'Es muss brennen' von Mart Schreiber
Seit der Silvesternacht in Köln wird immer wieder über sexuelle Übergriffe von Migranten berichtet. Willkommenspolitik prallt auf den Ruf nach Abschottung, Verständnis auf Hass, der Glaube an eine gemeinsame Zukunft auf Angst vor Jobverlust und zunehmender Kriminalität. Die zwei Geschichten in diesem Buch spielen vor dem Hintergrund dieses gesellschaftlichen Umbruchs, ohne zu bewerten oder zu moralisieren.
Dominik studiert Jus und hat vor nicht allzu langer Zeit eine neue Freundin kennengelernt. Die versuchte Vergewaltigung seiner Schwester reißt ihn jäh aus seinem geordneten Alltag. Drei afghanische Asylwerber werden als Tatverdächtige ausgemacht. Dominik wird zwischen der Meinung seiner weltoffenen Freundin und den rechten Ansichten seiner Sportsfreunde hin und her geworfen.
Gustav Ehrlicher ist Organisationsberater. Auf dem Weg zu einem wichtigen Termin lernt er auf kuriose Weise einen zehnjährigen Jungen aus dem Irak kennen. Gustav hat es sehr eilig und gibt dem Jungen seine Visitenkarte. Dies bleibt nicht ohne Folgen.
Gleich lesen: Es muss brennen: Geschichten zu den Themen Asyl und Culture Clash
Leseprobe:
Der Schlüssel findet nicht sofort ins Schloss. Dann ein metallisches Schnarren und das Klicken des zurückschnappenden Schließbarts. Ein leises Quietschen begleitet das Öffnen der Tür. Dominik liegt nackt auf seinem Bett. Die Vorhänge sind zugezogen und seine Augen starren schon seit einer Stunde in die Dunkelheit.
Seine Tür ist nur angelehnt. Licht dringt durch den Spalt ins Zimmer und stört seine Konzentration. Noch dazu knarrt der Holzboden im Vorzimmer.
„Auch schon da?“, ruft er aus seinem Zimmer.
„Gute Nacht“, antwortet sie. Ihre Stimme klingt anders als sonst. Schwach und zittrig.
„Ist was?“. Keine Antwort. Er hört nur das Schließen der Tür zu Nadines Zimmer. Sicher wieder einmal unglücklich verliebt, denkt Dominik. Es ist wieder dunkel und still. Er macht sich aufs Neue bereit, nur in seiner Gedankenwelt zu sein, ungestört von allen äußeren Einflüssen. Schluchzen. Es kommt aus Nadines Zimmer. Nur eine dünne Rigipswand trennt sein Zimmer von dem seiner Schwester. Das war schon oft Grund für Streitereien. Nadine telefoniert oft endlos und das in einer Lautstärke, die Dominik jedes Wort verstehen lässt. Oder sie hört viel zu laut Musik, noch dazu eine, die Dominik nicht mag. Kommerz halt. Das Schluchzen hört nicht auf.
„Was ist los?“, ruft Dominik laut genug, dass es seine Schwester auch durch die Wand hören kann. Kurz ist es still, doch nach wenigen Sekunden beginnt das krampfartige Schluchzen wieder. Es geht in ein auf- und abschwellendes Weinen über. Dominik steht auf und geht zu Nadines Zimmertür. Er klopft.
„Geh weg, lass mich in Ruh.“
Dominik öffnet die Tür. Nadine liegt mit dem Bauch auf ihrem Bett. Ihr Kleid ist schmutzig und zerrissen.
„Was ist passiert? Sag schon.“
Er dreht Nadine zur Seite. Sie hält sich sofort die Hände vors Gesicht, aber Dominik sieht trotzdem kurz eine blutverkrustete Platzwunde an ihrer Stirn und das verschmierte Make-up.
„Wer hat das getan? Jetzt red doch schon.“
Nadine reagiert nicht. Mit den Händen vorm Gesicht wimmert sie weiter. Dominik nimmt sie in die Arme. Er kommt sich dabei komisch vor, aber sie tut ihm leid. Sie sieht schlimm zugerichtet aus. Auch die Hände und Arme sind voller Kratzer, einige der langen, aufgeklebten Fingernägel sind abgebrochen. Er drückt sie fester an sich und tätschelt ihren Rücken.
„Schwesterherz, ich will dir ja helfen. Wir müssen deine Wunden desinfizieren.“
Nadine hat jede Körperspannung verloren und ist voll in seine Arme gesunken. Ihr Kopf liegt schwer auf seiner Schulter. Ihr Oberkörper zuckt von den wiederkehrenden Schluchzern.
„Nadine, ich hol jetzt den Verbandskasten. Kann ich dich kurz alleine lassen?“
Sie richtet sich auf und nickt. Das Schluchzen kommt nun in längeren Abständen und erinnert ihn an einen Schluckauf.
Dominik beginnt bei den Händen. Er sprüht den Desinfektionsspray auf die roten Kratzer.
„Jetzt kommt das Gesicht dran.“
Nadine hebt den Kopf und sagt: „Zuerst muss das Make-up runter.“
„Wie soll ich das machen?“
„Hol meine Abschminktücher aus dem Badezimmer, im Glasschrank links unten.“
Dominik bemüht sich, die Kratzer und kleinen Wunden im Gesicht nicht mit den Abschminktüchern zu berühren. Es gelingt ihm ganz gut.
„Jetzt erzählst du mir aber, was passiert ist.“
Nadine schüttelt den Kopf.
„Nur ein paar Sätze, damit ich Bescheid weiß.“
Sie beginnt wieder zu weinen. Erneut nimmt sie Dominik in seine Arme und streichelt über ihr verklebtes Haar. Innerlich bebt er. Sie soll sich nicht so anstellen und endlich erzählen, was geschehen ist.
„Meine kleine Schwester. Schütte dein Herz aus. Das wird dir guttun.“ Zu seinem Erstaunen wirkt das. Nadine setzt sich auf, fährt sich mit den Fingern unter die Nase und zieht den Rotz unüberhörbar hoch. „Sophie und ich sind noch kurz aufs WC am Praterstern. Da sind drei dunkelhäutige Männer hereingestürmt. Die haben wie Gleichaltrige ausgesehen. Sie sind sofort auf mich los und haben mich zu Boden gerissen. Ich war so überrascht und schockiert. Wie gelähmt.“ Sie schluchzt und ein neuerlicher Weinkrampf schüttelt sie.
„Diese Schweine. Hat dir Sophie nicht geholfen?“
„Die ist noch in der Kabine gesessen und hat sich vor Angst nicht gerührt.“
„Schöne Freundin. Na ja, kann man schon verstehen, dass sie Angst gehabt hat. Was ist weiter passiert?“
„Einer hat mir das Kleid hochgestreift und wollte mich vergewaltigen. Er hat meinen Slip zerrissen und ich habe schon gespürt, dass er bei mir herummacht.“
Ihr Schluchzen wird wieder so stark, dass sie nicht wei-terreden kann. Dominik lässt ihr etwas Zeit.
„Hast du nicht geschrien?“
„Einer hat mir den Mund zugehalten und wenn ich nur einen Mucks gemacht habe, an den Haaren gerissen und ins Gesicht geschlagen.“
„Wenn ich die in die Finger kriege, diese elenden Arschlöcher.“
„Zum Glück wollte dann eine Frau aufs WC. Sie hat sofort um Hilfe gerufen. Ganz laut. Da sind die drei weggerannt. Dabei haben sie die Frau umgeworfen. Wir sind dann auch aus dem WC raus. Die Frau und zwei Männer haben gefragt, ob sie uns helfen können.“
„Hat niemand die Polizei gerufen?“
„Ja, doch. Die Frau. Aber ich wollte nur weg und bin davongerannt. Wir sind dann in ein Taxi.“
„Scheiße. Wir müssen zur Polizei. Am besten jetzt gleich.“
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Labels: Erzählungen, Gegenwart, Mart Schreiber
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