'60 - ERZÄHLUNG EINES MISTKERLS' von Paul Pan
Kindle Edition | Taschenbuch |
Der Mistkerl namens Ben erzählt wie es damals war mit Magda und den anderen; wie er Nietzsche, de Sade, Sokrates, Tolstoi u.a. mit deren eigenen Beziehungsdramen traf. Schicksalhaft trifft ihn, den eitlen Macho und König der Gockel, ausgerechnet an seinem Geburtstag die Höchststrafe. Ganz nebenbei lüftet er auch das letzte Geheimnis der deutschen Wiedervereinigung.
Ein etwas anderes Leseerlebnis, das zum Stirnrunzeln und vielleicht zum Nachdenken einlädt. Für alle, die wie Ben im Kampf von Mann und Frau gegen die Wand gelaufen sind und für die das eine gilt: Ändere dein Leben. Sonst steht die Wand wieder da.
Leseprobe:
Die ganze Chose begann mit dem Duft, der sich jeden Mittwoch durch die Straße zog. Ich liebte ihn. Und ich stand am Schaufenster des kleinen Geschäftes, in dem Kaffee geröstet wurde. Immer mittwochs, Woche um Woche, Jahr um Jahr streunte ich hier herum und sog tief ein. Arabica! Pur! Hochland! Ganz ohne Robusta. Flachland! Ich stand also in der Nähe des Eingangs und blickte auf die Straße. Und dann kam sie daher, ganz plötzlich, aus dem Nichts - eine auf die Erde gefallene Sternschnuppe. Dunkelblond und mit Gesichtszügen, wie ich sie nur von Skulpturen aus dem alten Rom kannte. In der Hand hielt sie ein zerfleddertes Buch. Ich bückte mich und erkannte einen Gedichtband von Rilke. Warum Rilke? Was hat sie mit dem Romantiker gemein? Immer verschlossen sich seine Gedichte vor mir. Die Seiten schienen mir mit Zuckerwasser und bitterem Honig bedruckt zu sein. Rilke war mir suspekt – ein Frauenversteher.
Sie stand vor mir. Seide floss über ihre Rundungen wie Öl, und der Spätsommer ließ mit einem Windhauch zwei Knospen blühen. Sie sah durch mich hindurch in das Fenster. Mir gefiel das Kleid. Ich glaube, man sagte „süßer Fummel“ dazu, wenn ich mich recht erinnerte. Nun ihr Kleid hatte den hübschen Ausblick, pardon, ich meinte einen hübschen Ausschnitt, der viel zeigte und alles verbarg, kurzum die Fantasie verwirrte. Sie trug keinen BH, so wie damals die Mädels in der Hippiezeit. Daher die ausgeprägten Knospen im kühlen Spätsommerwind. Ein D-Cup auf ihrer Haut hätte sich ebenso erfreut wie meine wärmenden Hände. Auch ihre Beine bewunderte ich; vielleicht eine Kreation von Michelangelo oder einem anderen begnadeten Bildhauer mit Namen Gott oder Rodin. Wie ist eigentlich der Vorname von Rodin? Richtig: Auguste. Und von Gott? Wie spreche ich ihn an, wenn ich mit ihm das fünfte Bier inklusive einigen Klaren trinke? Möglicherweise heißt er Carl oder Carlos. Vielleicht verschweigt er auch seinen Vornamen. Wohl aus gutem Grund. Weil er Chaos von den Engeln gerufen wird.
Pardon, ich schweife ab. Zurück zu ihr: Zierliche Fesseln reckten sich aus ..., na wie hießen die verdammten Dinger noch? Hochhöcker oder Hochstöcker? Ach ja, jetzt fällt es mir wieder ein: Highheels. Die machten die Waden noch strammer. Sie war ein Kunstwerk, ein Gesamtkunstwerk, dem erotischen Traum des Schöpfers entsprungen. So schön, dass ich liebend gerne ein Holzstäbchen genommen hätte, um Gebiss und Zähne zu untersuchen. Gleich dem Schuldoktor damals in der ersten Klasse. Ich hätte das Stäbchen auf die Zunge gedrückt und ihr ein „aaaahh“ entlockt, das mit feinen Vibrationen aus der Kehle dringen würde. „Aaaahh.“ Ein J hätte ich ihr dazu geschenkt und es als Einladung verstanden.
Lang waren ihre Beine. Lang, lang ist es her, dass dieser Anblick meinen Augen geschenkt wurde. Würden meine Fingerspitzen von den Füßen empor gleiten, so bräuchten sie sicher einen ganzen Tagtraum, um von Pore zu Pore bis zum Po zu gelangen. Meine Augen würden wandern durch Tal und Höhe - einen ganzen Vormittag von der Ferse bis zur Kniekehle. So bräuchte ich Stunde um Stunde, um zu den „Kugeln des Paradieses“ zu gelangen. Der Himmelsvater höchstselbst holte sie von der Bowlingbahn und verzauberte sie zu himmlischen Rundungen. Himmlisch? Passte dies Adjektiv für einen Po?
Ich murmelte: „Himmlisch!“
Sie hob die Augenbrauen.
Meine Hände steckten in den Jackentaschen. Eine Vorsichtsmaßnahme. Sie sollten ruhig bleiben. Es zuckte mir in den Fingern. Ich sah in ihre Augen, leuchtend und gütig waren sie. Sie besaßen das geheimnisvolle Funkeln der Jugend und einer noch geheimeren durchliebtenliebten Nacht. Noch immer waren ihre Wangen gerötet. Ganz leicht nur, hingehaucht von einem zarten Kuss, so sanft, wie es nicht einmal das raffinierteste Make-up erschaffen könnte. Dieses Wunderwerk blieb nur einer liebenden Frau vorbehalten. Verdammt, wie jung mochte sie sein? Fünfundzwanzig, einunddreißig?
Wie schade, sie liebte mich nie. Sie sah mich ja nicht einmal. Sie sah einfach durch mich hindurch. Doch in ihren Augen glänzte die Liebe. Ich trat auf sie zu. Und ich ahnte eine Allwissenheit. Weit, weit hinter der Liebe versteckt schimmerte sie. Doch wohin ging ihr Blick? Sie sah nicht einmal in das Schaufenster. Sie sah auch nicht durch das Fenster in den Laden. Sie träumte sich viel weiter. Durch jede Wand hindurch. Wohin? Zu ihm?
Ihn hingegen sah ich nicht. Neben ihr stand er, die Hand um ihre Hüfte gelegt, mit leichtem Druck den Körper an sich ziehend, besitzergreifend.
„Mein“, war ihm auf die Stirn tätowiert. Auf ihrer Stirn stand jedoch nicht das Wort „sein“. Es stand etwas anderes dort. Ich konnte es nicht lesen.
„Achtzehn Riesen hab ich gestern gemacht“, raunte er ihr ins Ohr. Sein Rücken streckte sich. Oh, Du stolzer Hahn, dachte ich. Auch ich war Gockel, krähte und scharrte mit den Krallen, bis die Hühner gurrten und bereitlagen. Ich war der König im Hühnerstall, der Herr der ungelegten Eier, der Wichtigste von wichtig. „Herr Wichtig“ wurde ich getauft, kikeriki.
„Achtzehn, wie schön für Dich“, sagte sie gelangweilt.
Er grinste, dies Grinsen, dies gewisse. Mein ganzes Leben staunte ich darüber, hasste es vielleicht, bewunderte es manches Mal. Dieses besitzende Grienen. Immer war es eingetunkt in einer Tasse Öl aus dem Reich Hohn und gewürzt mit einer Prise Chayenne-Pfeffer aus fernem Lande Übermut. Dazu: „mein“, herausgeschrien ohne Stimme. Ich ahnte nicht, dass meine Freunde und Geschäftspartner eben dieses, mein freundliches und gewinnendes Lächeln, mir zusprachen: „Arroganter Scheißkerl, wenn der schon seine Mundwinkel verzieht und einen dabei überheblich mustert“, hieß es hinter meinem Rücken. War der Kerl also ein Spiegel meiner Vergangenheit? Oder: Sollte ich ihn für die Angeberei bestrafen, an den Marterpfahl der Eitelkeiten fesseln, am besten gleich erschießen? Er hatte es sich redlich verdient. Vielleicht erlöse ich ihn von meiner Qual und seiner Freude am Besitz. Ich griff mit der rechten Hand in die Jackentasche, fühlte das kalte Metall; ich könnte ihn erledigen, sie befreien. Befreien?
Die kalten Münzen wanderten durch Daumen und Zeigefinger. Und dann hielt ich ihn in den Fingern: Eins-sechs! Noch heute höre ich den Zahnarzt zu seiner Assistentin sagen: “Eins-sechs ... Extraktion ... gleich ... bereiten sie alles vor.” Noch heute fühle ich die Gänsehaut. Das war gestern.
Der Mann war vergessen, nun sah ich durch ihn.
Im Kindle-Shop: 60 - ERZÄHLUNG EINES MISTKERLS.<
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