13. Juni 2019

'Gourmetkiller' von Elsa Bergh

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Frauen sind unberechenbar. Sie zu unterschätzen, bedeutet den Tod.

In einem Sternerestaurant in Pisa fällt ein Mann während des Abendessens mit dem Gesicht voran in die Balsamico-Soße seines Hauptgangs. Er verstirbt im Krankenhaus, und seine Begleiterin verschwindet spurlos. Tags darauf verliert ein Restaurantgast fünfzig Kilometer entfernt das Bewusstsein. Die Frau an seiner Seite löst sich ebenfalls in Luft auf. Das Einzige, was die beiden Vorfälle verbindet, ist die Anwesenheit eines berühmten Restaurantkritikers, der seit einiger Zeit anonyme Nachrichten erhält.

Die scheinbar natürlichen Todesfälle sind nur die Oberfläche des Sumpfes aus Intrigen, Geld und Macht, den die Adeligen und Reichen als ihre Spielwiese auserkoren haben. Allen voran eine Frau, deren Identität niemand kennt und die wie eine Puppenspielerin die Fäden zieht.

Das Netz ist bereits so dicht verwoben, dass es für den florentinischen Colonello Lorenzo Valleverde und seinen Partner Tommaso Lo Bianco unmöglich scheint, durch die Maschen zu blicken ...

Leseprobe:
Prolog
Bleistiftabsätze klapperten über den Steinboden des Flurs des historischen Palazzo und kündigten ihr Kommen an, bevor sie die Tür aufstieß, die gegen die Wand krachte. Die Frau trug einen dieser kleinen Hüte mit Schleier, die man heutzutage fast nur noch in Filmen sah. Oder auf Begräbnissen. Mit dem schwarzen Mantel und den gleichfarbigen Accessoires sah sie ohnehin so aus, als ob sie von einem solchen käme.
»Das hier ist ein privates Meeting«, sagte der Mann an der Stirnseite des riesigen Besprechungstisches, der alle anderen selbst sitzend überragte.
»Eines, zu dem ich eingeladen bin.« Ihre Stimme war heiser, der Ton schnippisch.
»Das ist mir nicht bekannt. Wir sind vollzählig«, konterte er.
»Stellen Sie sich nicht dümmer, als Sie sind.« Sie hüstelte.
Um seine Mundwinkel zuckte es. Die anderen vier Männer, je zwei an den Längsseiten, vermieden es, ihn oder die Frau anzusehen.
»Was wollen Sie?«, knurrte er unwirsch.
Sie machte ein paar Schritte in den Raum hinein und blieb am Rand des Aubusson stehen, der unter dem ausladenden Tisch und den Stühlen lag. Immer noch verblieben etliche Meter zwischen ihr und den Männern.
»Das, was mir zusteht. Ich bin seine Universalerbin, sein Anteil ist nun meiner.«
Als ob sie ihre Worte damit unterstreichen könnte, rückte sie mit einer resoluten Geste den Trageriemen ihrer eleganten Handtasche, eine golden gefärbte Kette, zurecht.
Unruhe machte sich breit. Ein angestupster Kugelschreiber rollte von der Tischplatte und fiel zu Boden. Einer der Männer flüsterte etwas Unverständliches. Ein anderer griff nach einem Trinkglas und schubste es zwischen seinen Händen auf der glatt polierten Platte hin und her.
Derjenige, der bisher gesprochen hatte, schob seinen Stuhl ein Stück zurück, umfasste die Armlehnen und fragte: »Wovon?«
Dieses eine emotionslos ausgesprochene Wort brachte die Frau sichtlich in Rage. Sie hielt die Luft an, japste, zog die Schlaufe des Gürtels, mit dem ihr Mantel gehalten wurde, enger.
»Das ist ja wohl klar, immerhin war er euer Freund und Partner!«
»Er war ein Bekannter, kein Freund«, konterte der große Mann. »Aber wie Sie richtig sagen«, er machte eine bedeutungsvolle Pause und dehnte das nächste Wort in die Länge, »war er unser Geschäftspartner. Mit Betonung auf war, denn jetzt ist er tot.«
Die Frau atmete hörbar aus und das feine Netz des Schleiers vor ihrem Gesicht bewegte sich. Allerdings nicht genug, um ihre Nase oder gar ihre Augen freizugeben. Nur ihre karmesinrot geschminkten Lippen blitzten darunter hervor.
»Er hatte die Idee«, stieß sie aus.
»Gemeinsam mit uns.«
Die Frau hielt kurz inne und schien zu überlegen.
»Er hat seinen Anteil auf das Projektkonto eingezahlt.« Der Triumph in ihrer Stimme war unüberhörbar.
»Der am Tag nach seinem Tod zurücküberwiesen wurde.«
Sie taumelte leicht und flüsterte: »Das kann nicht sein!«
»Sie wissen es nicht?« Der Mann lachte auf. »Eigenartig, wo Sie angeblich die Universalerbin sind.«
»Natürlich bin ich das, ich war doch seine Frau«, keifte sie heiser zurück.
Er setzte sich kerzengerade auf und schlug mit der Faust auf den Tisch.
»Nein, seine Frau waren Sie nicht. Sie waren nur die letzte seiner Gespielinnen, diejenige, die zum Zeitpunkt seines Todes an seiner Seite war. Das ist alles. Und jetzt gehen Sie bitte, das Gespräch ist beendet.«
Sie wankte. Einen Moment lang sah es so aus, als ob die Bleistiftabsätze unter ihrem Körpergewicht einknicken wollten, doch dann fing sie sich. Die goldene Kette rutschte von ihrer Schulter. Sie zog die flache Handtasche an ihre Brust und hielt sie mit beiden Händen fest.
»Dafür werdet ihr bezahlen! Glaubt nicht, dass ihr damit so einfach davonkommt!«, spie sie mit heiserer kippender Stimme aus.
Der Mann zeigte mit dem ausgestreckten Arm zur immer noch offen stehenden Tür.
Ohne ein weiteres Wort zu sagen, machte sie kehrt und stöckelte aus dem Raum. Erst als das Geklapper ihrer Absätze am Ende des Flurs verklang und kurz darauf die schwere Eingangstür ins Schloss fiel, wandte einer der Anwesenden sich den anderen zu.
»Ich frage mich, was er an dieser Schlange gefunden hat. So eine würde ich nicht einmal mit der Kneifzange anfassen.«
»Kanntest du sie schon?«, fragte sein Gegenüber.
»Nie zuvor gesehen. Und ihr?«
Einstimmiges Kopfschütteln war die Antwort.
»Eben. Sie ist niemand, und sie hat auch keine Anteile von etwas, was es noch gar nicht gibt.« Der Mann, der als Einziger mit der Frau gesprochen hatte, rückte mit dem Stuhl näher an den Tisch und schlug die Mappe auf, die vor ihm lag. »Wir halten uns weiterhin bedeckt und gründen die Gesellschaft zum geplanten Datum. Bis dahin läuft alles wie bisher. Irgendwelche Einwände?«
Einer räusperte sich. »Wir sind also nur noch fünf?«
Der, der neben ihm saß, schlug ihm auf die Schulter. »Das ist doch perfekt. Dann hat jeder von uns anstatt eines Sechstels ein Fünftel der Gewinne!«
Alle stimmten in sein Lachen ein.

Eins
Pisa, an einem Mittwochabend einige Wochen später

Genießerisch atmete der Mann den Geruch ein. Seine Augen waren halb geschlossen. Es schien, als wartete er auf einen zärtlichen, glückseligen Kuss. Seine rechte Hand näherte den Dessertlöffel dem Mund, vorsichtig öffnete er die Lippen. Die Zunge stieß hervor, um von dem weißlichen Schaum zu kosten. Sobald das Zitronenparfait seine Geschmackspapillen erreichte, verzauberte ein zufriedenes, fast ekstatisches Lächeln sein Gesicht. Gleichzeitig verdoppelten sich die kleinen Schweißtropfen auf seiner Stirn. Mit einer lästigen Bewegung wischte er sie mit dem Einstecktuch, das sich scheinbar nur deshalb in der Tasche der Weste befand, weg. Dann machte er sich daran, die cremige Süßspeise in sich hineinzulöffeln.
Die Jacke des eleganten Maßanzugs aus dunkelgrauem Glencheck hatte er schon kurz nach den Antipasti über die Sessellehne gehängt, die beiden oberen Knöpfe des weißen Hemdes waren geöffnet. Die Krawatte war sorgfältig aufgerollt in einer Hosentasche verschwunden. Eine locker geschnittene schwarze Weste kaschierte meisterhaft den Bauch des Mannes, der sich nun zufrieden zurücklehnte. Er nahm die Stoffserviette von seinen Knien und legte sie neben den Teller auf den Tisch.
Durch das einseitig verspiegelte Bullaugenfenster der Pantry beobachtete der Maître Enrico Gallo die Mimik des Gastes. Dann stieg er mit dem Absatz des eleganten, schwarzen Schuhs auf den Druckknopf im Boden, der die automatische Tür zum Gastraum öffnete. Er bewegte sich lautlos zum Tisch des Mannes, der ohne Begleitung an einem Fenstertisch saß. Mit einem leichten Nicken signalisierte er dem Mitarbeiter, der soeben das Dessertgeschirr abräumte, dass der Gast nun von ihm betreut würde.
»Alles in Ordnung, Signore?«, fragte er mit höflichem Lächeln. »Darf ich Ihnen noch etwas bringen?«
Enrico kannte den Gastrokritiker seit vielen Jahren und wusste, dass man von seinem Gesichtsausdruck nichts ablesen konnte. Von den Artikeln und Bewertungen des Journalisten hing das Schicksal der Restaurants ab, die heute ganz oben waren und morgen in Vergessenheit gerieten. Nando Natuzzi arbeitete unter anderem für einen weltweit berühmten Restaurantführer, der seit Jahrzehnten Sterne vergeben und ebenso schnell wieder aberkennen konnte. Seine unangekündigten Besuche versetzten Restaurantbesitzer und deren Mitarbeiter immer in Aufregung – vor allem, weil sie ihn gut kannten. Jetzt hob Natuzzi das Kinn leicht an und antwortete, den Blick der wasserblauen Augen auf den Maître gerichtet.
»Einen Caffè Ristretto und einen Grappa Tocai.« Dann drehte er den Kopf zur Seite und starrte gedankenverloren aus dem Fenster.
Enrico bereitete persönlich das kleine Tablett vor, auf dem die Auswahl verschiedener Zucker und der kurze, starke Espresso serviert wurden, und übergab es dem jungen Kellner. Dann näherte er sich mit dem eleganten Servierwagen, auf dem neben einigen tulpenförmigen Grappagläsern eine Flasche mit goldfarbenem Grappa aus Tokajer-Trauben stand, dem Tisch des Kritikers. Der Journalist warf einen Kennerblick auf den im Barrique gealterten Likör und nickte diskret. Als der Maître den Flaschenhals über dem Glas neigte, erklang ein schriller Schrei.
Beide Männer drehten ruckartig die Köpfe dorthin, wo jetzt weinerliche Jammerlaute zu hören waren. Eine schlanke Frau stand neben dem Stuhl ihres Begleiters, dessen Stirn in der Balsamico-Soße auf dem Teller seines Hauptgangs, eines Rinderfilets, lag. Seine Arme hingen beiderseits der Beine reglos nach unten.
»Ein Arzt, ein Arzt«, rief die rot gekleidete Frau hysterisch mit hoher Stimme, auch noch, als der Maître bereits neben dem Tisch stand. Er versuchte, den Kopf des Gastes vorsichtig anzuheben, doch der hatte offensichtlich das Bewusstsein verloren. Geistesgegenwärtig deutete er dem herbeigeeilten Mitarbeiter, einen Wandschirm näher zu rücken, um den Mann vor neugierigen Blicken zu schützen. Mittlerweile erklärte er auf seinem Handy dem Notruf kurz und bündig den Vorfall.
Dann legte er der Frau beschwichtigend einen Arm um die Schulter und drückte sie behutsam auf den Sessel, während sie unaufhörlich mit weinerlicher Stimme »Amore mio, non capisco« murmelte.
Nun, auch Enrico Gallo verstand nicht und hätte gern gewusst, was los war. Hatte die Bewusstlosigkeit des Gastes mit dem Abendessen zu tun? Sofort verwarf er den Gedanken. Nein, niemals. Mimmo Santagati, der Besitzer und Sternekoch des Restaurants, verwendete nur erstklassige, frische Zutaten.
Knappe zehn Minuten später beugte sich der Notarzt über den Mann, der sich noch immer nicht bewegte, und fühlte dessen Puls an der Halsschlagader. Dann nickte er dem Sanitäter zu, der den Bewusstlosen aus dem Jackett schälte und den Hemdsärmel aufrollte, und legte ihm die Blutdruckmanschette an. Währenddessen stellte er der Frau einige knappe Fragen über den Begleiter, der ihren Angaben nach achtundvierzig Jahre alt und bei allerbester Gesundheit war. Er lief jeden Tag fünf Kilometer und spielte zweimal wöchentlich Tennis und nahm, soweit sie wusste, keine Medikamente. Der Arzt zog vorsichtig den Kopf des Mannes hoch, griff ihm unter die Schultern und hob ihn an. Dann legte er ihn mit seinem Kollegen auf die aufgeklappte Rettungsliege. Die Frau war aufgesprungen und wischte dem Bewusstlosen mit einer Serviette die Balsamico-Soße von der Stirn, wurde jedoch unsanft vom Sanitäter zurückgedrängt.
Erneut kontrollierte der Arzt den Blutdruck. Wahrscheinlich hatte er gehofft, dass die liegende Position eine Änderung herbeiführte, dem war aber offensichtlich nicht so. Mit einem irritierten Kopfschütteln zog er eine Spritze mit Adrenalin auf und injizierte es. Der Mann reagierte nicht. »Gehen Sie vor«, sagte der Notarzt an den Maître gewandt, der zur Tür eilte und diese aufhielt. Die beiden Notfallhelfer schoben die Liege aus dem Gastraum und dem Restaurant.
Die rot gekleidete Frau nahm ihre Tasche und die Jacke des Mannes und lief mit trippelnden Schritten auf ihren schwarz-roten High Heels hinterher. Nando Natuzzi war nicht der Einzige, dessen Blick den sich wiegenden Hüften und den schlanken Beinen, die oberhalb der Kniekehlen vom fließenden Stoff des roten Kleides umspielt wurden, folgte.

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