'Tiranorg: Schwertmagie' von Judith M. Brivulet
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Die Scheibe der Ewigkeit, das mächtigste Artefakt des Landes, bleibt verschollen. Unheilvolle Dinge geschehen. Irrwische und Krähengeister zeigen sich. Statuen der Schlangengöttin Creydillad schießen überall aus dem Boden. Die Meerelfen stehen vor einer schicksalhaften Entscheidung. Schließlich bieten die scheuen Dryaden an, Noreia, die Tochter von Esmanté und Loglard, in ihrer besonderen Magie zu unterweisen, denn das Gleichgewicht der Kräfte ist bedroht. Nur gut, dass Esmanté und Loglard treue Kameraden zur Seite stehen. Zumal eines immer deutlicher wird: Der Krieg um die Herrschaft über Tiranorg hat begonnen. Der Schlüssel zur Macht ist die Scheibe der Ewigkeit.
Band II der High-Fantasy-Saga "Tiranorg".
Leseprobe:
Kyla, stellvertretende Hochmagierin der Morinji, überprüfte ihren Zauber zum hundertsten Mal. Sie durfte nichts dem Zufall überlassen. Es war zu wichtig, dass sie unentdeckt die Hafenstadt Hathabor verließ. In Gedanken verfluchte sie Dagda, den Gott des Wetters, der sie sage und schreibe drei Monate lang in Hathabor festgehalten hatte. Mitsamt der wichtigsten Fracht, die sie jemals transportiert hatte.
Dabei durfte sie sich glücklich schätzen, dass sie im Schneesturm die rettenden Tore von Hathabor erreicht hatte. In der Taverne, in der sie Unterschlupf gefunden hatte, erzählte man sich schauerliche Geschichten von einer Händlergruppe, die in den letzten Ausläufern der Trollspitzen erfroren war. Der Winter hatte schrecklich gewütet, das Nordmeer getobt, als wollte es sich ganz Tiranorg holen. Also hatte sie sich als Schankmagd verdingt, um über die Runden zu kommen.
Jetzt trat sie auf das Stadttor zu. Wie jeden Tag wurde es sorgfältig bewacht. Die Soldaten musterten sie misstrauisch, weil sie Hathabor am frühen Nachmittag verlassen wollte.
»Wisst Ihr nicht, dass im Umkreis vieler Meilen um unsere Stadt rein gar nichts ist?«, schnauzte einer der beiden, ein besonders kräftiger Elf, dessen derbe Hosen in ebenso robusten Fellstiefeln steckten. Ein grober Überwurf mit Pelzbesatz wurde von einem breiten Gürtel zusammengehalten. »Es heißt nicht umsonst Graue Ödnis.«
»Natürlich weiß ich das.« Kyla lächelte den Mann an. »Ich will mein Glück am Strand versuchen. Ein paar Muscheln, von der Flut an Land gespült, etwas Seetang. Meine Kinder und ich haben Hunger.«
»Von mir aus«, murrte der andere, der nicht minder warm gekleidet war. »Seid nur rechtzeitig zurück. Wenn die Tore geschlossen sind, öffnen wir für niemanden mehr, auch nicht für hübsche Elfenfrauen.« Zusammengekniffene eisgraue Augen wanderten über ihren Körper. »Könntest dir das Essen auch auf andere Art verdienen«, setzte er noch nach.
Doch da war sie schon durch das halb geöffnete Tor geschlüpft. Unter dem rauen Gelächter der Männer rannte sie davon. Diese widerlichen Typen! Zu viele von ihnen hatte sie im Laufe des Winters in der Taverne kennengelernt. Sie schickte ein schnelles Gebet an die Große Mutter zum Dank dafür, dass sie nie ernsthaft angegriffen worden war. Da sie nicht kämpfen konnte, hätte sie auf ihre Magie zurückgreifen müssen und dabei ihre Tarnung nicht aufrechterhalten können. Wie hätte sie erklären sollen, dass sie gar keine hüftlangen goldblonden Haare besaß wie alle Frauen in Hathabor?
Und erst ihr Gepäck! Sie hielt an, um wieder zu Atem zu kommen. Eins ums andere Mal strich ihre Hand über den Gürtel, der doch so viel mehr war. Über eine Stunde wanderte sie am Strand entlang, sah sich immer wieder um, versicherte sich, dass ihr niemand folgte.
Nein, sie war allein, denn in einem hatte die Wache recht: Es gab hier nichts, außer kalten, harten Sand und das Donnern der Wellen, die sich an den Felsen brachen, mit tausend gierigen Fingern nach ihnen griffen.
Schließlich blieb sie stehen, atmete tief die salzgesättigte, kühle Luft ein. Ein letzter Blick, um sicherzustellen, dass niemand sie beobachtete. Dann verwandelte sie sich. Die goldene Haarpracht verschwand, zurück blieben raspelkurze Haare. Statt eisblauer Augen schwammen nun pechschwarze Pupillen in der gold‑rot getupften Iris. Für Kyla färbte sich das aufgewühlte Meer rosa. Sie musste sich keine Sorgen machen. Außer dem Krächzen der Möwen und dem Rauschen des Windes war nichts zu hören.
Also machte sie sich erneut auf den Weg, leichter nun, da sie die fremde Gestalt aufgegeben hatte. Der Strand wurde felsiger und schmaler.
Kyla kramte in ihrem Bündel, holte eine dünne Decke heraus, breitete sie aus und rezitierte ein paar Worte. Seufzend setzte sie sich im Windschatten eines Findlings darauf. Angenehme Wärme schlug ihr entgegen. Sie verzehrte die wenige Nahrung, die ihr geblieben war: Trockenfisch, dazu ein paar Schlucke verwässerten Wein. Dann starrte sie auf das Meer hinaus. Noch war es zu früh. Ihre Gedanken wanderten zurück zu den Ereignissen im letzten Frühling.
Immer wieder sah sie sich selbst in der Bibliothek der Silbernen Burg neben Lord Loglard sitzen. Gemeinsam hatten sie die Bücher über die Scheibe der Ewigkeit studiert. Als sie begriffen hatte, wie wertvoll die Bände waren, hatte sie eine Entscheidung getroffen. Ehrlos, gewiss, aber angesichts der Umstände doch gerechtfertigt oder etwa nicht? Diese Frage hatte sie sich nicht nur mit jeder Meile gestellt, die sie zwischen sich und die Burg gebracht hatte, während sie, so schnell wie möglich, nach Norden wanderte. Nein, auch den ganzen harten Winter war sie mit dieser Frage eingeschlafen und aufgewacht. Fast alles hätte sie für ein Gespräch mit ihrem Mentor Uisdèan gegeben. Jetzt endlich hatte sich das Wetter soweit gebessert, dass sie die letzte Etappe ihrer Reise wagte.
Kalter Wind zerrte an ihrem Umhang. Ein scharfer Schnabel pickte nach den Gräten des Fisches und riss Kyla aus ihren Gedanken. Mit durchdringendem Geschrei flogen zwei Möwen hoch, balgten sich in der Luft um die leicht verdiente Beute. Erschrocken sah sie sich um. Dann stand sie auf, schlüpfte aus ihren Sachen, stopfte sie in den ölgetränkten Sack. Nur den Gürtel behielt sie um, versicherte sich, dass er gut saß über dem durchscheinenden Untergewand. Niemand weit und breit. Sandwüste, wohin das Auge blickte. Nur ab und zu trotzte ein stacheliges Grasbüschel dem scharfen Wind. Glutrot färbte die untergehende Sonne die rasch dahinziehenden Wolken.
Tief atmete Kyla ein und aus. Was nun folgte, war nicht angenehm. Doch der Gedanke an ihre Heimatstadt gab ihr Kraft. Schon morgen Früh würde sie endlich mit Uisdèan bei einer würzigen Tasse Tee sitzen. Zu besprechen gab es jede Menge.
Im Kindle-Shop: Tiranorg: Schwertmagie.
Mehr über und von Judith M. Brivolet auf ihrer Website.
Labels: Fantasy, Judith M. Brivulet
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