19. November 2018

'Potztausend' von A.C. Scharp

Kindle (unlimited)
Über Leichen geht es sich noch mal so schön ...

Der Bürgermeister von Demarchau ist sich sicher, dass ihm eine gemütliche letzte Amtszeit bevorsteht. Leider beschließt ein Geschäftsmann aus dem Ort, sein Altenheim zum lukrativen Flüchtlingsheim umzufunktionieren.

Dummerweise ist eine flüchtlingsfreie Gemeinde genau das, womit der Bürgermeister dieses Jahr als Wahlversprechen punkten wollte. Seine ohnehin kränkelnde Autorität gerät ins Wanken, als die Nachbarn Taten von ihm verlangen.

Während er sich bemüht, den Umbau zu verhindern und die Anwohner zu beruhigen, verliert er zunehmend die Kontrolle über seinen Heimatort und sein Leben. Denn der Ort birgt so einige Geheimnisse, die besser im Verborgenen geblieben wären.

Leseprobe:
Das Büro von Clemens Bohnenschäfer war nicht halb so prunkvoll, wie es ihm für seine Stellung als Bürgermeister der Gemeinde Demarchau zugestanden hätte. Zumindest war das seine Meinung. Aber seit dem Skandal im Regierungsbezirk, nach dem aufgebrachte Bürger auf die Barrikaden gegangen waren, als öffentlich wurde, dass ein Amtskollege einen Schreibtisch mit Handschnitzereien für fast 10.000 Euro bestellt hatte, den er aus Steuergeldern zu finanzieren gedachte, wurden sämtliche Ausgaben für das Inventar äußerst kritisch beäugt.
Clemens, der ebenfalls Ähnliches vorgehabt hatte, stornierte klammheimlich seine Bestellung bei einer überregionalen Möbelmanufaktur und ließ sich von der örtlichen Presse jovial-freundlich in seinem Büro ablichten, wobei er darauf achtete, dass möglichst viel von der schmucklosen, funktionalen Einrichtung mit fotografiert wurde. Beruhigt, das Bild des Amts- und Würdenträgers wieder geradegerückt zu haben, ging er anschließend fröhlich seinen anderen illegalen Geschäften nach.
Heute hatte er allerdings keine Zeit, sich weiter an diesem taktischen Schachzug zu freuen. Es gab Dinge, die ihn mehr beunruhigten, als ein bisschen mit Steuergeldern um sich zu werfen. In den letzten Monaten hatte er es fast beunruhigend konsequent verhindert, Flüchtlinge in seiner Gemeinde aufzunehmen. Ein Umstand, für den ihn die Einwohner liebten und verehrten und vor dem selbst seine hartnäckigsten Gegner den Hut zogen. Seiner Wiederwahl im Dezember schien daher nichts entgegenzustehen. Demarchau war durchaus bereit, kleine Sünden zu verzeihen, wenn man ihm die großen Probleme vom Hals hielt. Flüchtlinge hielt man hier allgemein für ein großes Problem. Der Bevölkerung reichte es durchaus, Schauergeschichten aus anderen Orten im Fernsehen zu sehen mit der Gewissheit, dass es das im eigenen Ort nicht gab und dank Clemens Bohnenschäfer auch nicht geben würde. Das versprachen jedenfalls seine Wahlplakate.
Bis heute war Clemens auch der Meinung gewesen, diesbezüglich auf einem unerschütterlichen Weg zu sein. Leider war der Grund für diese Unerschütterlichkeit es selbst nicht mehr. Der Landrat, dem er die Flüchtlingsfreiheit verdankte, war entweder moralisch eingeknickt oder hatte einen potenteren Geldgeber gefunden. Der war in diesem Fall scheinbar Klaus Landgräber.
Klaus Landgräber war der Geschäftsmagnat von Demarchau, zumindest hielt er sich dafür. Sein Optimismus diesbezüglich wurde auch nicht von der Tatsache getrübt, dass er vor fünf Jahren mit seinem Geschäft für Schwimmbadtechnik gründlich baden ging. Allerdings hatte er bereits sieben Jahre vorher beschlossen, dass alte Menschen eine sicherere Geldanlage waren als Pools, und baute auf dem Grundstück, das seinem Onkel Dieter Landgräber in seinem Heimatort Löckerbach gehörte, kurzerhand ein gigantisches Altenheim, das ihm mit der in die Jahre gekommenen, ebenfalls zum Altenheim umgebauten Villa seiner Großeltern daneben ein ansehnliches Zusatzeinkommen bescheren musste. Die Löckerbacher spekulierten, wie viel Geld der alte Landgräber selbst damals schon hineingesteckt hatte, beziehungsweise, welche Gelder vorab schon auf seinen Sohn transferiert wurden, denn Klaus Landgräber schien trotz seiner Pleite nichts vermissen zu müssen.
Clemens vermisste allerdings schon etwas, nämlich die ungetrübte ländliche Beschaulichkeit, die Löckerbach vor dem Bau des Altenheims gehabt hatte, das direkt an der Straße neben Nachkriegs- und Fachwerkhäusern so deplatziert wirkte wie eine Burka in einer Nudistenkolonie. Das traf ihn umso härter, da er nur 100 Meter entfernt davon wohnte. Dankenswerterweise versperrte ihm eine Kurve den direkten Blick auf den mehr funktionalen als schönen Bauabschnitt. Da Landgräber selbst beim Altenheim auf das Konzept der Zwei-Klassen-Gesellschaft setzte, gab es hier einen zweckmäßigen und einen schönen Bau. Clemens sah leider immer nur den zweckmäßigen.
Aber alte Leute waren jedenfalls noch besser zu ertragen als Flüchtlinge. Das würden auch die Bürger so sehen. Daher konnte der Bürgermeister Landgräbers Plänen, die Hälfte des Altenheims für Flüchtlinge freizumachen, so gar nichts abgewinnen und er fragte sich, was er übersehen hatte. Außerdem kaufte er Landgräber seine neu erworbene Fähigkeit, Empathie für andere Menschen zu empfinden, nicht ab. Da musste etwas anderes dahinterstecken. Im Zweifelsfall Geld.
Um genau das herauszufinden, beschloss Clemens, Klaus Landgräber ins Rathaus zu bestellen. Während er seine Nummer wählte, blickte er sich im Büro um und ärgerte sich, die neuen Möbel nicht gekauft zu haben. Ein Schreibtisch mit Buchendekor schien ihm nicht das richtige Ambiente, Landgräber zu empfangen. Diese Sorge hätte er sich allerdings sparen können, denn Landgräber war nicht bereit, seiner Aufforderung Folge zu leisten.
»Bohnenschäfer, spinnst du?«, bellte er durch den Hörer. »Meinst du, ich habe nichts Besseres zu tun, als durch die Gegend zu juckeln, um in deinem verdammten Rathaus zu sitzen?«
»Wir haben was Dringendes zu besprechen.«
»Ach, daher weht der Wind. Hat man dich endlich auch mal informiert.« Klaus Landgräber lachte unangenehm. »Scheint, der Lauf ist für dich vorbei.«
»Klaus, was soll das? Warum gerade in Löckerbach? Warum überhaupt?«
»Weil ich in Löckerbach ein Grundstück zur Verfügung habe, woanders nicht. Weil es Geld bringt, gutes Geld. Das solltest gerade du eigentlich zu schätzen wissen.«
Clemens überlegte, was eine angemessene Reaktion auf diese versteckte Unterstellung sein könnte, und musste feststellen, dass es keine gab, die ihn nicht in irgendeiner Weise in die Ecke drängen würde. Daher schwieg er hoheitsvoll. Leider kam das über das Telefon nicht so gut rüber wie erhofft.
»Ah, da werden wir auf einmal ganz kusch.«
Clemens sah Landgräber förmlich vor sich, wie er genussvoll in seinem protzigen Schreibtischsessel vor und zurück wippte, den Hörer zwischen Ohr und Schulter geklemmt und die Arme hinterm Kopf verschränkt. Wie viele andere hielt er das für eine unbeschränkte Demonstration von Macht. Clemens fragte sich zwar, worin die Macht bestand, wenn man ein lukratives Familienunternehmen in voller Fahrt den Bach runtergehen ließ, hatte aber keine Zeit, sich dieser Analyse länger zuzuwenden.
»Wo willst du die jetzigen Bewohner eigentlich unterbringen?«, fragte er stattdessen. Davon stand nichts in seinem Schreiben.
»Auch im Altenheim. Wo wohl sonst? Welche anderen Immobilien habe ich denn noch in Löckerbach?«
Clemens mochte das Altenheim zwar nicht, musste aber zugeben, dass es gut gefüllt war und mit Sicherheit einiges einbrachte. Zumal Landgräber nicht dafür bekannt war, Geld für sinnlose Dinge wie zusätzliches Personal, Qualität von Lebensmitteln und Gebäudereinigung auszugeben, wenn es in einem neuen Porsche wesentlich eindrucksvoller zur Geltung kam.
»Im Altenheim?«, wiederholte er Landgräbers Worte. »Ich weiß es zwar nicht genau, es scheint aber mehr als gut gefüllt. Wüsste nicht, wo du da noch Platz schaffen willst.«
»Platz ist in der kleinsten Hütte«, bemühte Landgräber ein altes Zitat. »Müssen die Alten halt etwas enger zusammenrücken. Denen geht es eh viel zu gut.«
Clemens überlegte, wo genau es den Bewohnern des Altenheims zu gut ging, kam aber auf die Schnelle zu keinem befriedigenden Ergebnis.
»Trotzdem hättest du mich vorwarnen können«, sagte er und hoffte, dass es sich nicht allzu beleidigt anhörte. »Wenn schon, hätten wir zusammen was machen und wenigstens Löckerbach sauber halten können. Ich hätte dir exzellente Grundstücke in der Nachbargemeinde vermitteln können, quasi für umsonst.«
»Pech, der Zug ist abgefahren. Außerdem viel zu umständlich.«
»Trotzdem solltest du bei mir vorbeikommen, damit wir das noch mal in Ruhe besprechen. Findest du nicht?«
»Wenn du mit mir reden willst, kommst du gefälligst bei mir vorbei«, schnauzte Klaus Landgräber und legte auf.

Im Kindle-Shop: Potztausend.

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