3. April 2020

'Berge, Ziegen und andere Schwierigkeiten' von Sabine Buxbaum

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Als Lena beschließt, die Nachfolge einer Hausarztpraxis im beschaulichen Paznauntal in Tirol anzutreten, ahnt sie nicht, worauf sie sich da eingelassen hat. Die Menschen, die Umgebung – alles ist ganz anders als im modernen Wien. Auf dem Hof, den ihre Großmutter ihr vererbt hat, wimmelt es von Ziegen und Hühnern, und zu allem Übel ist das Wohnhaus halb verfallen.

Für Lena steht fest: Sie muss den Hof so schnell wie möglich verkaufen. Auch die Stelle als Hausärztin würde sie am liebsten sofort wieder kündigen. Wäre da nicht ihr Nachbar Michael. Anfangs grob und unausstehlich, lernt Lena ihn und allmählich auch die Schönheit des Paznauntals zu schätzen. Doch sollte das etwas an ihrer Entscheidung, den Hof ihrer Großeltern zu verkaufen, ändern? Schließlich ist da auch noch der reiche Hotelier Walter Sprenger, der sie umwirbt und ihr ein Angebot macht, das sie unmöglich ausschlagen kann …

Anleser:
Auf der Donauinsel in Wien herrschte schon in den frühen Morgenstunden ein reger Trubel. Der Frühling war eingekehrt und die Leute konnten es kaum erwarten, nach dem nasskalten Winter endlich ins Freie zu kommen.
Lena lehnte entspannt auf der Parkbank und beobachtete das bunte Treiben. Bald würde sich alles für sie verändern.
„Und du willst wirklich schon morgen aufbrechen? Du musst doch erst im Juni anfangen“, unterbrach ihre Freundin Sandra Lenas Gedanken.
„Der Bürgermeister von Feldbach hat mich gebeten, früher anzureisen, um alle Formalitäten zu erledigen.“
„Wo genau liegt Feldbach?“
„Im Paznauntal in Tirol, zwischen Ischgl und Galltür“, antwortete Lena. Sie war das letzte Mal dort gewesen, als sie dreizehn war. Danach verlor sie das Interesse, ihre Großeltern in Tirol zu besuchen. Ihr Kontakt hatte sich auf Telefonate, Glückwunschkarten und vereinzelte Treffen der Familie bei Lenas Tante in Innsbruck beschränkt.
„Ich verstehe deine Entscheidung nicht“, erklärte Sandra. „Was ist denn in dich gefahren? Du verlässt deine Heimat Wien, um in ein abgelegenes Tal zu ziehen? Als Hausärztin? Ehrlich, das ist wirklich sonderbar. Du bist eine ausgezeichnete Internistin. Warum gibst du das alles auf?“
Lena hatte Sandra ihre wahren Beweggründe nicht verraten, und das hatte sie auch jetzt nicht vor. Sie hatte sich auch ein anderes Leben für sich vorgestellt. Aber es kam alles anders. Vielleicht war es eine Kurzschluss- oder Trotzreaktion, die sie zu ihrer Entscheidung bewogen hatte, aber sie wollte fort aus Wien, wollte ihre Vergangenheit hinter sich lassen und neu beginnen. Für sie erschien es wie ein Glücksfall, dass in Feldbach eine Hausärztin gesucht wurde. Ihre Großmutter hatte es ihr erzählt. Nur war nicht geplant, dass ihre Oma sterben würde, ehe sie dort überhaupt anfing.

So war Lena nun also auf dem Weg ins Paznauntal. Die Autobahn hatte sie längst hinter sich gelassen und folgte nun der Straße, die ins Tal einbog.
Obwohl es schon Mitte April war, lag im Tal noch eine weiße Schneedecke und ausgerechnet heute schneite es kräftig. Die Bergspitzen waren in den dichten Wolkendecken nicht zu erkennen.
Lena sorgte sich ein wenig, denn sie hatte schon die Sommerreifen montiert und besaß nur ein kleines Auto ohne Allrad. In Wien war bereits der Frühling eingekehrt, es blühten schon die ersten Blumen und die Temperatur war angenehm warm. Hier fror Lena trotz Autoheizung. Wegen des starken Schneefalls konnte sie den Verlauf der Straße kaum erkennen.
Nun hatte sie die halbe Strecke ins Tal schon hinter sich gebracht. Der Schneefall wurde immer intensiver und die Schneedecke auf der Straße dichter. Schon jetzt spürte sie, dass die Reifen kaum Halt fanden. Viele Orte gab es nicht im Tal. Diese waren jedoch mit großen Hotels, Appartement- und Ferienwohnhäusern verbaut. Nach einfachen Einfamilienhäusern hielt Lena vergebens Ausschau. Einfach jeder, der hier wohnte, schien Ferienwohnungen zu vermieten. Vor allem der Wintertourismus hatte dieses Tal fest im Griff.
Als Lena Feldbach erreichte, war das Bild nicht anders. Rechts und links der Straße türmten sich große Hotels auf. Vor einem längeren Gebäude hielt sie an. Dort waren eine Apotheke, ein Lebensmittelgeschäft, ein Sportgeschäft und die Arztpraxis untergebracht, die sie übernehmen sollte. Da Samstag war, schien die Praxis geschlossen zu sein. Es brannte kein Licht. Wenige Leute waren zu sehen und Lena beschloss, sich hier nicht länger aufzuhalten. Schließlich musste sie noch den Bergbauernhof ihrer Großeltern erreichen, der gut zweihundert Meter höher lag, bevor die Wetterlage ein Vorankommen verhindern würde.
Lena folgte einer schmalen Straße, die rechts einbog. Sie konnte sich noch daran erinnern, dass man hinter dem Bäcker einbiegen musste. Sie fuhr über eine Brücke, welche über den Fluss Trisanna führte. Die schmale Straße wurde zunehmend steiler und Lena zunehmend ängstlicher. Das Dorfzentrum hatte sie hinter sich gelassen. Nur noch Felsen und Bäume säumten die Straße. Immer wieder gingen die Reifen durch und Lena erwog es ernsthaft, umzukehren. Allerdings war die Straße so schmal, dass dies kaum möglich war. So stieg sie weiter aufs Gas und betete still, dass alles gut gehen würde.
Doch bei diesen winterlichen Fahrverhältnissen half auch das Beten nichts, zumal sie auch nicht ernsthaft Gehör beim lieben Gott erwartete, denn diesen hatten sie schon seit Jahren nicht mehr angesprochen.
Das bereute sie, als dann das Auto nicht mehr vorwärtskam und nach hinten zu rutschen drohte. Lena kämpfte mit dem Gaspedal, was den Zustand aber nicht verbesserte, sondern lediglich die Reifen überhitzte. Sie war den Tränen nahe, als ihr ein Traktor mit Schneeschaufel entgegenkam, der, überrascht über die unerwartete Straßensperre, abrupt abbremsen musste und gerade noch rechtzeitig vor Lenas Stoßstange zum Stehen kam. Lena zitterte mittlerweile am ganzen Körper.
Sie stellte den Motor ab, zog die Handbremse und stieg aus, als sie sah, dass dies auch der Traktorfahrer tat.
„Sind Sie verrückt?“, fuhr der Mann sie an, der ungefähr in ihrem Alter zu sein schien. Sie bemerkte seinen abwertenden Blick, als er auf ihre Reifen und ihr Wiener Kennzeichen sah.
„Das hier ist keine Straßen für Touristen!“, legte er nach. „Diese Straße ist nur für Anrainer. Haben Sie das Schild nicht gelesen? Können Sie überhaupt lesen? Vielleicht ist Ihnen nebenbei aufgefallen, dass es schneit! Sie sind hier nicht in Wien, sondern in den Tiroler Bergen! Hier fährt man bei solchen Verhältnissen entweder gar nicht oder nur mit Schneeketten! Aber wie ich sehe, haben Sie noch nicht einmal Winterreifen. Jetzt blockieren Sie hier die ganze Straße! Wie soll ich an Ihnen vorbeikommen? Fahren Sie rückwärts und am besten kehren Sie wieder dorthin zurück, wo sie hergekommen sind!“
Lenas Zittern verstärkte sich. Einerseits vor Kälte und andererseits, weil sie weder ein noch aus wusste. Sie konnte unmöglich rückwärtsfahren. Sie hatte das noch nie sehr gut beherrscht und außerdem war die Straße kurvenreich. Der Mann starrte sie finster an, und sie fürchtete, dass sie möglicherweise bald Opfer eines Verbrechens würde, wenn sie seinen Aufforderungen nicht Folge leistet. Erschöpft von der langen Fahrt und verstört über die Situation kamen Lena die Tränen. Sie erwartete nun eine weitere Schimpforgie des Mannes, aber seine Gesichtszüge wurden unerwartet sanfter. Es schien ihm nicht zu behagen, dass sie in Tränen ausbrach.
„Wo wollen Sie eigentlich hin?“, fragte er schließlich ganz sachlich.
„Zum Bergbauernhof von Anna Bucher“, antwortete Lena, ehe sie ein Taschentuch aus ihrer Manteltasche zog, um sich die Tränen abzuwischen.

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