8. April 2016

'Lass mich nicht allein' von Antje Melanie Schneider

In Gedanken an ihre unbewältigte Vergangenheit, biegt Emma eines Tages auf dem Nachhauseweg falsch ab. Da begegnet sie einer seltsamen Familie in einem einsam gelegenen Haus. Sie spürt offene Ablehnung und sollte eigentlich das Weite suchen, wenn da nicht der stumme Hilfeschrei eines kleinen Mädchens wär ...

»Lass mich nicht allein« ist mit der Inspiration entstanden, ein düsteres Familiengeheimnis als Schwerpunkt für einen gruseligen Thriller zu setzen. Durch das eigenartige Benehmen der Familienmitglieder werden viele Fragen aufgeworfen. Ansprechen soll der Thriller vor allem Liebhaber von sich zusammensetzenden Puzzleteilen und einer unheimlichen Stimmung.

Leserstimme: »Die Geschichte ist total bizarr, gruselig und verursacht Gänsehaut.«

Gleich lesen: Lass mich nicht allein: Psychothriller

Leseprobe:
»Verdammt!«, fluchte Emma, wissend, dass in dieser einsamen Gegend nur die Bewohner des Hauses sie hören konnten, und mit denen hatte sie es sich vermutlich eh gerade verscherzt. Sie sammelte so viele Äpfel auf, wie in ihren Fahrradkorb passten und schob dann schlürfenden Schrittes das Rad in Richtung des Hauses. Je näher sie der steinigen Baracke kam, desto mulmiger wurde ihr zumute. Das Haus war in der Tat trist. Trist und klein. Auf dem spitzzulaufenden Satteldach wechselten sich die gebrannten Ziegelsteine zwischen rötlichen Lehmtönen und weißen Unwetterverfärbungen ab. Allein die Spitze behielt sich durch ihre Moosflecken ein verwittertes Grün vor. Die Steinwände schienen schon seit längerem nicht mehr gepflegt und von Kletterpflanzen befreit worden zu sein, und der scheinbare Garten, der sich nur mit vier lieblos in die Erde gesteckten Holzstäben von der Wiese drum herum abgrenzte, war fast leer. Es sah fast schon lächerlich aus, dass jemand überhaupt sein Grundstück abgrenzte, wenn außer Gras und einer alten Trauerweide darauf eh nichts wuchs. Und dann auch noch diese seltsame Anordnung der Holzstäbe, die von der rechteckigen Form eines gewöhnlichen Grundstücks völlig abwich. Ein Holz war so dicht an der Wäschespinne links neben der Trauerweide verankert, dass Emma sich fragte, warum die Bewohner des Hauses die Wäschespinne nicht woanders hingestellt haben. Ausreichend Platz war zumindest vorhanden, schließlich lagen die anderen drei Holzstäbe so weit auseinander, dass Emma Mühe hatte, sie in dem Grau der Umwelt überhaupt zu erkennen.
Emma ging die drei steilen Stufen zur Eingangstür hinauf. Die grüne Lasur der hölzernen Tür blätterte sich allmählich ab, und einige Schädlinge schienen in dem unteren Viertel ihr Unwesen getrieben zu haben. Emma zögerte. Drehte und wendete sich, doch nirgendwo war ein Briefkasten zu erkennen, wo der Familienname abzulesen gewesen wäre. Dann blickte sie zur Häuserwand rechts neben der Tür, doch eine Klingel war ebenfalls nicht vorhanden. Sie schüttelte den Kopf und klopfte dann mit einer fest geballten Faust zögerlich drei Mal an die moosgrüne Holztür des Hauses. Sie wartete. Nach ein paar Sekunden wiederholte sie die rhythmischen Schläge noch einmal, dieses Mal jedoch so kräftig, dass sie sofort danach auf ihre Fingerknöchel pustete. Und wieder wartete sie.
»Kommen Sie schon! Jetzt machen Sie bitte auf! Ich habe Sie doch gerade gesehen. Ich möchte mich doch nur entschuldigen, ich wusste nicht, dass die Apfelbäume Ihnen gehören. Ich ...«
Die Tür öffnete sich so rasant, dass Emma für eine Sekunde die Luft anhielt. Allerdings war die Öffnung nicht mehr als ein etwa zwanzig Zentimeter großer Spalt, durch den die alte Dame ihren weißen Kopf, der mit einem bunten Haarband verziert war, nach außen streckte. Die Frau runzelte ungläubig die Stirn und fünf Falten bildeten tiefe, längliche Krater. Wie als würde sie mit ihren Vorderzähnen angestrengt auf etwas kauen, zog sie ihren Mund immer weiter nach oben, sodass sich unwillkürlich ihre breiten Nasenflügel aufblähten.
»Sie können die Äpfel haben. Sie gehören mir nicht. Und nun verschwinden Sie!«, fauchte die Dame.
»Ich ... ich ... wollte Sie wirklich nicht beleidigen. Es ist nur so, meine Mutter kommt am Wochenende zu mir. Wissen Sie, sie leidet unter Demenz und ich wollte ihr eine Freude machen, indem ich ihr einen Apfelkuchen backe. Ich hab doch nur noch sie ... Und als ich die Äpfel sah, da ...«
Das Gesicht der Dame wirkte nun beinahe überrascht. Ihre Augen wurden mit einem Mal riesengroß, bevor die Frau sie wieder schlitze und ein Stück weiter mehr den Kopf nach draußen streckte. Sie verstellte ihre Stimme und flüsterte nun, sodass es fast schon bedrohlich klang.
»Haben Sie nicht gehört? Ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass Sie die Äpfel haben können. Auf Wiedersehen!«
Die alte Frau schlug genauso schnell die Tür wieder zu, wie sie sie geöffnet hatte. Wie versteinert blieb Emma noch einige Sekunden vor der Tür stehen, den dumpfen Geräuschen lauschend, die von innen ertönten. Jemand schien mit schnellen Schritten eine Treppe hochzulaufen, das Altertum der Stufen wurde dabei mit ein paar quietschenden Geräuschen untermauert. Dann hörte es sich so an, als würden mehrere Türen hintereinander aufgerissen und anschließend wieder zugeschlagen werden. Flüstertöne überschlugen sich. Nur Bruchstücke wie »... wo ist ...« oder »...hast du ... nachgesehen ...« drängten durch die solide Steinwand hindurch. Dann war es still.

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