28. Januar 2022

'Fur-Warrior: Wandler in Rüstung' von Anna Kleve

Kindle (unlimited) | Taschenbuch
Website Anna Kleve
Was Herz und Seele wollen kann niemals ein Irrtum sein.
So sehen die Wandler die Pfade ihrer Gesellschaft.
Meistens jedenfalls, denn als sich Colin, das Kind von pflanzenfressenden Wandlern, in eine Andenkatze, einen Fleischfresser verwandelt wird die Lage doch ziemlich kompliziert. 

Selbst die Unterstützung durch den Wildkatzenwandler Aramis verhindert nicht, dass Colin sich mit den Unterschieden und Grenzen zwischen Pflanzen- und Fleischfressern auseinandersetzen muss.
Gleichzeitig müssen sie sich mit von einem oder mehreren Wandlern begangenen Morden, uralten, verlorengeglaubten Kräften und unerwarteten, starken Gefühlen herumschlagen.

Anleser:
Aramis – Das Ritual
Die kristallklaren Regentropfen glitzerten wie Schmuck in den Bäumen. In der Ferne hörte ich das Grollen von Donner, aber es war weit fort.
Der Nebel hing schwer in der Luft. Er erhob sich von den leicht gewärmten Pflanzen des Tages, während die Abenddämmerung vorbei zog.
Etliche Körper schoben sich zwischen den Bäumen entlang, dorthin, wo ich mich bereits aufhielt.
Ich kannte sie mehr oder weniger. Die Gruppen. Die Paare. Die Einzelgänger. Die Familien.
Auf dem umgestürzten Baum sitzend wartete ich und betrachtete sie alle, wie sie nach und nach eintrafen.
Meine Krallen schoben sich aus den Fingern, zogen sich wieder zurück und drangen erneut hervor, kratzten an totem Holz.
Füße am Boden waren bald Pfoten und Klauen. Erde zwischen den Zehen, die zu Krallen wurden. Wandelten sich zurück und kamen wieder.
Aufregung ließ mich hin- und herzucken, obwohl ich das gar nicht wollte.
Die gedämpften Unterhaltungen mancher vermischten sich zu einem unverständlichen Wirrwarr, denn ich wollte ihre Worte nicht hören, wollte nicht die Spekulationen oder die Wetten hören. Diese Nacht war kein Spiel und kein Spaß.
Meine Wandlungen wurden stärker, der Schweif zwischen mir und dem Holz eingeklemmt.
Lukas Wilde, mein Vater und unser Rudelführer, humpelte zwischen zwei Freunden heran. Meine Mutter Emilia ging neben ihnen her.
Ich fauchte leise tief in meiner Kehle. Diese verdammichten Wilden hinter den Grenzen. Sie hatten meinem Vater das angetan und dieses Ereignis damit ausgelöst.
Ich wusste immer noch nicht, ob ich mich beteiligen sollte. Ob ich das überhaupt wollte.
Hatte ich überhaupt die Kraft dazu?
Klauen – Hände. Füße – Pranken. Zähne – mal stumpf, mal spitz, wieder stumpf.
Vater meinte ja. Mutter machte sich Sorgen, um mich, sollte ich es versuchen.
In mir rumorte es. Immer weiter und hin und her.
„Hoffentlich verprügelt den jemand“, ertönte Martins Stimme und sein Kopf nickte in Richtung meines Bruders Rian.
Der lachte gerade mit einem Freund und zog sich anschließend das T-Shirt über den Kopf, um es einfach auf den Boden zu schleudern.
Mein Blick glitt über seinen sorgsam gestählten Körper, trainiert für den Fall der Fälle.
So diszipliniert war ich niemals gewesen, obwohl auch ich trainierte, lediglich nicht so eifrig und entschlossen.
Um mich herum witterte ich den Duft in der kühler werdenden Luft. Moschus, Macht, Erregung und leichte Reste von Seife und Ähnlichem.
Meine Nackenhaare sträubten sich.
In dieser Nacht würde Blut fließen und es würden Junge gezeugt werden.

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21. Januar 2022

'Humboldt und der kalte See' von Jana Thiem

Kindle | Tolino
Website | Autorenseite
Als der Postbote tot im Straßengraben sitzt, ahnt Humboldt noch nicht, dass die Sache viel verzwickter ist. Denn erst kurz darauf erfährt er, dass die im Vorjahr aus dem Olbersdorfer See geborgene Leiche ein ehemaliger Schulfreund des Postboten war. Und dass die beiden zu einer unzertrennlichen Viererclique in den Achtzigern gehörten. Hat es der Mörder auf dieses Kleeblatt abgesehen? Aber warum verleugnen die beiden verbliebenen Mitglieder die Freundschaft von damals?

Zu allem Übel gefährdet die neue Kollegin, Fallanalytikerin Ziska Engel, die beschauliche Zusammenarbeit in Humboldts Team. Und dann quälen den Hauptkommissar schreckliche Gewissensbisse. Hat er sich doch nach einer gemeinsamen Nacht mit der Journalistin Christin Weißenburg nicht wieder bei ihr gemeldet.

Leseprobe:
Mittwoch, 20. Februar 2019

Als er den mächtigen Felsen sah, musste er unweigerlich an die Theaterschauspielerin denken, die vor etwa zwei Jahren unfreiwillig am Jungfernsprung des Oybin herabgesegelt und später auf seinem Tisch gelandet war. Das war wieder einer der Fälle gewesen, die ihn besonders herausgefordert hatten und bei denen er mit Humboldt Hand in Hand arbeiten musste, um dem Täter das Handwerk zu legen.
Rechtsmediziner Dr. Lorenz Richter bremste den Wagen ab und rollte langsam durch den Ort. Dabei schob er seinen Kopf weit bis an die Frontscheibe heran, um den imposanten Berg näher betrachten zu können. Im Winter sah es hier völlig anders, aber nicht weniger interessant aus. Waren bis eben noch auf dem Gipfel die Ruinen des Klosters und der Burg zu sehen gewesen, erkannte Richter jetzt die bienenkorbähnliche Gestalt des Felsens. Fast hätte er es verpasst, seinem Navi zu folgen und rechts in die Hauptstraße einzubiegen. Kurz darauf kam er an einem der Aufstiege auf den Oybin vorbei, der auch zur kleinen Bergkirche führte, die sich eng an den Felsen schmiegte. Wäre er in Stimmung gewesen, hätte er sicherlich nach seiner Arbeit noch einen kleinen Spaziergang unternommen. Aber im Moment war er einfach zu gespannt, was ihn hier erwarten würde. Und vor allem, ob es wirklich notwendig war, dass er sich von Dresden aus die eineinhalb Stunden auf den Weg gemacht hatte.
Schon von Weitem sah er das Einsatzfahrzeug stehen. Ein Beamter sprach mit einer wild gestikulierenden Person, die in einem blauen BMW saß und anscheinend in die gesperrte Straße einfahren wollte. Ein anderer kam auf ihn zu. Richter ließ die Scheibe herunter und sofort drang die eisige Kälte hinein.
„Hier können Sie gerade nicht durch“, sagte der Beamte und legte grüßend den Zeigefinger einer Hand an seine Dienstmütze. Sein Atem wirbelte weiße Wolken auf.
„Ich denke doch“, sagte Richter. „Dr. Lorenz Richter, Rechtsmediziner. Ich werde erwartet.“ Er zeigte seinen Ausweis.
„Na dann, ab in die Hölle“, antwortete der Beamte schief grinsend. Wieder hob er grüßend die Hand und winkte Richter durch.
Die Gesten des BMW-Fahrers wurden noch wilder, als Richter auch den zweiten Beamten passierte und schräg rechts abbog.
Aus den Augenwinkeln nahm er ein Straßenschild mit der Aufschrift Hölleweg wahr. Daher also der schräge Kommentar des Beamten.
Als die Straße immer schmaler wurde, ließ Richter das Auto an einer Gabelung stehen. Er war sich nicht sicher, ob er am Ende des Weges wenden musste oder doch durchfahren konnte.
Er schnappte sich seine Tasche und wählte den rechten Weg, der noch weiter in den Wald hineinführte. Die kleinen Umgebindehäuser wechselten sich hier mit modernen Holzhäusern ab. Aus den Schornsteinen stieg Rauch auf, der sich noch lange im Blau des Himmels abzeichnete. Eine zarte Schneedecke schien sich schützend über alles gelegt zu haben und glitzerte in der Sonne. Zu seiner Linken ragte im Hintergrund ein hoher Berg mit einem Turm auf. Das ist alles viel zu idyllisch, um hier jemanden umzubringen, dachte Richter. Mit Sicherheit war der Mann gestürzt und hatte sich dann ausruhen wollen. Solche Szenarien kannte er schon aus vergangenen Jahren. Die meisten der verletzten Opfer waren mit Erfrierungen davongekommen. Aber diesen hier schien es schlimmer erwischt zu haben. Das hatte ihm Kriminalhauptkommissarin Mahler schon am Telefon mitgeteilt.
Als er einen kleinen Felsen umrundet hatte, stand er direkt vor der Kommissarin, die wild auf ihrem Handy herumtippte.
„Frau Mahler, wie schön, Sie mal wieder zu sehen“, sagte Richter ohne wirkliche Freude in der Stimme.
Linde Mahler, Kriminalhauptkommissarin der Polizeiinspektion Görlitz, nickte kurz. Auch ihre Begeisterung über das Wiedersehen schien sich in Grenzen zu halten. „Ja, schön, dass Sie es einrichten konnten!“, sagte sie und zeigte mit dem Kopf Richtung Wald.
Der Mann, den der Rechtsmediziner Dr. Lorenz Richter im Schnee sitzen sah, trug die typische blau-gelbe Jacke eines Zustellers der Deutschen Post. Auf den ersten Blick hätte man denken können, dass er sich nur ein wenig hatte ausruhen wollen, um sich dann wieder auf den weiteren Weg zu machen. Das gelbe Fahrrad mit den großen Taschen stand ordnungsgemäß auf dem Ständer aufgebockt neben ihm. Nur der Schmutz an seiner Kleidung und die blutverschmierte Wunde an seinem Kopf deuteten darauf hin, dass er nicht nur friedlich eingeschlafen war.
„Können Sie direkt irgendetwas zu unserem Toten sagen? Falls er nur erfroren ist, würde ich mich verabschieden. Ein dringender Fall wartet“, begann Linde Mahler ohne Umschweife.
Richters Miene verschloss sich schlagartig. Er nahm die eckige schwarze Brille vom Kopf und schob sie sich auf die Nase. „Ich muss ihn mir erst anschauen, bevor ich dazu etwas sagen kann. So viel sollten Sie in Ihrer beruflichen Karriere schon mitbekommen haben.“
Linde Mahler zuckte missmutig mit den Schultern und schaute demonstrativ auf die Uhr.
Leise murmelnd beugte sich Richter zu dem Toten hinunter. Er hatte ein Diktiergerät aus der Jacke gezogen und hielt es nahe vor seinen Mund.
„Hämatom im rechten oberen Stirnbereich, könnte von einem Sturz herrühren, da auch die Kleidung verschmutzt ist.“
Er richtete sich auf und sah sich um, entdeckte aber nichts Auffälliges.
„Ist er hier irgendwo gestürzt? Oder gibt es am Fahrrad Spuren, die darauf hindeuten, dass er sich zum Beispiel am Lenker verletzt haben könnte?“, fragte er in Linde Mahlers Richtung, ohne sie dabei direkt anzuschauen.
„Nichts dergleichen. Das haben die Kollegen der KTU natürlich direkt untersucht, nachdem wir den Fundort gesichert hatten.“
Die Ungeduld in ihrer Stimme ließ Richter schmunzeln. Natürlich hatte sie das veranlasst. Schließlich war sie keine Anfängerin.

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13. Januar 2022

'DRAGONGAMES: Dunkle Verführung' von Michelle LeFay

Kindle (unlimited) | Taschenbuch
Michelle LeFay auf Instagram
Was, wenn man wortwörtlich den Mann seiner Träume trifft? Man aber eigentlich vergeben ist?
– Ein Spiel mit Drachen. Eine sexy Wette. Und die Frage, welche Grenzen man für die Liebe seines Lebens bereit ist, zu überschreiten ...


Ariel Stanwick führt ein zufriedenes Leben: Sie mag ihren Job in der Chicagoer Werbeagentur, hat tolle Freunde und jemanden, den sie liebt.
Eigentlich.
Bis sie sich eines Nachts nach Nestania träumt – einen sagenhaften Ort, an dem sich Drachenreiter in aufregenden Wettkämpfen um den Sieg und einen ganz besonderen Preis messen.
Einer dieser Kämpfer ist Tristan ... unglaublich gutaussehend, geheimnisvoll und von sich überzeugt, wie es scheint. Doch verbirgt sich hinter der augenscheinlichen Maske des Bad Boy womöglich mehr als ein oberflächlicher Kerl?
Fasziniert von der magischen Anziehung zwischen ihnen, kann Ariel einfach nicht anders: Sie muss ihn kennenlernen!
Ohne zu ahnen, dass diese Entscheidung ihr Leben für immer verändert. Denn auch, wenn Tristan sich und sein Herz langsam für Ariel öffnet – auf seiner Seele liegen Schatten der Vergangenheit, die alles bedrohen ...

»Michelle LeFay entführt mit ihrem erotischen Fantasyroman in eine Welt voll dunkler Faszination, Liebe und Leidenschaft – ein wunderbares Lesevergnügen!«

* In sich abgeschlossene Lovestory (Bücher einer Serie können unabhängig voneinander gelesen werden)
* Lesestoff für Erwachsene (mit eindeutigen Szenen)

Anleser:
Es ist Freitag.
Ich schaue auf die Uhr …
Nur noch ein paar Stunden, dann ist endlich Wochenende! Das bedeutet im Oktober leider zunehmend volle Taxis, Nieselregen und vor allem wenig Sonnenzeit. Doch auch, wenn mich gewisse Aspekte daran ziemlich nerven, mag ich den Herbst.
Ebenso den Winter. Die vielen Lichter und der Frost an den Fensterscheiben, irgendwie verleiht einem das ein besonderes Gefühl ums Herz.
Die Tür schwingt auf und Ebony Thompson, meine beste Freundin und Arbeitskollegin, kommt herein.
Wir arbeiten beide in der Werbebranche, in derselben Agentur. Unserem Chef Eric Stanson gehört E.T. Stanson Marketing.
Als ich vor drei Jahren hier angefangen habe, war Ebony quasi mein Go-to-girl. Sie hat mich eingearbeitet und ohne eine einzige Beschwerde all die Fragen beantwortet, die ich als Neuling hatte, mir viele Kniffe und Tricks gezeigt und mich keine Sekunde daran zweifeln lassen, dass es richtig war, sich für diesen Job zu bewerben, obwohl unser Chef … nun ja, eben Eric ist.
Kleiner Hinweis: In unserem Konferenzraum hängt (soweit ich weiß, seit der Gründung des Unternehmens) ein überdimensionales Nacktbild von ihm, auf dem wirklich ALLES zu sehen ist. Inklusive seines besten Stücks, das ziemlich unvorteilhaft zur Geltung kommt.
Wie auch immer, er hat die Agentur zu einer der meistgebuchten Marketingfirmen in ganz Illinois gemacht.
»Was machen wir diesen Samstag, Ariel?«, hält Ebony mich davon ab, gedanklich zu sehr in Details abzuschweifen.
Ich verstehe wirklich nicht, weshalb sie immer noch Single ist.
Anders als ich war sie auf einer Elite-Uni und hat ihren Studiengang mit Auszeichnung abgeschlossen. Obendrein ist sie wunderschön: Karamellhaut, volle Lippen, tiefschwarze glänzende Locken und unglaublich lange Beine.
Bei mir hat dagegen alles nur zum Durchschnitt gereicht, auch, wenn Ebony das ständig dementiert.
Tja, das Leben ist nun mal ungerecht.
Nichtsdestotrotz bin ich ein echter Glückspilz, denn eine bessere Freundin als sie gibt es nicht! Wir sind immer füreinander da, helfen und unterstützen uns gegenseitig. Und außer der Tatsache, dass wir beide unseren Job lieben, stehen wir auf dieselbe Musik und dieselben Filme.
»Wir könnten mal wieder ins Chino’s gehen«, schlage ich vor. Das Chino’s ist eine Mischung aus elegantem Restaurant und hippem Club, ein wirklich toller Laden. Und das Beste ist: Er liegt sozusagen direkt bei mir um die Ecke.
Schon seit längerem versuche ich, Ebony zu verkuppeln. Bisher ohne Erfolg, obwohl die Kerle ihr regelrecht zu Füßen liegen. Sie sagt, sie warte auf den ›Einen‹, und bis der kommt, begnügt sie sich damit, so viel Spaß wie möglich zu haben.
Den hat sie definitiv, was man ihr nicht nur ansieht, nein, sie erstattet mir auch regelmäßig Bericht darüber …
»Warum nicht?«, grinst sie. »Und wie sieht deine Planung für heute aus?«
»Treffe mich mit Jeremy«, erwidere ich.
»Ah«, sagt sie bloß, jedoch unverblümt trocken. Ich weiß, sie findet, wir sind nicht die Idealbesetzung. Ebenso weiß ich, dass es nur für sie spricht, wenn sie sich Sorgen und Gedanken um mich macht.
Jeremy und ich sind seit neunzehn Monaten zusammen. Er unterrichtet Musik an einer Chicagoer Grundschule und schreibt die tollsten Liebeslieder für mich.
Nun ja, er ist kein Rockstar, aber seine Fertigkeiten reichen zumindest aus, um mich so richtig in Stimmung zu bringen. Wenn er den Mund aufmacht und ins Mikrofon haucht, bekomme ich jedes Mal feuchte Höschen.
Er hat auch eine Band, die sich No Gravity nennt, und ziemlich oft haben sie Gigs in verschiedenen Bars oder Clubs.
So auch morgen, weswegen ich mit Ebony losziehen kann.
»Es ist nicht so, dass ich Jer nicht mag, Süße«, schiebt sie indes hinterher. »Ich glaube einfach nur nicht, dass ihr dieselben Dinge wollt. Wie oft trefft ihr euch, zwei- bis dreimal die Woche? Ich bin bestimmt keine Expertin, aber gerade in den ersten zwei Jahren einer Beziehung will man sich doch so oft wie möglich sehen. Und ihr seid noch nicht mal so lange zusammen.«
Ich liebe Jeremy von ganzem Herzen. Er ist gutaussehend, charmant und wirklich unglaublich lieb zu mir. Dennoch schätze ich es bisher noch, allein zu wohnen. »Wir mögen eben unseren Freiraum.«
Sie wirft ihre traumhaften Lakritz-Haare zurück. »Und der ist wichtig, keine Frage! Aber sein Hobby nimmt ziemlich viel Zeit in Anspruch, und du hast offenbar überhaupt kein Problem damit. Das ist schon irgendwie eigenartig …«
Ich zucke die Schultern und erkläre unsere kleine Debatte damit für beendet. »Sagen wir Dex für morgen Abend Bescheid?«
Dex ist unser gemeinsamer, schwuler Freund. Jemand, dem zwar in Sachen Style niemand was vormacht, der in Punkto Menschenkenntnis jedoch noch viel zu lernen hat. Dem Mann wurde schon so oft das Herz gebrochen, dass ich es kaum mehr zählen kann.
»Aber klar«, stimmt meine Freundin zu, »dann treffen wir uns um sieben dort?« Ich nicke, und sie zwinkert zum Abschied. »Prima! Zieh dir was Schönes an, meine Liebe.«

Zuhause werfe ich meine Tasche auf die Ablage neben der Tür, ziehe die Schuhe aus und mache mir erstmal einen warmen Kakao, um mir einen kurzen Ruhemoment in der Küche zu gönnen.
Inzwischen ist das ein kleines Ritual geworden.
Entspannt schaue ich an die Wand zu den Fotos, die dort hängen. Hauptsächlich versteinerte Erinnerungen an meinen Dad, die ich in ein paar Bilderrahmen gezwängt habe.
Mein Dad war Nascar-Fahrer. Er ist vor vielen Jahren gestorben, als mein Bruder und ich noch Kinder, kaum zwölf, waren.
Bevor dieses schreckliche Unglück passierte, hat er uns oft zu den Rennen mitgenommen. Vielleicht bin ich auch deshalb so ein Fan von PS-Schleudern und Sportarten, bei denen es gefährlich und adrenalingetränkt zugeht. Mein Dad war so ein leidenschaftlicher, ehrgeiziger Mensch, und er hat mich erfolgreich damit angesteckt.
Sein Tod hat Mom, Greg und mich hart getroffen; ich weiß noch, es waren Sommerferien, und draußen herrschte eine Affenhitze. Die anderen Leute haben im Freien gesessen, gegrillt und Spaß gehabt, aber wir sind lange Zeit nicht aus dem Haus gegangen. Dass das Leben anderswo weiterging, während wir trauerten, war in dem Moment nicht mit unserem Empfinden vereinbar.
Inzwischen bin ich darüber hinweg, und doch wünsche ich mir oft, dass er noch da wäre. Ich habe einfach so viele tolle Erinnerungen an ihn.
Meine Mom hat vor drei Jahren wieder geheiratet. Wir telefonieren mindestens einmal die Woche. Sie lebt in Indiana, in einem kleinen Nest mit weniger als 3000 Einwohnern, dafür aber jeder Menge Hühnern, Pferden und Ziegen auf einer Ranch.
Sie ist glücklich dort, und wir sehen uns ein paar Mal im Jahr. Ihr neuer Mann Morris ist nett, und ich gönne ihnen ihre Zweisamkeit von ganzem Herzen.
Mein Bruder Greg und ich sind Zwillinge, wobei er ein paar Minuten älter ist als ich, was ich mir regelmäßig anhören darf, wenn sein Beschützerinstinkt mal wieder durchkommt.
Er wohnt inzwischen in Fort Wayne und arbeitet dort als Rettungssanitäter. Auch mit ihm halte ich engen Kontakt. Der frühe Tod unseres Vaters hat mir und meiner Familie gezeigt, worauf es wirklich ankommt im Leben.
Mein Handy klingelt. Es ist Jeremy, und ich nehme ab. »Hey!«
»Hallo, mein Schatz. Wie war dein Tag?«
»Gut. Ich habe ein neues Projekt bekommen. Sieht zwar nach viel Arbeit aus, und die Entwürfe müssen bis Ende des Monats fertig sein, aber ich freu mich drauf.«
»Kennt man den Kunden?«
»Mhm. Ein großer Fisch im Onlinehandel, mehr darf ich nicht erzählen.«
»Also wie immer«, lacht er.
Der Großteil unserer Kunden legt absoluten Wert auf Diskretion, weshalb Ebony eine der wenigen Leute ist, mit denen ich über Einzelheiten meiner Arbeit sprechen kann.
Doch Jeremy versteht das glücklicherweise.
»Hör mal, Ariel, ich versetze dich nur ungern«, seufzt er, »aber der Auftritt morgen ist wirklich wichtig für uns, und einige Songs sitzen noch nicht perfekt. Bedeutet, wir würden heute gerne noch eine Probe einschieben …« Ich bin enttäuscht, versuche aber, es nicht zu sehr zu zeigen. Jeremy ist der Einzige mit fester Partnerin in der Band, und ich weiß, dass ich für ihn an erster Stelle stehe.
Deshalb will ich auch nicht, dass die anderen vier denken könnten, eine Beziehung wäre der sprichwörtliche Klotz am Bein, die letzte Ruhestätte der Flexibilität.
»Schade«, erwidere ich deshalb, »aber wenn euer Programm noch nicht rund ist, solltet ihr diese Probe heute machen.«
Er atmet aus. »Du bist unglaublich, Ariel! Ich liebe dich.«
»Ich liebe dich auch.« Wir verabreden uns für Sonntag, und schon schweben über meinem Kopf wieder kleine Herzchen, bevor ich auflege.
Als ich vor sechs Jahren von Arlington Heights nach Chicago zog, kannte ich hier niemanden. Zu meinem Leidwesen habe ich es nicht geschafft, mehr als eine Handvoll alter Freundschaften aus meiner Heimat aufrechtzuerhalten. Aber das macht nichts, schließlich habe ich nun Dex und Ebony hier in Chicago. Und Jeremy.
Dennoch, ein Funken Unwohlsein mischt sich in meine Gedanken: Bin ich nur deshalb noch mit ihm zusammen, weil ich Angst davor habe, mein gemütliches Leben umzukrempeln – meine ›Komfortzone‹ zu verlassen, wie man so schön sagt?
Nein, es ist viel wert, solch tolle Menschen in seinem Leben zu haben, daher beschließe ich, keine Trübsal zu blasen, sondern das Beste aus dem Abend zu machen.
Nachdem ich Pasta gekocht und mir einen Eistee aufgemacht habe, mein Lieblingsgetränk, schmeiße ich also den Fernseher an, krümle mich auf die Couch und suche auf Netflix Stolz & Vorurteil heraus – einen Film, den ich bestimmt schon ein Dutzend Mal gesehen habe, der mich aber immer wieder verzaubert.
Ich bin jemand, dem Knistern und Leidenschaft ebenso wichtig sind wie Poesie und Romantik, deshalb stecken auch meine Regale voller Bücher, in denen Gefühle eine große Rolle spielen.
Was zum einen daran liegen mag, dass ich vor der Jahrtausendwende geboren wurde, als Handys noch nicht sehr verbreitet waren, und soziale Medien erst recht nicht.
Außerdem hat mich meine Kinder- und Jugendzeit in Arlington Heights stark geprägt. Da meine Eltern nie übermäßig viel Geld besaßen, haben wir in einem der bescheidenen Viertel gewohnt – dem mit öffentlichen Schulen und Kindern unterschiedlicher Ethnien, die viel Zeit gemeinsam draußen verbrachten, weil ihre Familien nicht genug verdienten, um ihren Sprösslingen Spielkonsolen und ähnlichen Schnickschnack in den Hintern zu schieben.
Zugegeben, manchmal vermisse ich diese sorglosen Zeiten und mein Zuhause. Es ist ein unvergleichliches Gefühl, nichts zu besitzen und doch eigentlich alles.
Spontan greife ich zu meinem Handy und rufe Ebony an.
»Hey«, meldet sie sich überrascht am anderen Ende.
»Hey«, erwidere ich schlicht.
»Alles in Ordnung?«
»Ja … ich hatte bloß Langeweile.«
»Wie das? Ich dachte, Jeremy wollte vorbeikommen?«
»Das haben wir auf Sonntag verschoben, sie brauchen dringend noch eine Probe für den Gig morgen.«
»Mhm«, murmelt sie. Ihre unausgesprochenen Bedenken schwingen darin mit: Leg dich nicht jetzt schon auf ihn fest. Du bist zu jung. Streck deine Flügel aus.
Nach einer Weile höre ich sie einatmen: »Pass auf, niemand will eines Tages nur noch zum Restemenü auf Tinder gehören«, versichert sie mir, »aber das sollte nicht die Basis für eine Beziehung sein.« Ich kaue schweigend auf meiner Unterlippe, während sie weiterspricht. »Schon witzig … du stehst auf halsbrecherische Shows und Freizeitaktivitäten, aber was dein Privatleben anbelangt, gehst du nie irgendwelche Wagnisse ein.«
Sie kennt mich wahnsinnig gut. Und damit auch die Kontraste meiner Persönlichkeit, die mir selbst nie so sehr aufgefallen sind wie in diesem Augenblick. »Was soll daran verkehrt sein?«
Ein Seufzer. »Ich rede doch nur davon, dass du dir noch ein paar Türen deiner Zukunft offen halten solltest. Willst du etwa erst herausfinden, wer du sein kannst oder möchtest, wenn du verheiratet bist?«
Wir sind zwei Seiten derselben Münze, deshalb bedeutet ihre Meinung mir einiges.
»Jeremy hin oder her. DU musst dich weiterentwickeln, Ariel Stanwick.«
Während ich ihren Rat sacken lasse, höre ich die Uhr an der Wand ticken. Zeit ist kostbar, sie ist vergänglich und manchmal viel zu kurz, wie ich selbst auf schmerzliche Weise erfahren musste. »Also gut, du hast gewonnen. Ich werde versuchen, in Zukunft ein bisschen mutiger zu sein.«
Das war ich früher schließlich auch. Mutig und offen und unerschrocken.

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'Vergessene Götter' von Norah & Cory Banner

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Wir nennen euch „Götter“.
Doch sagt mir, wieso stehen wir dann hier oben, und ihr dort unten.
Wir bieten euch unsere „Gastfreundschaft“ an.
Aber den Preis für die Gegenleistung könnt ihr niemals bezahlen.
Wir lassen euch denken, wir brauchen eure Hilfe.
Doch eigentlich wollen wir euch nur benutzen.
Wir nennen euch die „Vergessenen Götter“.
Aber sag mir, …
Philomena.
Wieso kommt es mir dann so vor, als hätte ich dich nie vergessen?


Die 18-jährige Philomena lernt auf ihrer Klassenreise in Griechenland drei Jugendliche aus verschiedenen Ländern kennen. Die Freundschaft der vier entwickelt sich schneller als normal. Durch einen geheimnisvollen Besuch in der Nacht finden sie heraus, dass sie die Seelen griechischer Götter in sich tragen. Philomena ist entsetzt. Persephone, die Göttin der Unterwelt, soll ein Teil von ihr sein.
Gemeinsam machen sie sich auf die Reise zum Olymp. Dort lernt sie den unnahbaren Melas kennen, zu dem sie sich trotz aller Widersprüche und seiner Abneigung gegenüber allem und jedem, sofort hingezogen fühlt. Ahnungslos genießen die Jugendlichen die Gastfreundschaft der olympischen Götter. Doch schon bald stellt sich heraus, dass sie nicht ohne Hintergedanken in den Palast geführt wurden. Sie sind der Schlüssel zu einem dunklen Plan und während die Barriere zwischen den Welten droht einzureißen, beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit. Philomena muss um ihr Leben und das ihrer Freunde kämpfen und gegen Gefühle, die sie mit der Zeit nicht mehr ignorieren kann ...

Anleser:
Prolog
Hades

Der Krieg gegen die Titanen ist vorbei.
Wir haben gewonnen.
Nur Sieger schreiben Geschichte!

Zeus, Poseidon und ich teilten die Welten untereinander auf.
Jeder wollte den Olymp für sich, die Geburtsstätte der Götter, unser Paradies.
Also zogen wir Los.
Ich bekam die Unterwelt.
Poseidon bekam Atlantis.
Und Zeus den Olymp.

Poseidon und mich überkam die Missgunst.
Aus der Missgunst wurde ein Zwist.
Aus dem Zwist wurde ehrlicher Hass.
Und aus Hass heraus begannen wir einen neuen Krieg, diesmal in den eigenen Reihen.

Aus diesem Krieg ging keiner als Sieger hervor.
Wir verloren. Wir verloren alles!
Unsere Schwestern Hera, Hestia und Demeter konnten das Leid nicht mehr ertragen und entschlossen sich eines Nachts, uns die Kräfte zu rauben.
Diese bündelten sie in drei Gefäße.
Zeus’ Donnerkeil, Poseidons Dreizack und mein Füllhorn.
Damit erschufen sie die drei mächtigsten Gegenstände der Welt.
Aus Angst vor dem Schicksal versteckten sie schließlich die Gefäße.
Doch die Schicksalsgöttinnen erfuhren von ihrem Betrug.
Als Strafe für die List unserer Schwestern, nahmen sie uns Göttern die Unsterblichkeit.
Sie schickten unsere Kinder auf die Oberwelt, ließen uns sechs hier zurück und zogen eine Barriere über die Tore zu den anderen Welten.

Wir waren jetzt sterblich.
Doch wirklich sterben werden wir nie …

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10. Januar 2022

'Fur-Warrior: Wandler in Rüstung' von Anna Kleve

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Website Anna Kleve
Was Herz und Seele wollen kann niemals ein Irrtum sein.
So sehen die Wandler die Pfade ihrer Gesellschaft.
Meistens jedenfalls, denn als sich Colin, das Kind von pflanzenfressenden Wandlern, in eine Andenkatze, einen Fleischfresser verwandelt wird die Lage doch ziemlich kompliziert. Selbst die Unterstützung durch den Wildkatzenwandler Aramis verhindert nicht, dass Colin sich mit den Unterschieden und Grenzen zwischen Pflanzen- und Fleischfressern auseinandersetzen muss.
Gleichzeitig müssen sie sich mit von einem oder mehreren Wandlern begangenen Morden, uralten, verlorengeglaubten Kräften und unerwarteten, starken Gefühlen herumschlagen.

Anleser:
Aramis – Das Ritual
Die kristallklaren Regentropfen glitzerten wie Schmuck in den Bäumen. In der Ferne hörte ich das Grollen von Donner, aber es war weit fort.
Der Nebel hing schwer in der Luft. Er erhob sich von den leicht gewärmten Pflanzen des Tages, während die Abenddämmerung vorbei zog.
Etliche Körper schoben sich zwischen den Bäumen entlang, dorthin, wo ich mich bereits aufhielt.
Ich kannte sie mehr oder weniger. Die Gruppen. Die Paare. Die Einzelgänger. Die Familien.
Auf dem umgestürzten Baum sitzend wartete ich und betrachtete sie alle, wie sie nach und nach eintrafen.
Meine Krallen schoben sich aus den Fingern, zogen sich wieder zurück und drangen erneut hervor, kratzten an totem Holz.
Füße am Boden waren bald Pfoten und Klauen. Erde zwischen den Zehen, die zu Krallen wurden. Wandelten sich zurück und kamen wieder.
Aufregung ließ mich hin- und herzucken, obwohl ich das gar nicht wollte.
Die gedämpften Unterhaltungen mancher vermischten sich zu einem unverständlichen Wirrwarr, denn ich wollte ihre Worte nicht hören, wollte nicht die Spekulationen oder die Wetten hören. Diese Nacht war kein Spiel und kein Spaß.
Meine Wandlungen wurden stärker, der Schweif zwischen mir und dem Holz eingeklemmt.
Lukas Wilde, mein Vater und unser Rudelführer, humpelte zwischen zwei Freunden heran. Meine Mutter Emilia ging neben ihnen her.
Ich fauchte leise tief in meiner Kehle. Diese verdammichten Wilden hinter den Grenzen. Sie hatten meinem Vater das angetan und dieses Ereignis damit ausgelöst.
Ich wusste immer noch nicht, ob ich mich beteiligen sollte. Ob ich das überhaupt wollte.
Hatte ich überhaupt die Kraft dazu?
Klauen – Hände. Füße – Pranken. Zähne – mal stumpf, mal spitz, wieder stumpf.
Vater meinte ja. Mutter machte sich Sorgen, um mich, sollte ich es versuchen.
In mir rumorte es. Immer weiter und hin und her.
„Hoffentlich verprügelt den jemand“, ertönte Martins Stimme und sein Kopf nickte in Richtung meines Bruders Rian.
Der lachte gerade mit einem Freund und zog sich anschließend das T-Shirt über den Kopf, um es einfach auf den Boden zu schleudern.
Mein Blick glitt über seinen sorgsam gestählten Körper, trainiert für den Fall der Fälle.
So diszipliniert war ich niemals gewesen, obwohl auch ich trainierte, lediglich nicht so eifrig und entschlossen.
Um mich herum witterte ich den Duft in der kühler werdenden Luft. Moschus, Macht, Erregung und leichte Reste von Seife und Ähnlichem.
Meine Nackenhaare sträubten sich.
In dieser Nacht würde Blut fließen und es würden Junge gezeugt werden.

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9. Januar 2022

'Todesboten - Seelenweiß' von Mika D. Mon

Kindle | Taschenbuch
Website Mika D. Mon
Shiro kümmert sich um die ruhelosen Geister dieser Welt. Sein Job ist kalt, einsam und die Toten reden nicht. Perfekt, denn er braucht nichts und niemanden. Außer die Regeln seiner Rasse, die er blind befolgt: Kein Mitleid. Keine Liebe. Keine Gefühle.

Doch als bei einem blutigen Massaker ein ganzes Dorf ausradiert wird und alle Seelen spurlos verschwinden, bekommt Shiros scheinbar heile Welt Risse. Leider ist sein unverschämter Kollege Veit der Einzige, der ihm bei dem Mysterium um die gestohlenen Leben helfen kann. Genervt macht er sich mit dem selbstgefälligen Mistkerl auf den Weg, des Rätsels Lösung zu finden. Dabei ahnt er nicht, dass das Schicksal der ganzen Welt auf dem Spiel steht – und dass Regeln dazu da sind, gebrochen zu werden.

Der Auftakt der epischen Fantasyreihe von Mika D. Mon.

Anleser:
Ich arbeite allein.« Seine Stimme klang kompromisslos und kühl durch die schmale Gasse zwischen den kleinen Fachwerkhäusern. Die Spitze seines Katanas schwebte wenige Zentimeter vor der Kehle seines Gegenübers, dessen Gesicht sich in dem polierten Stahl der Klinge spiegelte.
»Ich habe dich auch vermisst, Shiro. Lange nicht gesehen.
Kein Grund, mir gleich um den Hals zu fallen.« Der große, schlanke Mann vor ihm hob unschuldig die Hände, ein fieses, spöttisches Lächeln auf den Lippen. In den grünen Augen war keine Furcht zu lesen. Nicht einmal Respekt. Bloß dieser nervtötende Schalk. Dieses lauernde, amüsierte Funkeln. Als wäre es ein verdammter Scherz, dass Shiro vor ihm stand und ihm mit ausgestrecktem Arm seine Waffe an den Hals hielt. Es kotzte ihn an.
Er verengte die Augen.
»Sag mal, willst du mich zu Eis erstarren lassen?«, fragte sein Gegenüber belustigt.
Wenn es nur so wäre.
»Verschwinde, Veit. Das hier ist mein Job.« Leicht schob er die Schwertspitze gegen die zarte Haut über der Kehle.
Veits Ausdruck wurde eine Spur dunkler, sein Adamsapfel bewegte sich leicht, als er schluckte. »Leider sehe ich kein Reserviert-Schild. Also, tut mir leid, Kumpel, aber wir werden uns diesen Job wohl teilen. Ich bin nämlich nicht den ganzen Weg bis hierhergekommen, um mich von dir fortschicken zu lassen, Kleiner. Wir sind beide dem Ruf gefolgt. Ganz wie früher.«
»Ich werde dir nicht noch einmal vertrauen.«
»Keine Sorge, ich bin diesmal auch ganz brav.« Veit legte einen Finger an die Rückseite des Katanas, wollte es wegdrücken, als wäre es aus Holz und keine tödliche Waffe.
Shiro hielt energisch dagegen, seine Mundwinkel zuckten nach unten. »Vergiss es. Es ist mir egal, von wo du gekommen bist. Selbst wenn du den weiten Weg von Arken bis hierher gewandert wärst. Diesen Job hier werde ich übernehmen. Allein.«
»Ach, komm schon. Was willst du tun? Mich kaltmachen?«
Veit sah ihn dermaßen provokant an, dass Shiro all seine Willenskraft aufbringen musste, um ihm das Schwert nicht aus schierer Wut durch den Kehlkopf zu rammen. Gut, vielleicht kam dieser Zorn nicht von irgendwo, sondern hatte viele Jahre Zeit gehabt, um zu reifen. Wie ein Wein, der tief unten im Keller gelagert hatte, vergessen über die Jahre. Aber noch während er damit beschäftigt war, den Klumpen Groll herunterzuwürgen, der seine Kehle hinaufkroch, redete der Mistkerl unbeirrt weiter.
»Wir wissen beide, dass du’s nicht tun wirst. Also können wir dieses kleine Geplänkel hier auch einfach überspringen, oder nicht?«
Shiro presste die Kiefer aufeinander, schraubte die Finger fester um den Griff des Schwertes, bis das alte, raue Leder qualvoll knarzte. Tief atmete er ein.
Veit hob geduldig die Brauen, steckte die Hände in die Taschen seiner Robe, als wartete er auf die nächste Kutsche.
Shiro schloss die Augen, ließ die Luft aus seiner Lunge und die Anspannung aus den Muskeln weichen. Wieso konnte dieser blöde Typ nicht einfach verschwinden und irgendwo anders ihrer Aufgabe nachgehen? Musste es ausgerechnet dieser Ort und diese Seele sein?
»Ich werde jetzt dem Ruf folgen. Mir egal, was du tust.« Mit einem genervten Zucken seines Lids senkte er die Klinge langsam, wirbelte sie herum und steckte sie routiniert zurück in die Scheide an seiner rechten Hüfte. Wem machte er hier eigentlich etwas vor? Er war kein verdammter Mörder. Auch wenn es ihm nicht gefiel, konnte er ihn nicht zwingen, zu verschwinden. Damals war ihre Zusammenarbeit alles andere als gut geendet, aber er würde vor diesem verdammten Teufelskerl nicht den Kürzeren ziehen. Also öffnete er die Augen, sammelte sich und versuchte, seine glühenden Nerven mit einem Seufzen zu beruhigen.
»Dann können wir ja jetzt los«, stellte Veit zufrieden fest, kam auf ihn zu, als wäre nichts gewesen, und legte ihm freundschaftlich einen Arm um die Schulter. Benutzte ihn regelrecht als Lehne, während er losspazierte.
Shiro verkrampfte und schob ihn energisch von sich. Brachte eine Armlänge Abstand zwischen sie und warf ihm einen Fassmich-noch-mal-an-und-du-bist-tot-Blick zu. Dieser prallte jedoch an einem wölfischen Grinsen ab wie Pfeile an einem Stahlschild.
Shiro ging eiligen Schrittes voran. Bloß schnell den Job erledigen und dann weiter. Egal wohin. Hauptsache weg von Veit. Nach wenigen Metern hielt er an, horchte in sich hinein. Der Ruf war leise, er musste sich konzentrieren, um ihn wahrzunehmen.
»Hm«, kam es nachdenklich von seinem Zwangskollegen, der bei ihm anhielt und den Kopf lauschend schief neigte. Kurz darauf folgte ein: »Ah, ich hab sie! Hier entlang.«
Entschlossen marschierte Veit in Richtung der Hauptstraße.
Ohne zu zögern, setzte Shiro sich in Bewegung und ging neben ihm her.
Sie orientierten sich an einer Kreuzung neu. Er sah sich um.
Grobes Kopfsteinpflaster bedeckte den Boden und zu beiden Seiten ragten zweigeschossige Häuser aus Lehm und Holz in die Höhe. Geschäftiges Treiben herrschte. Unzählige Menschen drängten zu Fuß oder mit Eselkarren, die derart beladen waren, dass das Holz nur so ächzte, an ihnen vorbei. Die Nachmittagshitze flimmerte über den spitzen Ziegeldächern und ließ den Dreck auf den Wegen schmoren wie einen stinkenden Braten im Ofen. Eine Frau trug einen Korb mit einem Berg von Wäsche, sodass sie kaum darüber hinwegsehen konnte. Sie wäre beinahe vor eine heranrollende Kutsche gelaufen, die von zwei schwarzen Pferden gezogen wurde. Shiro packte die junge Magd gerade noch rechtzeitig am Arm und hielt sie auf. Der piekfeine Kutscher im grauen Anzug blickte nicht einmal zu ihnen herab. Bloß das lackierte Holz des Gefährts glänzte verächtlich.
Stattdessen lugte die gerettete Frau mit dankbarem Gesicht über ihre Schulter zu ihm. Dann wanderte ihre Aufmerksamkeit hinab zu seiner Hand. Plötzlich verdunkelte Furcht ihre Erleichterung und er bemerkte einen Schauer über ihren Körper rauschen. Das »Danke« erstickte auf ihren Lippen, als sie hastig davonlief und zwischen all den Leuten verschwand.
Teilnahmslos schaute er ihr nach, ehe er sich wieder auf den Weg machte.
Sein temporärer Begleiter war bereits einige Meter weiter vorn und Shiro hätte ihn wohl in dem Getümmel aus den Augen verloren, wäre Veit nicht einen Kopf größer als der Durchschnitt gewesen. Sein brauner Schopf lugte immer wieder hervor, schwebte gut sichtbar durch die Masse.
Sie erreichten den Marktplatz, welcher sich zwischen niedrigen Häusern und einer großen, opulenten Steinkirche erstreckte. Überall verteilt standen Holzbuden, aus denen Händler riefen und ihre Ware ausstellten. Sie priesen das leckerste Obst, die schönsten Kleider oder den frischesten Fisch an. Dem Gestank nach zu urteilen, war zumindest Letzteres eine Lüge.

Blick ins Buch (Leseprobe)

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