16. Juni 2020

'Wahre Wasser' von Chester Rock

Kindle | Tolino | Taschenbuch
Website Chester Rock
Jacob West verliert den Kontakt zu seinem besten Freund und das Vertrauen in seine Frau. Er zieht sich immer mehr zurück und verstrickt sich in wilde Theorien über Personen, die ihm nahestehen und ihm helfen wollen.

Am Ende steht er allein da und lernt einen Mann kennen, der verspricht, all seine Probleme lösen zu können. Der Dämon in seinem Kopf triumphiert und schreit nach Vergeltung.

Diese Lösung bedroht nicht nur Jacobs Frau, sondern mutiert zu einer nationalen Bedrohung.

Anleser:
Schrödingers Katze
23. August, 23:40 Uhr. Hektisch wischte er sich den Schweiß von der Stirn. Seine Drüsen schienen die Produktion in einem noch nie dagewesenen Ausmaß auf das Maximum erhöht zu haben. Sein Ohr juckte, aber Jacob nahm den Kopfhörer nicht ab. Nicht noch einmal. Die tiefe, regelmäßige Vibration, die das Ge-räusch der Rotorblätter in seiner Magengegend auslöste, war kaum zu ertragen. Er sah wieder nach unten. Der Helikopter hatte die zulässige Höhe von 3.500 Meter schon seit mehreren Minuten überschritten und näherte sich konstant der 5.000-Meter-Marke. Und obwohl der Pilot mehrfach mahnte, ja fast schon bettelte, nicht noch höher steigen zu müssen, folgte er der Anweisung des Mannes. Jacob öffnete den Mund, doch es half nichts. Es schmerzte und fühlte sich an, als würde jemand mit einer Saugglocke unerbittlich an seinen Ohren pumpen. Jacob tippte dem Piloten, der den Pitch fest in seiner Hand hielt und zu sich zog, auf die Schulter. Der Mann sah ihn mit schmerzverzerrtem Gesicht an. Dem Angestellten des Nachrichtensenders, der tagtäglich seine Flüge im Namen des medialen Auges vollzog, war anzusehen, dass auch er an dem Unterdruck litt. Jacob signalisierte ihm, den Hub-schrauber ein wenig nach unten zu manövrieren. Der Pilot nickte und leitete unverzüglich den Sinkflug ein. Er kannte den Namen des Mannes nicht und letztendlich war es ihm auch egal. Zu viel war in den letzten Stunden passiert, er konnte sich mit solchen Details nicht aufhalten. Wieder wischte Jacob sich den Schweiß von der Stirn. Vorsichtig wagte er wieder einen Blick aus dem Fenster. Während seine Augen den Boden suchten, umfasste seine Hand verkrampft den schmalen Sitz, auf dem er saß. Jacob hasste nicht nur das Fliegen, vielmehr hatte er eine Todesangst davor. Sein Blick blieb an der bizarren Szenerie, die sich unter ihm abspielte, haften. Für einen Augenblick entspannte sich sein Körper, auch das Pochen in seinen Schläfen schien in diesem Moment der Vergangenheit anzugehören. Seine verkrampfte Hand, die sich in den Stoffsitz gekrallt hatte, löste sich und Jacob zog seine Augenbrauen hoch. Sie waren seinetwegen da. Der Helikopter flog zu schnell, sodass er nicht die Zeit hatte, die Fahrzeuge zu zählen.
»Wir bekommen Besuch«, hallte die blecherne Stimme plötzlich in seinen Kopfhörern wider.
Er erschrak und sah, wie der Pilot nach links zeigte. Seine Augen folgten dem Deut und er erkannte einen Polizeihubschrauber, unweit von ihnen.
»Hängen Sie ihn ab.« Jacob blickte wieder auf seine Füße. Dieser Trick hatte bei den vier Flügen mit Linienmaschinen, die er bis jetzt in seinem Leben absolviert hatte, immer funktioniert. Die beunruhigenden Geräusche der startenden Turbinen und das Rumpeln der Gepäckstücke, die in den Bauch der Maschine eingeladen wurden, diesen schrecklichen Lärm konnte er ausblenden, wenn er sich auf seine Füße konzentrierte. Er hasste seine Familie dafür, dass sie da-mals nicht in Texas geblieben war, und dennoch verbot es ihm seine Moral, den zwei Beerdigungen wegen seiner Phobie vor der Luftfahrt nicht beizuwohnen.
»Sir, die Kraftstoffmenge wird dafür nicht ausreichen«, erwiderte der Pilot und sah ängstlich in die Augen von Jacob.
»Hängen Sie den Hubschrauber ab«, wiederholte er überdeutlich und laut seine Worte, während seine linke Hand in seiner Jackentasche verschwand.
Der Pilot nickte und tat, was man von ihm verlangte.
Er zog seine Hand wieder langsam aus seiner Jackentasche und widmete sich wieder seinen Füßen.
An diesem 23. August um 23:44 Uhr veränderte der Pilot den Anstellwinkel aller Rotorblätter nach rechts unten und verschwand in der Dunkelheit.

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