12. Dezember 2017

'Theaterblut' von Rita Hausen

Christopher Marlowe, ein erfolgreicher Theaterautor zur Zeit von Königin Elisabeth I., macht vor allem mit den Stücken „Tamerlan“ und „Faust“ Furore. Außerdem ist er Agent im weitreichenden Spionagenetz des Geheimdienstchefs Francis Walsingham.

1593 wird Marlowe vor das Krongericht zitiert. Ihm wird vorgeworfen, ein politisches Pamphlet verfasst zu haben und Häresien anzuhängen. Wider Erwarten bleibt er auf freiem Fuß. Er rettet sich mit Hilfe mächtiger Unterstützer vor der Verfolgung auf den Kontinent, während der Öffentlichkeit offiziell sein Tod mitgeteilt wird. Schon steigt ein neuer Stern am Theaterhimmel auf: William Shakespeare, dessen Name sich Marlowe ausborgt, um weiterhin für das Londoner Theater schreiben zu können. Er reist durch Frankreich, Italien und Spanien. Als Elisabeth I. 1603 stirbt, glaubt er, in London unter falschem Namen unbehelligt leben zu können.

In einem Gewebe von Einzel-Biographie, Dichtung und Weltpolitik wird ein Gemälde der Zeit um 1600 entworfen.

Gleich lesen:
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Leseprobe:
Die Sternkammer
In London herrschte der Schwarze Tod. Mit einem Schiff, das von Indien zurückkehrte, soll die Pest nach England gekommen sein. Es waren nur noch Sterbende und Tote an Bord, keiner mehr am Steuer. Das Schiff wurde von der Flut an die Küste getrieben und lief auf. Nur Ratten verließen das Wrack, huschten scharenweise an Land, schienen zugleich aus Kellern, Schuppen, Verliesen hervorzuquellen, Ratten mit Krusten an den Augen, Schorf an den Ohren, Blut an Nase und Maul, mit kahlen Stellen im stumpfen Fell. Sie brachten Tod und Verderben und gleich darauf lagen sie verendet im Dreck.
Bald vernahm man aus Häusern lautes Beten und Klagen. Wanderprediger erhoben ihre Stimmen und stellten die Pest als gerechte Strafe Gottes für die allgemeine Sündhaftigkeit dar. Quacksalber priesen wirkungslose Wundermittel an. Leichen wurden von Balkonen und Fenstern mit Seilen herabgelassen, um von Totenträgern des Nachts aufs Pestfeld gefahren zu werden.
Viele Londoner flohen aufs Land, in der Hoffnung, so der Ansteckung zu entgehen. Die ganze Stadt war ein Leichenhaus, es starben bis zum Ende des Jahres 1592 sechzehntausendfünfhundert Menschen.
Die Theater waren wegen der Pest geschlossen worden.
Der Dichter Christopher Marlowe führte auf dem Gut seines Freundes und Gönners Thomas Walsingham in Scadbury ein angenehmes Leben als Hauspoet. Sein Freund war großzügig und witzig, doch sein Blick erinnerte Marlowe manchmal an dessen Onkel, den Herrn des Geheimdienstes, der bis vor Kurzem die Spinne im Zentrum eines Netzes aus Intrigen und Spitzelei gewesen war. Er ahnte, dass sein Gönner zum Teil das Handwerk des alten Mannes geerbt hatte. Jedenfalls war sein Verhältnis zu Tom unbefangener und inniger gewesen, als Sir Francis noch lebte.
Als er in seinem Zimmer das Hufklappern auf dem Kopfsteinpflaster des Hofes hörte, hatte er böse Vorahnungen; und als er erfuhr, dass ein Kurier des Kronrates gekommen war, drehte sich ihm eine Faust im Magen um. Der Bote forderte ihn auf, unverzüglich nach London mitzukommen. Das Schriftstück, das er vorwies, kam direkt vom Kronrat, den mächtigsten Männern im Lande. Männern, die zu Tod oder Folter verurteilen konnten. Marlowe fragte den Boten, ob er den Grund für seine Festnahme kenne, er antwortete mit einem Achselzucken.
Er wurde vor die Sternkammer bestellt. Schlimmer konnte es nicht kommen. Dieses Gericht war für Anschläge auf die Verfassung von Staat und Kirche zuständig. Die Prozedur des Verfahrens wurde von Fall zu Fall ganz nach Belieben festgelegt oder geändert und, wie sich herumgesprochen hatte, immer zum Nachteil des Angeklagten. Verteidiger, Protokolle, Anklageschriften waren unbekannt.
„Ich bin so gut wie tot“, sagte er zu seinem Freund.
„Das glaube ich nicht“, antwortete Tom.
„Wie denn nicht?“
„Das erkläre ich dir, wenn du zurück bist.“
„Zurück?“, rief Marlowe, „du träumst ja wohl.“
Er umarmte Tom, stieg auf das bereitgestellte Pferd und machte sich mit dem Abgesandten auf den Weg. Ihm war schlecht vor Angst. Was würde auf ihn zukommen?
Lange bevor sie die Stadt erreichten, tauchte in der Ferne ein Gewirr aus roten Dächern auf, inmitten von hohen Kirchtürmen und rauchenden Schornsteinen. Im Licht der Sonne sah die Stadt frisch aus, überhaupt nicht wie ein Ort, an dem die Pest wütete. Sie passierten das Stadttor und Marlowe kam es so vor, als habe sich seit seinem Fortgang vor drei Wochen nichts geändert. Die Straßen waren an beiden Seiten von aufragenden Holzgebäuden gesäumt, die das Licht aussperrten. Hier lebten Arm und Reich dicht gedrängt beisammen. Markthändler priesen ihre Waren an – Milchmädchen, Quacksalber, Fischverkäufer. Hammerschläge von Zimmerleuten hallten durch die Gassen; Sänften, Fuhrwerke und Kutschen drängten sich durch das Gewimmel der Leute. Über allem hing der Gestank der Ausscheidungen von Mensch und Vieh, was Marlowe nach den Wochen auf dem Land besonders auffiel. Auch am Flussufer empfing sie fauliger Geruch. An einer Straßenecke stießen sie auf zwei Totenträger, die dabei waren, mehrere Pestleichen auf einen Karren zu heben. Marlowe wandte sich angewidert ab, hielt sich Mund und Nase mit der Hand zu und eilte schnell vorbei.
Wenig später stand er vor dem Kronrat, der in einem Raum tagte, der Sternkammer genannt wurde. Durch zwei Fenster schien die Maisonne herein und machte Streifen von gerade aufgewirbeltem Staub sichtbar. Dennoch kam Marlowe der Saal sehr düster vor. Er war rundum mit dunkler Eiche getäfelt, die Rückwand bedeckte ein Gobelin, der eine königliche Jagd zeigte. An der Decke befanden sich vergoldete Sterne auf kobaltblauem Grund.
Achtzehn Männer saßen hinter einem langen Tisch, elegant und nach spanischer Mode dunkel gekleidet mit einem dazu passenden Gesichtsausdruck. Ihre großen Halskrausen wirkten, als wären ihre Köpfe abgeschnitten und würden auf einem weißen Tablett präsentiert. Unter ihnen war Robert Cecil, der nach dem Tod von Francis Walsingham dessen Funktionen übernommen hatte und nun der Erste Staatssekretär war. Am anderen Ende saß der Erzbischof von Canterbury. Einer der Herren war Ferdinando Stanley, ihm gut bekannt als Lord Strange, ein weiterer war Robert Devereux, der Earl von Essex. Der Präsident der Sternkammer, Lord Puckering, saß in der Mitte. Er fragte Marlowe: „Wissen Sie, warum Sie hier sind?“ Marlowe, um eine aufrechte Haltung bemüht, antwortete: „Vielleicht verlangt die Königin nach meinen Diensten.“ Diese Antwort schien kühn, doch nicht so weit hergeholt, denn er war schon mehrfach sowohl in Frankreich als auch in Schottland in geheimer Mission unterwegs gewesen. Lord Puckering warf einen Blick auf die vor ihm liegenden Papiere, richtete dann einen düsteren Blick auf Marlowe und entgegnete: „Ihre Loyalität der Königin gegenüber steht in Frage, Mr. Marlowe.“

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Mehr über und von Rita Hausen auf ihrer Website.



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