27. Januar 2021

'Im Auge der Flammen' von Sabine Buxbaum

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Rebecca flieht im England des 16. Jahrhunderts vor der Vermählung mit Lord Haden, ohne ihn je getroffen zu haben. Sie will ihre Schwester Emma finden, die als Ketzerin ins Auge der Flammen geraten und auf der Flucht ist. Eine Reihe von Missverständnissen bringen die beiden Frauen in große Gefahr.

Sie ahnen nicht, dass ihnen Lord Haden unter falscher Identität folgt. Nicht nur sein gekränkter Stolz zwingt ihn zur Suche, sondern auch der Auftrag von Königin Maria Tudor. Sie will die Ketzer auf dem Scheiterhaufen brennen sehen. Doch Gefahr droht auch aus der eigenen Familie. Lord Jefferson hat durch den Ungehorsam seiner Töchter die Gunst der Königin eingebüßt. Um diese wieder zu erhalten, ist er bereit seine Töchter zu opfern.

Anleser:
Der Widerstand

Drei Monate später saß Rebecca in ihrem Zimmer neben dem Fenster, das ihr einen Blick zum Eingang des Hofes ermöglichte. Sie zappelte ein wenig unruhig auf dem Sessel hin und her, sodass dieser zu schwanken begann.
„Lady Rebecca!“, mahnte ihre Anstandsdame Angela, die sie schon seit ihrer Kindheit betreute und die gute Seele des Hauses war.
„Ach, Angela, wie soll ich hier stillsitzen. In wenigen Minuten trifft mein zukünftiger Ehemann hier ein. Ich weiß gar nichts über ihn, noch nicht einmal, wie er aussieht.“
Die Königin hatte rasch einen geeigneten Heiratskandidaten für Rebecca gefunden. Eigentlich hätte sich Rebecca glücklich schätzen können. Durch das Hochzeitsarrangement bekam sie die Möglichkeit, ihrem Vater zu entkommen. Aber sie wusste gar nichts über den ihr zugedachten Bräutigam und trotzte dem Arrangement, weil es von der Königin getroffen wurde. Außerdem hatte Rebecca die Befürchtung, ihr Zukünftiger könnte ebenso ein Tyrann sein wie ihr Vater. Wie würde sie sich verhalten, wenn er sich ihr gegenüber handgreiflich zeigen sollte? Würde sie sich wie ihre Mutter wimmernd und weinend in eine Ecke verkriechen und warten, bis er sich beruhigte? Hätte sie den Mut, sich zu wehren und ihre Kinder zu verteidigen? Es mochte gut sein, dass eine Ehe die Gelegenheit war, der Hölle ihres Elternhauses zu entfliehen, aber es konnte sich ebenso eine neue Hölle vor ihr auftun. Rebecca ahnte schon früh, dass sie nicht das Privileg ihrer Schwester haben würde, sich den Ehemann selbst aussuchen zu dürfen. Emmas umstrittene Partnerwahl hatte die Familie in arge Bedrängnis gebracht. Dennoch hoffte auch Rebecca bis zuletzt, einen Glückstreffer zu landen. Warum wollte ihr Zukünftiger sie nicht in Ruhe kennenlernen, sich ihr zumindest einmal persönlich vorstellen? Warum schickte er ihr kein Porträt oder schrieb ihr ein paar Zeilen, dass er sich auf sie freute. Sie hatte ihm ein kleines Porträt geschickt, für das sie stundenlang stillsitzen musste.
Vielleicht war er über dieses Hochzeitsarrangement ebenso unglücklich wie sie. Es half nichts, bald würde er hier eintreffen, und dann gab es kein Zurück mehr. In wenigen Tagen würde sie ihre Heimat für immer verlassen.
„Es ist nun einmal so, dass Ihr in einem heiratsfähigen Alter seid, es eigentlich sogar schon überschritten habt. Lord Haden hat keinen schlechten Ruf. Ich denke, diese Ehe könnte durchaus vorteilhaft für Euch sein. Seine Familie besitzt seit Generationen ein schönes Stück Land im Norden und sie steht in Verbindung mit dem Königshaus, was gut für den wirtschaftlichen Erfolg der Hadens ist“, beruhigte Angela, die nun auch für sich die Gelegenheit kommen sah, Lord Jeffersons Launen zu entfliehen.
„Könnte für mich vorteilhaft sein!“, rief Rebecca zornig. „Um mich geht es hier doch gar nicht! Vorteilhaft ist das alles nur für meinen Vater. Ich will nicht in den Norden, wo ich wie eine Gefangene an das Anwesen meines Mannes gekettet werde. Die Schuld, dass ich noch nicht verheiratet bin, liegt darin, dass mein Vater in den letzten Jahren keinen Mann auch nur annähernd in meine Nähe gelassen hat. Keiner war ihm gut genug. Ich komme mir vor wie ein Frachtgut, das darauf wartet, zum Transport abgeholt zu werden.“
„Jetzt lasst euren Bräutigam doch erst einmal kommen. Und was die Gegend im Norden angeht, so seht sie Euch doch erst einmal an. Ihr ward doch noch nie dort. Vielleicht gefällt Euch Lord Haden so gut, dass Ihr sogar gerne mit ihm abreist“, meinte Angela besänftigend. „Bedenkt doch, Ihr könnt dann den elterlichen Hof verlassen!“ Angela fürchtete Lord Jefferson und seinen Hang zur Gewalttätigkeit sehr und sah es als eine Wendung des Schicksals, dass Rebecca nun aus den Händen ihres tyrannischen Vaters befreit wurde. Ihr Schützling sah das freilich anders.
Eine Kutsche näherte sich dem Hof. Rebecca stellte sich ans Fenster und spähte hinaus. Sie achtete jedoch darauf, dass sie nicht gesehen wurde. Angela stellte sich neugierig hinter sie und blickte ihr über ihre Schultern.

Lord Jefferson trat vor die Tür, noch ehe der Gast aus der Kutsche gestiegen war. Er rieb sich erwartungsvoll die Hände. Das Glück hatte sich endlich wieder auf seine Seite geschlagen. Bald würde er wieder bei Hofe ein- und ausgehen. Man würde ihn nach seiner Meinung fragen, und er könnte daran teilhaben, an den Veränderungen im Land mitzuwirken.
Rebecca beobachtete alles genau. Eine unangenehme Anspannung legte sich über sie. Verzweifelt versuchte sie, das Gesicht des Ankömmlings zu erspähen.
Der Mann, der aus der Kutsche stieg, war nicht sonderlich gut gekleidet, eine tief ins Gesicht gezogene Kappe ließ keinen Blick auf sein Gesicht zu. Lord Haden hielt es wohl nicht für notwendig, seiner zukünftigen Verlobten mit einer entsprechenden Aufwartung entgegenzutreten. Wozu auch, dachte Rebecca, sie war ihm bereits versprochen, und ihre Meinung zu ihm war nicht relevant.
Als der fremde Mann dann endlich seine Kappe herunternahm, erschrak Rebecca. Ein alter Mann mit grauen Haaren und eingefallenem Gesicht kam zum Vorschein.
Wollte ihr Vater sie tatsächlich mit diesem alten Herrn verheiraten, zweifelte Rebecca. Sie beobachtete, wie der alte Mann mit ihrem Vater sprach. Die Unterhaltung dauerte sehr lange und sie wunderte sich, warum man Lord Haden nicht ins Haus bat. Sie sah, wie die Kutsche näher zum Hauseingang gefahren wurde. Ein Diener der Jeffersons begann die ersten Kisten zu verladen, die Rebeccas Aussteuer beinhalteten.
Rebecca spürte Angst und Nervosität in sich. Sie war kaum in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. Auch wenn sie den Tag herbeisehnte, ihren Vater verlassen zu können, war sie dennoch nicht bereit, mit einem fremden alten Mann zu gehen. „Geht und fragt, was da vor sich geht“, forderte sie Angela auf. „Sie verladen meine Aussteuer, aber meine Abreise war doch gar nicht für heute geplant. Sollte ich meinen Verlobten nicht erst einmal kennenlernen?“
Angela zuckte ratlos mit den Achseln.
Sie machte sich auf dem Weg vor das Anwesen und blieb nicht lange fort.
„Ihr sollt mit ihm mitkommen“, teilte sie Rebecca aufgeregt mit. „Noch heute. Jetzt gleich. Zieht Euch die Reisekleidung an“, forderte Angela sie auf, die vor Nervosität stotterte.
Rebecca verharrte einen Moment ganz regungslos. Das ging ihr im Moment viel zu schnell und überhaupt, der alte Mann sagte ihr als zukünftiger Ehemann gar nicht zu. Sie sträubte sich, mit ihm zu gehen und dachte angestrengt nach. Sie musste sich etwas einfallen lassen. Vielleicht sollte sie Unpässlichkeit vortäuschen, aber ihr Vater hatte sie heute schon gesund und munter gesehen.
„Sagt ihm, ich muss mich erst noch umziehen und frisch machen“, wies sie Angela an. „Lauft schon und sagt ihm Bescheid.“
Sie nickte und eilte davon.
Rebecca vergrub ihr Gesicht in den Händen und begann zu weinen, denn sie spürte plötzlich eine tiefe Verzweiflung in sich. Sie erinnerte sich an ihre Schwester und auf einmal kam ihr ein gefährlicher Gedanke: Sollte sie es womöglich ihrer Schwester gleichtun und fliehen? Es blieb keine Zeit, diese Entscheidung zu überdenken. Mit zitternden Händen packte sie schnell ein paar Sachen zusammen und verließ das Haus unbemerkt über einen Hinterausgang.
In den Stallungen schien sich im Moment niemand aufzuhalten. So nahm sich Rebecca ihr Pferd, sattelte es und entfernte sich leise vom Hof, ohne auch nur im Entferntesten zu wissen, welche Richtung sie einschlagen sollte. Einen Moment blieb sie stehen und zögerte. Einen Augenblick kam ihr ihre Handlung überstürzt und unüberlegt vor, aber mit dem alten Mann an der Haustürpforte sah sie keine Zukunft für sich. Außerdem war es nicht das erste Mal, dass sie darüber nachdachte, von zuhause zu fliehen. Schon oft hatte sie heimlich ihre Sachen gepackt, doch zum letzten Schritt hatte ihr immer der Mut gefehlt.

Blick ins Buch (Leseprobe)

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