1. Juni 2021

'Wenn Kavaliere reisen' von Sabine Illetschko

Kindle (unlimited) | Taschenbuch
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Henrik und Onkel Adam sollen verreisen. Eher unfreiwillig begleitet der ewige Student den honorigen Professor. Der braucht Hilfe im Umgang mit seiner Fahrangst und Henrik selbst kann die Reise nutzen, um endlich seinen moralischen Mittelpunkt zu finden, wie es sein Vater ausdrückt. Trotz der unorthodoxen Wahl ihrer unterschiedlichen Fortbewegungsmittel gelangen die beiden an eine Art Ziel. Jeder für sich überwindet tiefsitzende Ängste und findet Antworten auf Fragen, die man sich früher oder später stellen muss.

Die Tour der beiden führt sie über Mittelitalien bis an die Peloponnes - zu einem Zeitpunkt, an dem Europa im Umbruch ist, ganz so wie zu Vorzeiten der französischen Revolution, als Gelehrte mit ihren Schutzbefohlenen Kavaliersreisen unternahmen. Ganz nebenbei wird diese moderne Grand Tour durch Einblicke in volkswirtschaftliche Fragen untermalt, denen sich der Onkel unaufgeregt und mit Hilfe von kleinen Erklärskizzen immer wieder widmet.

Buchtrailer:
Anleser:
Als wir nach weiteren zwei Flaschen Chianti die kleine Gasse, die direkt auf die Piazza führte, betraten, fühlte ich, wie mein Magen mit dem Brocken Fleisch kämpfte, mit dem ich ihn gestopft hatte. Die Straße war berstend voll mit Italienern und anderen Lärmquellen. Eine Menschenwand am Ende der Gasse versperrte den Zugang zum berühmten Hauptplatz der Stadt. Der Professore schaute den Onkel und mich an und sagte etwas, das ich in dem Stimmengewirr nicht hören konnte. Er hob seine Arme über den Kopf und beugte sich ein wenig nach vorne. Seine Hände berührten sich, als wollte er zu einem Kopfsprung in einen imaginären Pool ansetzen. Er drehte sich in die der Piazza abgeneigten Richtung und wippte mit seinen Handgelenken auf und ab. Der Komplexitätsgrad dieses außergewöhnlichen Bewegungsablaufs, der all die in seinem Körper verborgenen Kräfte zu brauchen schien, ließ mich kurz daran zweifeln, ob es sich hier tatsächlich um eine simple Richtungsanweisung handeln sollte. Onkel Adam grunzte neben mir und ich konnte die Töne, die ich von ihm hörte, nicht sofort richtig deuten. Er drehte sich weg vom Professore und hielt sich eine Hand vor seinen Mund. Die andere legte er mir auf die Schulter. Er neigte sich zu mir und ich sah, dass er sich vor Lachen krümmte.
„Lustig, oder?“, sagte der vom Wein beschwingte Onkel.
Ein weiteres Mal überraschte er mich vollends.

Wir folgten dem honorigen Ausdruckstänzer, der sich jetzt erbarmungslos durch die Massen, die in Richtung Campo drängten, quetschte. Er behielt dabei ohne Unterbrechung seine schlaksigen Arme in der Höhe, ganz wie es sich für einen ordentlichen Fremdenführer gehört, dem Schirm oder Fähnchen fehlen. Wir bogen in eine noch engere Gasse und bahnten uns den Weg bis an ihr Ende. Dann drängten wir uns weiter in Richtung des Hauptplatzes. Was war das nur mit diesem Volk? Offenbar gab es Italiener nur unter freiem Himmel und nur in Massen. Dabei bewegten sie sich unaufhörlich. Niemand stand still – und niemand war still. Es wurde gelacht, mit den Händen gefuchtelt, sich umarmt, sich geküsst, sich fotografiert, debattiert, telefoniert. Welche Leidenschaft, welche Freude! Gerade als ich das italienische Lebensgefühl ganz in mir aufnehmen wollte, spürte ich, dass ich bereits voll war. Kein Platz mehr in mir. Mir war schlecht, und zwar richtig.

Blick ins Buch (Leseprobe)

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