'Gesichter des Verrats' von Marion Krafzik
Würde ich auch heute in der Gosse leben, wenn ich ein stärkerer, selbstbewussterer Mensch gewesen wäre, ein Mensch, der geliebt wird?
Niemand hat mir erklärt, dass Liebe blind macht. Niemand hat mich gewarnt, dass ich mit meiner Wahl vorsichtig sein sollte. Oder habe ich die Warnungen nur ignoriert?
Habe ich die Zeichen einfach verdrängt, weil ich so ausgehungert nach Liebe war?
Doch die größte Last, die ich seit jener Nacht vor zwei Jahren in mir trage, ist der Verrat, den ich an dem einzigen Menschen, der mich uneingeschränkt liebte, beging. Aber hatte ich eine Wahl?
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Unruhig wälze ich mich in meinem Bett hin und her, die Augen fest geschlossen.
›Wer bin ich? Was will ich?‹ Diese beiden Fragen wollen einfach nicht aus meinen Gedanken verschwinden. Ich fürchte mich vor meinen Antworten, die ich feige immer wieder verdränge. In was für ein Drama habe ich mich hineinmanövriert? Mein Körper kribbelt vor Unruhe, warum bin ich nur so schwach? Ich blinzle auf die andere Seite des Bettes. Der Mond wirft harte Konturen auf Roberts Gesicht. Sein Atem geht ruhig und gleichmäßig, als wäre die Welt in Ordnung. Beklommenheit übermannt mich. Ich will ihn nicht verlieren, ich will, dass er mich liebt, genauso, wie ich ihn liebe.
Langsam, ganz vorsichtig stehle ich mich aus dem Bett und schleiche ins Bad. So wie früher lasse ich mir kaltes Wasser über den Nacken laufen. Das hat immer geholfen, wenn ich nicht weiter wusste, wenn meine Mutter wieder einmal durch mich hindurch gesehen hatte und ich genau wie jetzt keinen Ausweg wusste. Wohin mit meinen Gefühlen?
Ich blicke in den Spiegel und betrachte mich akribisch: die große Nase, meinen nicht ganz vollen und leicht unregelmäßigen Mund. Meine Augen sind akzeptabel - groß rund und in einem angenehmen Blaugrün, umgeben von dichten Wimpern mit darüber schön geschwungenen Augenbrauen. Deprimiert stelle ich fest, dass mein Aussehen eher durchschnittlich ist. Stimmt es, was Robert sagte: ›Eine kleine Korrektur hier und da, und schon haben die Menschen wieder mehr Selbstbewusstsein‹ . Ist es wirklich so einfach? Noch etwas, worüber ich mir den Kopf zerbrechen kann. An Schlaf ist nicht mehr zu denken.
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Labels: Marion Krafzik, Romane, Sonar
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