27. April 2020

'Für mich bist du tot: Zerstörte Illusionen' von Elisabeth Charlotte

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Elisabeth Charlotte schildert den systematischen Zerfall ihrer kleinen Familie, ausgelöst durch den plötzlichen Kontaktabbruch ihres einzigen geliebten Sohnes.

Die authentische Geschichte beginnt in den fünfziger Jahren mit der Flucht des Vaters aus der DDR in den Westen Deutschlands. Alleingelassen, beginnt für die Mutter und ihre Kinder ein Leben voller Entbehrungen. Die Mutter ist den alltäglichen Belastungen, die sich aus der Erziehung der Kinder ergeben, nicht gewachsen. Sie sucht Trost im Alkohol und Tabletten. Dies hat katastrophale Folgen für alle, besonders aber für die Entwicklung ihrer Kinder.

Die Autorin lässt die Leser teilhaben an ihrem von vielen Schicksalsschlägen begleiteten Weg vom schüchternen Mädchen bis hin zur selbstbewussten Frau. Sie bekommt einen Sohn, ein Wunschkind, durchläuft ein schmerzhaftes Comingout, verbunden mit einer ersten unglücklichen Liebe. Als sie die Frau ihres Lebens kennen lernt, scheint sie endlich in einem glücklichen Leben angekommen zu sein.

Doch jetzt beginnt die eigentliche Tragödie ...

Anleser:
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges war von den Siegermächten 1945 vereinbart worden, Berlin in vier Sektoren aufzuteilen. Margarete und Paul, meine Eltern, lebten in der Ostzone und lernten sich 1947 in einem Tanzlokal kennen. Mein Vater war siebzehn Jahre alt und kam aus der Gefangenschaft. Meine Mutter, ein Jahr älter, absolvierte ihr hauswirtschaftliches Pflichtjahr, so wie es damals für junge Mädchen üblich war. Ein Jahr später im Juli 1948 hatten sie geheiratet.
Beide brauchten zu der Zeit noch die Genehmigung ihrer Eltern, weil man damals erst mit einundzwanzig Jahren volljährig war. Sie waren jung, sehr verliebt und lebenshungrig und sie genossen beide das Leben nach Kriegsende in vollen Zügen. Meine Eltern lebten anfangs zusammen mit der frisch geschiedenen Mutter meines Vaters, in einer kleinen Wohnung in der sowjetischen Besatzungszone im Bezirk Friedrichshain. Wie man sich gut vorstellen kann, vertrugen sich Margarete und ihre Schwiegermutter, zwei charakterlich sehr unterschiedliche Frauen, nicht so gut und immer wieder gab es Spannungen wegen Kleinigkeiten. Doch eigener Wohnraum war nicht so einfach zu bekommen. Gut ein Jahr nach der Hochzeit meiner Eltern, wurde ich im März 1949 im elterlichen Schlafzimmer in der Boxhagener Straße geboren. Damals war es eher selten im Krankenhaus zu entbinden, die meisten Geburten fanden zu Hause statt. Außer der Hebamme war noch meine Oma bei meiner Geburt dabei. Jahre später erzählte sie mir einmal, dass sie während des Geburtsvorganges den Eindruck hatte, dass ich nicht auf diese Welt kommen wollte. Heute ist mir auch klar, warum.
Spätestens nach meiner Geburt wurde den jungen Eltern klar, dass sie sich dringend nach eigenem Wohnraum umschauen mussten. Den fanden sie dann auch ein paar Straßen weiter in der Rigaer Straße. Damals eine ruhige Straße mit vielen kleinen „Tante-Emma-Läden“, einigen Kneipen. Die Wohnung war nicht groß, bestand nur aus Wohnzimmer und Küche, die Toilette befand sich eine halbe Treppe tiefer. Endlich hatten sie ihr eigenes Reich. Im selben Jahr, am 7. Oktober, wurde auf dem Gebiet der sowjetischen Besatzungszone die Deutsche Demokratische Republik gegründet.

Drei Jahre später, im Oktober 1952, kam mein Bruder Gerhard einen Monat zu früh auf die Welt. Auch er war eine Hausgeburt. Im Gegensatz zu meiner Geburt waren meine Eltern auf die Ankunft dieses zweiten Kindes so gar nicht vorbereitet. Nichts war für das Baby vorhanden. Die Hebamme wickelte das Neugeborene notdürftig in ein Handtuch und meine Oma wurde nun beauftragt, das Nötigste für das kleine Wesen zu besorgen. Wie ich viel später erfuhr, war mein Bruder kein Wunschkind. Meine Mutter hatte in den ersten Monaten einige abenteuerliche Versuche unternommen haben, um diese Schwangerschaft zu unterbrechen. Warum sie dieses Kind nicht wollte, haben wir nie erfahren. Nur meine Oma verbreitete hartnäckig das Gerücht, dass dieses Kind nicht von ihrem Sohn sein könne. Woher sie das zu wissen glaubte, blieb ebenfalls ihr Geheimnis. Aber der Stachel war zumindest bei meinem Vater gesetzt. Es gelang ihm dadurch nie, eine normale Vater-Sohn-Beziehung zu dem Jungen aufzubauen. Der Kleine war von Geburt an in seiner Entwicklung etwas zurück und blieb immer ein Sorgenkind.

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