"Sonnenwarm und Regensanft - Sonnensturm" von Agnes M. Holdborg
Es sind nun schon einige Monate vergangen, seit Viktor, der Sohn des mächtigen Elfenkönigs Vitus, Annas Herz im Sturm erobert hat. Doch nicht nur Annas und Viktors Liebe erfährt Höhen und Tiefen, auch Vitus gerät in den Sturm der Leidenschaft, als er der aufregenden Heilerin Loana begegnet. Doch erneut droht Gefahr, sowohl in der Menschenwelt als auch im westlichen Elfenreich.
Band 2 der modernen Fantasygeschichte handelt von Glück, Zweifel, Liebe und Tod. Sie birgt Überraschungen, von denen manche das Schicksal herausfordern.
Gleich lesen: Sonnenwarm und Regensanft - Band 2: Sonnensturm
Leseprobe:
Konzentration ist die Einengung der Gedankengänge auf eine bestimmte Sache. Das war anscheinend das Problem: Die Einengung und die bestimmte Sache. Es wollte ihr nicht gelingen, diesem simplen Grundsatz nachzukommen.
Anna Nell saß in ihrem Zimmer und versuchte sich an dem Biologiereferat, das sie am nächsten Montag im Unterricht halten sollte. Doch es fiel ihr sehr schwer, sich darauf zu konzentrieren, denn immer wieder schweiften ihre Gedanken ab, drehten sich um ihren Freund Viktor und um die Geschehnisse der letzten Wochen.
Gedankenverloren schaute sie sich in dem neugestalteten Raum um und tippte mit dem Stift auf die Schreibtischplatte. Das Zimmer hatte ihr Vater, Johannes, erst vor ein paar Wochen ganz nach ihren Wünschen renoviert. Auch den neuen Schreibtisch hatte er selbst gebaut. Für ihn als Schreinermeister war das wahrscheinlich nichts Besonderes, aber Anna spürte ganz genau, wie viel Liebe ihr Vater in all die kleinen Details gesteckt hatte, genauso wie in das gesamte Zimmer, das sie sich mit ihrer zwei Jahre älteren Schwester Lena teilte.
Zurzeit konnte Anna es samt Schreibtisch und altersschwachem Computer für sich allein beanspruchen, um in Ruhe ihre Schulaufgaben zu machen, denn Lena befand sich bei der Arbeit. Sie absolvierte eine Ausbildung zur Friseurin, ihrem Wunschberuf. Nichts für mich, dachte Anna, aber für Lena genau das Richtige.
Der Gedanke an die große Schwester entlockte ihr ein kleines Schmunzeln, weil die sich mit ihren neunzehn Jahren nun endlich von den alten „Tokio-Hotel-Postern“ aus der „Bravo“ verabschiedet hatte. Die Groupie-Zeit hatte bei Lena halt sehr lange angedauert. Jetzt aber strahlten die Wände in frisch gestrichenem Weiß, das nur hier und da von ein paar sonnengelben Akzenten unterbrochen wurde.
Über Annas Bett hing ein großes Gemälde, welches Viktors Zwillingsschwester ihr zum siebzehnten Geburtstag geschenkt hatte. Jeder, der das Zimmer betrat, wurde augenblicklich von dem selbstgemalten Bild magisch in den Bann gezogen. Von seinem unwiderstehlichen Charme, den fantastischen Farben und dem mystischen Motiv mit den zwei Sonnen, die wie selbstverständlich in vereinter Umarmung hinab auf einen plätschernden Bach in einer traumhaft hellen Lichtung schienen. Außer Anna und ihrem Bruder wusste in der Familie niemand, dass diese Lichtung, bis auf die zweite Sonne, keineswegs einer Fantasie entsprang.
Bei der Erinnerung an ihren Geburtstag spielte Anna versonnen mit ihrer Kette, an der das weißgoldene Medaillon mit den hellblauen Saphiren am Rand und den im Innern eingravierten zwei Sonnen hing. Viktor hatte es ihr geschenkt, eben zu jenem siebzehnten Geburtstag, dem wunderbaren Tag, an dem sie mit ihm zum ersten Mal...
Sofort flatterte und zog es im Bauch. Zu ihrem Leidwesen erging es Anna häufig so, was sie regelmäßig große Probleme bereitete, sich auf die Hausarbeiten zu konzentrieren. Deshalb atmete sie wieder einmal kräftig durch.
Doch anstatt endlich weiter an dem Skript zu arbeiten, glitt ihr Blick zum Fenster mit den duftig zarten weißen Organzagardinen und den blickdichten cremefarbenen Vorhängen an der Seite. Sie hingen dort erst seit dem gestrigen Abend und ließen den Raum sehr viel größer und heller erscheinen als vorher. Lena hatte zuerst ein bisschen gemault, weil er abends nicht mehr so gut abzudunkeln wäre wie mit den alten dunkelbraunen Chenillevorhängen, fand aber das Gesamtbild überzeugend. Typisch für ihre liebenswürdige und unkomplizierte Schwester, meinte Anna.
Schließlich schnitt sie wieder einmal den Faden zu ihren Tagträumereien ab und beugte sich vom Schreibtischstuhl weit in Richtung ihrer am Bett stehenden Schultasche hinunter, um sich das Bio-Buch zu angeln, ohne dabei aufstehen zu müssen. Dabei purzelte sie fast von dem uralten Stuhl mit Mickey-Mouse-Design, so kippelte der mittlerweile.
Wirklich höchste Zeit für den coolen weißen „Ikea-Stuhl“, den sie sich anschaffen wollte, überlegte sie. Aber ihr Erspartes reichte noch nicht ganz dafür. So lange durfte sich „Mickey-Mouse“ noch einer Gnadenfrist erfreuen, bevor der Sperrmüll sein Ende würde.
Anna störte es nicht sonderlich, dass ihre Eltern mehr mit dem Geld rechnen mussten als andere Leute. Deshalb machte es ihr auch nichts aus, selbst für den neuen Stuhl aufkommen zu müssen.
Nur ihre eigene vermeintliche Mittelmäßigkeit warf sie manchmal aus der Bahn. Viktor behauptete zwar beharrlich, dass gerade sie etwas ganz Besonderes sei, und schwor sogar Stein und Bein darauf. Doch nagten immer wieder Zweifel an ihr und verunsicherten sie mit Fragen wie zum Beispiel, warum jemand wie er Gefallen an jemanden wie ihr finden konnte. In ihren Augen war er nicht nur viel attraktiver als sie selbst, sondern auch tatsächlich etwas ganz Besonderes, weil er nur zur Hälfte ein Mensch war.
Sie lächelte vergnügt bei der Vorstellung, ihre Eltern und Lena würden erfahren, dass Viktors Vater, anstatt über ein riesiges Firmenimperium in Amerika zu herrschen, in Wirklichkeit ein waschechter König war. König des westlichen Elfenreiches, welches direkt neben der Welt der Menschen existierte. Außer ihr kannte in der Familie nur noch ihr zwanzigjähriger Bruder Jens das Geheimnis.
Anna schüttelte heftig den Kopf, weil sie in Gedanken schon wieder zu Viktor abdriftete, und rief sich daher leicht verärgert zur Räson. Am Ende würde dieses unsägliche Referat doch nicht fertig, bevor Viktor sie fürs restliche Wochenende abholte.
Sie legte den Stift zur Seite, rückte die Brille ein wenig zurecht und rutschte etwas vor, um auf dem Bildschirm ihren bislang verfassten Text durchzugehen. Wieder wackelte und kippelte es verdächtig unter ihrem Po, was allerdings statt Ärgernis nur ihre Vorfreude auf den neuen Stuhl steigerte.
Sie würde mit Lena reden müssen, dass künftig auf keinen Fall eins ihrer Haarfärbemodelle darauf Platz nehmen dürfte. Lenas Farbexperimente hatten so manchen hässlichen Fleck auf „Mickey Mouse“ hinterlassen. So etwas wollte Anna für die Zukunft unbedingt vermeiden. Mit dem schicken weißen und zudem fleckenlosen Stuhl würde das Zimmer in ihren Augen perfekt aussehen, natürlich nicht so perfekt wie Viktors.
Sie seufzte und nahm resigniert die Finger von der Tastatur, weil sie schon wieder an ihn dachte und ihr das Schreiben dadurch einfach schwerfiel. Wenn sie sich nicht allmählich beeilte, würde das nichts mehr mit dem Referat. Außerdem befürchtete sie, Viktor könnte sowieso bald bemerken, was in ihrem Kopf vor sich ging. Obwohl er nur ein Halbelfe war, hatte er in der letzten Zeit dennoch seine empathischen und telepathischen Fähigkeiten derart verfeinert, dass sie kaum noch ihre Gedanken und Gefühle vor ihm verbergen konnte.
Zwar war auch sie inzwischen in der Lage, seine Gedanken zu erspüren, aber so wie ihm würde es ihr wohl niemals gelingen. Es grenzte ihres Erachtens ohnehin an ein Wunder, dass sie und sogar Jens über solch elfische Fähigkeiten verfügten.
Bislang hatte sie sich über den Grund hierfür noch keinerlei Gedanken gemacht und auch jetzt fehlte ihr dazu die Zeit. Also straffte sie endgültig die Schultern, um sich dem Referat zu widmen und noch dazu den Geist vor ihrem heißgeliebten Freund zu verschließen.
Zu spät! Das war Anna bereits klar, noch bevor sie Viktors Samtstimme im Kopf vernahm.
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Labels: Agnes M. Holdborg, Fantasy
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