfahren wurde, und er ein Problem weniger hatte.
„Herr Petermann, entschuldigen Sie, dass ich so einfach eindringe, aber vielleicht kann ich Ihnen helfen?“ Frau Beierlein, eine alte Dame mit grauen, dauergewellten Haaren und Kittelschürze, lugte vorsichtig durch die Schlafzimmertür. Bisher hatte Wilhelm die ruhige Frau Beierlein aus dem Erdgeschoss kaum beachtet. Trafen sie aufeinander, dann begrüßten sie sich und wechselte ein paar Worte über das Wetter. Zu mehr reichte Wilhelms Interesse an den Nachbarn nicht.
„Meine Schwester ist schnell einkaufen, aber jetzt schreien alle gleichzeitig. Und ich kann sie nicht beruhigen.“
„Na, geben Sie mir mal das Baby und versuchen Sie, den Hund einzufangen. Vielleicht schaffen wir es ja zu zweit.“ Frau Beierlein kommandierte freundlich, aber bestimmend. Sie nahm Wilhelm das Kind ab, ohne auf eine Antwort zu warten.
Anna-Lena hörte sofort auf zu schreien. Erleichtert, wenigstens diese Verantwortung abgeben zu können, flüchtete Wilhelm aus der Wohnung.

Blick ins Buch (Leseprobe)

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