'Bitterblutige Wahrheit' von Ilona Bulazel
»Wie eine lebende Fackel drehte sich Nadja im Kreis, als könnte sie sich so aus den schmerzhaften Klauen des Todes winden – doch dieser trieb ein grausames Spiel mit der Sterbenden und schien die Darbietung zu genießen, bevor er sich endlich erbarmte und dem kräftigen Herz in Nadjas Brust gestattete, das wilde Hämmern einzustellen.«
Max von Bernau hat alles genau geplant. Die Neueröffnung seines Luxushotels muss unbedingt ein Erfolg werden, sonst ist er ruiniert. Doch dann bricht ein Unwetter biblischen Ausmaßes über den Schwarzwald herein und die Anlage ist von der Außenwelt abgeschnitten. Noch in der gleichen Nacht beginnt das grausame Morden und nicht nur die Gäste müssen um ihr Leben bangen.
Einzig Oberkommissar Müller, der die Abgeschiedenheit des Hotels nutzen wollte, um sich seinen Dämonen zu stellen, kann den Täter aufhalten. Der fordert ihn mit weiteren Bluttaten heraus und der Polizist erkennt, dass nichts ist, wie es auf den ersten Blick scheint.
Umgeben von tiefem Hass, Gier und dem Wunsch nach Rache macht er sich auf die Suche nach der bitterblutigen Wahrheit …
Gleich lesen: Bitterblutige Wahrheit: Kriminalroman
Leseprobe:
Das Gebäude war verloren. Die Flammen loderten in den Nachthimmel, versuchten, so schien es, die Sterne zu berühren, und erhellten die Dunkelheit auf gespenstische Weise. Die Löschzüge der Feuerwehr erreichten viel zu spät das imposante Hotel, das seit fast hundert Jahren hier oben auf einer der kargen Bergspitzen des Schwarzwaldes thronte, um stressgeplagte Städter mit verwöhnten Gaumen zu beherbergen.
All die Jahre hindurch hatte man sich dort unermüdlich um die Sorgen und Nöte der Gäste gekümmert. Und stets, bis auf ein paar unbelehrbare Ausnahmen, waren die Besucher nach ihrem Urlaub mit gelösten Gesichtszügen und zugegeben auch drastisch geleerten Geldbeuteln abgereist. Trotz aller Bemühungen ließ sich allerdings nicht kaschieren, dass das Familienhotel seine besten Tage bereits hinter sich hatte. Die Gäste eilten nicht mehr so zahlreich herbei wie in den Jahren zuvor, und die Konkurrenz, die mit modernen und schicken Gebäuden aufwarten konnte, ließ die Übernachtungszahlen der Herberge stetig sinken.
Aber das spielte jetzt keine Rolle mehr, denn es würde sowieso nichts von dem altehrwürdigen Haus übrig bleiben. Die Flammen schossen aus den Fensteröffnungen, hatten sich längst durch den Dachstuhl gekämpft und beschlossen, alles dem Erdboden gleichzumachen.
Nadja schlief tief und fest. Die Achtzehnjährige hatte gerade einen wunderschönen Traum: Sie lag an einem exotischen Strand in den Armen eines Filmstars und spürte die Sonne auf der Haut. Doch plötzlich wurde ihr die Wärme unangenehm, die Traumbilder zerflossen vor ihrem geistigen Auge und sie schrak auf.
Für einen Moment war sie orientierungslos, dann fiel es ihr wieder ein. Berni, einer der Azubis, hatte ihr den Schlüssel zur Romantiksuite besorgt, nachdem sie sich bei ihm über ihre Mitbewohnerin beklagt hatte. Ein nettes, übergewichtiges Mädchen, das genau wie Nadja ein Praktikum im Hotel absolvierte, im Angestelltentrakt wohnte und die leidige Angewohnheit hatte, wie ein Bär zu schnarchen.
Berni hatte versucht, sich mit seinem Regelverstoß bei Nadja beliebt zu machen. Sie wusste, dass er sehr an ihr interessiert war. Sie hatte schon früh bemerkt, wie hilfreich ihr gutes Aussehen und ein bisschen weibliche Raffinesse sein konnten, um das zu bekommen, was man wollte. Zwar war sie deshalb häufig in Schwierigkeiten geraten, hatte sich aber doch immer wieder herauslavieren können. Nur ihre ältere Schwester ließ sich nicht um den Finger wickeln.
Sie hatte ihr ein Ultimatum gesetzt: »Entweder du bekommst dein Leben in den Griff, oder wir gehen getrennte Wege!«
Die Worte waren sehr wohl ernst gemeint gewesen und Nadja hatte sich besonnen. Sie wollte auf keinen Fall den einzigen Menschen verlieren, dem sie etwas bedeutete. Ihre Eltern waren bereits tot und so hatten die Schwestern nur einander.
Nadja hatte mit viel Glück diese Praktikumsstelle ergattern können und eventuell winkte anschließend ein Ausbildungsvertrag, aber so richtig ernst nahm sie ihren Job nicht. Und deshalb hatte sie sich auch darauf eingelassen und Bernis Angebot – ohne an die Konsequenzen zu denken – angenommen.
Das Bett der Romantiksuite war so kuschelig gewesen und sie hatte sofort tief und fest geschlafen; doch jetzt war Nadja hellwach. Sie bekam kaum noch Luft, atmete schwer, hustete und hievte sich umständlich von der dicken Matratze. Überall war dieser Nebel ... Und dann endlich verstand sie: Das war kein Nebel, sondern Rauch!
Panik ergriff sie und ließ sie aus dem Schlafzimmer zur Eingangstür eilen. Automatisch umschloss ihre Hand den goldfarbenen, altmodischen Knauf, nur um im nächsten Augenblick schmerzvoll aufzuschreien. Sie riss ihre Hand mit einem Ruck zurück, die Haut klebte an dem heißen Metall fest. Jetzt sah sie den hellen Schein unter der Tür, der Flur musste bereits in Flammen stehen. Der beißende Rauch waberte immer dichter durch den Raum. Nadja hielt sich die Hand vor den Mund und flüchtete in Richtung der Fenster, während ihr Tränen über das Gesicht liefen. Sie hatte gerade die Mitte des Salons erreicht, als eine gewaltige Explosion das Gebäude zu zerreißen schien. Die Fenster zersprangen und scharfe Glasscherben ergossen sich über den Körper der jungen Frau. Sie dachte an ihre Schwester, sah deren zartes Gesicht vor sich, auf dem sich stets eine kleine Sorgenfalte zwischen den Augen bildete, und wusste, dass sie sterben würde.
Im nächsten Moment verschlang die Feuerwalze Nadjas Körper. Sofort verschmolz das billige Polyesternachthemd mit der Haut der jungen Frau und ließ sie in Flammen aufgehen. Wie eine lebende Fackel drehte sich Nadja im Kreis, als könnte sie sich so aus den schmerzhaften Klauen des Todes winden – doch dieser trieb ein grausames Spiel mit der Sterbenden und schien die Darbietung zu genießen, bevor er sich endlich erbarmte und dem kräftigen Herz in Nadjas Brust gestattete, das wilde Hämmern einzustellen.
Wieder ließ eine heftige Explosion die Mauern erzittern, lange konnte das Gebäude dieser Gewalt nicht mehr standhalten. Der Einsatzleiter der Feuerwehr schrie seinen Männern zu, sich zurückzuziehen. Sie hatten bereits ein Opfer in den eigenen Reihen zu beklagen, seine Entscheidung war daher die einzig Richtige. Alle hatten ihr Bestes gegeben und doch versagt. Mit rußgeschwärzten Gesichtern und Schweiß auf der Stirn standen sie nun da und mussten dem Feuer den Sieg überlassen.
Es waren noch Menschen in dem Gebäude. Die Rettungskräfte hatten die Schreie der Unglücklichen gehört und würden diese vermutlich nie vergessen können. Obwohl das Hotel zügig evakuiert worden war, hatten es doch nicht alle geschafft.
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Labels: Ilona Bulazel, Krimi
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