8. März 2022

'Die Botin des Königs' von Sabine Buxbaum

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England, 16. Jahrhundert. Nach der Hochzeit begreift Jane, dass ihr liebloser Ehemann ihr Familienerbe in Besitz bringen möchte, und er ist bereit, jeden aus dem Weg zu räumen, der ihn daran hindern könnte. Als Jane die Gefahr erkennt, flieht sie mit ihrem kranken Bruder Michael und taucht in London unter, doch bald wird das Geld knapp. Als Jane erfährt, dass die Eliteschule Gravenhorst Boten für den König ausbildet, wittert sie die Chance, ihr Leben zu verbessern. Als Mann verkleidet nimmt sie am Unterricht teil und lässt sich auf ein gefährliches Doppelspiel ein. Sie gewinnt neue Freunde und verliebt sich heimlich in ihren Ausbilder. Doch bald gerät die Situation außer Kontrolle.

Anleser:
Jane ritt durch die Dunkelheit des Waldes. Unheimliche Schatten, die das Mondlicht warf, täuschten Gestalten vor, die ihr einen kalten Schauer über den Rücken jagten. Die Äste der Bäume brachen an ihrem Körper und bohrten sich in ihr Fleisch. Sie rissen ihre Ärmel in Fetzen und zerkratzten ihre Haut. Jane war erschöpft, genauso wie ihr Pferd. Es atmete schwer und strauchelte bei jeder Unebenheit.
Sie hielt kurz inne, um sich umzudrehen. Sie sah keine Lichter, kein Feuer einer Fackel. Würde sie es schaffen? War ihre Flucht unbemerkt geblieben? Vielleicht war sie eher da …

Kapitel 1 – England, Kent, September 1535
James saß auf der Veranda seines Farmhauses und beobachtete die Wolken, die über sein Land zogen. Bald würde es wieder Regen geben, wie schon zu oft dieses Jahr. Seine Schafe standen aufgrund der aufgeweichten Felder ohnehin viel zu tief im Schlamm. Das Wollgeschäft florierte, aber es forderte harte Arbeit. James betrachtete die Schwielen an seinen Händen, die sich in den letzten Jahren deutlich vermehrt hatten. Er schweifte mit den Gedanken zu seinen Kindern ab, die er nach dem frühen Tod seiner Frau zusammen mit seiner Mutter aufgezogen hatte. James seufzte. Die Zeit war an ihm vorbeigezogen und seine Kinder waren schneller erwachsen geworden, als ihm lieb war. Er sorgte sich um ihre Zukunft. Sein Sohn Michael sollte später die Schaffarm übernehmen, aber würde er es auch schaffen, sie zu bewirtschaften? Die Ärzte hatten ihm einen frühen Tod prognostiziert, nachdem er unmittelbar nach der Geburt hohes Fieber bekam. Michael überlebte im Gegensatz zu seiner Mutter die Erkrankung, aber sein Herz blieb geschwächt. James hatte schon oft miterleben müssen, wie Michael vor Erschöpfung zusammenbrach und um Luft rang. Er würde wahrscheinlich nie Familie haben und den Bestand der Farm sichern. So beruhte James‘ Hoffnung auf seiner Tochter Jane, die gerade zweiundzwanzig Jahre alt geworden war. Es war Zeit, sie vorteilhaft zu verheiraten. Gut, dass er schon jemanden für sie im Auge hatte.

Jane begleitete ihren Vater manchmal nach London. Während er die Fabriken mit seiner Wolle belieferte, konnte sie an den Märkten entlang der Themse Einkäufe erledigen. Es herrschte stets ein buntes Treiben und man lernte neue Leute kennen. Außerdem erfuhr man den neuesten Tratsch, was das Königshaus anbelangte. König Heinrich VIII. hatte die Sympathie der breiten Masse, als er König wurde. Doch sein Lebenswandel in den letzten Jahren führte zunehmend zu Unmut in der Bevölkerung. Das Jahr brachte den Menschen nicht die erwartete Ernte und es geschah, dass ein Teil der Bevölkerung an Hunger litt. Dazu wurde das Land noch von Krankheiten wie dem Schweißfieber heimgesucht. Seltsamerweise schien die fieberhafte und teilweise tödliche Erkrankung vor allem in den höheren Kreisen zu wüten.
Abergläubisch, wie die Leute zu jener Zeit waren, suchten sie einen Grund für diese Tragödien und sie fanden ihn. Sie machten die neue Frau des Königs dafür verantwortlich. Ihr Name war Anne Boleyn. Ihretwegen hatte sich der König von seiner ersten Frau Katharina von Aragon scheiden laden. Diese Scheidung war zwar vom Papst abgelehnt worden, doch der König hatte sich einfach selbst zum Oberhaupt der Kirche erklärt. Damit war er niemandem mehr unterstellt. Anne Boleyn wurde von der Bevölkerung nicht akzeptiert, und langsam schien auch der König immer weniger Wohlwollen für seine Frau aufzubringen. Auch sie schaffte es nicht, ihm den begehrten Thronerben zu gebären. Der König hatte bereits eine Tochter aus erster Ehe, und Anne schenkte ihm noch eine weitere. Der König machte die Frauen dafür verantwortlich, dass er keinen männlichen Nachfolger bekam. Er hatte es schließlich geschafft, einen unehelichen Sohn zu zeugen.
Jane fand die Geschichten rund um den König spannend.
Für sie war London immer eine willkommene Abwechslung und sie begleitete ihren Vater gerne. Nur in den Sommermonaten mochte sie die Stadt nicht. Aus der offenen Kanalisation drang der Gestank des Unrats der Leute und die Luft war stickig.
Jane war nervös, als sie erfuhr, dass ihr Vater sie den Stanfords vorstellen wollte. Sie ahnte schon, was ihr Vater im Sinn hatte. Es war an der Zeit, einen eigenen Hausstand zu gründen. Jane wollte das auch, aber irgendwie ging ihr das nun doch zu schnell. Sie liebte die Farm, die Tiere und vor allem ihren Bruder Michael. Das alles eines Tages verlassen zu müssen, machte sie traurig. Von Richard Stanford wusste sie nicht viel, nur dass er wohlhabend war. Aber sie wollte gar kein Leben im Reichtum.
An jenem Tag zog sich Jane auf Anordnung ihres Vaters ein Sonntagsgewand an. Ihr Vater spannte gleich zwei Pferde ein, um schneller nach London zu kommen. Die Fahrt über die holprigen und ausgewaschenen Wege war wenig entspannend. Jane machte sich viele Gedanken über ein mögliches zukünftiges Leben in London.
Endlich kamen sie vor dem ausladenden Fabrikgebäude der Stanfords an. Das Wetter meinte es gut mit ihnen. Es hatte aufgehört zu regnen und die Sonne spendete eine wohlwollende Wärme. Angespannt betrat Jane mit ihrem Vater das Gebäude. Der Pförtner führte sie in das Büro von Richard Stanford, der sich gleich lächelnd erhob, als die Gäste eintraten. Jane musterte Richard Stanford, der einen sehr gepflegten Eindruck machte. Er trug edle Stoffe an seinem Körper, die wohl aus seiner Fabrik stammten. Sein dunkles Haar trug er kurz geschnitten und zurückgekämmt. Ein schmaler Schnurrbart säumte seine Lippen. Er gefiel Jane. Ihr entging nicht, dass er sie musterte. Sie blickte verlegen zu Boden.
„James, schön Euch wiederzusehen. Ich hoffe, Ihr habt mir eine gute Ware mitgebracht“, begrüßte der junge Mann Janes Vater. Dann streckte er seinen Arm nach Janes Hand aus und gab ihr einen Handkuss. Diese Geste ließ Jane erröten.
Sie hoffte, dass sie elegant genug gekleidet war. In London staffierten sich die Leute der hohen Gesellschaft weit besser aus als in der ländlichen Gegend von Kent. Jane hatte sich das Haar von ihrer Großmutter hochstecken lassen, aber es war recht widerspenstig und einige Strähnen waren ihr mittlerweile ins Gesicht gefallen. Jane war sich ihrer Weiblichkeit nicht bewusst. Auf der Farm wurde sie wie ein Junge behandelt. Ihre Großmutter erzählte ihr zwar einiges über die Weiblichkeit, aber nicht alles, was sie wissen wollte.
Richard Stanford lächelte sie an. Sein Blick verriet, dass ihm gefiel, was er sah. Er wechselte jedoch nur wenige Worte mit ihr. Er fragte sie, wie es ihr in London gefiele und schätzte es, dass sie sich für den Stoffhandel interessierte. Nachdem ihr Vater seine Geschäfte mit ihm abgewickelt hatte, verließen sie die Fabrik.
„Was hältst du von ihm?“, fragte James seine Tochter, bevor sie in die Kutsche stiegen.
Jane zuckte mit den Achseln. „Ich weiß nicht“, meinte sie ehrlich. „Ich kenne ihn kaum.“
„Du bist jetzt zweiundzwanzig Jahre alt. Viele Frauen in deinem Alter sind schon verheiratet. Du musst auch langsam daran denken, deinen eigenen Hausstand zu gründen. Es ist auch deine Aufgabe, den Fortbestand unserer Familie zu sichern. Stanford wäre eine gute Partie“, meinte ihr Vater.
Jane nickte. Sie hatte aber ihre Zweifel, ob sie in die feine Gesellschaft von London passen würde. Auch wenn ihr Richard Stanford gefiel, vermisste sie dennoch das Gefühl, dass er der Richtige sei.
Nach einer kurzen Fahrt hielt die Kutsche an.

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