'Nur kurz leben' von Catherine Strefford
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Ein Vielleicht ist immerhin kein Niemals.
Kein auf keinen Fall. Kein bestimmt nicht.
Und kein ich gebe auf.”
Richie hat die Schnauze voll. Immer hat er sich an die Regeln gehalten, das Leben gab ihm trotzdem nichts. Er beschließt, es selbst in die Hand zu nehmen und seinem Leben ein bisschen auf die Sprünge zu helfen: er beklaut eine Tankstelle und flüchtet mit gut vierzehntausend Euro sowie einem geklauten Auto Richtung Süden.
Dumm nur, dass auf der Rückbank des Autos Leon schläft ...
Eine Geschichte über Selbstliebe und Freundschaft und darüber, dass es manchmal auch okay ist, wenn es nicht so läuft, wie man immer dachte, dass es laufen würde.
Anleser:
Das Klauen eines Autos hat Vor- und Nachteile.
Ein Vorteil ist, dass man bei der Flucht mit rund vierzehntausend Euro in der Tasche nicht an öffentliche Verkehrsmittel gebunden ist.
Ein Nachteil ist, dass nach einem geklauten Auto natürlich irgendwann gesucht wird.
Mein Herz rast. Ein wildgewordenes Etwas, das versucht, sich aus meiner Brust zu hämmern. Aber ich halte mich an die Verkehrsregeln, fahre ruhig und besonnen. Wie jemand, der nicht auf der Flucht ist und schnell weg will. Schließlich soll mein neues Leben nicht enden, bevor es überhaupt richtig angefangen hat.
Ich blinke links und biege auf den Zubringer zur Autobahn ab. Auf der Beschleunigungsspur drücke ich aufs Gaspedal, jage den Tacho nach oben und bringe den Kombi endlich auf ein Tempo, das meinem rasenden Herzen entspricht.
Mein Blick fällt auf den Anhänger am Schlüsselbund. Ein Foto. Die Frau, deren Auto ich geklaut habe, mit zwei Jugendlichen, vermutlich ihre Kinder. Ich hole tief Luft. Mein Gewissen meldet sich. Ich klaue die Einnahmen einer Doppelschicht ohne mit der Wimper zu zucken, aber die Tatsache, dass ich der Frau das Auto geklaut habe, mit dem sie ihre Kinder zur Schule bringt, bereitet mir ein Ziehen im Magen. Ich muss das Auto so bald wie möglich irgendwo stehen lassen, damit es gefunden wird und sie es schnell wiederbekommt.
Ich drücke das Gaspedal komplett durch und der Wagen heult vor Anstrengung, weil ich mit dem Schalten nicht hinterherkomme. Mit fast hundertvierzig Sachen heize ich über die leere, dunkle Autobahn. Nach einer halben Stunde habe ich bereits zwei Mal die Autobahn gewechselt. Offenbar bleibt eine großangelegte Suchaktion mit Verfolgungsjagd und Helikoptern aber vorerst aus. Kein Sirenengeheul, kaum jemand unterwegs. Mir schmerzt der Nacken vor Anspannung und ich merke, wie steif ich auf dem Sitz kauere. Das Lenkrad so fest in den Händen, dass meine Finger schmerzen. Tief ein- und ausatmen, erstmal entspannen. Ist doch alles gut gegangen.
Von der Rückbank höre ich plötzlich ein Husten.
„Ach du Scheiße!“ Ich verreiße das Lenkrad, der Wagen reißt aus, direkt auf die Mittelspur. Mit Mühe und quietschenden Reifen bekomme ich den Kombi wieder unter Kontrolle. Nur gut, dass sonst niemand unterwegs ist. Mir zittern die Hände, als ich auf dem Seitenstreifen anhalte.
„Meine Fresse! Ich hab mir fast in die Hose gemacht!“, schreit der Jugendliche, der auf der Rückbank geschlafen hat. Er sitzt kerzengerade da und krallt sich mit beiden Händen an den Vordersitzen fest, obwohl der Wagen steht.
„Ja, frag mich mal!“, brülle ich zurück und drehe mich zu ihm um. Dem vermeintlich blinden Passagier wird bewusst, dass ich nicht seine Mutter bin.
„Was zum …? Wer bist du?“ In seiner Stimme schwingt Unsicherheit mit. „Ein Serienkiller oder sowas?!“ Empörung gemischt mit Angst. Er fummelt an seinem Gurt, macht Anstalten, sich abzuschnallen.
„Quatsch. Red doch keinen Unsinn.“
„Jetzt sitze ich hier im Auto mit einem perversen Autobahnkiller und kriege den verdammten Gurt nicht los“, flucht er.
„Ich bin doch kein Autobahnkiller!“, protestiere ich. Er schnaubt. Glaubt mir nicht.
„Ich bin bloß … ich habe mir das Auto bloß kurz geliehen. Ich geb’s zurück. Hab nicht gesehen, dass du auf der Rückbank liegst.“
„Ein Idiot also?“, fragt er zynisch und gibt sich dem nicht öffnenden Gurt frustriert geschlagen.
„Wenn du so willst.“ Ich beuge mich zu ihm hin und öffne den Gurt. „Und jetzt steig bitte aus.“
„Hier? Ich weiß nicht mal, wo ich bin.“
„Ein paar hundert Meter in die Gegenrichtung war eine Raststätte. Geh einfach dahin.“
„Aber das ist die Autobahn.“
„Mitten in der Nacht. Du wirst es überleben.“
„Meine Ma wird dich umbringen, wenn du mich nicht nach Hause bringst.“
„Deswegen sollst du ja aussteigen“, entgegne ich genervt.
„Ich steige nicht aus“, antwortet er trotzig.
„Jetzt steig endlich aus!“
„Nein!“
Wir sitzen einen Moment da. Atmen wütend im Takt des Warnblinklichts. Drei Autos fahren vorbei. Eins davon ein Polizeiwagen.
„Hör zu. Ich hab ein paar Probleme und muss schnell weiter. Also steig jetzt aus, geh zu der Raststätte, ruf dort die Polizei und lass dich von denen nach Hause fahren.“ Meine Stimme klingt flehender, als ich beabsichtige. „Bitte.“
„Vergiss es! Ich steig nicht aus.“
„Fein! Dann nehme ich dich halt mit“, brülle ich und wende mich wieder dem Lenkrad zu. Bringe den Wagen auf Tempo, ehe ich ihn zurück auf die Autobahn lenke. Eine Weile fahren wir schweigend durch die Dunkelheit. Irgendwann stelle ich überrascht fest, dass der blinde Passagier eingeschlafen ist.
Blick ins Buch (Leseprobe)
Labels: Catherine Strefford, Dramatik, Freundschaft, Jugend
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