11. September 2018

'Wenn ich dich gehen lasse, Baby' von Franziska Sterntaler

Kindle Edition
Wie verkraftet man den Verlust eines Kindes? Nach dem tragischen Tod ihrer kleinen Tochter stehen die Bachmanns vor den Scherben ihrer Ehe.

Nina sucht Halt in einer Trauergruppe. David betäubt Kummer und Schuldgefühle mit Alkohol. Als Nina sich überraschend für die Adoption eines Säuglings entscheidet, eskaliert die Situation. Die leibliche Mutter des Adoptivkindes ist indessen todunglücklich. War es richtig, ihr Baby abzugeben? Ist ihr Sohn wirklich in gute Hände gekommen, wie man es ihr versprochen hat? Und kann man eine Adoption rückgängig machen?

Leseprobe:
Weihnachten verlieh dem Horror neue Dimensionen.
Nina registrierte mit distanzierter Verwunderung, wieviel Leid sie aushalten konnte, ohne daran zu sterben. Am Nachmittag des Heiligabends schmückte sie einen Mini-Christbaum und fuhr damit zum Friedhof. Es war ihr egal, ob das gegen die Friedhofsordnung verstieß. Anderen verwaisten Eltern offensichtlich auch. Das verschneite Sternenkinderfeld war ein Lichtermeer. Weihnachtsdeko glitzerte überall zwischen bunten Windspielen, Engelsfiguren und Schmetterlingen. Alle Namen hier gehörten Kindern, die noch vor dem Schulalter aus dem Leben gerissen wurden. Sie waren Nina inzwischen so vertraut, wie die Namen von Hannahs Freunden ihr vertraut gewesen wären, wenn sie alt genug geworden wäre, Freunde zu haben.
Vor fast allen Gräbern waren tiefe Fußspuren.
Nina machte nicht mehr den Fehler, die Abschiedsgrüße auf den Gedenktafeln zu lesen. Unbeholfene Reime, geschrieben mit dem Blut von gebrochenen Herzen. In Stein gemeißelte Dokumentationen von Wunden, die nie verheilen würden. SOS-Nachrichten fassungsloser Eltern.
Nina zündete eine Kerze an und stellte sie in die Laterne mit den Märchenmotiven auf Hannahs Grab. Die gelbe Plastikente daneben war halb eingeschneit. Es sah aus, als würde sie auf einem weißen Teich schwimmen.
„Mama ist hier“, sagte Nina. „Frohe Weihnachten, mein Baby. Frohe Weihnachten, Hanni!“ Sie fand einen Platz für das Bäumchen, malte mit dem Zeigefinger ein Herz in den frischen Schnee und drückte ihre Handfläche hinein. Dann stand sie da und hoffte, irgendetwas zu spüren, das sie als Anwesenheit ihrer Tochter interpretieren konnte. Sie spürte nichts. Nur die Kälte.
Das hier war alles, was geblieben war. Von den Jahren, in denen sie auf ein Kind gewartet hatte. Von der Schwangerschaft, in der sie wie auf Wolken unterwegs gewesen war, überglücklich, unendlich dankbar. Von der kostbaren Zeit, in der sie Hannah gehabt hatte. Und von der sie wie selbstverständlich gedacht hatte, dass dies erst der Anfang war. Tatsächlich war es nur ein kurzes Zwischenspiel gewesen, eine Andeutung von dem, was hätte sein können.
Ihr Herz sträubte sich, die Realität endgültig zu akzeptieren, aber ihr Gehirn war erbarmungslos wie immer. Ist so. Gewöhn dich dran.
Als Nina nach Hause fuhr, schneite es in dicken Flocken. Die Straßen waren wie leergefegt. Christbäume leuchteten in den Gärten und hinter den Fenstern.
Sie hörte in der Küche Weihnachtslieder, weinte, kramte das Backrezept vom letzten Jahr hervor, heulte in den Teig, ließ nacheinander zwei Bleche mit Keksen verbrennen und weinte noch mehr.
David saß im Wohnzimmer und trank. Festlich war in ihrem Haus in diesem Jahr höchstens der Geruch nach angebranntem Backwerk.
Sie verbrachte die Feiertage im Kinderzimmer, eingehüllt in Hannahs Bettdecke. Der Bezug war noch immer derselbe. Sie sah wieder und wieder die Fotos und Videos an. Hannah in der Küche, kichernd, die Finger im Keksteig vergraben. - Hannah im winterlichen Garten, mit Rentier-Mütze und knallroten Apfelbäckchen. - Zwei große Engelsabdrücke im Schnee, ein Miniaturengel dazwischen. - Winzige Hannah im Samtkleidchen vor dem riesigen Baum im Wohnzimmer. - Hannah lacht sich kaputt über den Weihnachtsmann, der genauso aussieht wie David, nur mit Wattebart. - Hannah hockt in einem Berg von Geschenkpapier und Spielzeug und hält eine quietschgelbe Ente in die Kamera, ihr Gesicht pure Freude. - Ende. Für immer. Nina drückte Repeat. Repeat. Repeat. Repeat.
Sie hatten so erbärmlich wenige Erinnerungen zusammen sammeln dürften. Warum gab es brutale, grausame Menschen, die steinalt wurden, während ihre süße, unschuldige Tochter vom Schicksal einfach so aus der Welt gekickt wurde? Warum? WARUM?! Ihr Herz ließ sich nicht beruhigen. Nicht an Weihnachten.
Darum, sagte ihr Gehirn kühl. Es gibt keine Antwort auf das Warum. Das Leben ist halt scheiß ungerecht.
Sie schrie in die Kissen des Kinderbetts und heulte Rotz und Wasser.

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