'Wo ist Erkül Bwaroo?' von Ruth M. Fuchs
Kindle Edition | Tolino |
Schnell wird klar, dass die beiden Kinder nicht die Einzigen sind, die aus dem Haushalt des Fabrikanten verschwanden. Stimmt es zum Beispiel wirklich, dass das Stubenmädchen Lizzie über Nacht einfach so auf und davon ging, oder wurde da nachgeholfen? Wurde sie ebenfalls verschleppt? Oder gar ermordet? Gerade, als die Ermittlungen ihren Höhepunkt erreichen, ist plötzlich auch Erkül Bwaroo nicht mehr auffindbar.
Sein Freund Dr. Artur Heystings muss über sich selbst hinauswachsen, um der Wahrheit auf die Spur zu kommen. Die rothaarige Journalistin Maja Behn bietet ihm ihre Unterstützung an. Doch ist sie wirklich so hilfsbereit, wie sie vorgibt?
Band 6 der Erkül-Bwaroo-Reihe.
Leseprobe:
Es dauerte ein wenig, aber schließlich betrat Helene unser Verhörzimmer. Wir hatten sie ja schon einmal gesehen, aber da nur kurz. Nun hatte ich Gelegenheit, sie genauer in Augenschein zu nehmen. Unmöglich, ihr Alter zu schätzen. Sie war der Typ von Frau, den ich im Stillen die geborene alte Jungfer nenne – wenig schmeichelhaft, das gebe ich zu, aber sehr oft zutreffend. Klein, stämmig und unscheinbar konnte sie genauso gut dreißig wie sechzig Jahre zählen. Dazu kam, dass sie praktisch nichts tat, um ihre Weiblichkeit vorteilhaft zu betonen. Zu einem grünen Pullover trug sie einen braunen Tweedrock, unter dem bequeme flache Schuhe hervorschauten, als sie sich setzte. Sie trug keinerlei Schmuck, ihr dunkles Haar, das vielleicht ganz hübsch hätte sein können, war kurz geschnitten, was sicherlich praktisch war, ihre eher herben Züge aber nur noch unvorteilhaft betonte. Und dann trug sie auch noch eine dicke Hornbrille. Bestimmt war sie eine tüchtige Sekretärin, eine Schönheit war sie mit Sicherheit nicht.
Sie war eindeutig sehr nervös, denn sie krampfte die Hände im Schoß zusammen, als sie sich gesetzt hatte und blinzelte ständig mit ihren kleinen hellbraunen Augen. Bei jedem Geräusch fuhr sie auf. Bwaroo merkte das auch.
„Madame ...“, wandte er sich mit einem väterlichen Lächeln an sie.
„Ich war nie verheiratet“, korrigierte sie ihn da. Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
„Pardonnez-moi, Mademoiselle. Ich habe Sie herbitten lassen, weil ich ein paar Fragen an Sie habe.“
„Werde ich entlassen?“ Helene sah ihn panisch an und warf dann auch mir einen ängstlichen Blick zu.
„Mais non, quelle idée! Warum glauben Sie das?“ Bwaroo war ganz erstaunt.
„Ach, nun ja.“ Helene knetete verlegen ihre Hände. „So etwas kann schnell gehen. Ich weiß, dass ich beim Personal nicht sehr beliebt bin. Und in meinem Alter … Aber Sie sagen, dass es nicht so ist?“
„Sie sprechen französisch?“ Mein Freund war ganz begeistert.
„Ein wenig.“ Nun lächelte Helene bescheiden. „Als gute Sekretärin muss man so einiges können.“
„Monsieur Bleibtreu weiß sicher, was er an Ihnen hat.“
„Oh, ich weiß nicht. Herr Bleibtreu ist ein wundervoller Mensch. Er macht mir die Arbeit sehr leicht.“ Die Dame war jetzt viel gelöster. Doch dann kniff sie die Augen zusammen. „Aber wenn es nicht meine Kündigung ist, warum wollen Sie mich dann sprechen?“
„Es geht um ein Verbrechen.“ Auch Bwaroo wurde wieder ernst.
„Ein Verbrechen? Was für ein Verbrechen?“ Helenes Panik kehrte zurück. „Wurde etwas gestohlen?“
„Warum glauben Sie das, Mademoiselle?“
„Na ja, weil … weil ...“ Helene zögerte. „Weil ich vor dem Haus jemanden habe herumlungern sehen. Ich habe niemandem davon erzählt. Ich dachte, es wäre ein Reporter, der auf Herrn Bleibtreu wartete. So etwas kommt manchmal vor. Und nach ein paar Tagen war er wieder weg. Aber wenn nun etwas gestohlen wurde, weil ich nicht rechtzeitig etwas gesagt habe ...“
„Es wurde nichts gestohlen.“ Bwaroo heftete seine Augen nun sehr aufmerksam auf sie. „Die Kinder von Herrn und Frau Bleibtreu wurden entführt.“
Helene starrte ihn an, als hätte er gerade ihr Todesurteil verkündet.
„Um Himmelswillen!“, rief sie schließlich. „Hans und Greta entführt! Oh, das ist schrecklich. Und es ist alles meine Schuld!“
„Calmez-vous, Mademoiselle“, versuchte Bwaroo, sie zu beruhigen. „Sie haben sich nichts vorzuwerfen. Aber Sie können uns helfen, alles zu einem guten Ende zu bringen. Beschreiben Sie uns den Mann.“
„Oh, ich will alles tun, was ich kann“, beteuerte Helene eifrig. Doch nach kurzer Überlegung machte sie ein trauriges Gesicht. „Leider habe ich nicht so auf ihn geachtet. Er sah recht durchschnittlich aus. Helles Haar, schmächtig. Ich erinnere mich, dass er einen braunen Anzug trug. Einen Kordanzug. Schon ziemlich abgewetzt. Ab und zu sah ich ihn eine Zigarette rauchen. Aber das ist auch schon alles.“
„Das ist doch sehr viel“, versicherte ihr Bwaroo freundlich. „Sie sind uns eine große Hilfe.“
„Ich hätte ihn melden sollen“, schalt sich Helene jedoch selbst. „Dann wäre alles verhindert worden. Gibt es denn schon ein Lebenszeichen? Geht es den beiden gut?“
„Mademoiselle Greta ist inzwischen wieder freigelassen worden“, erklärte ich ihr, als Bwaroo nicht darauf antwortete. „Wahrscheinlich will man ein Lösegeld für Hans Bleibtreu.“
„Wenn ihm etwas geschieht, werde ich mir das nie verzeihen. Oh, der arme Herr Bleibtreu. Was muss er jetzt durchmachen!“ Sie fummelte ein Taschentuch aus ihrem Ärmel und tupfte sich die Augen. „Er hängt so sehr an seinem Sohn. Leider.“
„Leider?“ Ich war erstaunt.
„Verzeihung. Das hätte ich nicht sagen sollen.“ Helene wand sich nun förmlich vor Verlegenheit.
„Aber Madame, es könnte wichtig sein!“, drängte Bwaroo. „Was haben Sie gegen den Sohn?“
„Er … er ist ein Nichtsnutz. Er … nun … wissen Sie, er hält sich für einen großen Künstler, jemanden, der über uns durchschnittlichen Menschen steht. Er glaubt, dass er sich alles erlauben kann. Verstehen Sie mich nicht falsch, er ist kein Lump oder Säufer oder so. Obwohl … manchmal benimmt er sich schon, als wäre er betrunken, oder besser, berauscht. Er nennt das dann seinen Schaffensdrang. Aber ganz ehrlich, ich würde mich nicht wundern, wenn er Drogen nähme. Dieses Correlin, von dem man immer wieder hört … Jedenfalls ist er eine große Enttäuschung für seinen Vater. Der hat so schwer gearbeitet, und sein Sohn tut gar nichts außer Malen, auf dem Klavier herum klimpern, Spaziergehen und sich mit Freunden treffen ...“
„Was für Freunde sind das?“, unterbrach Bwaroo ihren Redeschwall.
„Oh, das weiß ich nicht!“ Helene wirkte einen Moment irritiert. „Er trifft sich immer samstags mit ihnen.“
„Jeden Samstag?“
„Ja, jeden. Hans Bleibtreu geht jeden Samstag nach dem Frühstück an der Teims spazieren und dann trifft er sich nachmittags mit seinen Künstlerfreunden. Jedenfalls nennt er sie so. Manchmal kommt er zum Mittagessen heim, manchmal nicht. Der Samstag ist ihm heilig. Noch nicht einmal Fräulein Greta darf ihn da begleiten.“ Helene schaute sehr entrüstet. Es war klar, dass sie das für ganz unverzeihlich hielt. „Erst kürzlich, da hat Greta drum gebeten, dass er sie doch mal mitnimmt – ich habe es zufällig mitbekommen. Doch er hat sie sehr brüsk abgewiesen.“
„Und außer malen und musizieren und Freunde treffen hat er keine Profession?“
„Nein. Mit der Firma oder sonst einer Arbeit hat er nichts am Hut. Das macht Herrn Bleibtreu schwer zu schaffen.“ Helene senkte den Kopf. „Und jetzt kommen noch solche Sorgen hinzu. Dabei ist Herr Bleibtreu alles andere als gesund ...“ Ihre Stimme war jetzt kaum mehr als ein Flüstern.
Die gute Frau sah ganz elend aus. Sie tat mir aufrichtig leid.
„Apropos Herrn Bleibtreus Firma“, riss sie Bwaroo da aus ihren Gedanken. „Hat Ihr Arbeitgeber Konkurrenten, die ihm schaden wollen? Gab es mit einem von ihnen böses Blut?“
Helene runzelte nachdenklich die Stirn.
„Herr Bleibtreu ist als fairer und zuverlässiger Geschäftspartner bekannt“, betonte sie. „Ich glaube nicht, dass sich irgendjemand über ihn beklagen könnte.“
„Herr Bleibtreu hat erwähnt, dass er vor einiger Zeit ein anderes Unternehmen aufkaufte“, warf ich ein.
„Das stimmt“, gab Helene zu. „Aber das ist schon lange her, und die beiden sind immer noch befreundet.“
„Um wen handelt es sich?“, hakte Bwaroo nach.
„Jens Riemenschneider. Ich kann Ihnen seine Adresse geben.“
„Très bien. Und dann gab es doch sicher auch Angestellte und Arbeiter, die Herr Bleibtreu entlassen musste?“
„Das kommt so gut wie nie vor. Herr Balder hat das sehr gut im Griff.“
„Herr Balder?“
„Herrn Bleibtreus rechte Hand in der Fabrik. Er kümmert sich auch um das Personal und hat einen sehr guten Blick für Menschen.“ Helene zögerte. „Vor ein paar Wochen war da aber etwas. Ich musste eine Kündigung für einen Arbeiter schreiben, der schlampige Arbeit ablieferte, ständig zu spät kam und im Verdacht stand, einen Kollegen bestohlen zu haben … den Namen weiß ich nicht mehr. Ich müsste nachschauen.“
„Bitte tun Sie das“, bat Bwaroo und Helene eilte hinaus.
„Dieser Arbeiter klingt ja nun wirklich sehr verdächtig“, meinte ich, während wir auf ihre Rückkehr warteten. „Immerhin ein Dieb ...“
„Mais non, mon ami. Sie haben nicht zugehört!“ Bwaroo hob dozierend den Finger. „Er stand in dem Verdacht, gestohlen zu haben. Das heißt noch lange nicht, dass er es tatsächlich getan hat.“
Ein wenig ärgerlich musste ich zugeben, dass mein Freund Recht hatte. Trotzdem, dachte ich, es muss schon ein zwielichtiger Typ sein, wenn der Verdacht überhaupt aufkommen konnte. Dem konnte man schon zutrauen, dass er Rache nehmen und sich zusätzlich ein wenig bereichern wollte.
Ein wenig atemlos, sie war offenbar gelaufen, kam da auch schon Helene zurück.
„Er heißt Peter Karsten“, verkündete sie. „Aber ich weiß nicht, ob die Adresse noch stimmt.“
„Merci, Mademoiselle. Das lässt sich ja ganz leicht herausfinden.“ Bwaroo nahm den Zettel an sich, den ihm Helene hinhielt.
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Für Tolino: Buch bei Thalia
Mehr über und von Ruth M. Fuchs auf ihrer Website.
Labels: Bücherbord, Fantasy, Humor, Krimi, Ruth M. Fuchs
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