'Auch Entführen will gelernt sein' von Harald Schmidt
»Die Flossen hoch! Das ist ein Überfall!«
Die Aufforderung steht drohend im Raum des Fitness-Centers, in dem auch die an MS erkrankte Rita Richter trainiert. Die in der Schalke-Arena gestählte Frau beweist den Brutalos, dass selbst Waffengewalt nichts ausrichtet gegen Lebensmut und derbe Schlagfertigkeit. Als die drei Kleinganoven Freddy, Richard und Massimo ihren Plan entwickeln, wissen sie noch nicht, welcher übermächtige Gegner sich ihnen in den Weg stellt.
Eigentlich hatten sie eine Entführung geplant. Eigentlich! Da das Opfer unverschämterweise Urlaub macht, muss spontan umdisponiert werden. Alles ohne Plan B. Schneller, als es sich das Trio vorstellen kann, erscheint die Polizei auf der Bildfläche und eine ungewollte Geiselnahme nimmt ihre kuriose Fahrt auf. Schnell bekommen die Ganoven zu spüren, dass die Polizei nicht ihr ärgstes Problem darstellt.
Auch der leitende Hauptkommissar Holger Knoll wird diese ungewöhnliche Geiselnahme nie wieder vergessen können. Nichts ist vorhersehbar, alles läuft komplett aus dem Ruder. Die tatkräftige Hilfe kommt von einer Seite, die das Eingreifen des Polizeiteams fast überflüssig macht.
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Leseprobe:
Freddy und Massimo sahen von ihrem Lageplan auf und konzentrierten sich auf das Motorengeräusch, das kurze Zeit später erstarb. Eine Autotür fiel ins Schloss, Schritte näherten sich der Schuppentür. Richard schob die beiden Rolltore weit auseinander, sodass der Blick auf den Wagen frei war.
»Voilà, unser Fluchtwagen. Gerade frisch eingetroffen. Geile Karre, oder?«
Abwartend blieb er im Eingang stehen und sah auf die beiden Kumpane, die wortlos das Auto betrachteten. Freddy sah verständnislos in das Gesicht von Massimo, das zu Freddys Leidwesen nur ein zufriedenes Lächeln zustande brachte. Seine Wut wuchs. Nur schwer konnte er einen Anfall vermeiden. Er suchte verzweifelt nach Worten, ohne dabei die Fassung zu verlieren.
»Was genau war deine Aufgabe, Richard? Was solltest du heute Vormittag für uns erledigen? Bitte erinner dich daran.«
»Was soll jetzt diese blöde Fragerei? Bin ich hier in der Schule? Du hast mir gesagt, dass wir ein Fluchtauto brauchen. Und? Ist das kein Auto? Was soll das Theater nun? Hääh?«
Auf Freddy ruhten nun zwei Augenpaare, die eine Antwort erwarteten. Beide Männer wussten tatsächlich nicht, worauf ihr Kumpel hinaus wollte. Freddy verdrehte die Augen und versuchte, Ruhe zu bewahren.
»Nun gut, dann nochmal von vorne. Wir wollen morgen in das bepisste Studio, um da die Familie Klosterhard zu entführen. Die kommen in der Regel zu dritt. Vater, Mutter und Tochter. Ist das soweit klar?« Beide nickten. »Entführen bedeutet, dass wir die Herrschaften mitnehmen. Hört ihr? Wir nehmen sie mit! Dazu brauchen wir ein passendes Fahrzeug. Das dürfte selbst euch klar sein. Wenn wir die drei Vögel nehmen und uns drei noch dazuzählen, wie viel Personen sind wir dann insgesamt? Na los, ich warte Richard.«
Massimo schnippte mit den Fingern und präsentierte das Ergebnis. Stolz blickte er in die Runde.
»Sechs. Ist doch klar, drei und drei sind sechs.«
»Ich hatte Richard gebeten, du Arschloch. Der sollte mir seine Rechenkünste vorführen. Also gut, das wären sechs Personen. Und was haben wir hier vor dem Schuppen stehen? Sagt es mir.«
Richard trat gegen den Kotflügel und kam mit in den Hosentaschen vergrabenen Händen auf den Tisch zu, an dem seine Kumpane saßen.
»Willst du mich eigentlich verarschen? Hier steht genau das, was du wolltest. Was soll das Gefasel mit den Personen? Die Karre rollt gut und war schnell zu kriegen. Der Fahrer wird sich gewundert haben, als die Kiste weg war, nachdem er zurückkam. Wir haben ein Auto, oder etwa nicht?«
Nun sprang Freddy auf und ging mit großen Schritten auf Richard zu, der erschrocken einen Schritt zurückwich. Er spürte Freddys harte Hand an seiner Jacke, die ihn zum Auto zog.
»Ja, du Spasti, wir haben ein Auto. Aber musste das ausgerechnet ein Pizzataxi sein? Da stehen noch zig Kartons drin, die ausgeliefert werden sollten. Ist dir aufgefallen, dass da eine Riesenreklame von dem Laden draufsteht? Der Fahrer wird nicht nur dumm geguckt haben, sondern sofort die Bullen verständigt haben. Die suchen bestimmt schon stadtweit nach einem blutroten Renault mit der Aufschrift Ristorante Italia.
Und dann noch eine Kleinigkeit. Wie sollen wir darin sechs Personen unterkriegen? Kannst du mir das erklären?«
»Aber ...«
»Nix aber, du dämlicher Sack. Du stellst diese Kiste jetzt irgendwo in der Umgebung ab und verpisst dich schleunigst. Ich will doch nicht in einer Zelle landen, weil man mir die Entführung von dreißig Mafiatorten nachgewiesen hat. Auf gehts´s!«
Freddy fuhr herum, als er Massimos Riesenhand auf seiner Schulter spürte.
»Könnten wir denn nicht wenigstens ein paar Kartons hierbehalten? Ich meine nur ... ist ja noch lange hin, bis wir wieder was zu futtern kriegen. Dann könnte ich Elena auch direkt für heute Abend ...«
»Ich halte das nicht aus. Bin ich denn nur noch von Wahnsinnigen umgeben? Ihr könnt doch nicht nur ans verdammte Fressen denken. Schafft mir, verdammt nochmal, die Karre aus den Augen, bevor ich durchdreh!«
Freddy fasste sich mit beiden Händen an den Kopf. Hilfesuchend sah er zum Schuppendach, als erhoffe er sich vom Schöpfer einen Beistand. Richard stand wie festgemeißelt im Schuppeneingang. Freddy näherte sich drohend.
»Kannst du erkennen, was das hier ist?« Freddy zeigte auf seine Füße.
»Ja sicher, das sind deine Schuhe.«
»Und genau die stecken gleich in deinem Arsch, wenn du nicht in zehn Sekunden mit dem verdammten Wagen verschwunden bist. Ich werde mich selber um einen anderen Wagen kümmern. Und gib vorher dieser fleischgewordenen Lebensmittelvernichtungsmaschine einige Pizzakartons, damit der nicht vor lauter Schwäche vor unseren Augen zusammenbricht.«
Massimo gab ihm einen Klaps gegen den Hinterkopf, der Freddy einen Meter nach vorne stolpern ließ. Anschließend marschierte er zum Auto und sortierte mehrere Pizza-Kartons aus, die er auf dem Tisch stapelte.
Richard setzte sich, immer noch beleidigt, hinter das Steuer und verschwand mit dem Pizza-Taxi um die nächste Hausecke. Als er wieder am Treffpunkt eintraf, saßen seine Partner kauend am Tisch und diskutierten lautstark über die mickrigen Zahlungen, die monatlich vom Arbeitsamt geleistet wurden. Die Welt war so ungerecht.
»So, jetzt gehen wir den Plan noch ein letztes Mal durch. Vergesst bloß nicht, wann ihr euren Einsatz habt. Davon hängt alles ab. Seht euch die Fotos noch einmal an, damit ihr nicht die falschen Leute verschleppt. Die Klosterhards kommen so um etwa elf Uhr. Bisher parkte der Alte seinen Jaguar immer unter den Fenstern der Männer-Umkleide. Nachdem die sich umgezogen haben, klettern alle drei zuerst auf die Ergometer. Anschließend ...«
Massimo zog das Pizzastück wieder zurück, in das er gerade beißen wollte und sah Freddy erstaunt an.
»Worauf klettern die? Was ist ein Ergodingsbums?«
»Heilige Scheiße, was ist nur mit euch los? Wie konntet ihr bisher überhaupt überleben? Wisst ihr was? Wir werden morgen mal in das Studio gehen und so tun, als würden wir uns für eine Mitgliedschaft interessieren. Dann seht ihr mal vor Ort, was die für Geräte haben und wo ihr euch die Klosterhards krallen könnt. Das hat ja überhaupt keinen Zweck, wenn ich Dinge erkläre, die ihr noch nie gesehen habt. Aber den restlichen Plan können wir ja trotzdem schon durchgehen.«
Ausdruckslose Gesichter ließen bei Freddy Zweifel daran aufkommen, dass man ihn überhaupt verstanden hat. Sein Finger lag auf einem Punkt des Planes, den er zwischen leeren Pizzakartons ausgebreitet hatte.
»Genau hier parken wir den Wagen.«
»Welchen Wagen?«
»Verdammt, Massimo, ich sagte doch, dass ich den selbst besorgen werde. Hörst du überhaupt zu? Also, die Karre steht hier unter dem Baum. Dann steigen wir aus und gehen ganz ruhig in den Laden. Vorher zieht ihr euch die Masken über. Nicht vergessen. Die Klosterhards werden genau hier sein. Dann haltet ihr dem Alten den Püster unter die Nase und sagt ihm ganz ruhig, dass er und seine Bagage mitkommen sollen. Wenn der nicht spurt, helft ihr etwas nach. Ich warte an der Service-Theke und sorge dafür, dass keiner die Bullen ruft. Dann verschwindet ihr mit den Dreien und schmeißt die in den Wagen. Massimo bleibt hinten bei denen, du fährst. Wenn ihr am Eingang anhaltet, spring ich rein und ab geht die Post, zurück zum Schuppen. Das dauert nur ein paar Minuten, dann haben wir die Goldesel unter Dach und Fach. Noch Fragen?«
»Was mache ich, wenn der Alte sich wehrt?«
»Dann haust du ihm was auf die Fresse. Ist das so schwer? Aber denkt daran, wir brauchen die lebend. Außerdem musst du die Scheißer mit Kabelbinder fesseln. Wenn einer von den anderen Leuten im Studio aufmuckt, einfach einmal in die Decke schießen. Dann kuschen die schon.«
Richard stieß Massimo in die Seite.
»Sei mit der Knarre bloß vorsichtig. Nicht dass du aus Versehen einen von uns triffst. Man kann ja nie wissen.«
»Glaubst du tatsächlich, dass ich euch scharfe Munition in die Hand drücke? Wenn die Sache schief läuft, kriegen wir fünfzehn Jahre. Nee, ich habe Platzpatronen besorgt.»
Freddy schaltete sich schnell dazwischen, als er sah, dass Massimo bereits zum Schlag ausholte. Er machte sich Sorgen, dass die Feindschaft der beiden Idioten noch zu Problemen führen könnte. Zu diesem Zeitpunkt wusste er noch nicht, dass dies nur sein kleinstes Problem sein sollte.
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Labels: Bücherbord, Harald Schmidt, Humor, Krimi
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