'Kreativer Gesellschaftsumbruch: Integration und Generationenschuld' von Daniela Muthreich
Kindle (unlimited) | Taschenbuch |
Website Daniela Muthreich |
Migration einmal anders: Daniela Muthreich machte sich auf in die Schweiz. In einem Mix aus Prosa, Poesie, etwas Satire und Theaterszenen verarbeitet die gebürtige Deutsche ihre Erfahrungen bei der Integration in den Alpenstaat. Die ungewöhnliche Textform beleuchtet auf amüsante Weise Aspekte zwischenmenschlichen Zusammenlebens und reflektiert diese mit scharfem Blick und Humor. Dabei schreckt Daniela Muthreich auch vor heiklen Themen wie der Generationenschuld nicht zurück und hält sich und ihrer Umwelt einen durchaus kritischen Spiegel vor.
Gesellschaftsbeobachtungen mit Intelligenz und einem Augenzwinkern.
Achtung: Finger weg, wenn Sie Mainstream-Literatur suchen! Nur für Leser, die zwischendurch ihr Kopfkino aktivieren möchten und etwas Poesie zu schätzen wissen.
Anleser:
Sprache und Schicksal – Rückschau in die Vergangenheit
Da die Themen Sprache und Integration in eine Gesellschaft mich nicht losließen, erinnerte ich mich irgendwann an ein Ereignis aus meiner Vergangenheit: Es hatte mich ungefähr mit Mitte 20 aus beruflichen Gründen schon einmal in die Schweiz verschlagen. Damals arbeitete ich als Eventmanagerin und organisierte Tagungen, Motivations- und Belohnungsreisen für diverse Unternehmen. Bei einer Veranstaltung in der Schweiz sollte nach einer Tagung der Teamgedanke hervorgehoben werden: Motivation einer Gruppe, Intensivierung des »Wir-als-Team-Gefühls« in Form eines abschließenden Aktivprogramms – Rafting, weitere sportliche Teamspiele und Floßbau in kleineren Gruppen. Einhundert Menschen sollten hier ihre Teamfähigkeit unter Beweis stellen.
Letzte Vorbereitungen waren im Gange, als sich auf einer Wiese eine kleine, aber schicksalhafte Szene ereignete: Eine Frau bäuerlichen Standes und mittleren Alters stritt sich lautstark mit einem sehr viel älteren Herrn. Brüllend verließ sie das grüne Terrain – ich spurtete hinterher und fragte, was mit ihr los sei. Sie hob abwehrend die Hände und ließ mich ärgerlichresigniert wissen: »Der hat seinen Dickkopf. Den Mann kann man einfach nicht mehr ändern – und ich kann nun auch nichts mehr tun.«
Danach stob sie von dannen und ich starrte entsetzt auf das, was der sehr viel ältere Herr nun tat: Er riss wutentbrannt Begrenzungspfähle aus dem Grün der Wiese und warf sie achtlos zu Boden. Nein«, dachte ich, »das geht doch nicht! Die brauchen wir doch dort, sonst ist unser Feld für weitere Sportaktivitäten nicht mehr sichtbar!«
Inzwischen waren bereits Bistrotische aufgebaut worden und ganze Tischbahnen wölbten sich unter der Last von unzähligen landestypischen Leckereien, nett angeordnet im Wechsel mit kleinen Getränke-Inseln. Sonnenschirme waren hier ebenfalls schon aufgespannt und ein Mann im Kochkostüm hantierte geschäftig an einer Grillstelle.
Ein größerer Mann, den ich erst im letzten Moment als meinen damaligen Chef wahrnahm, steuerte blitzartig auf mich zu und teilte mir sehr gestresst mit: »Wir haben ein Problem. Hier kommen gleich hundert Leute und der Aufbau stockt! Gibt es eine Vereinbarung mit dem Eigentümer der Wiese?«
»Ja«, sagte ich. »Ich habe hier eine schriftliche Bestätigung inklusive Mietpreis für die Weide – und es wurde alles schon bezahlt! Außerdem habe ich eine Unterschrift.«
»Es ist immer das Gleiche in diesem Job«, sagte er, »man kann planen so gut und so viel man will, es kommt dennoch immer anders. Du musst das jetzt regeln – die Wiese ist dein Verantwortlichkeitsbereich.«
Meine letzten Worte an ihn in diesem Moment waren: »Unterschrift, Plan, Bestätigung oder Ähnliches – ich weiß es auch nicht mehr so genau …«
Zerknirscht blickte ich auf meinen Zettel – aber was nützte diese Unterschrift nun in dieser Situation? Sie war nichts mehr wert – und war sie überhaupt jemals etwas wert gewesen? »Wem ist denn hier überhaupt etwas wert?«, fragte ich mich.
Der eigentliche Besitzer der Wiese, der ältere Herr, hatte jedenfalls andere Wertvorstellungen: Weiterhin riss er kräftig einen Pfahl nach dem anderen aus seiner Wiese. Um seiner Laune Ausdruck zu verleihen, fuchtelte er dabei zwischendurch sehr unangenehm mit einem Stock herum, und ich dachte: »Sehr schön, nun bekommst du eine wertvolle Tracht Prügel für eine wertlose Unterschrift.«
Ich strebte dem uniformierten Koch an der Grillstelle entgegen und hatte das Wort Deeskalation im Kopf. Nach einem kurzen Gespräch, bei dem ich ihn um eine kühle Erfrischung in flüssiger Form und einige landestypische Leckereien bat, teilte er mir mit: »Die Schwiegertochter und der Sohn haben den Alten nicht gefragt und einfach das Geld für die Miete eingestrichen. Ihre Unterschrift ist aber nichts wert, weil der Alte der Eigentümer ist.«
»Und was kann ich da jetzt machen?«, fragte ich ihn. Kann ich mit diesem älteren Herrn nicht reden?«
»Reden?«, fragte er mich ungläubig. »Mit dem kann man nicht reden. Der spricht nur Rätoromanisch und er hat auch nur seine Kühe im Kopf. Die Pfähle machen seine Wiese kaputt: Da sind dann Löcher drin.«
»Schön«, dachte ich, »ein Mann, der seine Tiere liebt und auch die Natur – wir haben etwas gemeinsam!« Und langsam steuerte ich mit meinen Erfrischungen und Stärkungen auf ihn zu.
Sein Stock kam mir gefährlich nahe, aber ich wich nicht zurück, sondern bot ihm ein Glas Wasser an und deutete dabei mit meinem Arm auf eine Bank. Der Alte fixierte mich böse, aber dann ließ er sich doch mit mir auf dieser Bank nieder. Vorsichtig reichte ich ihm köstliche Gebäckstückchen und erkundigte mich nach seinen Kühen, die etwas höher auf einer anderen Wiese friedlich weideten. Es passierte eine ganze Weile gar nichts und ich reichte ihm weitere Gebäckstücke. Dann lobte ich die Schweizer Bergwelt und die eindrucksvollen Gipfel im Hintergrund des Tals, in dem wir saßen. Er betrachtete mich wieder eine Weile, dann sprachen wir lange über Berge und Natur, und er informierte mich über die Namen der Gebirgsspitzen im Hintergrund. Genussvoll schlürfte er dabei sein Wasser und ich reichte ihm weitere Gebäckstücke. Er sprach Rätoromanisch und ich Hochdeutsch.
Irgendwann während des Gesprächs stand ich auf und trat ein lieblos herausgerissenes Grasbüschel wieder fest, welches durch die Pfahlbegrenzung entwurzelt worden war. Dabei machte ich ein zweifelndes Gesicht und deutete auf die weiter stattfindenden Aufbauten auf seiner Wiese. Ich zeigte ihm den Zettel mit der Unterschrift, aber er sah ihn sich gar nicht an, sondern informierte mich weiter über die Umgebung. Ehrlich gesagt verstand ich nicht wirklich viel, denn ich kann kein Rätoromanisch, aber ich konnte mir aus seiner Gestik und Mimik erschließen, was er mir mitteilen wollte, und so deutete ich immer wieder auf andere Bergspitzen und erkundigte mich nach weiteren Namen. Ich wollte diese Namen wirklich wissen, weil mich das Gespräch faszinierte und die Natur sowieso.
Die Zeit, die ich ihm schenkte, war wertvoller als die Unterschrift auf diesem Zettel, und am Ende nahm er zum Abschied meine Hand in seine beiden Hände und hielt sie länger als üblich fest. Ein warmes Gefühl umschlang mein Herz, und winkend verschwand er zu seinen Kühen.
Es wurde kein Pfahl mehr herausgerissen und ich dachte eine Weile nach. Dann kam ich zu dem Schluss: »Sprache funktioniert offensichtlich auch, wenn man nicht jedes Wort versteht – man muss nur eine Basis finden. Also, mit anderen Worten: Wenn man wirklich will, dann klappt Verständigung – Kommunikation funktioniert auch ohne Worte.«
Blick ins Buch (Leseprobe)
Labels: Daniela Muthreich, Roman, Satire
0 Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Abonnieren Kommentare zum Post [Atom]
<< Startseite