'Das forensische Gemetzel' von A.C. Scharp
Nichts ist mehr sicher, wenn die Normalen zum Problem werden.
Der Alltag der forensischen Psychiatrie in Frackhausen ist beschaulich, bis sich ein Serienmörder entschließt, wieder in seine Heimat zurückzukehren.
Der muss weg! Da sind sich die Ehemänner seiner Opfer einig. Leider greifen sie zu Mitteln, die den Chefpsychologen der Klinik in arge Bedrängnis bringen. Der versucht, in einer Welt der Selbstdarsteller und Egomanen seine brüchige Fassade aufrechtzuerhalten.
Der Leser bleibt mit der Frage zurück: Sitzt die Gefahr wirklich nur hinter den hohen Mauern? Die forensische Psychiatrie, in der es etwas anders zugeht.
Für Liebhaber der burlesken Absurdität.
Gleich lesen: Das forensische Gemetzel
Leseprobe:
Mike Sanger sagte niemals laut, dass er sich auf der Arbeit wohler fühlte als zu Hause. Er mochte die Belegschaftsbesprechungen nicht, aber das war noch lange kein Grund, sich nach seinem Zuhause zu sehnen. Er fand es nur ziemlich unsinnig, hier mindestens eine Stunde Plattitüden auszutauschen.
Offiziell waren diese Besprechungen wichtig, da es sonst kaum möglich war, sich vernünftig auf dem Gang miteinander zu unterhalten, obwohl man sich mehrmals täglich über den Weg lief. Allerdings bekam das gesprochene Wort und die damit verknüpfte Meinung überhaupt nur Gewicht, wenn es in diesem Raum stattfand.
Das Besprechungszimmer war so bewusst nichtssagend gehalten, dass die Veranstaltung mehr Charakter gehabt hätte, wenn sie auf dem Klo stattgefunden hätte. Falls es einen Ort gab, der dazu geeignet war, mit seinen Gedanken nicht abzuschweifen und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, dann war es hier. Heute jedoch gab es eine Lockerungskonferenz, was zumindest so viel Zündstoff versprach, dass Mike nicht gegen seine zufallenden Augen ankämpfen musste, wie das sonst regelmäßig passierte.
Lockerungskonferenz, das bedeutete nichts anderes, als darüber zu entscheiden, ob ein Bewohner seine Prognose insoweit verbessert hatte, um ihm kleine – aber sehr begehrte – Zugeständnisse an die Güte seines Aufenthaltes machen zu können. So hieß die offizielle Version. Im Klartext bedeutete das einfach, ob einer der Bewohner so weit aus seiner Station herauskam, um an Programmen teilzunehmen oder anderen Bewohnern an den Hintern fassen zu können. Da sie jahrelang nur Männer um sich hatten, verfiel man schon einmal auf solche Gedanken. Vor allen Dingen, wenn man es gewohnt war, Frauen nach dem Sex ins Jenseits zu befördern.
»Ich halte es nicht für vernünftig«, sagte Dr. Monika Berg, die Chefärztin des ärztlich-therapeutischen Dienstes. Mike zwang sich, wieder zuzuhören.
»Warum nicht?«, widersprach Ralf Stockschneider, Psychiater und gleichzeitig Oberarzt, nebenbei noch Freund von Mike. »Er hat sich wirklich gemacht. Die Medikamente haben ihm echt geholfen.«
»Die Medikamente haben ihm nicht geholfen, die halten ihn nur ruhig«, erwiderte Berg. »Ich weiß sowieso nicht, wie es einem Menschen helfen soll, Psychopharmaka gegen seine Veranlagung zu einzunehmen.«
Mike wusste das ehrlich gesagt auch nicht. Paul Kluge war als homosexueller Transsexueller in einem Männerkörper geboren, was von seinen Eltern mit einigem Entsetzen aufgenommen wurde. Sein Vater behandelte lieber nach der guten alten rezeptfreien Methode und versuchte, diese revolutionären Gedanken aus ihm herauszuprügeln, was einiges an Erfolg brachte, wenn auch nicht den, den man sich gewünscht hätte. Paul begann, sich selber zu hassen und kompensierte das auf die für ihn einzig vernünftige Weise. Er vergewaltigte und tötete Frauen. Als Souvenir nahm er ihre Haare mit, hielt es aber für einleuchtender, sie direkt zu skalpieren, als ihnen diese nur abzuschneiden. Mike fand in seinen Gesprächen später heraus, dass er einen Skalp besser gebrauchen konnte, quasi als Direkt-Toupet. Seine Eltern hatten ihm konsequent verboten, sich seine Haare einfach wachsen zu lassen, was das Problem vielleicht weniger blutig gelöst hätte.
Trotzdem war noch nicht konsequent logisch geklärt, warum er als Transsexueller Frauen vergewaltigen musste. Daher eindeutig für verrückt erklärt, bekam er Tabletten, damit er sich auch selber diesbezüglich keine Fragen mehr stellen musste.
»Ich meine nur, dass ich es nicht für sinnvoll halte, ihn wieder mit seinem Trauma zu konfrontieren«, sagte Berg. »Wer weiß, wie er sich verhält, wenn er langhaarige Frauen sieht. Auf Frau Goldschmidt reagiert er auch immer sehr negativ.«
»Wobei ich der Meinung bin, dass das eher an Frau Goldschmidt liegt«, erwiderte Ralf. »Wenn sie etwas hübscher und weniger nervig wäre, gäbe sich das vielleicht.«
»Mumpitz«, sagte Monika Berg. »Er steht doch nicht auf Frauen, wie sollte sich das dann geben?«
Mike fragte sich indes, wie man über Lockerungen für einen Patienten nachdenken konnte, wenn man noch nicht einmal verstand, was in seinem Inneren vorging. Er verlagerte sein Gewicht auf die andere Hälfte seines Hinterns und schlug die Beine übereinander.
»Fragen wir doch Herrn Sanger, wie er die Verfassung von Paul Kluge einschätzt.« Ralf wandte sich zu ihm. Alle Augen starrten ihn erwartungsvoll an.
»Nun ja.« Mike räusperte sich, hauptsächlich, um Zeit zu schinden. »Die Frage ist doch, soll er eine Lockerung bekommen, weil wir das wollen oder weil er das will.«
»Genau!«, rief Dörte Heckmann, die kleine, rundliche Oberschwester, in deren Nähe er sich immer ein bisschen fühlte wie auf einem schwankenden Kutter. Frauen, die ihn als sexuell begehrenswertes Wesen sahen, irritierten ihn. Daher traute er ihrem begeisterten Urteil weniger, als ihr lieb gewesen wäre und ignorierte den Zwischenruf zumindest fürs Erste.
»Nur weiter«, sagte Monika Berg aufmunternd.
»Ich meine, er ist glücklich hier«, fuhr Mike fort. »Er lebt in seiner kleinen Welt, in der man ihn weder verurteilt noch auslacht. Er hat nie den Wunsch geäußert, diese Klinik zu verlassen. Warum diskutieren wir jetzt darüber?«
»Weil wir überbelegt sind«, sagte Ralf betont geduldig. »Und weil er die anderen Männer angrapscht.«
»Davon habe ich nichts gehört«, warf Monika Berg dazwischen.
»Wie auch?«, entgegnete Ralf. »Welcher Mann erzählt denn seiner Ärztin oder irgendeiner anderen Frau, dass ihm im Dunkeln die Eier massiert werden?«
»Das halte ich jetzt nicht für so schlimm«, sagte Hud Maimun Maroun, der pädagogisch-pflegerische Leiter, bei dem für Ralf alleine für diese Kombination seines Namens mit dem Titel – auf den er übrigens großen Wert legte – eine Eiermassage durch Paul Kluge angemessen erschien.
»Nicht, wenn es meine Eier sind«, schnappte Ralf.
»Dann bleibt das Problem wenigstens überschaubar«, erwiderte Hud gelassen.
»Meine Herren!« Dr. Monika Berg klopfte nachdrücklich auf den Tisch. »Ich finde im Übrigen, Herr Sanger hat recht. Wir diskutieren hier über etwas, was vom Patienten weder gewollt noch gewünscht ist.«
»Das wird Dr. Mäuchel aber nicht freuen«, sagte Ralf. »Er hofft auf ein paar Entlassungen. Wie sollen die aber möglich sein, wenn wir für einen Patienten noch nicht mal ein paar Lockerungen beschließen können.«
»Wir besprechen das ein anderes Mal.« Monika Berg erhob sich halb von ihrem Stuhl und machte damit deutlich, dass die Sitzung für sie beendet war.
»Aber da gibt es doch sicherlich noch mehr Zeit zu verschwenden.« Ralf war angepisst, das konnte Mike deutlich sehen. »Wie viele Lockerungskonferenzen muss ich noch anregen, bis meiner Empfehlung einmal entsprochen wird?«
»So viele, bis ein vernünftiger Vorschlag kommt«, erwiderte Monika Berg und verließ den Raum, ohne sich noch einmal umzusehen.
Ralf machte hinter ihrem Rücken eine obszöne Geste, die von Dörte Heckmann mit Kopfschütteln geahndet wurde. Normalerweise konnte allerdings keine der Schwestern lange auf ihn böse sein, da er seinen durchaus vorhandenen Charme sehr freizügig an sie verteilte, was in Mikes Augen umso bewundernswerter war, da es sich zum Teil um Frauen handelte, die nicht nur im landläufigen Sinne nicht hübsch, sondern durchaus erschreckend waren.
Mike klappte seine Mappe zu und verließ gleichzeitig mit Dörte den Raum, was an der Tür eine kleine Kollision zur Folge hatte, die sie mit Kichern und einem neckischen Blick quittierte. Mike hoffte nur, dass er ihr nicht zu viel Futter für ihre Fantasie geliefert hatte, und eilte Ralf hinterher.
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Labels: A.C. Scharp, Humor
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