'Das Geheimnis von Barton Hall' von L.C. Frey
Ein horrormäßiger Gruselgenuss.
Port, New Hampshire, am Ende des neunzehnten Jahrhunderts. Der Tod seines vermögenden Vaters zieht den jungen Robert Barton zurück nach Barton Hall, dem Stammsitz seiner Familie. Aus einer Laune heraus beginnt er sich mit den merkwürdigen Umständen zu beschäftigen, die zum Tod seines Vaters führten und gerät bald selbst in einen Strudel aus üblen Ahnungen und uralten Geheimnissen. Rasch ist er am Ende seiner ermittlerischen Fähigkeiten angelangt und zieht den Gelehrten von Meyrinck zu Rate. Während Barton sich mehr und mehr in die Welt verbotener Bücher und uralter Geheimnisse zurückzieht, verfolgt dieser ganz eigene Pläne ...
Wer oder was hat John Barton tatsächlich umgebracht und wie hängt das alles mit dem finsteren, halbverfallenen Haus auf dem Hügel über der Stadt Port zusammen?
Gleich lesen: Das Geheimnis von Barton Hall
Leseprobe:
Periwinkle, der Buchhalter, hatte mit meinem Vater in dessen letzten Jahren fast ausschließlich über ihre briefliche Korrespondenz kommuniziert und traf ihn daher erst wenige Tage vor dessen Tod erneut persönlich, als schon beinahe zwei Jahrzehnte zwischen diesem und ihrem letzten Treffen lagen. Dabei hatte mein Vater ihn nicht etwa zu sich bestellt, weil er in dem Glauben war, seine irdische Zeit neige sich dem Ende zu. Vielmehr hatte er ihm geschrieben, er habe größere Geldgeschäfte zu tätigen und wünsche, Periwinkle in persona zu sehen, da ihm das Schreiben lästig sei. Er wollte wohl gewisse Dinge lieber von Angesicht zu Angesicht unter Ehrenmännern regeln – was durchaus Sinn ergab, wenn man um die Art und Weise wusste, auf die mein Vater seine Geldgeschäfte zu versehen pflegte.
Periwinkle war unverzüglich nach Barton Hall aufgebrochen, das in den Jahren seiner Abwesenheit von einem prächtigen Anwesen zu einem heruntergekommenen, finsteren und sehr einsamen Ort verfallen war – das Dach im Nordflügel wies etliche Löcher auf und der einst so blühende Garten war nun verwildert, Gräser und wilde Ranken überwucherten die Wege bis hinauf zu dem düsteren, schwarzen Koloss auf dem Hügel. Auch schien mein Vater sämtliches Personal bis auf Jarvis, seinen alten, stets etwas mürrischen Butler, entlassen zu haben. Der Buchhalter wunderte sich bei seinem Eintreffen ganz gewaltig ob dieser Absonderlichkeiten, konnten Geldsorgen doch nicht der Grund für diese seltsame Wandlung des Anwesens sein, wie er wohl wusste.
Doch nichts hätte den Buchhalter auf jenen Anblick vorbereiten können, der sich seinen Augen im Inneren von Barton Hall bot.
Mein Vater empfing den Buchhalter in seinem alten Studierzimmer, und sobald Jarvis dessen Türen öffnete, drangen farbig schimmernde und barbarisch stinkende Nebel daraus hervor, sodass der Buchhalter sich ein Taschentuch vor Mund und Nase halten musste und kaum die Hand vor Augen sah, während er sich blind, aber tapfer auf die Mitte des Zimmers zubewegte. Nachdem sich seine Augen an die schlechten Sichtverhältnisse durch die Nebel und Dämpfe gewöhnt hatten, gewahrte er eine Menge ausnehmend merkwürdiger Gestalten, welche ein längliches Gerät umstanden und leise murmelnd in den Seiten riesiger, alter Folianten raschelten, die sie auf mehrere Stehpulte in dem Raum verteilt hatten. Unter ihnen waren recht exotische Charaktere in wallenden schwarzen Gewändern und spitzen Hüten, andere in orangefarbenen Kitteln.
Periwinkle kämpfte sich hustend durch den Rauch bis zu einer länglichen Metallröhre, an der unzählige Schläuche, kleinere Röhren, Gerätschaften sowie ein großer Blasebalg angeschlossen waren. Die Orientalen, die das Zimmer mit dem Tubus übrigens nie verließen, erhitzten ölig glänzende Gemische in den kleineren Zylindern, bis ekle Schwaden giftiger Luft aus den blasigen Flüssigkeiten hervorbrachen, die sie mittels verschiedener Kolben in das Innere der Röhre einleiteten. Das gesamte Zirkulationssystem wurde von einem gewaltigen Blasebalg in Gang gehalten, den ein einzelner Mann nahezu ununterbrochen und ohne die geringsten Zeichen von Erschöpfung bediente. Diese Gestalt war komplett in ein schwarzes, mit aufgestickten Symbolen bedecktes Gewand gehüllt, sodass ihr Gesicht nicht zu erkennen war. Periwinkle meinte jedoch, sie sei auffallend dünn gewesen und die weiten Gewänder hätten von diesem Manne herabgehangen wie das Leichentuch von einem Totengerippe.
Währenddessen hielten die anderen verschiedene Kristalle und andere seltsame Fetische in die Luft und führten gewisse Tänze um den Tubus auf. Dies geschah scheinbar nach streng vorgeschriebenen Regeln und in bestimmten zeitlichen Zyklen, denn immer wieder unterbrachen die Tänzer ihre Bewegungen und hockten sich auf den Boden, so wie es unzivilisierte Wilde zu tun pflegen.
Aus dem Inneren der Röhre entwichen währenddessen in regelmäßigen Abständen eben jene zischenden Nebelschleier, die das gesamte Studierzimmer erfüllten.
Als er den Tubus in der Mitte des Zimmers schließlich erreicht hatte, vernahm der Buchhalter eine Stimme, die er nach einiger Zeit als die meines Vaters identifizierte, auch wenn sie nur verzerrt und seltsam leise an sein Ohr drang – es war kaum mehr als ein kraftloses Rascheln, das den Buchhalter auf ekelerregende Weise an das Zirpen von Insekten erinnerte, wie er mir später gestand.
»Hier unten, Periwinkle!«, wisperte diese Stimme.
Und dann machte der entsetzte Buchhalter die Quelle des Geräuschs aus: Es war tatsächlich mein Vater, dessen Körper zur Gänze in jenem seltsamen, Nebel produzierenden Glastubus steckte, und sein Gesicht war hinter einem dichten Schleier aus schwarzer Gaze nur in Umrissen zu erkennen. Als sich der Buchhalter hinabbeugte, um mit dem alten Barton zu sprechen, hielten die Fremden für kurze Zeit in ihrem Treiben inne und beobachteten den Buchhalter mit scheelen und vom Nebel geröteten Augen aus allen Ecken des Raumes. Sie schienen etwas ungeduldig und wollten ihr Werk an dem Tubus offenbar so schnell wie möglich fortsetzen.
»Heilsame Dämpfe«, erläuterte mein Vater dem Buchhalter und meinte damit scheinbar die bunten, schlierigen Nebel, die den Raum erfüllten. Und damit schien das Thema für ihn auch erledigt zu sein, denn fortan drehte sich ihre Unterhaltung ausschließlich um finanzielle Dinge. Das Sprechen bereitete meinem Vater erhebliche Mühe, und so stieß er seine Anweisungen weiterhin in jenem dünnen, insektenhaften Wispern hervor, das dem Buchhalter schon beim Nähertreten einen solchen Ekel bereitet hatte. Und dennoch hatten seine Worte nichts von ihrem üblichen Scharfsinn verloren, ja sie waren erfüllt von einer meinem Vater eigenen Genialität, wenn es um Finanzdinge ging. Dies führte dazu, dass Periwinkle seine erste These, mein Vater habe schlichtweg den Verstand verloren, bald wieder verwarf. Doch bald sollte sich ein viel schlimmerer Verdacht in seine Seele schleichen, und dieser, wie sich herausstellte, würde ihn nie wieder in Frieden lassen.
Im Kindle-Shop: Das Geheimnis von Barton Hall
Mehr über und von L.C. Frey auf seiner Website.
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