19. Juli 2016

'Laufender Tod' von Michael Aulfinger

Carsten bereitet sich auf einen Marathon vor. Beim Waldlauf entdeckt er zufällig eine Frau, die eine Leiche vergräbt. Er geht nicht zur Polizei, sondern geht selbst den Dingen nach. Das sollte sich bald als Fehler herausstellen, den der tritt damit unbewußt Folgen los, die über seine Kraft gehen ...

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Leseprobe:
Deshalb wagte er eine Blick um den Stamm des dicken Baumes herum. Täuschte er sich, oder stand dahinten zwischen den Bäumen – es mochten keine fünfzig Meter sein – ein blau glänzender Gegenstand? Ein Auto vielleicht sogar?
Wenn ja, was hatte dieser in dem Wald verloren, wo doch hier ein striktes Verbot für diese Art von Vehikel galt?
Angestrengt versuchte er sich davon zwischen den Baumstämmen hindurch zu vergewissern, als er von einer Bewegung abgelenkt wurde. Zwischen ihm und dem Gefährt tauchte nämlich eine Gestalt auf. Das es sich dabei um eine Frau handelte, erkannte er trotz der beeinträchtigten Sicht umgehend. Sie war blond und trug eine blaue Sportjacke. Ihre Harre hingen ihr wirr herunter, denn sie war damit beschäftigt, etwas schweres zu ziehen. So war ihr Gesicht nicht zu erkennen. Sie zerrte und hievte irgend etwas, so gut es ging. Schwer ging ihr Atem. Das hörte er. Was sie bewegte, war ein schwarzer Plastiksack, wie er beim näheren hinschauen erkannte. Soweit konnte Carsten das schon deuten.
Endlich war der Sack verschwunden. Anscheinend war er der Länge nach in ein vorbereitetes Loch geplumpst. Die Frau stützte sich nach dieser anstrengenden Arbeit mit den Händen auf ihren Oberschenkeln ab. Endlich verbreitete sie keinerlei hechelnde Geräusche mehr und richtete sich auf.
So hatte Carsten von seinem Versteck aus eine gute Aussicht auf ihr Gesicht. Ihre verschwitzten Haare fielen zurück.
Ein wissender Ruck ging durch seinen Körper.
Er kannte sie!
Nun, das war nicht ganz korrekt. Er kannte ihr Gesicht. Nur ihr Namen war ihm nicht geläufig. Carsten hatte sie aber schon öfters gesehen. Nur wo? Das mochte sich ihm beim besten Willen und trotz angestrengtem Nachdenken nicht offenbaren.
Aus dieser Phase der inneren Rückblende wurde er jäh gerissen, weil sich die Frau nach der Erholungsphase bewegte. Sie wurde wieder aktiv, indem sie eine bereitliegenden Schaufel in die Hand nahm. Dann begann sie zu schaufeln. Aber die Aktion dauerte nicht lange. Bald war das Loch geebnet, da es vorher schon nicht tief war. Die übrige Erde verteilte die Frau mit schnellen Schaufelbewegungen in der Umgebung. Sie ebnete alles. Zum Abschluß verteilte sie noch Laub und Äste in loser Anordnung auf dem geschlossenen Loch. Es sollte wohl niemandem auffallen.
All das beobachtete Carsten aus seinem sicheren Versteck heraus. Ein verdammt ungutes Gefühl stieg in ihm auf. Was war in dem Sack gewesen? Ein innerer Skrupel widersetzte sich dem, was ihm ein Gefühl des Wissens anzeigte. Denn eigentlich war er sicher, daß der Inhalt des schwarzen Plastiksacks nur eine Leiche gewesen sein konnte.
Bitte nicht, betete er innerlich, mit dem Blick nach oben, wo sein Blick sich zwischen den Baumwipfeln verlief. Bitte, bitte, lieber Gott. Laß es Sondermüll oder sonst irgend etwas Verbotenes sein. Aber keine Leiche. Das könnte ich nicht vertragen.
Dennoch war sich Carsten sicher, daß sein Gebet unerhört bleiben würde.
Es war geschehen.
Während sein Körper ein gruselndes Schütteln durchlief, wurden seine Augen wieder von jener Frau abgelenkt, deren Namen ihm immer noch ein Rätsel aufgab.
Sie war mit ihrer Arbeit fertig, und ging zu ihrem blauen Auto zurück. Die Heckklappe fiel mit einem Knall ins Schloß. Sekunden später sprang der Motor an, und der Wagen fuhr zunächst rückwärts, bis er eilig wendete, und bald zwischen den Bäumen verschwand. Das Motorengeräusch ebbte Sekunden später ab.
Mindestens zwei Minuten vergingen, bis sich Carsten aus seinem Versteck hervortraute. Er hatte zwar gesehen, daß die Frau alleine war, aber er traute in dieser Sekunde nicht mal der Stille des Waldes. Immer noch konnte jemand aus dem Dickicht der Bäume auftauchen, und ihm das Leben zur Hölle machen.
Oder es sogleich beenden. Welch schrecklicher Gedanke.
Angst stieg ihn ihm auf. Eine stärker werdende Angst.
Was sollte er tun?
Verschwinden?
Vielleicht war es das Beste. Das war aber nicht so einfach. Neugierde trieb ihn an. Neugierde, welche befriedigt sein wollte, ob sein schrecklicher Verdacht der Wahrheit entsprach. Das zerriss ihn innerlich. Auch wenn die Vernunft ihm innerlich vehement riet, das Weite zu suchen, so unterlag sie schließlich dem inneren Zwist. Die Neugierde obsiegte.
Langsamen Schrittes verließ er die Deckung des Baumes und tastete sich vor. Der Blick war auf den Fleck gerichtet, den er hinter zwei weiteren Buchen wußte. Bald hatte er ihn erreicht. Seine anfängliche Angst vor einem Hinterhalt war vorbei und gänzlich der Neugierde gewichen. Binnen Kurzem stand er vor dem vermeintlichen Grab.
Mit bloßen Händen hub er die lockere Erde an jener Stelle aus, an der er den vermeintlichen Kopf wähnte. Das dauerte eine geringere Zeit als er vermutete, denn bald schon stieß er auf eine schwarze Folie.
Mit einem Mal wurde ihm schwarz vor Augen. Es drückte ihm aufs Gemüt, denn er ahnte Böses. Vier kräftige Ein- und Ausatmungen später nahm er sich ein Herz, und riß mit einem Ruck die schwarze Folie auf.
Kein Ton wurde seinen Lippen entlockt.
Still starrte er auf den leblosen Kopf, welcher mit geschlossenen Augen da lag, als wenn er sich gerade zu einem Mittagsschlaf hingelegt hätte. Aber dieser Mittagsschlaf würde länger dauern, das wußte Carsten nur zu gut.
Ewiglich.
Sein Verdacht war bestätigt worden. Vor ihm lag eine männliche Leiche. Sie mochte Mitte bis Ende der dreißiger Jahre alt sein.
Wenn Carsten gedacht hätte, daß ihm beim Anblick seiner ersten Leiche im Leben schwarz vor Augen, oder gar schlecht, werden würde, so hatte er sich geirrt. Selbst von sich überrascht verspürte er in sich eine gewisse Abgeklärtheit und vor allem Ruhe. Das war schon immer eine Eigenschaft von ihm gewesen, in brenzligen Situationen die Ruhe zu bewahren. Als Geschäftsmann wurde von ihm des öfteren die notwendige Eigenschaft abverlangt. Das passierte öfters. In diesem Fall kam es es ihm zu Gute.
Deshalb war er nicht verwunderlich, als er mit einer ungespielten Ruhe in seine Tasche griff, die er über einen Gürtel am Gesäß baumeln ließ. Die hatte er bei langen Läufen immer dabei. Es konnte ja viel Geschehen. Neben einer Trinkflasche, Traubenzucker, einem Energieriegel und dem Haustürschlüssel beherbergte sie außerdem noch ein Handy für den Notfall. Das hatte er ständig dabei, seit er vor zwei Jahren mitten im Wald einmal umknickte, und seinen rechten Knöchel verstauchte. Da er damals niemanden anrufen konnte, blieb es ihm drastisch im Gedächtnis, wie er sich die letzten acht Kilometer bis zu seinem Haus vor Schmerzen humpelte und schleppte. Aus Fehlern oder unterlassenem lernt man.
Carsten aktivierte das Handy, und wählte die Fotofunktion. Dann hielt er die Kamera direkt vor das Gesicht des Toten, und löste die Aufnahme aus. Das Foto der Leiche war geschossen.
Ohne Eile verstaute er das Handy wieder, und schloß die Folie über das Gesicht, so gut es ging. Mit wenigen Handgriffen war das Loch wieder geebnet. Kurze Zeit später erinnerte nichts mehr daran, daß er soeben ein provisorischen Grab geöffnet hatte.
Carsten stand auf, und schlug jene Richtung ein, die ihm zurück auf den Weg führte, auf dem er seinen Lauf beenden wollte.
Zuerst verfiel er in ein hohes Tempo. Die verständliche innere Unruhe trieb ihn dazu. Sein Schnitt pro Kilometer war deutlich unter fünf Minuten. Das Tempo war keineswegs die letzten Kilometer aufrecht zu halten.
Das war die Zeit, als die Gedanken der Realität noch nicht Besitz von seinen Überlegungen genommen hatten. Da beherrschten ihn noch die Emotionen.
Nach und nach trat dieser Zustand des Denkens aber ein. Der Verstand war wieder wach. Seine erste Frage war: Was mach ich mit dem Wissen über die Leiche?
Die Polizei. Natürlich.
Carsten hielt plötzlich an. Er überlegte weiter. Was wäre, wenn er zunächst sein Wissen über den grausigen Fund zurück halten würde? Ihm konnte selbstverständlich niemand auf der Welt einen Vorwurf darüber machen. Wer denn schon? Denn wirklich niemand wußte von seinem Fund.
Auch die Frau nicht.
Bingo.
Das saß.
Richtig, sagte er zu sich. Er hat sie schon mal gesehen. Den Namen wußte er zwar nicht, aber irgendwann und irgendwie würde er ihn herausfinden. Sein Vorteil, war, daß die Frau gar nichts von ihm wußte. Sie wußte nicht, daß sie an ihrem kriminellen Tun beobachtet worden war. Sie wußte nicht, daß er, Carsten, ihr auf den Fersen war.
Je weiter Carsten nun lief, umso mehr manifestierte sich ein Gedanke in ihm. Es war wie ein Plan, der reifen mußte. Aber die Basis dafür war gelegt. Ein schelmisches Grinsen überzog beim Laufen sein Gesicht.
Carsten Willun war bereit, sein schreckliches Wissen für seine eigenen Ziele konsequent auszunutzen.
Für seine beinahe teuflischen Ziele.

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