'Meine beiden Leben - Die Traumbücher' von J.J. Winter
Nach ihrer dramatischen Rettung aus der Gegenwelt muss Jess gegen das Trauma ankämpfen, das die fingierte Ermordung von Christoph und Raphael in ihr ausgelöst hat – immer wieder wird sie in die Erinnerung zurückgezogen, die sie für die Wirklichkeit hält. Ihre Familie und Freunde tun ihr Bestes, sie dabei zu unterstützen, doch darüber hinaus quälen sich alle noch mit einem weiteren Problem: Wo ist das verhängnisvolle Medaillon des Herrn geblieben – und wer ist der „Henker“, der mittlerweile ein hohes Kopfgeld auf Jess ausgesetzt hat?
So schwebt Jess beständig weiter in höchster Gefahr, und als sie und Christoph ihre Hochzeitsreise nachholen wollen, müssen beide erkennen, dass es keinen Ort gibt, an dem die Kronprinzessin wirklich in Sicherheit wäre. Zwar gewinnen die Vincenzes neue Freunde und Verbündete, aber überall lauern auch heimliche Feinde und gewissenlose Schergen des „Henkers“.
Als schließlich unerwartet noch eine weitere Macht mit einem raffinierten Zug ihr eigenes Spiel beginnt, überschlagen sich die Ereignisse …
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Leseprobe:
Während Raphael noch versuchte, seine Verlegenheit in den Griff zu bekommen, machte sich Christoph daran, Jess das verdreckte, kratzige Kleid auszuziehen. Er öffnete sein Handgelenk und verschloss die Wunde in ihrem Gesicht. Danach drehte er sie auf den Bauch und versiegelte einen der Striemen auf ihrem Rücken, die durch die Bewegung immer wieder aufgerissen waren.
Raphael trat neben ihn. Er war wieder völlig besonnen und auf das Wesentliche konzentriert. „Hör damit auf, Christoph.“ Der Blick, den er für diese Anweisung erntete, hätte jeden anderen in die Knie gezwungen. Nicht so Raphael. „Lass das Estephan machen. Dein Blut wird noch anderweitig benötigt. Jess muss alle vier Stunden genährt werden, und ich glaube nicht, dass sie in ihrem jetzigen Zustand bereit ist, von einem anderen etwas anzunehmen. Wir können schon froh sein, wenn sie deines nicht ablehnt.“
Christophs Blick wurde weicher. Der Todesengel hatte recht. Jess brauchte ausreichend Nahrung, um wieder zu Kräften zu kommen. Wenn er zu viel für ihre Heilung verwendete, war sein Lebenssaft nicht mehr nahrhaft genug. Mit einem kurzen Nicken gab er sein Einverständnis. „Vater, würde es dir etwas ausmachen?“
Ohne zu zögern trat Estephan an das große Himmelbett und setzte sich neben Jess. Nach einem prüfenden Blick auf die schweren Misshandlungen begann er mit seiner Arbeit. Es dauerte über eine Stunde, bis alle Wunden verschlossen waren. Nur Brust, Bauch und Oberschenkel zeugten nun noch von den Qualen, die sie hatte erleiden müssen. An diese Stellen wagte sich Estephan nicht. Christoph hatte beschlossen, sie selbst zu heilen. Der ließ ihn währenddessen keine Sekunde aus den Augen.
Während der gesamten Zeit sprach niemand ein Wort. Christoph schickte sich an, Jess ins Badezimmer zu tragen, um die letzten Wunden zu versorgen und ihren Körper in der Wanne von dem Schmutz und Blut zu säubern.
Verlegen räusperte sich Alessandro. „Vielleicht sollten wir derweil unten warten, um den beiden die Intimität zwischen Ehegatten zu gewähren.“
Binnen fünf Sekunden war das Schlafzimmer leer. Alle hatten den Wink mit dem Zaunpfahl verstanden.
***
Orario trat als Erster freudestrahlend auf die Veranda, und sofort stürmte das versammelte Rudel auf ihn zu. Alessandro trat vor. „Wir haben es geschafft. Jess ist zurück und ruht jetzt in der Engelsgleiche, um zu heilen.“
Weiter kam er nicht. Heftiger Jubel brach unter seinen Gefährten aus. Allein schon die Tatsache, dass Jess hatte zurückgebracht werden können, reichte den Wölfen, um in Euphorie auszubrechen. Sie war wieder da, alles andere würde sich schon ergeben.
„Es ist allerdings noch zu früh, um mit Sicherheit zu sagen, ob sie wieder ganz die Alte wird“, verkündete Alessandro weiter, nachdem wieder ein wenig Ruhe eingekehrt war. „Außerdem ist die Gefahr noch nicht gebannt. Wir haben den Auftraggeber des Dämons nicht ausfindig machen können. Und Jess erzählte uns auf dem Rückweg, dass Wandler in der Gestalt von Raphael und Christoph in Bezirk sechs aufgetaucht sind, um sie von dort wegzulocken. Die Bedrohung ist also immer noch gegenwärtig. Heute ist allerdings mit keinem Angriff mehr zu rechnen und es ist an der Zeit, einen ersten Erfolg zu feiern. Haltet aber trotzdem weiterhin die Augen offen.“
Rodriguez, Carla und Santos machten sich daran, Getränke und Speisen auf die Veranda zu schaffen und Bänke und Tische auf dem Rasen aufzustellen. Die Vampire mischten sich unter die Wölfe und genossen die Freude, die jedem einzelnen Gesicht anzusehen war.
Selbst Orario konnte sich dem nicht entziehen. Das Rudel freute sich tatsächlich darüber, eine Vampirin gerettet zu haben. Dieses Mädchen – diese Urreine – war einfach unbezahlbar, und sie war sein. Sie stand unter dem Schutz seines Clans, und er war ihr Meister. Mit breitem Grinsen im Gesicht wandte er sich an den Todesengel: „Ein neues Zeitalter bricht an und du bist Zeuge davon. Vampire, Werwölfe und ein Todesengel. Alle ziehen gemeinsam an einem Strang, um ein Wesen zu beschützen. Eines von unglaublichem Wert. Eine Urreine!“ Stolz ergriff ihn bei diesen Worten.
Raphael neigte nur das Haupt und zog sich in seine eigenen Gedanken zurück. Beinahe hätte er sie verloren, und sie dachte die ganze Zeit, ihn verloren zu haben. Und nun, da er sie gefunden hatte, wollte sie ihn nicht bei sich haben. Tief in seinem Inneren durchzuckte ihn Schmerz, unvorstellbare Höllenqual. Sie hatte sich in der Nacht vor ihrer Vermählung von ihm verabschiedet. Ihn freigegeben. Aber wollte er diese Freiheit?
Nein, will ich nicht! Ich will Evangeline, und ich werde nicht ruhen, bis ich einen Weg gefunden habe, sie zurückzuholen. Sie war schon immer mein, und sie wird auch mein bleiben!
Ein heftiges Knurren entglitt seiner Kehle, und zig Augenpaare richteten sich auf ihn. Ohne darauf zu achten, suchte er sich einen Platz etwas abseits von dem Trubel und setzte sich.
***
Valerie, die sich in den letzten beiden Stunden ihren Träumen hingegeben hatte, wurde durch den Jubel aufgescheucht und stürmte in die große Halle. Dort vernahm sie Alessandros Ansprache an das Rudel. Die Nachricht von Jess‘ Rückkehr und die Tatsache, dass sie wahrscheinlich überleben würde, versetzten ihr einen tiefen Schock.
In den Stunden, in denen die Wölfe damit beschäftigt gewesen waren, die Überreste der Dämonen zu beseitigen, war sie nicht untätig geblieben. Geschickt hatte sie Lorenzo dazu gebracht, sie über die Ereignisse der letzten Nächte in Kenntnis zu setzen.
So erfuhr sie alles über Jess‘ – in ihren Augen höchst peinlichen – Auftritt vor dem Hohen Rat und ihren Zusammenbruch, der sich als Entführung in die Gegenwelt entpuppt hatte. Ihre Hoffnung stieg weiter, als er ihr anvertraute, dass Jess schon seit sechs Tagen keine Nahrung zu sich genommen hatte. Die ersten Anzeichen ihres bevorstehenden Todes würden sich bereits abzeichnen. Die Zeit drängte. Sollte es dem Suchtrupp nicht gelingen, sie noch heute zu befreien und in Erfahrung zu bringen, was sie an der Rückkehr hinderte, würden ihr selbst die Vampire nicht mehr helfen können. Außerdem müsse man sie dazu bringen, zu trinken, und das könnte ein beinahe noch größeres Problem werden.
Nachdem sich die Ursprünglichen mit Carla und Rodriguez in Christophs Schlafzimmer zurückgezogen hatten, um dort auf die Rückkehr derer zu warten, die zu Jess‘ Rettung aufgebrochen waren, nutzte Valerie einen unbeobachteten Moment, um unbemerkt in die Küche zu schleichen und Samuel anzurufen. Es gab noch einiges, was sie in Erfahrung bringen wollte, und er war der Einzige, der ihr die Antworten auf ihre Fragen liefern konnte.
Hocherfreut über die Gesamtsituation und die Möglichkeit, selbst an neue Informationen zu kommen, war Samuel nur allzu gerne bereit, sein Wissen über den Tod durch Nahrungsentzug mit Valerie zu teilen. Nach zwanzig Minuten beendete die Haushälterin zufrieden das Gespräch. Seither schwebte sie auf Wolke sieben. Nicht mehr lange, und sie wäre endlich am Ziel ihrer Träume angekommen. In den schillerndsten Farben stellte sich Valerie ihre gemeinsame Zukunft mit Christoph vor.
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Labels: Fantasy, J.J. Winter, Vampire
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