6. September 2018

'Tumor' von Dominik A. Meier

Kindle (unlimited) | Taschenbuch
Das Institut. Leuchtfeuer der Menschheit. Ein gewaltiger Forschungskomplex am Ende der Welt. Hier sollte unsere Spezies die Grenzen ihres Daseins überwinden. Hier sollten wir neue Menschen werden. Doch es kam alles anders.

Nun steht das Institut für dutzende unterirdische Ebenen voller Giftgas, unerklärlicher Anomalien und missgestalteter Kreaturen. Es ist die Keimzelle unseres Untergangs. Niemand weiß, was geschehen ist. Und doch bin ich hier. Ich riskiere mein Leben für meine Frau, die hier verschollen ist. Mein Name ist Maske. Und mein Weg führt nach unten.

Leseprobe:
Eigentlich sollte der Filter meiner Maske noch ein paar Minuten halten. Eigentlich. Wenn ich mich nicht verrechnet hatte. Und wenn er keinen Materialfehler hatte. Aber die Luft war heute feuchter und auch heißer als sonst. Nur der Teufel wusste, wie stark sich das auf seine Lebenserwartung und damit zwangsläufig auch auf meine eigene auswirkte. Der Geruch von Phosgen stieg mir in die Nase. Besorgniserregend intensiv, ekelerregend süß. Verwesungsgestank. Wie verrottendes Obst. Ich unterdrückte den Würgereiz, schaute auf meine Uhr, zwang mich zur Ruhe. Mein Atem rasselte schon viel zu laut durch den Filter, der Gestank war längst zu stark. Keine Ahnung, wie lange er noch mitmachte, aber mein Instinkt war nicht gerade optimistisch. Ich musste mich beeilen. Doch statt schneller zu kriechen, hielt ich entgegen jedweder Vernunft für einen Augenblick an. Denn irgendwo hier, irgendwo im Dunst des eingefärbten Gases, irgendwo zwischen Dreck und Schutt, musste ‚sie‘ sein. Ich tastete. Vorsichtig, um mich nicht an irgendeiner Kante zu schneiden. Doch meine Finger gruben sich nur in Staub und Asche. Wo war sie nur? Ich unterdrückte einen leisen Fluch, wollte die Atemluft sparen.
Dann endlich, nachdem ich viel zu lange hatte suchen müssen, fühlte ich sie. Neben einem Betonbrocken, vergraben unter einigen Zentimetern Schutt. Meine zitternden Finger schlossen sich um die knöcherne Hand, die sich mir entgegenstreckte. Ich fühlte, wie die Gebeine durch das Leder meiner Handschuhe drückten, wie sie mich begrüßten und verabschiedeten. Diese Totenhand war mein persönliches Zeichen dafür, dass es gleich geschafft war. Mein Glücksbringer, wenn man so wollte. Mein Ritual, mit dem ich abschloss, wenn ich es einmal mehr geschafft hatte. Zumindest fast. Es war nicht mehr weit. Ich hob den Kopf und schaute nach vorne. Nur noch ein paar Meter. Ich konnte das Licht schon sehen, zwang meine nach Ruhe schreienden Muskeln zu einer allerletzten Anstrengung, zum Weitermachen jenseits der völligen Erschöpfung. So schnell ich nur konnte, zog ich mich über den Schutt, kroch weiter und ignorierte den Schmerz in meinem ganzen Körper.
Schließlich empfingen mich erlösendes, gleißendes Licht, warme Sonnenstrahlen und frische Luft. Ich zog mich nach vorne, ließ mich aus dem Schacht fallen und landete auf weichem Gras. Sofort drehte ich mich auf den Rücken und riss mir die Maske vom Gesicht. Ich würgte, hustete und schnappte nach Luft. Die letzte Minute hatte ich die Luft angehalten. Vielleicht sogar länger. Ich hatte es geschafft. Einmal mehr geschafft. Lächelnd schloss ich die Augen und atmete tief ein und aus. Nichts auf der Welt fühlte sich so gut an wie frische Luft, nichts roch so fantastisch und nichts konnte so unverfälscht schön sein.
Plötzlich packten mich eine Hand an der Schulter und eine andere am Kragen. Ein fester Griff, der mir fast die Kleidung vom Leib riss. Vitali zog mich unsanft auf die Beine und zog mich ein paar Meter weg. Taumelnd ließ ich mich von ihm leiten. Ich war nicht mehr in der Lage, auch nur einen Schritt alleine zu gehen. Jeder Muskel in meinem Leib schmerzte, meine Beine waren taub und ich schaffte es kaum, genug Luft in meine Lunge zu ziehen. Doch wir mussten weg. Ein unglücklicher Windstoß konnte so problemlos Phosgen aus dem Schacht genau in unsere Richtung wehen. Vitali wusste das genauso gut wie ich. Wir hätten viel schneller sein müssen, doch er musste mich stützen. Alleine wäre ich keinen Schritt mehr vorangekommen. Meine Beine hatten kapituliert. Nicht einmal kriechen hätte ich können.
Trotzdem hob ich den Kopf, sah ihn an und grinste. Vitali jedoch schüttelte nur seinen von einer Gasmaske geschützten Kopf und setzte mich ab. Ohne ein einziges Wort zu sagen, zog er einen Geigerzähler aus seiner Tasche und fing an, mich von Kopf bis Fuß damit zu prüfen. Das Gerät ratterte schnell und laut, aber bei weitem nicht so sehr, dass es mich beunruhigt hätte. Hatte ich mir schon gedacht. Die radioaktiven Zonen hatte ich schließlich gemieden. Naja, so gut es ging zumindest. Etwas Hintergrundstrahlung bekam man immer ab.
„Irgendwann erwischt es dich“, raunte er mir schließlich zu, als er die Maske abnahm und sich neben mich setzte. „Irgendwann schaffst du es nicht mehr. Und dein letzter Gedanke wird sein, dass ich es dir ja gesagt habe. Du kalkulierst zu knapp.“
„Irgendwann vielleicht, ja“, antwortete ich, nahm die Feldflasche von seinem Gürtel und trank sie halb leer. Den Rest schüttete ich über meinen Kopf. Ich fühlte mich, als würde ich verglühen. Mein Herz raste und die unbarmherzig auf uns herabbrennende Sonne machte es nicht besser. „Aber nicht heute.“

Im Kindle-Shop: Tumor.
Mehr über und von Dominik A. Meier auf seiner Website.



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