21. Juni 2018

'Weckzeit' von Norbert Böseler

Kindle Edition | Tolino | Taschenbuch
Im Juli 2006 gerät Edgar Focke zusammen mit seiner achtjährigen Tochter in die Fänge eines Psychopathen. Der Familienvater verliert sein linkes Bein und das Mädchen ist seitdem spurlos verschwunden. Die Ermittlungen der Polizei verlaufen im Sande.

Zehn Jahre später kommt Edgar durch einen Zufall in den Besitz eines antiken Weckers, der entgegengesetzt der Zeit läuft. Der mysteriöse Wecker ermöglicht es ihm, in jene schicksalhafte Zeit zurückzukehren, die tiefe Narben hinterlassen hat. Während er in der Gegenwart schläft, wird Edgar mit seiner eigenen Vergangenheit konfrontiert. Auf beiden Zeitebenen lernt er Nora Runge kennen, die scheinbar demselben Täter zum Opfer gefallen ist. Gemeinsam begeben sie sich auf die Suche nach dem Entführer. Beiden wird vor Augen geführt, dass jeder Eingriff in den Zeitverlauf ungeahnte Veränderungen nach sich zieht. Bei ihren Recherchen kommen sie einem Serientäter auf die Spur, der anderen Menschen unermessliches Leid zufügt.

Der Tag, der Edgar Fockes Leben verändert hat, rückt immer näher. Kann und darf er die schrecklichen Ereignisse verhindern?

Leseprobe:
2005
Es tickte im Sekundentakt, plötzlich fing es an zu läuten. Verschlafen schlug ich die Augen auf und tastete nach dem Wecker. Ich peilte den Bügel an, der die beiden Glocken miteinander verband und drückte ihn behutsam nach unten. Das Klingeln verstummte, der kleine Bolzen kam zum Stillstand. Instinktiv rieb ich mir die Augen. Tageslicht durchflutete den Raum. Bevor ich die Umgebung wahrnahm, bemerkte ich den modrigen Geruch. Feuchte, abgestandene Luft, die nach Schimmel roch, drang in meine Nase. Ich starrte nach oben. Die weiß gestrichene Decke war mit graugrünen Flecken benetzt. Ich schlug die Bettdecke zurück und richtete mich auf. Eisige Kälte verursachte auf meinen Armen eine Gänsehaut. Ein ganz anderer Schauder lief mir über den Rücken, als ich mich umsah. Ein völlig leeres Zimmer präsentierte sich mir. An den Wänden hingen alte vergilbte Tapeten. Helle, rechteckige Stellen zeichneten sich ab, an denen Bilder gehangen haben mussten. Anstatt Parkett bedeckte ein grauer, muffig riechender Veloursteppich den Boden. Es gab keine Gardinen vor dem Fenster. Nur die Kassettentür aus Eichenholz erinnerte an mein Schlafzimmer. Das einzige Möbelstück, was sich in dem Raum befand, war mein Bett, in dem ich wie versteinert aufrecht saß. Zuerst dachte ich an einen Traum, doch ich war hellwach, spürte die Kälte, roch den unangenehmen Geruch. Aus reiner Verzweiflung kniff ich mir in den Unterarm. Es tat weh. Ich war tatsächlich wach. Ich drehte mich zur Nachtkonsole. Lampe und Wecker standen wie zuvor nebeneinander, doch das Kabel der Lampe lag auf dem Boden. Ein Blick zur Wand zeigte mir, dass die Steckdose fehlte. Ich erinnerte mich, dass in unserem Haus viel zu wenig Steckdosen angebracht waren und wir in dieser Hinsicht kräftig nachrüsten mussten. Unter anderem hatten wir neben meinem Bett eine Dreifachdose installiert, die nun nicht mehr da war. Wie der Kleiderschrank, der Stuhl und vor allen Dingen meine Krücke nicht mehr vorhanden waren. Ich blickte auf den Wecker. Was mir diesmal sofort auffiel, war, dass der Sekundenzeiger sich in die richtige Richtung bewegte, er lief vorwärts. 11:05 Uhr zeigte der Wecker an. Meine Armbanduhr wies auf exakt die gleiche Zeit. Sollte ich etwa zwölf Stunden geschlafen haben? Unmöglich schien das nicht. Doch die Umstände, unter denen ich aufgewacht war, verursachten bei mir großes Unbehagen. Ich rutschte zur Bettkante, widerwillig setzte ich meinen Fuß auf den verschmutzten Teppich. Ich wollte zum Fenster, welches sich rechts vom Bett befand. Mühsam wuchtete ich mich hoch, machte einen kurzen Satz zur Wand, wo ich mich mit der Hand abstützte. So hangelte ich mich an der Wand entlang bis zum Fenster. Vor mir bot sich ein bekannter Anblick, nur mit dem Unterschied, dass der Kirschenbaum, der am Ende des Rasens stand, erheblich kleiner war als gestern.
Schritt für Schritt hüpfte ich weiter bis zur Schlafzimmertür. Als ich sie öffnete, schlug mir ein noch intensiverer Geruch entgegen. Es roch nach Katzenurin. Auch der Flur war mit Teppichbelag ausgelegt. An der Decke hingen noch die hässlichen Kunststoffpaneele, die wir gleich zu Beginn der Umbauten rausgerissen hatten. Ich öffnete die nächste Tür und sah in das karge Schlafzimmer meiner Frau. Auch hier, Teppich und keine Möbel. Ich ging weiter durch den Flur, wollte zum Bad, da ich auf die Toilette musste. Schwer schnaufend erreichte ich die Tür. Als ich die Klinke drückte, musste ich feststellen, dass die Tür zu allem Überfluss auch noch klemmte. Erst als ich mich mit der Schulter dagegenstemmte, flog sie auf, dabei verlor ich den Halt und fiel zu Boden. Gottseidank konnte ich den Sturz mit der Hand etwas abfangen. Ich robbte zum Waschbecken, wo ich mich wieder hochzog. Ich erledigte mein Geschäft, anschließend drückte ich die Spülung. Nur sparsam tröpfelte bräunliches Wasser in die Kloschüssel. Auch aus dem Kran des Waschbeckens strömte zunächst rostbraunes Wasser. Erst als es hell und klar wurde, wusch ich mir die Hände und das Gesicht. Das Bad hatten wir nach meinen Ansprüchen umgestaltet. Hier sah es so aus, wie ich es bei meiner damaligen Begutachtung vorgefunden hatte. Die Dusche bestand noch aus einer Wanne mit hohem Einstieg. Der Duschvorhang, der zwischen Kabine und Wand hing, erregte meine Aufmerksamkeit, vor allem die Stange, wo der Vorhang mittels Ringe eingefädelt worden war. Ich lehnte mich mit dem Rücken gegen die Wand, griff nach dem Vorhang und zog ihn nach unten. Immer wieder zerrte ich ruckartig an der bunten PVC Folie. Erst nachdem zwei Ösen abgerissen waren, fiel die Stange herunter. Fast wäre ich dabei bäuchlings in die Wanne gefallen, doch diesmal konnte ich einen Sturz vermeiden. Die verbleibenden Ringe fädelte ich aus. Es handelte sich um eine Teleskopstange, deren Länge man individuell einstellen konnte. Ich hielt das Aluminiumrohr fest umklammert und drehte die eine Hälfte nach links. Mir schmerzten schon die Hände, als die Spannung sich endlich löste. Ich stellte die Stange auf die passende Länge ein und spannte die beiden Enden, so fest ich konnte. Nun hatte ich zumindest einen provisorischen Gehstock. Da ich mir angewöhnt hatte, mit nur einer Krücke zu gehen, müsste es funktionieren. Ich stützte mich auf der runden Stange ab und hüpfte mit kurzen Sprüngen zurück in den Flur. Ich sah in jedes Zimmer, überall bot sich mir das gleiche Bild. Alle Räume waren leer. Zum Schluss bewegte ich mich in den Eingangsbereich. In dem kleinen Flur hinter dem Windfang befanden sich noch zwei weitere Türen. Die fürs Gäste-WC und die, die in den Keller führte. Die Kellertür stand einen Spalt weit offen. Ich öffnete sie ganz und zuckte erschrocken zusammen. Aus dem dunklen Treppenloch blickten mir zwei goldfarbene Augen entgegen. Sie bewegten sich hin und her und sprangen plötzlich auf mich zu. Ich wich zurück, dabei wäre ich fast schon wieder gefallen. Eine kleine Katze stieß gegen mein Bein. Sie fing gleich an zu schnurren und drückte ihren schlanken Körper immer wieder gegen mein Bein. Die Katze war schwarz, mit weißen Hinterbeinen und weißen Vorderpfoten. Auch der untere Hals und der Brustkorb zeichneten sich mit einer weißen Blesse vom Fell ab.
„Lucky?“, wich es über meine Lippen.
Während der Renovierungsarbeiten streunte eine ausgewachsene Katze um unser Grundstück, die genau so aussah wie diese. Ab und an wagte sie sich ins Haus und war besonders mir gegenüber sehr zutraulich gewesen, so als würde sie mich bereits kennen. Kurz nach unserem Einzug holte ich sie gegen Anjas Willen ins Haus. Wir nannten die Katze fortan Lucky. Sie fühlte sich gleich heimisch. Meine Frau war hinterher diejenige, die die meiste Zeit mit der Katze verbrachte. Vor etwa drei Jahren fand ich sie tot auf einem Acker hinter unserem Grundstück. Sie war von Schrotkugeln durchsiebt worden.

Im Kindle-Shop: Weckzeit: Thriller.
Für Tolino: Buch bei Thalia
Mehr über und von Norbert Böseler auf seiner Facebook-Seite.

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