7. Oktober 2019

'Die kleine Kanzlei am Markt' von Elly Sellers

Kindle | Tolino | Taschenbuch
Website Elly Sellers
Helen und Kerstin sind erfolgreiche Scheidungsanwältinnen. Dabei werden sie tatkräftig von ihrer Sekretärin Frau Vogt unterstützt.

Im Privatleben kündigen sich jedoch tiefgreifende Veränderungen an. Helens ungeliebte Zeit als Single ist beendet, als ihre Nichte aus New York zu ihr zieht und ein Mandant Interesse an ihr zeigt. Frau Vogt muss erfahren, dass in ihrer Ehe nicht alles zum Besten steht. Auch Kerstin vermutet, dass ihr etwas verheimlicht wird.

Gut, dass die drei Frauen zusammenhalten und darauf vertrauen: "Das kriegen wir hin!"

Leseprobe:
„Sarah kommt!“
„Wer kommt?“
„Typisch“, dachte Kerstin, „Helen redet einfach drauflos und geht davon aus, dass man sie hört.“ Sie ging zum Zimmer ihrer Anwaltskollegin, lehnte sich an den Türrahmen und fragte erneut: „Wer kommt?“
„Sarah, meine Nichte, du erinnerst dich doch?“
„Natürlich! Sie lebt in New York.“
„Stell dir vor, sie will wieder nach München ziehen und zunächst bei mir wohnen.“
„Das freut mich. Ich weiß noch, wie schwer es dir gefallen ist, Sarah loszulassen, als sie in die USA ging. Ab diesem Zeitpunkt gab es auch keine gemeinsamen Wellness-Wochenenden mehr, die du immer gesponsert hast.“
„Sarah ist wie eine Tochter für mich. Wenn man keine eigenen Kinder hat, stürzt man sich eben auf Nichten und Neffen. Und so groß ist die Auswahl bei mir da auch nicht.“
„Mit den beiden Brüdern von Sarah bist du früher auch gerne Skifahren gegangen.“
„Aber seitdem sie älter sind, gehen sie mit ihren Freundinnen und haben keine Zeit mehr. Nur Sarah ist mir geblieben. Sie hat einmal gesagt, dass sie mit mir über alles reden kann.“
Reden ist ein gutes Stichwort. Ich soll dir von unserer Sekretärin ausrichten, dass sie erst in einer Stunde wieder in der Kanzlei sein wird. Frau Vogt hat einen Zahnarzttermin und rechnet damit, dass es dauern kann, bis sie wieder da ist. Sie bleibt dafür auch etwas länger. Während du in der Mittagspause warst, hat Herr Bosch angerufen. Er bittet baldmöglichst um deinen Rückruf.“
„Jetzt ist es auf einmal dringend. Ich habe ihn zweimal angeschrieben, dass er mir seine Auskünfte zu seinem Einkommen und seinem Vermögen übersenden soll und der Mandant schiebt das nun sechs Wochen vor sich her. In fünf Tagen haben wir mit der Gegenseite eine Besprechung.“
„Sei doch froh, dass er sich jetzt meldet!“
„Herr Bosch ist Geschäftsführer eines Logistikunternehmens, da sollte er von Organisation ein wenig Ahnung haben und wissen, dass Entscheidungen vorbereitet werden müssen.“
„So einfach ist das auch wieder nicht. Schließlich geht es um den sensiblen persönlichen Bereich. Da neigt man manchmal dazu, etwas hinauszuschieben.“
„Sicher, aber ich hatte es bei Herrn Bosch einfach nicht erwartet.“
„Mir kam er recht sensibel vor.“
„Wie du das in den fünf Minuten, in denen er seinen Fragebogen vorne am Empfang ausgefüllt hat, feststellen konntest, ist mir ein Rätsel. Aber vielleicht hast du dir in der Zwischenzeit eine Art Röntgenblick angeeignet für die Frage: ‚Ist dieser Mandant für mich als Mann interessant?‘“
„Hör auf“, meinte Helen. Es ärgerte sie, dass Kerstin annahm, sie würde sich für die Scheidungsmandanten ihrer Kollegin interessieren. Sie warf zwar immer mal wieder einen Blick auf diese Herren. Mit 42 Jahren hatte sie die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass ihr eines Tages der Richtige über den Weg laufen würde. Allerdings war in letzter Zeit niemand dabei gewesen, der sie interessiert hätte.
„Übrigens, Sarah kommt schon nächsten Samstag.“
„Prima“, antwortete Kerstin. Sie freute sich für ihre Kollegin, von der sie wusste, dass ihr mancher Herbst- und Winterabend etwas leer vorkam, da sie stets allein in ihre Wohnung zurückkehrte. Im Sommer war das anders, da fuhr Helen mit dem Fahrrad abends zum See oder ging joggen. Das fiel in der dunkleren Jahreszeit weg. Kerstin hätte sich gar nicht vorstellen können, abends alleine in ihr Haus zurückzukommen. Auf sie wartete stets ihre meist hungrige, insgesamt vierköpfige Familie. „Immer wird das nicht so sein“, dachte sie, aber dann schob sie den unangenehmen Gedanken beiseite. Inzwischen hatte sie in ihrem Arbeitszimmer Platz genommen und wählte die Telefonnummer von Herrn Bosch. Während sie der Melodie lauschte, die die Wartezeit verkürzen sollte, atmete sie tief durch, um ruhiger zu werden. Sie hatte sich in ihrer Mittagspause beeilt, da sie nach einem Geburtstagsgeschenk für ihre Tochter Lisa gesucht hatte. Lisa wurde vierzehn und hatte genaue Vorstellungen. Aus einer Liste von zehn Wünschen hatte Kerstin sich dafür entschieden, eines der Kleidungsstücke zu besorgen und ihrem Mann den technischen Teil (schnurlose Kopfhörer) zu überlassen. Sie hatte vier Geschäfte in der Innenstadt aufgesucht, bis sie endlich den gewünschten Long-Pulli in Königsblau aufgetrieben hatte.
Sie überlegte gerade, ob sie ihrer Tochter auch noch einen dazu passenden Schal kaufen sollte, als ein lautes „Bosch“ an ihr Ohr drang.
„Guten Tag, Herr Bosch, schön, dass ich Sie erreiche. Wie sieht es mit Ihren Unterlagen aus?“
„Ich habe inzwischen einiges zusammengesucht. Die Belege vom Wohnungskauf, meine beiden Bausparverträge und die Steuerbescheide der letzten Jahre.“
„Gut. Können Sie auch Angaben zu Ihren Versicherungen machen?“
„Das ist schwierig. Diese Unterlagen befinden sich bei meiner Frau. Ich habe ihr auf den Anrufbeantworter gesprochen, aber sie hat sich bisher nicht gemeldet.“
„Wenn die Gegenseite genaue Berechnungen und Vorschläge haben möchte, muss sie die Unterlagen herausrücken. Sie können nicht alles im Kopf haben.“
„Das habe ich auch nicht. Wir haben zahlreiche Versicherungen abgeschlossen, einige laufen gemeinsam, andere nicht.“
„Können Sie mir die vorhandenen Schriftstücke per E-Mail senden oder faxen?“
„Ich wollte sie mit der Post schicken.“
„Wenn wir Pech haben, kommen sie erst in zwei Tagen, das ist mir zu knapp. Eingescannt oder als Fax wären sie mir am liebsten.“
„Momentan bin ich zu Hause. Hier habe ich kein Fax. Ich kann aber noch einmal ins Büro gehen und sie von dort versenden. Können Sie mir Ihre Faxnummer geben?“
„Sie steht auf unserem Briefkopf.“
„Leider habe ich die gesamten Unterlagen im Büro gelassen.“
„Sehr praktisch“, dachte Kerstin. „Wozu gebe ich jedem Mandanten eine Visitenkarte, die er sich in seine Geldbörse stecken kann?“ Um die Angelegenheit abzukürzen, gab sie die Faxnummer durch.

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