1. Oktober 2018

'Maschinenengel' von Dominik A. Meier

Kindle (unlimited) | Taschenbuch
„Mein Name ist Rah. Okay, das ist nicht mein richtiger Name. Der wurde mir genommen. Genau wie alles andere. Ich bin professioneller Dämonenjäger. Zumindest stelle ich mich so gerne vor. Mein genauer Titel ist Ritterbruder des Ordens des Weißen Raben. Ich habe nichts und niemanden auf dieser Welt und riskiere doch alles für sie. Naja, auch das stimmt nicht ganz. Ich neige zu Theatralik. Sorry. Ich habe Ira. Sie ist meine Freundin und gleichzeitig eine Adeptin, ein angehender Maschinenengel. Wir kämpfen füreinander und für unser Recht, zusammen zu sein. Gegen alle Widerstände und bis über den Tod hinaus – denn da geht es erst richtig los.“

"Maschinenengel" ist der zweite eigenständige Roman des "Tumor"-Universums. Jedes Buch der Serie kann für sich selbst gelesen werden und erfordert keine Kenntnisse der vorherigen Romane.

Leseprobe:
Ich fragte mich manchmal, warum der Mensch ein Bewusstsein besaß. Waren wir nicht viel zu oft kaum mehr als Schlafwandler, gefangen in der unbarmherzigen Gnadenlosigkeit der Wirklichkeit, unfähig, sie zu beeinflussen oder gar zu ändern? Warum gaukelten wir uns überhaupt vor, einen freien Willen zu haben, wenn wir doch nur kleine Rädchen in der kalten und präzisen Maschinerie des Schicksals waren? Vielleicht brauchten wir diese Illusion, um die unerträgliche Sinnlosigkeit unseres nutzlosen Alltags zu ertragen. Ich wusste es nicht. Schon oft hatte ich mir den Kopf darüber zerbrochen und war zu keiner Antwort gekommen. Ich hatte einzig die Erkenntnis gewonnen, dass wir vermutlich besser dran wären, könnten wir uns nicht hinterfragen und blinden Schlafwandlern gleich durch unser Leben stolpern, ohne Kenntnis unserer Umgebung, ohne Rücksicht auf uns oder andere, gefangen in einem bittersüßen Traum.
Ich hob den Kopf und sah dem dunkeln Rauch nach, der in dichten Schwaden langsam in den Himmel stieg und die goldene Morgendämmerung verdunkelte. Es war ein klarer, wolkenloser Tag. Das Gras glänzte noch vom letzten Regen und die Luft hatte diese angenehm kühle Temperatur, die eigentlich kalt sein sollte, im Sommer jedoch so unglaublich erfrischend wirkte. Ironisch, etwas so Schönes am Tag nach einer fürchterlichen Tragödie zu sehen. Aber so vieles auf dieser Welt war nicht gerecht. Man konnte versuchen, es zu ändern oder es akzeptieren. Letzteres war einfacher.
Schweigend standen wir um den Scheiterhaufen, nahmen Abschied von einem teuren Freund, einem geliebten Bruder. Das Ende war schnell gekommen, überraschend und unvermeidlich. Es hatte uns einmal mehr daran erinnert, wie klein und zerbrechlich wir eigentlich waren, wie schnell unser Dasein vorbei sein konnte und wie wenig Macht wir über das Schicksal hatten.
Das trockene, helle Holz knisterte, als die Flammen es nach und nach entzündeten. Immer höher und immer heller loderten sie, bis sie schließlich auch den toten Leib vollständig umschlossen und langsam verzehrten. Nun verging das wenige, was übrig war. Asche zu Asche und Staub zu Staub. Auch ein Mensch war nur Nahrung für das Feuer und am Ende eines jeden Lebens blieben stets nur Asche und Staub übrig. So war es immer gewesen und so würde es auch immer sein. Denn auch wir waren keine Ausnahme. Wir mochten Technologie haben, Medizin, Wissen und scheinbare Allmacht, wir beherrschten diesen Planeten und die Kreaturen darauf, doch wenn es mit uns zu Ende ging, zerfielen wir wie alles andere auch.
„Mach’s gut, Bruder“, flüsterte ich und spürte, wie mir eine einsame Träne über die Wange rann. Ich versuchte gar nicht, sie abzuwischen, denn wo sie herkam, warteten noch so viele mehr. „Wir werden dich vermissen.“
Der Tod war nichts Neues für uns. Nein, im Gegenteil. Er war ein treuer Begleiter und oft auch ein mächtiger Verbündeter. Doch er war nun mal der Tod. Wen er zu sich holte und wen nicht, wussten wir nie. Es war grausamer Zufall, höhnisches Schicksal. Mal waren es wenige Sekunden, mal wenige Worte und mal wenige Millimeter, die uns von ihm trennten und uns neues Leben schenkten. Dinge, die in ihrer unendlichen Bedeutungslosigkeit doch über alles entschieden. Und auch wenn wir uns das stets vor Augen führten und wussten, dass auch unser Leben jederzeit in einer infernalischen Stille enden konnte, so schmerzte der Abschied trotzdem jedes Mal aufs Neue.
Fen trat nach vorne und stimmte mit seiner tiefen Stimme das Vaterunser an. Ein altes Ritual, das ich schon viel zu oft hatte miterleben müssen. Wir hatten unsere Toten schon immer so verabschiedet und würden es auch immer tun. Es gab uns Halt, Sicherheit. Dieses Ritual war eines der wenigen Dinge auf dieser Welt, die wir beeinflussen konnten, denen wir nicht hilflos ausgeliefert waren. Ein Fels in der tosenden Brandung, ein Grashalm im Sturm. Ich empfand es als tröstend, zu wissen, dass auch ich eines Tages dort liegen und dass auch für mich dieses Ritual abgehalten werden würde. Vielleicht war es schon in wenigen Tagen soweit, vielleicht erst in vielen, vielen Monaten. Doch jeder hier wusste, dass der Tag kommen würde, an dem andere an unserer statt hier stünden und uns betrauerten.
Schweigend warf ich einen letzten Blick auf den brennenden Körper unseres Bruders, der langsam in den Flammen verschwand. Das Feuer machte uns alle gleich, unabhängig davon, wie gut oder schlecht wir in unseren Leben gewesen waren. Es hatte etwas Friedliches an sich, ihn da liegen zu sehen, gehüllt in seine schwarze Kutte. Ich wusste, dass niemand mehr etwas an seinem Tod ändern konnte und dass niemand ihn hätte verhindern können. Ich wusste nicht einmal, ob er sich nicht sogar den Tod herbeigesehnt hatte. Trotzdem fiel mir der Abschied schwer. Schwerer, als ich zugeben wollte. Noch eine Träne rann über meine Wange. Und noch eine. Ich zog meine Kapuze über, zog sie tief in mein Gesicht, bis es fast vollständig verhüllt war. Die anderen sollten nicht wissen, wie sehr es mich schmerzte. Ich musste stark sein.
„Ruhe in Frieden, Freund“, beendete Fen schließlich sein Gebet und damit die schmucklose Trauerfeier für einen Menschen, dessen Namen die Welt niemals erfahren würde. Auch wenn er so viel für sie geleistet und geopfert hatte. Es war nicht gerecht. Es war niemals gerecht. Wir waren zwar selten mehr als Blätter im Wind der Zeit, doch ich hatte meinen eigenen, kleinen Weg gefunden, der Stille des Vergessens ein Schnippchen zu schlagen. Es war nicht viel, aber es bedeutete mir dafür umso mehr. Ein Zeichen, dass es nicht ganz umsonst war. Und dieses Zeichen war eine große, alte Eiche, die einsam inmitten der Wiese stand, nur ein paar Meter von uns entfernt. Mit dem Respekt, der einem Monument der Erinnerung gebührte, ging ich auf sie zu und legte eine Hand auf die raue, von Wind und Wetter gezeichnete Rinde. Sie war ein alter Freund von mir, hatte so viele Menschen überdauert und würde auch mich überleben. Ich kam stets hierher, wenn ich nachdenken musste, wenn ich trauern oder allein sein wollte. Sie verstand mich, wie sie da stand, unberührt von den Leiden der Menschen, still und stumm. Doch noch lebte ich. Und so bückte ich mich und zog ein kleines Messer aus meinem Stiefel. Zu viele Namen schon hatte der kalte Stahl in diesen Baum ritzen müssen. Zu große Teile der Rinde bewahrten bereits die Erinnerung an zu viele gute Freunde. Aber so lange ich lebte, würde ich den Namen jedes Einzelnen hier bewahren. Zwar nicht für die Ewigkeit, aber für ein paar Jahrzehnte. Das war alles, was ich tun konnte. Ios. So hatte er geheißen.
Ich blieb einen Moment vor dem Baum stehen, senkte meinen Kopf und gedachte seiner. Er war ein guter Freund gewesen, ein tapferer, aufrichtiger Mensch. Pflichtbewusst und loyal. Klischees, das war mir klar, doch ein ehrliches Klischee war besser als so manche Lüge. Nicht alle waren zu Außergewöhnlichem bestimmt. Doch man hatte sich auf ihn verlassen können. Und er war sich nie um einen Spruch verlegen gewesen, egal, wie derb er auch gewesen war. Verdammt. Ich würde ihn vermissen. Ein paar Minuten verharrte ich so. Wenn auch nur ein kleines Detail anders verlaufen wäre, würde er heute hier stehen und nicht ich. Vielleicht auch keiner von uns. Das durfte ich nie vergessen. Und so zollte ich ihm den gleichen Respekt, wie ich ihn auch dem Schicksal zollte.
Irgendwann hörte ich schwere Schritte hinter mir. Ohne ihn zu sehen, wusste ich bereits, dass Fen auf mich zukam. Nur er schaffte es, so laut auf Gras zu gehen und die Stille dieses Morgens so grausam zu zertrümmern. Ich hätte gerne noch ein paar Augenblicke für mich gehabt, aber daraus wurde wohl nichts. Als er bei mir war, legte er seine große Hand auf meine Schulter und zwang mich recht unsanft zum Umdrehen. Ich schloss die Augen, unterdrückte eine letzte Träne und blickte auf.

Im Kindle-Shop: Maschinenengel.
Mehr über und von Dominik A. Meier auf seiner Website.



Labels: ,

0 Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Abonnieren Kommentare zum Post [Atom]

<< Startseite