"Das Geheimnis der Uhr" von Annette Hennig
Alexa, Agnes' Urenkelin, trifft in ihrem Urlaub in Frankreich nicht nur auf den gutaussehenden Achille, der ihr Herz höher schlagen lässt. Sie entdeckt auch eine kostbare alte Taschenuhr, die ihre Familie zusammen mit dem Mann, dem sie einst gehörte, in der normannischen Erde begraben glaubt. Eine Zeitreise durch die vergangenen 70 Jahre beginnt, an dessen Ende die Familien durch ein lange gehütetes Geheimnis aufeinander treffen. Schmerzvolle Erinnerungen verbinden diese unterschiedlichen Menschen zweier Nationen, die nichts voneinander ahnten.
Neugierig und tapfer nehmen sie ihr Schicksal an. Werden Sie es schaffen, Gemeinsam den Weg zu gehen, den eine frühere Generation ihnen vorbestimmt hat?
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Leseprobe:
Im gleißenden Licht der Sonne rekelte Alexa sich auf der Sonnenliege am Pool des noblen Fünf-Sterne-Hotels.
Laura-Marie, ihre fast sechs Jahre alte Tochter, konnte nicht genug davon bekommen im Wasser herumzutollen. Alexa hatte sie immer im Auge, auch wenn sie sich keine Sorgen um ihre Laurie, wie alle sie liebevoll nannten, machen musste. Sie hatte sich frühzeitig darum gekümmert, dass ihre Tochter schwimmen gelernt hatte und Laurie war offenbar mit Schwimmhäuten und Kiemen, als kleine Nixe, zur Welt gekommen. Sie kannte keine Scheu vor dem Wasser.
Viel lieber hätte Alexa den Tag mit ihrer Tochter im warmen Sand am hoteleigenen Strand verbracht. Dort herrschte aber seit drei Tagen eine Quallenplage und die Gäste verzichteten auf das Badevergnügen im Meer.
Der Pool war dicht umlagert.
Der Geräuschpegel war dementsprechend hoch und Alexa gelang es nicht, sich auf ihr mitgebrachtes Buch zu konzentrieren. Notgedrungen döste sie in der Sonne vor sich hin.
Kinderlachen, Stimmengewirr und der neueste französische Sommerhit drangen an ihre Sinne. Immer wieder suchten ihre Augen die Tochter, die in ihrem pinkfarbenen Badeanzug, mit dem langen weizenblonden gelocktem Haar eigentlich nicht in der Traube der Kinder, die sich an der Wasserrutsche drängelten, untergehen konnte.
Immer, wenn ihre Blicke sich zufällig trafen, winkte Laurie der Mutter ausgelassen zu.
Wie lange hatte Alexa darauf gewartet, solch einen herrlich unbeschwerten Urlaub mit Laurie verleben zu können.
In den letzten drei Jahren war so viel auf sie eingestürmt, waren so viele Dinge geschehen, Gute wie Schlechte, dass an einen unbekümmerten Urlaub nicht zu denken gewesen war.
Zuvor, als ihre Welt noch nicht Kopf gestanden hatte, ihr Leben noch im ruhigen Fahrwasser dahinplätscherte, war Laurie noch zu klein für solch ein feines Hotel und auch noch nicht stubenrein genug gewesen. Auch hatte Alexa damals noch nicht die finanziellen Mittel gehabt, um sich einen so großartigen Urlaub leisten zu können.
Die Julisonne brannte unerbittlich vom wolkenlosen französischen Himmel. Alexa schaute in das Azurblau über ihr und dachte an ihren Vater. Drei lange Jahre war es nun her, dass sie sich keinen Rat, keine Hilfe mehr von ihm hatte holen können. Es war noch immer schmerzlich, auch wenn das Leben weiterging, im gleichförmigen Strom Tag um Tag dahinfloss. Sie vermisste ihn, trotz Allem was geschehen war.
Ein Blick zu der älteren Dame auf der Sonnenliege nebenan verriet, dass es an der Zeit war, der hochstehenden Sonne zu entsagen und ihre Haut nicht länger dieser Strapaze auszusetzen. Sie rief und winkte nach Laurie und bedeutete ihr, dass es Zeit wurde, den Pool zu verlassen.
Laurie zog einen Schmollmund, kam träge und mit sichtlichem Widerwillen der Aufforderung ihrer Mutter nach.
„Es ist zu heiß, die Sonne brennt vom Himmel, Laurie. Wenn wir länger hier am Pool bleiben bekommen wir einen bösen Sonnenbrand. Unsere Haut muss sich erst an die südliche Sonne gewöhnen“, versuchte Alexa ihrer Tochter zu erklären.
Laurie schmollte weiter. Sie wollte nicht einsehen, warum sie immer von ihrer Mutter gerufen wurde, wenn es gerade am Schönsten war.
„Lass uns ein Eis essen gehen. Auch ein erfrischender Cocktail würde uns sicher guttun.“ Listig machte Alexa ihrer Tochter das Ende der Wassertoberei schmackhaft. Und sie kannte Laurie gut. Die Augen der kleinen Mademoiselle, wie Alexa sie in den vergangenen Tagen scherzhaft genannt hatte, erhellten sich. Mit der leckeren, kalten Masse ließ sie sich immer locken.
„Ich möchte Cocktail und Eis“, sagte Laurie nicht minder listig. Sie wusste genau, um sie hier weg zu lotsen, würde ihre Mutter nachgeben und sie dürfte sich beides schmecken lassen.
Alexa lächelte. „Gut, ausnahmsweise“, gestattete sie großzügig und ließ sich nicht anmerken, dass sie ihre Laurie längst durchschaut hatte. „Genau in der Reihenfolge. Andersherum gibt es Bauchschmerzen“, setzte Alexa noch hinzu.
Laurie verkniff es sich, ihre hübschen Augen zu verdrehen. Immer dieses Märchen von den Bauchschmerzen und den Läusen im Bauch, dachte sie. Aber wenn Mama daran glaubte. Es sollte sie nicht stören. Sie bekam ja ihren Willen.
Die Cocktails ließen Lauries kleines Kinderherz höher schlagen. Sie waren mit ihren Trinkhalmen, den süßen Früchten am Rand des Glases und dem Zuckerring an derselben Stelle, hübsch anzusehen. Laurie fühlte sich wie eine Dame, und dass das Getränk keinen Alkohol enthielt, wie bei den Erwachsenen, das störte sie nicht im Geringsten.
Willig schlüpfte sie in ihr weißes Baumwollkleid und die Zehensandaletten, die ihr ganzer Stolz waren, weil sie schon einen kleinen Absatz besaßen.
„Du musst mir aber mein Haar mit der schönen neuen Spange zusammennehmen, die wir bei unserem letzten Ausflug gekauft haben“, wies sie ihre Mutter an und ihr Gesicht strahlte bei dem Gedanken an den neuen Haarschmuck, der sie, wie sie meinte, schon richtig erwachsen aussehen ließ.
„Klar doch, meine kleine Prinzessin. Und nun los, auf zur Bar!“, erwiderte Alexa fröhlich, nahm das Strandlaken von der Sonnenliege und schwang sich die große Strandtasche über die Schulter. Das Tuch musste nicht liegenbleiben, sie würden heute nicht noch einmal hierher zurückkommen. Alexa wollte bei Cocktail und Eis ihrer kleinen Tochter einen Ausflug zum Yachthafen Port Vaubahn schmackhaft machen. Sie waren dort vor wenigen Tagen schon einmal gewesen, hatten Lauries Haarschmuck und die schicke Strandtasche erstanden und sie hatten eine exquisite Bouillabaisse gegessen. Später könnten sie weiter zum Fort Carre schlendern, von wo aus sich ein guter Blick auf den Hafen und die dahinterliegende Altstadt bot. Mit der Altstadt, ihren kleinen Gassen und den liebevoll anmutenden Läden, würde sie ihre Tochter sicher am ehesten locken können.
„Was machen wir nach dem Eis?“, fragte Laurie in diesem Moment prompt.
„Ich dachte, wir fahren noch einmal zum Yachthafen, laufen dann zur Festung hinauf, dösen ein bisschen im Schatten auf einer Bank und genießen den herrlichen Ausblick über Meer und Hafen.“
Alexa sah, wie ihre Tochter nun doch die Augen gen Himmel wandern ließ.
„Das wäre dann gleich unsere Mittagsruhe und danach könnten wir der Altstadt einen kleinen Besuch abstatten und durch die engen Gassen bummeln“, fügte Alexa schelmisch hinzu.
Lauries Gesicht erhellte sich, wie erwartet, sofort.
Sie war froh, dass ihre Mutter nicht auf ein Mittagsschläfchen bestand, wie sie es immer getan hatte, als sie, Laurie, noch ein Baby gewesen war. An der Strandbar war heute wieder der junge Mann, Jean-Claude, mit dem sie sich schon mehrmals unterhalten hatten. Er sprach ein gebrochenes Deutsch und wenn er deutlich und langsam in seiner Muttersprache mit Alexa kommunizierte, war sie sogar in der Lage, ihm halbwegs folgen und antworten zu können. Dabei sah er sie immer spitzbübisch an und hatte ihr gestanden, dass er ihren Akzent entzückend fand. Sie war rot wie ein Krebs aus dem Mittelmeer angelaufen und Laurie hatte die Situation gerettet, indem sie lautstark kundtat, dass sie immer noch auf ihr Eis warten würde.
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Labels: Annette Hennig, Dramatik, Familie, Leben
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