26. November 2019

'Schwarze Villa' von Claudia Konrad

Kindle (unlimited) | Taschenbuch
pinguletta Verlag
Schwarz. Komplett schwarz.
Wände, Treppe, Türen, Fenster, Dach.


Die schwarze Villa - umstrittenes Kunstobjekt im Pforzheimer Nobelviertel. Doch nicht nur das Äußere der Jugendstilvilla ist schwarz, auch ihre Geschichte ist mehr als düster.

Kai Sander, Immobilienmakler und Aktionskünstler, bekommt das als erster ganz hautnah zu spüren. Und einmal aufgeschreckt, finden die Geister der Vergangenheit keine Ruhe mehr. Und ziehen alle, die mit dem Haus in Berührung kommen, tief und tiefer hinein in den Strudel der schaurigen Ereignisse ...

Leseprobe:
Prolog
Vergebens flehte er um Sex. Bettelte und erniedrigte sich, bis es eines Tages mit ihm durchging. Gnadenlos trieb er sie in den Keller und verging sich grauenvoll an ihr. Wie ein ausgehungertes Raubtier auf Beutezug stürzte er sich auf sie, vergewaltigte sie. Nicht ein Mal, nicht zwei Mal, er wusste nicht, wie oft er das arme Ding geschunden hatte. Wie ein Irrer hatte er auf sie eingeschlagen, bis sie sich nicht mehr bewegte. Sein Drang, der Wahn, die Begierde, die Lust nach ihr war noch nicht gestillt. Er quälte den bewusstlosen, geschundenen Körper weiter. Immer und immer wieder, unermüdlich, bestialisch.
Stunden später ließ er endlich erschöpft von ihr ab.

Kapitel Eins
Pforzheim, 21. Februar 1945
Wie er diesen Krieg hasste. Was war nur aus der einst blühenden Stadt geworden? Was aus seinem Betrieb? Wütend schob er die Schreibtischschublade zu, in der die Ideen für edle Schmuckstücke ruhten. Dieser verdammte Krieg, wer weiß denn schon, wann er sich wieder seiner eigentlichen Arbeit widmen, die eingemotteten Feinmechanik-Maschinen endlich auspacken und Zeichnungen das lang ersehnte Leben einhauchen konnte. Diese Ungewissheit, ob die Franzosen auf der anderen Seite des Rheins nur auf eine passende Gelegenheit warteten, den Fluss überqueren zu können, um die Stadt zu überrennen oder gar zu besetzen.
Heinrich Goldammer saß hinter seinem klobigen Eichenschreibtisch und beobachtete die fünfzehn Mitarbeiter durch eine mit Feinstaub belegte Glasscheibe. Munition stellten sie her, anstatt Gold- und Doubleketten zu produzieren.
Seit heute Morgen schwelte die neue verfluchte Angst, dass Hitler nun völlig durchdrehen könnte. Man hatte dem Führer vom unbemerkten Treffen zwischen Heinrich Himmler und dem ehemaligen Schweizer Bundespräsidenten Jean-Marie Musy in Wildbad berichtet. Geheim und doch nicht geheim. In Windeseile, hinter vorgehaltener Hand und ganz im Vertrauen, verbreitete sich die Nachricht durch die noch lebenden Verwandten, dass Himmler angeblich seine Schuld am Holocaust mindern wollte und in gemeinsamer Arbeit mit Musy versuchte, Juden über die Schweiz in die Vereinigten Staaten zu schleusen. Wohl schafften zwölfhundert Menschen die erste nächtliche Zugfahrt. Was, wenn Hitler seinen Zorn auf die Region ausbreiten würde?
Goldammer stierte vor sich hin, spielte gedankenversunken mit der linken Hand in einer kleinen Box, die randvoll mit Edelsteinen gefüllt war. Steine, die für seine Schmuckstücke gedacht waren und die im Moment als totes Kapital vor ihm lagen.
Er dachte an Walter, seinen jüdischen Freund, Schulfreund und Geschäftspartner, den man 1933 mitsamt Familie deportiert hatte. Die Schmuckfabrik wurde arisiert. Tradition und Zukunft ausgelöscht. Welch große Pläne sie hatten! Walter arbeitete als Goldschmied in der Firma seines Großvaters, die er bald hätte übernehmen sollen. Seine Eltern starben, als er gerade einmal neun Jahre alt war. Goldammer fragte sich, ob es besser gewesen wäre, ebenfalls tote Eltern gehabt zu haben oder solche wie die seinen. Fusionieren wollten sie, gemeinsam zur weltweiten Aner-kennung für ihre Schmuckwaren gelangen, Pforzheim zu weiterem Ruhm durch hochkarätiges Design verhelfen. Vorbei.

Sirenen heulten, Fliegeralarm.
Ermattet erhob er sich. Da war sie wieder, diese ätzende Angst, dass Pforzheim dieses Mal bombardiert werden könnte. Solche Gedanken wurden dann doch von der Bevölkerung verdrängt. Überhaupt glaubte niemand so recht daran, da die Schmuckstadt bisher größtenteils verschont geblieben war, wenn auch die erste Bombardierung durch die United States Army Air Force im April 1944 knapp einhundert Menschenleben gefordert hatte. Die sich häufenden Angriffe der Alliierten gegen Ende 1944 hinterließen eben-falls verhältnismäßig geringe Schäden. Nach der Bombardierung Dresdens war man sich in seinen Freundes- und Geschäftskreisen relativ sicher, mit einem blauen Auge davonzukommen.
Eine halbe Stunde verbrachte Goldammer gemeinsam mit seinen Arbeitern im Keller. Genügend Zeit, um die Zwangsarbeiter genauer zu beobachten. Jedes Unternehmen in der Stadt, das Kriegsmaterial – und wenn es noch so kleine Teile waren – herstellen musste, bekam solch arme Teufel zur Arbeitsverrichtung zugewiesen. Konnte er den beiden KZ-Häftlingen zur Flucht verhelfen? Lag es überhaupt im Bereich des Möglichen? Und wenn, dann wie? Was, wenn es schiefginge? Offensichtlich würde man ihn auf der Stelle erschießen. Die Stadt wimmelte von Hitler-Treuen und Soldaten. In der Ferne grollte es. Es hörte sich wie das Abladen von Kartoffeln von einem Lastkraftwagen an.
Der Entwarnungston der Sirenen drang durch das dicke Gemäuer. Einmal mehr nur ein Fehlalarm, Glück gehabt. Man schüttelte sich die Hände, umarmte sich, ging erneut an die Arbeit – erleichtert, am Leben zu sein.
Goldammer klopfte seinen Anzug aus und hing im Büro seinen Gedanken abermals hinterher.
Was war heute bloß los mit ihm? Er kannte solche Gefühlsseligkeit und Sentimentalitätsausbrüche von sich nicht, er vermochte es sich nicht zu erklären und steckte sich eine Zigarre an. Den Rauch entließ er in großen Ringen aus dem Mund. Seine verkorkste Jugend tauchte vor seinem geistigen Auge auf, mit einem weichlichen Vater und einer Mutter, die er nur selten zu Gesicht bekam. Liebe und Geborgenheit wurden ihm eher wenig zuteil. Ein fataler Umstand, der sein Leben prägte. Zumindest hatte man ihm die Goldschmiedeschule ermöglicht, so gelang es ihm, sich schon in jungen Jahren eine kleine Schmuckmanufaktur aufzubauen. Es war sehr vorteilhaft, dass sein Vater Ausbilder in der ersten Berufsschule für diese Branche war. Seine Mutter stammte aus Wildbad, einem Erholungs- und Kurort, nur fünfundzwanzig Kilometer von Pforzheim entfernt. Sie war eine Gebürtige von Stetten, deren Familie in der dritten Generation ein Hotel führte, in dem zu besseren Zeiten Herzöge, Könige und der Kaiser speisten. Wildbad wurde von der oberen Schicht beherrscht. Fabrikanten aus nah und fern urlaubten und genossen die Thermalbäder inmitten des Schwarzwaldes.

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