'Im Bann der Traumzeit: Australien-Roman' von Christiane Lind
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Hamburg 1876: Als der Mann, den Auguste liebt, ihre Schwester heiratet, flüchtet sie nach Queensland. In Australien beginnt sie ein neues Leben als Forscherin. Während einer Expedition wird die mutige Frau Zeugin eines unfassbaren Verbrechens, das sie zu verhindert versucht. Ihr couragiertes Einschreiten kostet Auguste beinahe das Leben, doch Aborigines retten sie. Kann sie den Menschen dieser fremden Kultur wirklich vertrauen?
Mehr als hundert Jahre später begibt sich die junge Deutsche Franziska auf die Suche nach Augustes Geschichte. Als sie auf Spuren eines dunklen Geheimnisses stößt, begibt sie sich auf eine Traumreise mit Aborigines, die ihr Leben für immer verändern wird.
Im Bann der Traumzeit - eine emotionale Familiengeschichte vor der traumhaften Kulisse Australiens.
Leseprobe:
Deutschland 1876
»Die seltsamsten Tiere gibt es auf diesem Kontinent. Ein kleiner grauer Bär schläft den ganzen Tag in Eukalyptusbäumen.« Georg Ohlendorf nickte bedeutungsvoll. »Die Mütter tragen ihre Jungen erst im Beutel, dann auf dem Rücken. Das sieht gar possierlich aus.«
Vor Aufregung zog Auguste die Unterlippe zwischen ihre Zähne und beugte sich nach vorne. Das brachte ihr einen strafenden Blick der Mutter ein. Eine hanseatische Dame benimmt sich nicht so, sagte der unausgesprochene Vorwurf überdeutlich. Contenance, Kind!
Brav senkte Auguste den Kopf und setzte sich auf, bis ihr Rücken die unbequeme Lehne des Stuhls berührte. Wie alles im Speisezimmer war er von ihrer Mutter nach Schönheit und nicht nach Bequemlichkeit auserwählt worden. Repräsentativ sollte der Raum wirken, um den Erfolg der Kaufmannsfamilie Ohlendorf nach außen zu zeigen.
Um ihre Anspannung zu lösen, schnitt Auguste sich ein kleines Stück Fleisch ab, so winzig, dass es ihrer Mutter gewiss gefiel, und schob es sich in den Mund. Allerdings schmeckte sie kaum etwas von dem Braten, den die Köchin mit Mühe und Kunstfertigkeit zubereitet hatte. Zu wichtig erschien ihr jedes Wort, das ihr Onkel Georg von sich gab.
»Es ist ein wahrhaft wundersames Erlebnis, all diese außergewöhnlichen Tiere und Pflanzen zu sehen.« Obwohl Georg zum Dozieren neigte und sein Tonfall monoton klang wie der eines Predigers, fand Auguste seine Geschichten so spannend, dass sie sich erneut vorbeugte, damit ihr nichts entging. »Ich habe ein Känguru gesehen, groß wie ein ausgewachsener Mann.«
Vor wenigen Tagen war ihr Onkel aus Australien zurückgekehrt. Von einer Forschungsreise, wie er es nannte; von einer Zeitverschwendung, wie Augustes Vater meinte. Dennoch hatte es sich Julius Ohlendorf nicht nehmen lassen, ein opulentes Abendessen für seinen Bruder auszurichten. Allerdings nur im Kreise der Familie, denn vor den anderen Kaufleuten war es Augustes Vater peinlich, einen abenteuerlustigen jüngeren Bruder zu haben, der durch die Welt reiste, ohne Waren und Handelsgüter mitzubringen.
Auch Wilhelmine Ohlendorf, Augustes Mutter, fürchtete, dass Georg sich schädlich auf die Heiratsaussichten ihrer beiden Töchter auswirken könnte. Aber es gehörte sich nun einmal, als Familie ein geschlossenes Bild nach außen abzugeben. Daher hatte auch sie zugestimmt, den Australienreisenden einzuladen, allerdings nur zu einem kleinen Dinner, wie sie es nannte.
Als einzige in der Familie hatte Auguste dem Treffen mit ihrem Onkel entgegengefiebert und unendlich viele Fragen gesammelt, die sie ihm stellen wollte. Australien, der fremdartige Kontinent am anderen Ende der Welt, faszinierte sie, seitdem sie Ludwig Leichhardts Reisebericht »Tagebuch einer Landreise in Australien von Moreton-Bay nach Port Essington während der Jahre 1844 und 1845« gelesen hatte. Als Onkel Georg vor zwei Jahren mit Forschungsreisen dorthin begonnen hatte, hätte sie ihn am liebsten begleitet. Aber für eine Frau war das kaum möglich, vor allem, wenn sie ehrbar heiraten wollte.
»Zwei von den Biestern konnten wir erschießen und nach Hamburg mitbringen«, erzählte Onkel Georg weiter.
»Lohnt sich der Aufwand, mein lieber Bruder?« In der sonoren Stimme ihres Vaters hörte Auguste deutlich die Spitze. Für den hanseatischen Kaufmann waren die Expeditionen seines jüngeren Bruders ein Spleen. »Diese lange Reiserei für ein paar tote Tiere.«
Ohnehin von kräftiger Statur hatte ihr Vater in den letzten Jahren noch zugelegt, während seine Haare sich zurückgezogen hatten. Kaum zu glauben, dass der sehnige Onkel Georg und er Brüder waren. Das Einzige, was sie gemeinsam hatten, waren die eisblauen Augen unter dunklen Brauen. Während ihr Vater langsam und in gesetzten Worten sprach, redete Onkel Georg unglaublich schnell, was er mit ausgreifenden Gesten unterstrich.
Augustes Onkel schien von einer inneren Unruhe getrieben zu sein, er blieb immer in Bewegung. Selbst jetzt am Esstisch wackelte er mit einem Bein oder trommelte mit den Fingern auf dem Tisch. Beides brachte ihm einen strafenden Blick von Wilhelmine ein, den Georg jedoch nicht bemerkte oder nicht bemerken wollte. Nun schaute er seinen Bruder an, dessen Lippen sich verächtlich kräuselten.
»Du kannst meine Arbeit nicht mit deiner Zahlenhuberei vergleichen.« Onkel Georgs Messer kratzte auf dem Teller, als er den Braten schnitt. »Jemand wie du kann nicht verstehen, was es bedeutet, ungeahnte Entdeckungen zu machen.«
Wie oft hatte Auguste sich diesen Streit anhören müssen. Ihr Vater und ihr Onkel deuchten wie Feuer und Wasser. Sie hielten es nie lange miteinander aus. Nur dank ihrer hanseatischen Höflichkeit gelang es ihnen, die Gegensätze unter der Tünche guten Benehmens und kleiner Spitzen zu verbergen. Dennoch spürte die sensible Auguste die Spannung, die sich zwischen ihnen aufbaute wie eine Sturmflut vor dem Hamburger Hafen. Jedes Mal fürchtete sie, dass es zum endgültigen Bruch unter den Brüdern käme und sie ihren Onkel nie wiedersehen würde.
»Onkel Georg, stimmt es, dass in Hamburg ein Museum für Völkerkunde entstehen soll?«, fragte sie daher, um die beiden Streithähne auf einen anderen Weg zu führen.
Ihre Mutter sandte Auguste ein dankbares Lächeln. Sophie, ihre jüngere Schwester, verdrehte nur die Augen.
»Ferdinand Pullwermann hat mir zugesagt, meine nächste Expedition zu unterstützen.« Georg begleitete seine Worte mit einem triumphierenden Blick zu seinem Bruder, denn Pullwermann war einer der mächtigsten Hamburger Kaufleute. »Wir sollen Pflanzen und Tiere für sein Museum sammeln.«
»Das ist nur eine Marotte von Pullwermann.« Julius machte eine abwehrende Geste mit der Hand, bevor er sich ein weiteres Bratenstück auf den Teller legte. »Sein Kontorhaus steht voll mit dem Kram.«
»Alles dort ist verstaubt und alt«, warf Sophie mit ihrer zarten Stimme ein. »Das mag sich niemand ansehen.«
Ihr Vater lächelte seine jüngere Tochter an. Obwohl Auguste wusste, dass ihre Eltern ihre hübsche Schwester bevorzugten, wurde ihr jedes Mal das Herz schwer, wenn die wunderbare Sophie ein anerkennendes Nicken erhielt. In allem, was eine Frau auszeichnete, hatte Sophie ihre ältere Schwester übertroffen. Sie tanzte graziler, zeichnete voller Anmut und parlierte über Mode, Hamburg und das sommerliche Leben auf ihrem Gut vor den Mauern der Stadt. Auguste hingegen wirkte ungelenk beim Tanz, scheiterte bereits an dem einfachsten Landschaftsbild und redete über Bücher, Reisen in die Ferne und den Wunsch zu studieren. Kein Wunder, dass sich bisher noch kein Mann für sie interessierte, während die Junggesellen der besten Hamburger Familien es kaum erwarten konnten, Sophie ihre Aufwartung zu machen. Aber das scherte Auguste nicht, da sie keinen dieser Schnösel heiraten wollte. Ihr Herz gehörte einem anderen.
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Labels: Christiane Lind, Familie, Frauen
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