30. November 2017

'Die Reservefrau' von Karoline Gellauer

Egal, ob 17 oder 70, was das Herz begehrt, wird der Verstand wohl nie begreifen.

Mit 17 verliebt sich Bärbel in Ihren Biologielehrer Bernd. Sie beginnen eine Affäre. Die dauert ein Schuljahr und endet schmerzhaft für Bärbel. Nach 40 langen Jahren begegnen sie sich erneut beim Klassentreffen. Bald sind die alten Gefühle wieder da; genauso verwirrend, so intensiv, so gefährlich. Allerdings sind ihre Motive unterschiedlich. Als Bärbel das erkennen muss, eskaliert die Situation ...

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Leseprobe:
„Solche tiefgreifenden Emotionen hatte ich nie.“

Sie startet einen erneuten Versuch per Mail:

Lieber Bernd, seit 50 Jahren beeinflusst du mein Leben. Zunächst durch eine romantische Jugendliebe, die sehr schmerzhaft für mich endete. Interessiert es dich, was ich empfand, als mich Achim zu dir ins Bett trug? Willst du wissen, wie es mir danach ging? Ich glaube nicht! In den folgenden Jahren benutzte ICH die Männer. ICH beendete die Beziehungen, wenn es MIR passte. Stets war ich misstrauisch, voller Vorurteil – konnte mich einfach nicht mehr so bedingungslos verlieben – dein Verdienst! Bis ich meinen Mann kennen- und schätzenlernte. Ich kam zur Ruhe. Andere Probleme traten in den Vordergrund. Dann trittst du wieder in mein Leben, suchst meine Nähe und erfährst erneut, wie hilflos ich dir gegenüber bin – wie emotional ausgeliefert. Ich habe nicht bedacht: Wer Emotionen zeigt, macht sich verletzbar. WARUM bist du mir wieder so nahegekommen? Deine Entwicklung in dieser Zeit von „Ich mag dich.“ bis „Kein Kommentar!“ Du kannst jetzt nicht das Rad zurück drehen und erwarten, dass ich mit dir über das Wetter plaudere! Zeig endlich Charakter und stell dich einem Vier-Augen-Gespräch. Ich möchte endlich Klarheit zwischen uns und auch über das „Warum?“.
Es tut so weh, dass unsere ??? diese Entwicklung genommen hat! Vielleicht hast du ja noch eine Antwort für mich?

Im Kindle-Shop: Die Reservefrau



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29. November 2017

'Eine Sahneschnitte für Carla' von Lilli Karlsson

Mein Name ist Carla, Carla Brandner, was sich in Ermangelung eines Heiratskandidaten vermutlich kurzfristig auch nicht ändern wird. Heute ist mein dreißigster Geburtstag und ich kann dem Schicksal nur raten, mir im nächsten Lebensjahr endlich mal einen vernünftigen Traummann zu präsentieren. Vielleicht hilft ja die „verzauberte“ Sahnetorte, die ich von einem Freund geschenkt bekommen habe: Für jedes verspeiste Tortenstück werde ich angeblich im nächsten Jahr einen Mann kennenlernen – und lieben!

Bleibt zu hoffen, dass nicht nur langweilige Sandkuchen dabei sind, sondern irgendwann auch die perfekte Sahneschnitte ...

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Leseprobe:
Der dreißigste Geburtstag ist ja an sich schon ein äußerst deprimierendes Ereignis im Leben einer jeden Single-Frau. Als sei dies nicht genug, beginnt mein Ehrentag auch noch damit, dass ich in aller Herrgottsfrühe von einem äußerst penetranten Klingeln aus dem Tiefschlaf gerissen werde. Ich brauche einige Sekunden um zu bemerken, dass es nicht mein Wecker ist, der meinem wohlverdienten Schlaf ein unschönes Ende bereitet, sondern die Klingel an meiner Haustür.
Ich überlege, ob ich mir einfach die Decke über den Kopf ziehen und das Klingeln ignorieren soll. Zumal ich gestern Abend einsam und allein auf meinem Sofa das eine oder andere Glas Wein zu viel getrunken habe.
Aber: Wer auch immer da draußen vor der Haustür steht, lässt nicht locker. Da ich bei diesem Geräuschpegel ohnehin nicht weiterschlafen kann, krabbele ich schließlich grummelnd aus den Federn und schlurfe zur Haustür. Ich drücke auf den Türöffner und blicke vorsichtig um die Ecke zum Hauseingang. Da stürmen auch schon meine besten Freunde und mein Bruder Daniel hinein – offenbar wild entschlossen, sich über meine klare Ansage hinwegzusetzen, dass ich keinerlei Festivitäten zum Beginn meines neuen Lebensjahres wünsche.
Als Erster drückt mein bester Freund Arne – groß, tolle blaue Augen, sportlich und immer gut gelaunt – mir einen riesigen Blumenstrauß in die Hand und umarmt mich.
„Happy birthday“, trompetet er.
Direkt im Anschluss werde ich von meinem großen Bruder Daniel abgeknutscht: „Alles Gute, Kleine!“
Na ja, mit 1,80 m ist man vielleicht nicht gerade klein … aber gut.
Seine blonde Freundin Steffi, die mittlerweile auch eine gute Freundin für mich geworden ist, umarmt mich.
„So schlimm ist es gar nicht, dreißig zu werden“, lacht sie.
„Du sagst es! Auf die dreißig! Du siehst immer noch aus wie neunundzwanzig“, scherzt Leo, stellt einen großen Karton ab und fällt mir wie immer euphorisch um den Hals. Leo – seines Zeichens Daniels bester Freund aus Kindertagen – ist ein Mann, der sich seines guten Aussehens sehr bewusst ist, aber die Grenze zur Arroganz nie überschreitet. Er ist wie ein zweiter Bruder für mich und liebt es, mich als seine kleine Schwester vorzustellen. Wobei wir bereits im Teenageralter die Rollen getauscht haben und ich als „die Vernünftige“ die beiden permanent aus allerlei misslichen Situationen raushauen musste.
Als Nächstes werde ich herzlich von den besten Freundinnen der Welt umarmt – meinen Studienfreundinnen Isabelle (Isa) und Kathrin – letztere mit prallem Babybauch.
„Herzlichen Glückwunsch!“, rufen die beiden gleichzeitig und köpfen noch im Flur eine Sektflasche.
Zu guter Letzt kommen Isas vierjährige Zwillinge Tommi und Leni um die Ecke gerannt und stürmen ohne Begrüßung an uns vorbei in meine Wohnung.
„Dürfen wir auf deinem Bett Hüpfburg spielen, Tante Carla?“, ruft Leni.
„Ja, natürlich!“, rufe ich hinterher, und seufze dann: „Leute, ich hatte euch doch extra gesagt, dass ich …“
„Papperlapapp“, unterbricht mich Arne, „heute ist dein Geburtstag, wir lieben dich und deshalb sind wir hier.“
„Und haben alles mitgebracht, was wir für einen ordentlichen Geburtstagsbrunch brauchen“, ergänzt Isa und hält einen riesigen Korb mit allerlei Leckereien hoch.
Ich bringe es nicht übers Herz, die fröhlichen Gesichter vor mir zu enttäuschen, und gebe mir einen Ruck.
„Also gut. Aber gebt mir eine halbe Stunde zum Wachwerden und Duschen, okay?“
„Dein Wunsch sei uns Befehl“, erklärt Leo und kommandiert: „Mädels – ihr deckt im Wintergarten den Tisch. Arne – sorg mal für vernünftige Musik. Daniel – du brätst uns eine ordentliche Portion Rührei mit Speck.“
„Und was machst du?“, wage ich zu fragen, als ich mit frischen Klamotten über dem Arm aus meinem Schlafzimmer komme.
„Ich übernehme den wichtigsten Job.“
„Und der wäre?“, will Kathrin wissen.
„Die Geburtstagstorte schneiden natürlich! Ich hab extra nur neunundzwanzig Kerzen drauf getan, damit’s nicht so viel aussieht …“
Ich strecke Leo die Zunge raus und verschwinde im Bad. Kurz darauf tönt Gute-Laune-Musik durch die ganze Wohnung und ich höre die anderen lachen und scherzen.
Ich werfe einen Blick in den Spiegel – Bestandsaufnahme. Ich heiße immer noch Carla Brandner, was sich in Ermangelung eines Heiratskandidaten vermutlich kurzfristig auch nicht ändern wird. Mein schulterlanges Haar ist immer noch dunkelblond – oder auch straßenköterblond, wie Daniel zu sagen pflegt –, und über Nacht sind dem ersten Anschein nach keine grauen Haare aufgetaucht. Dafür sind in den letzten zwölf Monaten aber mindestens drei neue Sommersprossen auf meiner Nase entstanden, auch wenn sie jetzt im Winter eher blass daherkommen. Ich steige auf die Waage – das Ergebnis spricht dafür, dass ich Arnes größte Sorge, ab neunundzwanzig komme der Speck, zumindest bisher nicht teilen muss. Trotz meiner immer noch nicht gerade bombigen Laune muss ich mir eingestehen, dass ich eigentlich ganz zufrieden mit mir sein kann.
Und während ich mein neues Pure-Happiness-Duschgel ausprobiere, gelange ich langsam aber sicher zu der Erkenntnis, dass es vielleicht doch keine so große Katastrophe ist, dreißig zu werden. Zumindest nicht, wenn man die besten Freunde und die liebste Familie der Welt hat.

Eine halbe Stunde später sitzen wir bei strahlend blauem Februarhimmel in meinem Wintergarten und lassen uns frischen Obstsalat, Croissants, Rührei und hunderte andere Kleinigkeiten schmecken. In der Mitte des Tisches prangt die riesige Geburtstagstorte von Leo – mit einer „30“ aus bunten Schokolinsen und exakt neunundzwanzig Kerzen.
Tommi und Leni haben die Hüpfburg in meinem Schlafzimmer mittlerweile verlassen und spielen friedlich mit Bauklötzen in einer Ecke.
Arne steht auf und erhebt feierlich sein Glas.
„Auf dass alle deine Wünsche in Erfüllung gehen mögen!“
„So zwei bis drei würden schon reichen“, antworte ich.
„Zum Beispiel?“, hakt Arne nach.
„Mal ein paar vernünftige Männer kennenzulernen zum Beispiel.“
„Hey, und was ist mit uns?“, entrüstet sich Leo.
„Ich sagte ‚vernünftige Männer‘, Leo.“
„Ha-ha!“
„Ich hab neulich von so einem Naturvolk in Afrika gelesen, wo die unverheirateten Frauen irgendeinen Zauber anwenden, um ihren Traummann zu finden“, berichtet Isa. „Wie war das noch gleich? Ach ja! Jeder Frosch, den eine unverheiratete Frau an ihrem Geburtstag aufisst, steht für einen Mann, den sie im kommenden Lebensjahr kennenlernen und lieben wird.“
„Igitt, hör bloß auf“, ekelt sich Kathrin, „mir ist eh schon schlecht!“
„Es müssen ja nicht unbedingt Frösche sein“, meint Leo, „ich bin mir ziemlich sicher, dass das Rezept für Geburtstagstorte von meiner Tante Albertina mindestens ebenso wirksam ist.“
„Du hast doch gar keine Tante Albertina“, entgegnet Daniel irritiert.
„Darum geht’s doch jetzt gar nicht“, wiegelt Leo ab. „Hauptsache ist doch, dass die Torte ihren Zweck erfüllt. Also, Carla! Für jedes Tortenstück, das du heute aufisst, lernst du in deinem nächsten Lebensjahr einen Mann kennen.“
„Und lieben?“, fragt Isa nach.
„Und lieben!“, bestätigt Leo.
Isa schüttelt grinsend den Kopf.
„Du hast eindeutig zu viel Phantasie!“
„Oder irgendwas Seltsames geraucht“, ergänzt Daniel.
Leo ignoriert die Sticheleien geflissentlich und reicht mir ein riesiges Stück Torte.
„Auf geht’s!“
Ich teile das Stück kurzerhand mit dem Tortenmesser in zwei Teile.
„Hey, du schummelst!“, entrüstet sich Leo.
„Mit dreißig darf man das“, erkläre ich.

Im Kindle-Shop: Eine Sahneschnitte für Carla

Mehr über und von Lilli Karlsson auf ihrer Website.

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28. November 2017

'Auch Entführen will gelernt sein' von Harald Schmidt

»Die Flossen hoch! Das ist ein Überfall!«

Die Aufforderung steht drohend im Raum des Fitness-Centers, in dem auch die an MS erkrankte Rita Richter trainiert. Die in der Schalke-Arena gestählte Frau beweist den Brutalos, dass selbst Waffengewalt nichts ausrichtet gegen Lebensmut und derbe Schlagfertigkeit. Als die drei Kleinganoven Freddy, Richard und Massimo ihren Plan entwickeln, wissen sie noch nicht, welcher übermächtige Gegner sich ihnen in den Weg stellt.

Eigentlich hatten sie eine Entführung geplant. Eigentlich! Da das Opfer unverschämterweise Urlaub macht, muss spontan umdisponiert werden. Alles ohne Plan B. Schneller, als es sich das Trio vorstellen kann, erscheint die Polizei auf der Bildfläche und eine ungewollte Geiselnahme nimmt ihre kuriose Fahrt auf. Schnell bekommen die Ganoven zu spüren, dass die Polizei nicht ihr ärgstes Problem darstellt.

Auch der leitende Hauptkommissar Holger Knoll wird diese ungewöhnliche Geiselnahme nie wieder vergessen können. Nichts ist vorhersehbar, alles läuft komplett aus dem Ruder. Die tatkräftige Hilfe kommt von einer Seite, die das Eingreifen des Polizeiteams fast überflüssig macht.

Gleich lesen: Auch Entführen will gelernt sein

Leseprobe:
Freddy und Massimo sahen von ihrem Lageplan auf und konzentrierten sich auf das Motorengeräusch, das kurze Zeit später erstarb. Eine Autotür fiel ins Schloss, Schritte näherten sich der Schuppentür. Richard schob die beiden Rolltore weit auseinander, sodass der Blick auf den Wagen frei war.
»Voilà, unser Fluchtwagen. Gerade frisch eingetroffen. Geile Karre, oder?«
Abwartend blieb er im Eingang stehen und sah auf die beiden Kumpane, die wortlos das Auto betrachteten. Freddy sah verständnislos in das Gesicht von Massimo, das zu Freddys Leidwesen nur ein zufriedenes Lächeln zustande brachte. Seine Wut wuchs. Nur schwer konnte er einen Anfall vermeiden. Er suchte verzweifelt nach Worten, ohne dabei die Fassung zu verlieren.
»Was genau war deine Aufgabe, Richard? Was solltest du heute Vormittag für uns erledigen? Bitte erinner dich daran.«
»Was soll jetzt diese blöde Fragerei? Bin ich hier in der Schule? Du hast mir gesagt, dass wir ein Fluchtauto brauchen. Und? Ist das kein Auto? Was soll das Theater nun? Hääh?«
Auf Freddy ruhten nun zwei Augenpaare, die eine Antwort erwarteten. Beide Männer wussten tatsächlich nicht, worauf ihr Kumpel hinaus wollte. Freddy verdrehte die Augen und versuchte, Ruhe zu bewahren.
»Nun gut, dann nochmal von vorne. Wir wollen morgen in das bepisste Studio, um da die Familie Klosterhard zu entführen. Die kommen in der Regel zu dritt. Vater, Mutter und Tochter. Ist das soweit klar?« Beide nickten. »Entführen bedeutet, dass wir die Herrschaften mitnehmen. Hört ihr? Wir nehmen sie mit! Dazu brauchen wir ein passendes Fahrzeug. Das dürfte selbst euch klar sein. Wenn wir die drei Vögel nehmen und uns drei noch dazuzählen, wie viel Personen sind wir dann insgesamt? Na los, ich warte Richard.«
Massimo schnippte mit den Fingern und präsentierte das Ergebnis. Stolz blickte er in die Runde.
»Sechs. Ist doch klar, drei und drei sind sechs.«
»Ich hatte Richard gebeten, du Arschloch. Der sollte mir seine Rechenkünste vorführen. Also gut, das wären sechs Personen. Und was haben wir hier vor dem Schuppen stehen? Sagt es mir.«
Richard trat gegen den Kotflügel und kam mit in den Hosentaschen vergrabenen Händen auf den Tisch zu, an dem seine Kumpane saßen.
»Willst du mich eigentlich verarschen? Hier steht genau das, was du wolltest. Was soll das Gefasel mit den Personen? Die Karre rollt gut und war schnell zu kriegen. Der Fahrer wird sich gewundert haben, als die Kiste weg war, nachdem er zurückkam. Wir haben ein Auto, oder etwa nicht?«
Nun sprang Freddy auf und ging mit großen Schritten auf Richard zu, der erschrocken einen Schritt zurückwich. Er spürte Freddys harte Hand an seiner Jacke, die ihn zum Auto zog.
»Ja, du Spasti, wir haben ein Auto. Aber musste das ausgerechnet ein Pizzataxi sein? Da stehen noch zig Kartons drin, die ausgeliefert werden sollten. Ist dir aufgefallen, dass da eine Riesenreklame von dem Laden draufsteht? Der Fahrer wird nicht nur dumm geguckt haben, sondern sofort die Bullen verständigt haben. Die suchen bestimmt schon stadtweit nach einem blutroten Renault mit der Aufschrift Ristorante Italia.
Und dann noch eine Kleinigkeit. Wie sollen wir darin sechs Personen unterkriegen? Kannst du mir das erklären?«
»Aber ...«
»Nix aber, du dämlicher Sack. Du stellst diese Kiste jetzt irgendwo in der Umgebung ab und verpisst dich schleunigst. Ich will doch nicht in einer Zelle landen, weil man mir die Entführung von dreißig Mafiatorten nachgewiesen hat. Auf gehts´s!«
Freddy fuhr herum, als er Massimos Riesenhand auf seiner Schulter spürte.
»Könnten wir denn nicht wenigstens ein paar Kartons hierbehalten? Ich meine nur ... ist ja noch lange hin, bis wir wieder was zu futtern kriegen. Dann könnte ich Elena auch direkt für heute Abend ...«
»Ich halte das nicht aus. Bin ich denn nur noch von Wahnsinnigen umgeben? Ihr könnt doch nicht nur ans verdammte Fressen denken. Schafft mir, verdammt nochmal, die Karre aus den Augen, bevor ich durchdreh!«
Freddy fasste sich mit beiden Händen an den Kopf. Hilfesuchend sah er zum Schuppendach, als erhoffe er sich vom Schöpfer einen Beistand. Richard stand wie festgemeißelt im Schuppeneingang. Freddy näherte sich drohend.
»Kannst du erkennen, was das hier ist?« Freddy zeigte auf seine Füße.
»Ja sicher, das sind deine Schuhe.«
»Und genau die stecken gleich in deinem Arsch, wenn du nicht in zehn Sekunden mit dem verdammten Wagen verschwunden bist. Ich werde mich selber um einen anderen Wagen kümmern. Und gib vorher dieser fleischgewordenen Lebensmittelvernichtungsmaschine einige Pizzakartons, damit der nicht vor lauter Schwäche vor unseren Augen zusammenbricht.«
Massimo gab ihm einen Klaps gegen den Hinterkopf, der Freddy einen Meter nach vorne stolpern ließ. Anschließend marschierte er zum Auto und sortierte mehrere Pizza-Kartons aus, die er auf dem Tisch stapelte.
Richard setzte sich, immer noch beleidigt, hinter das Steuer und verschwand mit dem Pizza-Taxi um die nächste Hausecke. Als er wieder am Treffpunkt eintraf, saßen seine Partner kauend am Tisch und diskutierten lautstark über die mickrigen Zahlungen, die monatlich vom Arbeitsamt geleistet wurden. Die Welt war so ungerecht.

»So, jetzt gehen wir den Plan noch ein letztes Mal durch. Vergesst bloß nicht, wann ihr euren Einsatz habt. Davon hängt alles ab. Seht euch die Fotos noch einmal an, damit ihr nicht die falschen Leute verschleppt. Die Klosterhards kommen so um etwa elf Uhr. Bisher parkte der Alte seinen Jaguar immer unter den Fenstern der Männer-Umkleide. Nachdem die sich umgezogen haben, klettern alle drei zuerst auf die Ergometer. Anschließend ...«
Massimo zog das Pizzastück wieder zurück, in das er gerade beißen wollte und sah Freddy erstaunt an.
»Worauf klettern die? Was ist ein Ergodingsbums?«
»Heilige Scheiße, was ist nur mit euch los? Wie konntet ihr bisher überhaupt überleben? Wisst ihr was? Wir werden morgen mal in das Studio gehen und so tun, als würden wir uns für eine Mitgliedschaft interessieren. Dann seht ihr mal vor Ort, was die für Geräte haben und wo ihr euch die Klosterhards krallen könnt. Das hat ja überhaupt keinen Zweck, wenn ich Dinge erkläre, die ihr noch nie gesehen habt. Aber den restlichen Plan können wir ja trotzdem schon durchgehen.«
Ausdruckslose Gesichter ließen bei Freddy Zweifel daran aufkommen, dass man ihn überhaupt verstanden hat. Sein Finger lag auf einem Punkt des Planes, den er zwischen leeren Pizzakartons ausgebreitet hatte.
»Genau hier parken wir den Wagen.«
»Welchen Wagen?«
»Verdammt, Massimo, ich sagte doch, dass ich den selbst besorgen werde. Hörst du überhaupt zu? Also, die Karre steht hier unter dem Baum. Dann steigen wir aus und gehen ganz ruhig in den Laden. Vorher zieht ihr euch die Masken über. Nicht vergessen. Die Klosterhards werden genau hier sein. Dann haltet ihr dem Alten den Püster unter die Nase und sagt ihm ganz ruhig, dass er und seine Bagage mitkommen sollen. Wenn der nicht spurt, helft ihr etwas nach. Ich warte an der Service-Theke und sorge dafür, dass keiner die Bullen ruft. Dann verschwindet ihr mit den Dreien und schmeißt die in den Wagen. Massimo bleibt hinten bei denen, du fährst. Wenn ihr am Eingang anhaltet, spring ich rein und ab geht die Post, zurück zum Schuppen. Das dauert nur ein paar Minuten, dann haben wir die Goldesel unter Dach und Fach. Noch Fragen?«
»Was mache ich, wenn der Alte sich wehrt?«
»Dann haust du ihm was auf die Fresse. Ist das so schwer? Aber denkt daran, wir brauchen die lebend. Außerdem musst du die Scheißer mit Kabelbinder fesseln. Wenn einer von den anderen Leuten im Studio aufmuckt, einfach einmal in die Decke schießen. Dann kuschen die schon.«
Richard stieß Massimo in die Seite.
»Sei mit der Knarre bloß vorsichtig. Nicht dass du aus Versehen einen von uns triffst. Man kann ja nie wissen.«
»Glaubst du tatsächlich, dass ich euch scharfe Munition in die Hand drücke? Wenn die Sache schief läuft, kriegen wir fünfzehn Jahre. Nee, ich habe Platzpatronen besorgt.»
Freddy schaltete sich schnell dazwischen, als er sah, dass Massimo bereits zum Schlag ausholte. Er machte sich Sorgen, dass die Feindschaft der beiden Idioten noch zu Problemen führen könnte. Zu diesem Zeitpunkt wusste er noch nicht, dass dies nur sein kleinstes Problem sein sollte.

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27. November 2017

'Auf der Suche nach Glück in New York City' von J. Vellguth

Holly hat fast alles: Einen Studienabschluss mit Auszeichnung, ein Bewerbungsgespräch bei ihrer absoluten Traumfirma und dann trifft sie auch noch einen netten Mann in einem Coffeeshop. Ihr neues Leben scheint endlich in greifbare Nähe zu rücken. Doch dann kommt alles anders und plötzlich hängt ihre gesamte Zukunft von der Arbeitsbereitschaft eines arroganten Schnösels ab, der … vielleicht doch ein bisschen mehr Tiefgang besitzt, als auf den ersten Blick zu sehen ist. Sie muss sich entscheiden: Karriere oder Liebe … oder kann man doch beides haben?

Rick ist der verwöhnte Sohn eines steinreichen Vaters und musste in seinem Leben noch nie einen Finger krumm machen. In der Firma ruht er sich auf der Arbeit anderer aus und hat nicht im Mindesten vor, das zu ändern. Doch sein Vater hat die Nase voll und will ihn endlich aus seinem Wolkenturm werfen. Wer wäre besser geeignet, ihm Disziplin einzutrichtern, als eine junge, enthusiastische Jobanfängerin, die sich aus den ärmsten Verhältnissen hochgearbeitet hat? Wird Rick sein gemütliches Leben einfach so aufgeben? Und steckt vielleicht doch mehr in dieser jungen Frau als steife Strebsamkeit?

Eine winterlich-moderne Liebesgeschichte über große Träume, kleine Wahrheiten und aufrichtige Gefühle.

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Leseprobe:
Holly stand in einer warmen Wolke aus rosasüßem, würzigschwarzem Kaffeeduft und fühlte sich einfach nur gut.
Ihre Brille war immer noch ein wenig beschlagen. Während die Gläser sich langsam aufklärten, schloss sie kurz die Augen und atmete tief durch.
Der Geruch von Zimt und Honig, Kaffee und Salz­karamell, Kakao und Sahne machte sie ganz schwindelig.
Dann konnte sie endlich wieder sehen. Vor ihr in der Auslage erstreckte sich ein himmlisches Meer aus fluffigem Teig und Zuckerglasur. Ihr lief das Wasser im Mund zusammen. Saftige Donuts, weiche Kekse und zuckersüße Teilchen.
Aber sie schaffte es, sich trotz leeren Magens einzu­reden, dass ihr flaues Gefühl nicht am Hunger lag, sondern von ihrer Nervosität und dem Anruf ihrer Mutter herrührte.
Sie konnte jetzt ganz sicher nichts Süßes vertragen.
Bestimmt.
Selbst in Gedanken triefte ihre Stimme vor Ironie.
Aber wenn sie hungrig wäre, müsste sie feststellen, dass ihr Portemonnaie gähnend leer war. Zumindest bis auf die zwanzig Dollar, die darauf warteten, in den Sparstrumpf für das Busticket nach Hause zu wandern. Sie hatte ihre Eltern so lange nicht gesehen. Und gerade jetzt, mit den Schwierigkeiten wegen des Autos, wäre es gut, über Thanksgiving bei ihnen zu sein.
Sie griff in ihre Manteltasche und fuhr mit vor Kälte steifen Fingern durch das Kleingeld, das sie heute noch ausgeben durfte.
Zwei Dollar und dreiundvierzig Cent. Das wusste sie, ohne nachzuzählen.
Sie betrachtete die Karte über der Theke. Für das Geld konnte sie sich einen mittleren Kaffee leisten. Oder mit einem kleinen achtundfünfzig Cent sparen und nachher im Laden noch etwas Gemüse kaufen, um ihren Magen zu füllen. Das war wohl die vernünftigere Variante.
Oder den Kaffee ganz sein lassen. Aber ihr war so kalt.
Da klingelte die Türglocke und ein junger Mann trat in den Laden.
Lang und schlank und das schwarze Haar so durcheinander, dass er wahrscheinlich gerade erst aus dem Bett gestiegen war. Auch sein eindeutig maßgeschneiderter Anzug sah ein wenig mitgenommen aus.
Sie fragte sich, was für eine Geschichte hinter seinem Aufzug steckte.
Die dunkelbraunen Augen blitzten in ihre Richtung und plötzlich erschien ein breites Lächeln auf seinem Gesicht.
Holly atmete eine weitere Welle aus Zuckerduft ein, durch die ihre Knie ganz weich wurden, wandte verlegen den Blick ab und betrachtete die Menükarte. Eigentlich sollte sie sich auf ihr Vorstellungsgespräch konzentrieren oder zumindest auf ihre Bestellung.
Aber die Gegenwart des jungen Mannes summte so laut am Rand ihres Sichtfeldes, dass sie nicht einen einzigen Buchstaben lesen konnte.
Sie spürte seine Wärme neben sich, bevor er etwas sagte. Er stand ein wenig dichter, als das für Fremde üblich war, und fuhr sich lässig durch sein seidig glänzendes Haar. Unvermittelt fragte Holly sich, wie sich das wohl anfühlen würde, und musste innerlich über sich lachen. So einen Gedanken hatte sie lange nicht gehabt.
Deshalb beschloss sie, nicht zu bemerken, wie ihre Oberarme bei seiner flüchtigen Berührung kribbelten.
Ihre halb gefrorenen Glieder begannen aufzutauen, das war alles.
»Guten Morgen«, sagte er mit dunkler Stimme und das selbstbewusste Lächeln auf den vollen Lippen wurde noch breiter. Ein Kribbeln ergoss sich ungefragt in einer Welle bis in Hollys Bauch hinein.
Schweigen oder antworten?
Sie entschied sich zu einem Konter: »Ganz so gut scheint der Morgen für dich aber nicht zu laufen.« Sie spielte natürlich auf sein zerwühltes Aussehen an.
Ganz egal, dass ihre Reaktion vielleicht ein bisschen verrückt war. Das hier war wesentlich besser als sich Gedanken über so nebensächliche Kleinigkeiten zu machen wie ihre Zukunft, Bewerbungsgespräche, kaputte Autos und – Frühstück.
»Nichts, was ein ordentlicher Kaffee nicht wieder hinbekommen würde.« Er beugte sich zu ihr herunter und sagte in vertraulichem Ton: »Heiß, mit extra Zucker, natürlich.«
Sie lachte. Nicht gerade innovativ. Aber aus irgend­einem Grund störte sie das heute gar nicht.
Sie spürte, wie sein Atem über ihre Wange strich und ihr Puls sich beschleunigte. Jede Wette, dass er die Damen mit seinem Charme reihenweise flachlegte.
»Ich bin Rick«, sagte er freundlich und hielt ihr die Hand entgegen.
Holly zögerte nur einen Augenblick. Normalerweise war sie niemand, der auf so etwas ansprang. Aber er sah durch seinen zerknitterten Auftritt mindestens genauso fehl am Platz aus, wie sie sich fühlte. Und alles war besser, als eine Stunde lang alleine die Zeit totzuschlagen.
»Holly«, sagte sie und nahm seine Hand. Die war weich und im Vergleich zu ihrer unheimlich warm. Fast hätte sie vergessen, ihn wieder loszulassen.
»Ein schöner Name«, antwortete er. »Und was trinkst du, Holly?«
Eigentlich hatte sie sich gegen den Kaffee entschieden, aber wenn sie jetzt sagte, dass sie nichts wollte, würden unweigerlich Fragen kommen. Unangenehme Fragen.
Also wandte sie sich an die Kassierin. »Einen Kaffee – tall, bitte«, sagte sie. Holly hatte noch nie verstanden, weshalb bei Starbucks der kleine Kaffee tall genannt wurde – also hochgewachsen oder lang. Wahrscheinlich, damit man eher bereit war, fast zwei Dollar für einen schlichten, schwarzen Kaffee auszugeben.
Die junge Frau an der Kasse nickte bereits, aber Rick schnalzte missbilligend mit der Zunge und lehnte sich gegen den Tresen. »Das kann nicht dein Ernst sein.« Die Kassierin zögerte und ihr Blick huschte unsicher zwischen ihren beiden Kunden hin und her.
»Ein langweiliger, schwarzer Kaffee?«, fragte Rick und zog die Brauen hoch. »Ich dachte, wir wären uns einig, dass wir Koffein und ganz viel Zucker brauchen, um vernünftig in den Tag zu starten.«
»Hauptsache schwarz und heiß«, sagte sie. Dabei ruhte sie sich absichtlich ein wenig zu lange auf dem scharfen S aus und versuchte genauso lässig zu wirken wie er. Sie konnte sich unmöglich zu etwas anderem überreden lassen, das ließ ihr Geldbeutel nicht zu.
Aber Rick schien sich davon nicht beeindrucken zu lassen, sondern wandte sich an die Kassiererin: »Die Dame nimmt einen Salted Caramel Mocha Grande.« Dann hob er Mittel- und Zeigefinger in die Luft. »Machen Sie zwei draus.«
Hollys Magen knurrte leise bei dem Wunsch nach so viel Kalorien. Sie hielt den Atem an und hoffte, dass er nichts davon bemerkt hatte.
»Siehst du, dein Bauch stimmt mir zu«, sagte er und lachte leise vor sich hin.
Na, hervorragend.
Mieser, verräterischer Bauch.
Hollys Blick raste über das Menü, bis sie sein bestelltes Heißgetränk fand. Fast fünf Dollar.
Sie schluckte, stieß die Luft aus und schüttelte schnell den Kopf. »Nein danke, ich …«
Er seufzte. »Vertrau mir einfach, okay?« Und am liebsten wäre sie in seinen tiefen, dunklen Augen einfach so versunken.
Ihre Finger schlossen sich fest um das Kleingeld in ihrer Tasche. Unmöglich.
»Aber ich …«
Er unterbrach sie, indem er sich an die Kassiererin wandte: »Der geht auf mich.« Damit lächelte er Holly zu, als wollte er sagen, er hatte alles unter Kontrolle.
Unter normalen Umständen hätte Holly sich jetzt zur Wehr gesetzt. So ein Geschenk konnte sie unter gar keinen Umständen annehmen.
Aber wenn sie sich an ihre Prinzipien hielt, dann bedeutete das, Thanksgiving ganz allein in ihrer kalten Wohnung zu verbringen.
Also schluckte sie ihren Stolz hinunter und lächelte.
Vielleicht war das ja wirklich mal eine willkommene Abwechslung. Jemand, der es ehrlich meinte und ihre Probleme löste, statt neue zu schaffen. Traf man solche Menschen tatsächlich einfach so auf der Straße? Leute, die keine andere Agenda hatten, als nett zu sein?
Sie warf ihm einen Seitenblick zu.
Ihr Bauch behauptete, er ging in Ordnung. Aber was wusste ihr Bauch schon, der war ein mieser Verräter. Ihr Kopf hatte eine sehr eindeutig andere Meinung.
»Glaub mir, du wirst es nicht bereuen«, sagte er mit einem Zwinkern.
Holly sah, wie die Kassiererin ihn beobachtete und verträumt zuerst den Kaffee machte, statt zu kassieren.
Rick ließ sich davon nicht beirren, sondern ging zu der Station, wo die Getränke ausgegeben wurde. »Also, was machst du hier in der Gegend?«, fragte er Holly. »Sightseeing? Arbeit? Vergnügen?« Beim letzten Wort senkte er die Stimme zu einem tiefen Brummen und wackelte mit den Augenbrauen. Dabei wirkte er so jungenhaft verschmitzt, dass sie es ihm nicht übelnehmen konnte.
»Arbeit«, sagte Holly schnell. »Hoffe ich zumindest.«
Er lachte. »Glaub mir, hier in der Gegend willst du gar nicht arbeiten.«
»Nein?«
»Lauter eingebildete Schnösel, die einen Stock im Hintern mit sich herumtragen.«
Jetzt lachte Holly. »Ach wirklich?« Sie neigte ihren Kopf und tat, als würde sie seine Rückseite begutachten. »Ich sehe gar nichts«, stellte sie übertrieben verwundert fest.
»Ausnahmen bestätigen die Regel«, antwortete er völlig ernst.
Da schob die Kassiererin zwei riesige Kaffeebecher über den Tresen. Rick griff in die Hosentasche seines Anzugs, zog seine Hand aber sofort wieder heraus und klopfte sein Jackett ab. »Sorry, tut mir leid, ich glaub, ich hab meine Karte im Auto liegen lassen.«
Da war das flaue Gefühl plötzlich wieder da und Hollys Magen schrumpfte zusammen ...

Im Kindle-Shop: Auf der Suche nach Glück in New York City

Mehr über und von J. Vellguth auf ihrer Website.



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24. November 2017

'Herbstfunkeln (Cornwall Seasons 1)' von Cara Lindon

»Cornwall tut den Augen und der Seele gut«, sagte Grandma, »… und es heilt gebrochene Herzen.«

Mann weg, Job weg, Wohnung weg – kurz vor ihrem 30. Geburtstag hat Alys alles verloren. Zutiefst unglücklich kehrt sie zurück ins romantische Cornwall, ins Haus ihrer Großmutter. Mit Schokolade, Büchern und ihren besten Freundinnen versucht sie sich zu trösten, aber das Leben erscheint ihr leer.

Um nicht mehr so allein zu sein, adoptiert sie Mr. Cat, einen missmutigen Kater aus dem Tierheim. Gerade hat Alys sich ihrem Dasein als einsame Katzenfrau abgefunden, treten zwei Männer in ihr Leben: der sympathische Jory, mit dem Alys lachen kann, und der erfolgreiche Daveth mit den stahlgrauen Augen, der sie verwöhnt.

Das Gefühlschaos ist perfekt. Nun muss Alys sich entscheiden: Kann sie ihrem Herz vertrauen oder steht ihre Vergangenheit ihrem Glück im Weg?

Gleich lesen:
Für Kindle: Herbstfunkeln (Cornwall Seasons 1)
Für Tolino: Buch bei Thalia

Leseprobe:
Zum dritten Mal versuchte Alys Brände auf Borneo, den zweiten Roman der Jezebel-Bligh-Serie, aus dem Regal zu ziehen, aber ihre zitternden Finger glitten am Buchrücken ab. Wie konnte das nur geschehen? Was hatte sie verbrochen, dass ihr ganzes Leben wie ein Kartenhaus in sich zusammengestürzt war?
Die anderen Zutaten für ihre heutige private Trauerfeier lagen auf dem Couchtisch bereit:
- Schokolade
- Southern Comfort und Ginger Ale
… und eine Packung Taschentücher, weil sie weinen musste.
Mit verschwommenem Blick sah sie sich um. Alles in dem vertrauten Cottage erinnerte sie an ihre Grandma, vor allem die Fotos an den Wänden und über dem Kamin. Sie ging zu dem Schnappschuss, den sie am meisten liebte: Grandma und sie in London während einer Einkaufstour.
»Hier habe ich gewohnt, als ich noch jung war.« Grandmas Augen hatten geleuchtet, als sie auf ein unscheinbares Haus in der Carnaby Street deutete. »Wilde Zeiten waren das. Bis ich deinen Großvater kennenlernte.«
»Warst du ein Groupie?«, fragte Alys, die sich im Internet über die Swinging Sixties informiert hatte und sich nicht vorstellen konnte, wie ihre stets korrekt gekleidete Großmutter in diese Welt passen sollte. »Wovon hast du gelebt?«
Grandmas Antwort war ein Lachen gewesen. »Ach, Kind, das erzähle ich dir, wenn du groß bist.«
Der Stil ihrer Großmutter war in dem behaglichen Häuschen überall zu spüren. Durch indirekte Beleuchtung und helle Farben war es ihr gelungen, aus dem Cottage ein lichtdurchflutetes, behagliches Heim zu schaffen.
Das einzig Dunkle waren die Dielen, die abgeschliffen und versiegelt waren. Alys mochte das Gefühl des warmen Holzes an ihren Füßen und war Grandma dankbar, dass diese das Holz nicht mit Teppich überdeckt oder gar herausgerissen hatte.
Sie fühlte sich zuhause und hatte alles belassen, wie es war, nachdem sie hier eingezogen war. Jeden Raum verband sie mit einer Erinnerung an ihre Großmutter, mit Leben, Streit und Lachen. Noch immer erwartete sie, Grandma auf dem gemütlichen Sofa vor dem Kamin sitzen zu sehen. Die zusammengewürfelten Bücher im Regal trugen Grandmas Namen auf der dritten Buchseite. Manchmal hatte sie auch Bemerkungen zur Geschichte dazu geschrieben, meist, wenn sie sich über die Romane geärgert hatte.
Vor dem Fenster hingen beigefarbene Stoffgardinen, deren aufgedruckte Rosen von dem gleichen intensiven Rot waren wie das Sofa, auf das sich Alys setzte, nachdem sie das Buch endlich herausgezogen hatte, und die Beine anwinkelte.
Dann zog sie eine Bilanz ihres Lebens, die traurig aussah:
- Grandma: fehlt mir immer noch unendlich
- Chesten: bei ihrem Lover
- Bree: In Mailand oder San Francisco oder New York
- Job: weg und kein neuer in Sicht
- Craig: Flop meines Lebens
… und all das innerhalb kurzer Zeit. Sie konnte kaum fassen, wie schnell ihr Leben zerbrochen war. Noch vor einem Jahr hatte sie als Personalentwicklerin bei einer Londoner Bank gearbeitet und in einer überteuerten, aber schnuckeligen Wohnung in Notting Hill gelebt, gemeinsam mit Craig. Erst überraschte sie die Kündigung, dann die Trennung und schließlich im Oktober der verhängnisvolle Anruf von Grandma.
»Alys, Dearie, ich … ich bin krank. Sehr krank.«
Sofort ließ sie in London alles stehen und liegen, um ihrer geliebten Großmutter in Cornwall beiseite zu stehen. Sechs gemeinsame Wochen waren ihnen vergönnt gewesen. Alys verzog den Mund, hob die Hand vors Gesicht, aber die Tränen ließen sich nicht eindämmen. Sie schnäuzte sich die Nase, goss sich eine großzügig bemessene Portion Southern Comfort ein und füllte das Glas mit Ginger Ale auf. Nachdem sie einen Schluck getrunken hatte, öffnete sie das Taschenbuch der Mission für M.I.S.T.R.-Reihe. So wie Grandma liebte sie die Abenteuer der exotischen Heldin Jezebel Bligh und ihres Teams.
»Jedes Mal, wenn Jezebels geheimnisumwitterte Vergangenheit erwähnt wird, trinke ich einen Schluck Southern«, wiederholte sie die Regeln ihres Spiels. »Bei jeder Erwähnung ihrer außergewöhnlichen Attraktivität gibt es Schokolade.«
Wow, erst auf Seite neun und sie musste das Glas bereits auffüllen. Jezebel Blighs hatte eine sehr geheimnisvolle Vergangenheit, was der Autor nicht oft genug erwähnen konnte. Wie eine Meerjungfrau war sie als Kind eines Tages in Borneo halb ertrunken angespült und von einem Eingeborenenstamm aufgezogen worden.
»Auf dich, Grandma.« Alys hob ihr Glas. »Und auf deinen seltsamen Buchgeschmack. Ich vermisse dich. Entsetzlich.«
Erneut stiegen Tränen in ihren Augen auf, denen sie durch einen großen Schluck des süßen Getränks beikommen wollte.
Wieso war die Schokolade schon alle? Das musste an Jezebel Blighs Sex-Appeal liegen. Alys erhob sich, um sich eine neue Tafel zu holen, und plumpste zurück aufs Sofa.
Ups!
Der Southern Comfort wirkte stärker, als er schmeckte. Möglicherweise lag es daran, dass sie seit dem Frühstück nichts gegessen hatte. Der Gedanke an den morgigen Tag raubte ihr den Appetit. Sicher, es war Grandmas letzter Wunsch gewesen, aber musste Alys deshalb ihr Leben umkrempeln?
»Auf den kommenden Mitbewohner.« Darauf noch einen Schluck des leckeren Getränks. Irgendwie hatte Alys das Gefühl, der Southern Comfort würde immer mehr in ihrem Mund. Vielleicht sollte sie erst einmal einen Schluck Wasser trinken. Oder zwei. Doch irgendwie konnte sie sich nicht dazu aufraffen, aufzustehen und in die Küche zu gehen. Stattdessen schniefte sie und schnäuzte sich in das Taschentuch, das schon ziemlich durchweicht war.
Ich bin ganz allein! Niemand liebt mich. Ich könnte hier und heute tot umfallen und es würde Monate dauern, bis es jemand merkt.
Als sie sich weiter in ihr Selbstmitleid einkuscheln wollte, klingelte ihr Smartphone. Wo war das verfluchte Ding nur? Alys stand auf, schwankte, aber es gelang ihr, auf den Beinen zu bleiben, auch wenn sie sich an der Sofalehne abstützen musste. Auf der Suche nach ihrem Telefon kniff sie ein Auge zu, weil sie auf einmal alles unscharf und doppelt sah.
Ah, da war das blöde Ding. Wie es da nur hingekommen war?
Glücklicherweise hatte ihr Anrufer viel Geduld.
»Hallo!« Alys keuchte ein wenig, weil die Suche und vor allem der Versuch, aufrecht zu bleiben, ganz schön anstrengend war. »Ja?«
»Wie viel hast du getrunken?«
»Hallo Bree, Ich freu mich auch, dich ssu hör’n.«
»Ach, komm, wer außer mir sollte heute deshalb anrufen.«
Stimmt. Ein echter Punkt. Chesten war mit den Gedanken meist woanders und außerdem viel zu freundlich, als dass sie Alys an ihre Fehler erinnern würde. Brees Schmerzgrenze lag deutlich tiefer, wenn es um klare Worte ging. In diesem besonderen Fall jedoch hatte Chesten gestern bereits angerufen, um ihr mitzuteilen, dass sie einen Termin für Alys ausgemacht hatte.
Alys seufzte. »Mussu mich daran erinnern?«
»Du trinkst allein?!« Brees Stimme klang ungläubig. »Die wievielte Flasche Sekt?«
»Kein Sekt. Schoschern Comfort, wegen Grandma.« Wenn sie sich auf den Rücken legte und mit der linken Hand ein Auge zuhielt, drehte sich das Zimmer kaum noch. »Und wegen morgen. Chesten hat sich drum gekümmert.«
Schweigen antwortete ihr. Eine skeptische Stille.
»Das willst du doch nicht wirklich machen?«
»Oh doch.« Alys kämpfte gegen einen Schluckauf an und schloss beide Augen. Trotzdem drehte sich das Zimmer noch. »Versprochen is’ versprochen. Hicks.«
»Ach, Darling.« Brees Stimme klang für ihre Verhältnisse sehr sanft. »Deine Grandma würde es verstehen, wenn du dich anders entscheidest. Nach Craig wird noch jemand kommen.«
»Versprochen is’ versprochen«, wiederholte Alys mit Nachdruck in der Stimme. Erneut drohte die Traurigkeit sie zu überwältigen. »Grandma wirsich schon wasch dabei gedacht habn. Craig – wer is’ Craig. FmL.«
Flop meines Lebens, manchmal auch gFmL – der größte Flop meines Lebens. Nicht dass Bree nicht von Anfang an prophezeit hatte, dass er sich als das herausstellen würde.
»Dearie, pack einfach deine Sachen und besuch mich.« Bree wurde nicht müde, ihr dieses Angebot zu machen, obwohl Alys es bestimmt schon zehnmal abgelehnt hatte. »Ich fänd’s schön, wenn du hier wärst.«
Nein, Brees Modelwelt war keine, in der Alys sich einfügen könnte – da war sie sicher.
»Ich muss einen Job finden.« Alys hasste es, wenn sie sich stur und verbissen und spießig anhörte. Konnte Bree denn nicht verstehen, dass sie nicht auf Kosten ihrer Freundin leben wollte? »Auscherdem hab’ ich morgen den Termin.«
Erneut schwieg Bree. Sie war die Königin des vielsagenden Schweigens. Wenn sie nüchtern gewesen wäre, wäre Alys vielleicht eingeknickt. Dank des wunderbaren Southern Comforts konnte sie Brees Schweigen gut aushalten. Ab und zu öffnete sie ein Auge, um zu überprüfen, ob der Raum sich immer noch drehte.
Jep.
»Na gut, dann renn in dein Unglück.« Bree seufzte. Manchmal hörte sie sich an wie die große Schwester, die Alys nie gehabt hatte. »In zehn Tagen komme ich nach St. Bart. Ich habe einen Auftrag in Rom und mache einen Zwischenstopp bei euch.« »Dann kannscht du ihn oder sie kennenlernen.« Nun war der Schluckauf doch ausgebrochen, obwohl Alys alles versucht hatte, ihn zu unterdrücken. »Ich freu mich, aber ich glaub, ich muss jezz ins Bett.«
»Hoffentlich hast du morgen keinen Kater.« Bree schüttete sich aus vor Lachen. »Du verstehst den Witz.«
»Ja, Bree. Obwohl er nichso lussig ist wie du denkst.« Alys bemühte sich, etwas gekränkte Würde zu verbreiten, aber mit Schluckauf war das nur schwer zu bewerkstelligen. »Gute Nacht.«
»Geh wirklich schlafen und trink nicht noch den Rest aus.« Alys konnte Bree förmlich vor sich sehen, wie sie den Kopf schüttelte. »Tschüs, Love.«
»Ciao.« Alys legte auf und stellte das Glas ab. Einen Moment überlegte sie, sich aus reinem Trotz noch einen Southern Comfort einzuschenken, aber der Schluckauf war ein deutliches Signal, dass sie genug hatte.
Also torkelte sie in die Küche, goss sich dort ein großes Glas Wasser ein, in dem sie eine Magnesium- und eine Kalziumtablette auflöste. Während die Tabletten vor sich hinsprudelten, hielt Alys sich die Nase zu, um den verfluchten Schluckauf endlich zu besiegen.
Sie warf einen letzten verschwommenen Blick durch das Cottage, ob alles für morgen vorbereitet und einsatzbereit war. Ja, sie war gut organisiert. Eine Frau mit miesem Männergeschmack, aber einem eindeutigen Organisationstalent. Ab morgen würde alles anders.
»Proscht!« Mit Todesverachtung trank sie die säuerliche Magnesium-Kalziummischung und hoffte, dass dies dem morgigen Kopfschmerz vorbeugen würde.

Im Kindle-Shop: Herbstfunkeln (Cornwall Seasons 1)
Für Tolino: Buch bei Thalia

Mehr über und von Cara Lindon auf ihrer Website.

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'Dark Spirit: Das Vermächtnis' von Silvia Maria de Jong

Er begehrt sie vom ersten Moment an, da er sie gesehen hat. Doch sie ist die Frau seines Bruders!

Der unerwartete Tod seines Bruders Tristan, zwingt Kiran Carmichael nach Schottland, in seine Heimat zurückzukehren. Tristans Tod eröffnet Abgründe, welche die gesamte Existenz der Familie bedrohen. So auch Julias, die Frau, an die Kiran vor vielen Jahren sein Herz verlor. Er muss den dunklen Schatten seiner Vergangenheit begegnen und die tiefverschütteten Geheimnisse offenbaren, wenn er die, die er liebt, retten will ...

Gleich lesen: Dark Spirit: Das Vermächtnis

Leseprobe:
Erschrocken wich sie zurück. Beschämt darüber, sich so kurz nach dem Tod ihres Mannes in den Armen eines Anderen zu finden. Was war nur mit ihr los? Kiran war immer ein Bestandteil ihres Lebens gewesen, nicht zuletzt als ihr Schwager. Doch alles Weitere hatte sie aus ihrem Kopf, ihrer Seele und ihrem Herzen gebannt. An jenem Tag, da sie Tristan das Ja-Wort gab.
Sie streckte die Hand aus und berührte mit zitternden Fingern den goldenen Anhänger, welcher auf seiner Brust ruhte. Halb vom Brusthaar verborgen, spiegelte er das schwache Licht, welches aus dem Nebenzimmer herein fiel.
Andächtig schloss sich ihre Hand um das Schmuckstück, dessen edles Material noch Kirans Körperwärme trug.
„Ich kann nicht glauben, dass du ihn noch immer trägst“, flüsterte sie so ergriffen, dass ihr fast die Stimme versagte. Die Finger seiner linken Hand schlossen sich um ihre, während er mit der Rechten behutsam ihr Kinn anhob, um ihr in die Augen sehen zu können.
„Seit jenem Tag, als du mir die Kette angelegt hast, habe ich sie nicht mehr abgenommen, Juls.“ In seinen Augen lag ein Verheißen, das sie ängstigte und ihr zeitgleich einen Schauer des Begehrens über die Haut jagte. Seine Stimme klang dunkel und rau als er flüsterte: „Wir sind wie Engel mit nur einem Flügel…“
„…müssen einander umarmen, um fliegen zu können“, vollendete sie ehrfürchtig den Satz mit ihm.
„Du erinnerst dich daran?“
Ein trauriges Lächeln zeichnete sich in seine Züge.
„Ich erinnere mich an jede Sekunde dieses Abends. An jedes Wort, das wir gesprochen haben. Jeden Kuss, den wir geteilt haben…“ Blitzschnell legte sie ihm einen Finger auf die Lippen und brachte ihn somit zum Schweigen.
„Psst…Bitte, Kiran. Tu das nicht. Nicht heute Nacht.“ Ihre Stimme bebte, so sehr nahm der Moment sie gefangen. Sekundenlang schien es ihm nicht zu gelingen sich von ihr zu lösen, dann jedoch siegte der Verstand über das Herz. Mit einem leichten Nicken löste er widerstrebend seine Hand von Ihrer.
Julia öffnete die Finger und betrachtete den feingearbeiteten Engelsflügel in ihrer Handfläche. Sicher kein Meisterstück, aber mit Abstand das Wertvollste, was sie je gearbeitet hatte.
Ganz am Anfang ihrer Ausbildung zur Goldschmiedin, hatte sie eben jenen Flügel für Kiran kreiert. Einen für ihn, und das passende Gegenstück für sich. Damals hatte sie geglaubt, die Welt läge ihnen zu Füßen. Das Leben selbst, glänzend, wie dieses Stück Gold in ihrer Handfläche vor ihnen. Nur wenige Monate später war Kiran aufgebrochen in ein Leben, in dem es augenscheinlich keinen Platz für sie zu geben schien. Einmal mehr hatte sie in dem zarten Alter von siebzehn Jahren, so alt wie Damian heute war, erfahren müssen, wie unendlich schmerzhaft Verluste waren.
Mit dem Daumen strich sie behutsam über das feingearbeitete Relief der Federn, spürte einen Hauch der Freude von damals, als sie Stunden damit zugebracht hatte, jede Einzelheit fein hervor zu heben.
„Warum verliert man immer die, die einem am liebsten sind?“ Sie wusste nicht genau, ob sie die Frage Kiran oder sich selbst stellte. Unsicher hob sie den Blick und sah ihn an. „Jaden, der plötzlich und unvermutet aus dem Leben gerissen wurde.“ Eine Träne löste sich aus ihrem Augenwinkel bei dem Gedanken an ihren Bruder, der gerade volljährig war, als er diesem schrecklichen Unfall zum Opfer fiel. Bis heute wusste sie nicht genau, was an jenem Tag geschehen war. Stets hatte man sie damit getröstet, dass sie noch zu jung sei um das Unfassbare zu begreifen. Sie war jung gewesen, zwölf Jahre alt. Doch auch später hatte sie niemand wirklich darüber aufgeklärt, was in jener Nacht geschah. Ihre Mutter, dachte sie voller ungebändigtem Schmerz, war dem Sohn nur wenige Monate später in das kühle Grab gefolgt.
Kiran hob die Hand und wischte die Träne fort. Etwas Apathisches lag in seinem Blick, das sie ängstigte.
„Von all meinen Brüdern war Jaden immer der, der mir am nächsten stand. Ihn zu verlieren war…“ Sie schüttelte den Kopf. Der Worte beraubt, versuchte sie sich zu fangen. „Und dann du.“ Mit dem Finger strich sie behutsam über die tiefe Narbe, welche seine rechte Augenbraue in zwei Teile spliss. Kiran zuckte erschrocken zusammen. Julia hatte plötzlich den Eindruck, dass er tausende Kilometer entfernt schien. Sein Körper, so dich bei ihr, dass seine Wärme sie wie eine Liebkosung umfing. Sein Geist jedoch, schien auf einer anderen Ebene zu verweilen.
„Dich zu verlieren, Kiran, hat mich fast meines Verstandes beraubt. Von einer Sekunde auf die Nächste warst du fort. Über Nacht. Ohne jeglichen Abschiedsgruß…“ Der Schmerz ließ ihre Stimme brechen.
„Julia…“, sagte er heiser, und in diesem einen Wort lag so vieles verborgen, dass es sie ängstigte, diese Dinge zu ergründen. Sie hob die Hand und brachte ihn zum Schweigen, bevor er weiter sprechen konnte.
„Du musst mir nichts erklären, Kiran. Die Zeit für Erklärungen ist lange vorbei…“ Unter dem Schleier ihrer Wimpern hindurch begegnete sie seinem Blick. Schuld und Sühne sprachen zu gleichen Teilen daraus. Berührten sie so tief, dass sie versucht war, sich seinen Erläuterungen hinzugeben. Zu erfahren, was ihn damals dazu veranlasste, alle Brücken hinter sich nieder zu reißen. Was es war, das noch heute diesen gequälten Ausdruck in seinen Augen heraufbeschwor.
Mit einem tiefen Aufstöhnen zog er sie in seine Arme und ließ sich mit ihr auf die Matratze sinken.
„Ich verspreche dir, ich werde dich nicht anrühren. Aber ich könnte es nicht ertragen, dich in einer solchen Nacht allein zu lassen. Zu wissen, das du hier liegst, gequält von Selbstzweifeln, die dir aufgebürdet wurden“, flüsterte er rau. Sie hob das Kinn und sah ihn an. Mit dem Finger strich er zärtlich über ihre Wange, fuhr durch die dichten Strähnen ihres dunkelroten Haares.
„Du hast dir nichts vorzuwerfen, Julia. Du warst Tristan stets eine treue, sorgende Ehefrau. Jeder, der etwas Anderes behauptet, lügt.“
Sie senkte die Lider aus Angst, er könne die erschreckende Wahrheit in ihren Augen lesen. Körperlich war sie Tristan treu gewesen, doch ihre Seele und ihr Herz hatten stets nach etwas verlangt, das er ihr nicht geben konnte, egal wie sehr er sich auch mühte.

Im Kindle-Shop: Dark Spirit: Das Vermächtnis

Mehr über und von Silvia Maria de Jong auf ihrer Website.

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23. November 2017

'Granat hat keine Gräten: Ein Ostfrieslandkrimi' von Harald H. Risius

»Granat hat keine Gräten«
... behauptet Hinni Boomgarden. Trotzdem stirbt der Bremer Bankier Albert Oldenbeck bei einem Benefizessen zugunsten der Seehundstation Norddeich einen qualvollen Erstickungstod – gleich nachdem er eine Portion Nordseekrabben gegessen hat. Was ist los mit den Krabben, die in Ostfriesland Granat genannt werden?

Susi Wildtfang, die Ermittlerin mit Heimvorteil, und der brummige Helmut Brunner sollen den Fall klären, obwohl sie selbst vor persönlichen Veränderungen stehen: Der eine muss schleunigst Ostfriese werden, die andere schmiedet Heiratspläne. Da gibt es allerdings ein Hindernis: Ihr Zukünftiger steht auf der Liste der Verdächtigen beim Krabben-Mord.

Brisant wird die Ermittlung, als sich herausstellt, dass Oldenbecks Bank dubiose Geschäfte tätigt, Investoren um ihr Vermögen prellt und dabei auch die Seehundstation im Visier zu haben scheint.

Der neunte Roman der Reihe "Sail & Crime" mit einem überraschenden Ende und ganz viel Ostfriesland drin.

Gleich lesen: Granat hat keine Gräten: Ein Ostfrieslandkrimi (Sail & Crime 9)

Leseprobe:
Moin, Frau Söhnken.«
Renate begrüßt die Frau des Landrats mit dem üblichen Küsschen auf die Wange. »Ich hoffe, Sie haben auch Ihren Mann mitgebracht.«
»Natürlich, der lässt sich doch so ein Ereignis nicht entgehen. Ich glaube, er wird draußen noch aufgehalten. Aber was hört man von Ihnen? Sie haben eigenhändig einen Seehund gefangen? Das hätte ich mich nicht getraut. Ich hätte Angst, so niedlich die Tiere auch aussehen.«
Renate ist vor Verwunderung fast sprachlos. »Ich? Einen Seehund?«
»Ja, das wird dort draußen vor der Tür erzählt. Sie hätten mit Ihrer Yacht ein Seehundbaby gefangen, obwohl das nicht erlaubt ist. Die sind ja auch niedlich, diese Tierchen. Ich sehe mir die auch so gern an. Und zur Strafe müssen Sie nun diese Veranstaltung machen.«
Am Ende des Satzes ist ein angedeutetes Fragezeichen aus ihrem Tonfall herauszuhören. Gerne hätte Frau Söhnken alle Einzelheiten erfahren.
Renate fängt sich wieder. »Nein, Frau Söhnken, da haben Sie etwas Falsches gehört. Wir haben vor einigen Wochen einen Heuler gerettet. Der wurde von seiner Mutter getrennt und konnte deshalb nicht mehr gesäugt werden. Bei der Gelegenheit haben wir uns an die Seehundaufzuchtstation in Norddeich erinnert. Und nun möchten wir dort helfen.«
»Ach, so war das«, ruft Frau Söhnken, während sie sich bereits gelangweilt abwendet und sich auf eine Bekannte stürzt, die sie im Foyer entdeckt hat. »Hallo Lina, hest du dat all hört ...«
Renate Reichle und Hinni Boomgarden, die Inhaber des Hoteldorf am Großen Meer, begrüßen ihre Gäste. Sie haben eine Benefiz-Veranstaltung zugunsten der Seehundaufzuchtstation in Norddeich ausgerichtet. Nun treffen die Teilnehmer ein.
Renate ist eine schöne, große Frau, eine gebürtige Fränkin. Das elegante Abendkleid unterstreicht ihr selbstbewusstes Auftreten. Es fällt ihr leicht, sich den Umständen anzupassen und Kontakte zu knüpfen. Beide Eigenschaften haben ihr sehr geholfen, sich innerhalb kurzer Zeit einen Platz in der Gesellschaft Ostfrieslands zu erobern. Inzwischen ist sie bekannt und bei den meisten auch beliebt. Aber wie überall gibt es einige Neider.
Natürlich spielt auch Hinni Boomgarden, ihr Lebenspartner, eine gewisse Rolle. Er hat sie in die ostfriesische Lebensweise eingeführt, die doch etwas mehr beinhaltet, als fünfmal am Tag Tee aufzubrühen und das Ritual mit den Kluntjes und der Sahne, dat Wulkje, verinnerlicht zu haben.
Hinni ist der Ur-Typ eines Ostfriesen oder Wikingers. Er kennt in Ostfriesland Gott und die Welt; seine zielstrebige, aber freundliche und manchmal auch großzügige Art öffnet ihm viele Türen, die anderen oft verschlossen bleiben.
Sie bilden ein gutes Team, bei dem sich Liebe und Zuneigung mit einer gewissen Zielstrebigkeit paaren. Vor einigen Jahren ist Renate nach einem Segeltörn bei Hinni eingezogen, in den ehemaligen Bauernhof, den er von seinen Eltern geerbt hat. Gemeinsam haben sie auf Hinnis Wiesen am Großen Meer mitten in Ostfriesland ein Hotel der gehobenen Klasse gebaut. Hier findet nun das Benefizessen statt.
Hinni legt im Allgemeinen keinen Wert auf sogenannte Gesellschaftskleidung. Was er trägt, muss sauber, praktisch und ordentlich sein. Heute allerdings hat Renate ihn in ihrer unnachahmlich direkten Art davon überzeugt, seinen neuen, maßgeschneiderten Anzug zu tragen, um dem Anlass des Abends gerecht zu werden. Elegant sieht er darin aus, der Anzug mit dem weißen Hemd und der modernen, schmalen Krawatte steht ihm. Das blonde Haar und sein braun gebranntes Gesicht kommen gut zur Geltung. Der Gesichtsausdruck und seine Gestik lassen allerdings deutlich erkennen, dass dies nicht seine Alltagskleidung ist. Obwohl der Anzug perfekt sitzt, kommt er sich beengt vor.

Renate sucht Hinni, der eigentlich neben ihr stehen und mit ihr die Gäste begrüßen sollte. Es sind fast ausschließlich einflussreiche Persönlichkeiten, die ihnen heute die Ehre geben und etwas persönliche Aufmerksamkeit von den Eigentümern des Hoteldorf am Großen Meer erwarten dürfen.
Sie entdeckt ihn etwas abseits mit einem seiner Freunde im Gespräch und winkt ihn diskret heran. »Hinni, Frau Söhnken erzählte mir gerade, dass da draußen einige Leute unsere Gäste belästigen. Schick doch bitte Karl, damit er die vertreibt. Oder ruf gleich die Polizei, ich will heute Abend keine Störenfriede.«
»Nee, das mach ich lieber selber. Joke hat mir gerade auch davon erzählt.«
Er zeigt auf seinen Freund, mit dem er gerade gesprochen hat. »Er meint, dass Harm Burmeester mit seinen Freunden Stunk macht. Denen gefällt mal wieder nicht, was wir hier machen.«
»Die ›Freunde Gottes‹? So ähnlich nennen die sich doch.«
»Nee, Die Natur gehört Gott, behaupten sie. Aber das kommt aufs Gleiche raus. Ich kümmere mich darum.«

Im Kindle-Shop: Granat hat keine Gräten: Ein Ostfrieslandkrimi (Sail & Crime 9)

Mehr über und von Harald H. Risius auf ihrer Website zur Buchreihe "Sail & Crime".

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22. November 2017

'Der Racheengel - Ein Aachen Krimi' von Frank Esser

Er ist auf der Jagd. Er ist gnadenlos. Und er wird nicht aufhören, bis er sein Ziel erreicht hat!

Ein Mörder hält Aachen in Atem. Der Racheengel, wie ihn die Presse nennt, weil er am Tatort religiöse Botschaften hinterlässt, hat bereits zwei Menschen erschossen. Als der Krankenpfleger Mathias Bender tot aufgefunden wird, gibt es für Hauptkommissar Karl Hansen und sein Team keine Zweifel mehr. Sie haben es mit einem Serienmörder zu tun. Doch was ist sein Motiv? Zwischen den Opfern gibt es scheinbar keine Verbindung. Handelt es sich bei dem Mörder um einen religiösen Fanatiker oder steckt etwas ganz anderes hinter den Taten?

Erst eine zufällige Entdeckung bringt die Ermittlungen in Schwung. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt, denn Hansen ist davon überzeugt, dass der Mörder wieder zuschlagen wird. Und das möchte er um jeden Preis verhindern ...

Gleich lesen:
Für Kindle: Der Racheengel - Ein Aachen Krimi
Für Tolino: Buch bei Thalia

Leseprobe:
»Schöne Scheiße«, sagte Mertens gerade in dem Moment als Hansen die Absperrung passiert hatte und auf den Kollegen zusteuerte.
»Ich freue mich auch sehr, dich zu sehen!«
Mertens ging wie immer nicht darauf ein.
»Der Platzregen hat alle Spuren weggespült. Dieser Hurensohn hat so ein Glück!«, echauffierte sich Mertens.
»Hm«, erwiderte Hansen, dessen Vorahnung sich ganz offensichtlich als richtig herausgestellt hatte.
»Mehr hast du dazu nicht zu sagen?«
»Das mit dem Regen ist ärgerlich, aber nicht zu ändern Paul. Ihr habt eine Visitenkarte bei dem Opfer gefunden?«
»Gut kombiniert Sherlock. Ist schon im Beweismittelbeutel verstaut. Auf der Rückseite hat er den dritten Teil des Bibelzitates verwendet. Hand um Hand. Das Opfer heißt übrigens Mathias Bender. Er hatte den Ausweis im Portemonnaie«, erwiderte Mertens. »Ich tippe bei der Tatwaffe auf eine neun Millimeter wie bei den letzten beiden Morden auch. Wir haben bisher allerdings keine Patronenhülse gefunden. Wir können davon ausgehen, dass unser Täter sie mitgenommen hat. Also können wir erst nach der Obduktion mehr über die Tatwaffe sagen.«
»Gleiche Vorgehensweise wie bei Kämper und Körlings?«, wollte Hansen wissen.
»Genau so ist es. Ein sauberer Schuss in die Stirn und einer direkt ins Herz. Der Mörder tötet wie ein Profi, aber das wissen wir ja bereits. Auch ansonsten handelt es sich um die gleiche Handschrift. Abgelegener Ort, Tatzeit um Mitternacht herum, brutale Hinrichtung und nicht zuletzt die Visitenkarte.«
»Wer hat den Toten gefunden?«
»Ein Rentner ist mit seinem Hund spazieren gegangen und hat ihn entdeckt. Hubert Jansen heißt der Zeuge übrigens. Der arme Mann konnte keine Nachtruhe finden, drehte eine Runde mit seinem Hund, und dann fand er den Toten. Er ist völlig fertig mit den Nerven. Die Kollegen haben seine Personalien aufgenommen und ihn dann nach Hause geschickt. Ich hoffe, das ist kein Problem für dich?«
»Schon in Ordnung«, seufzte Hansen nachdenklich. »Ich würde mir den Tatort gerne ansehen.«
»Ja, natürlich. Er liegt gleich dort drüben in der Böschung an der Autobahn«, zeigte Mertens in Richtung der Stelle. »Wo ist eigentlich der Rest der Truppe?«
»Wahrscheinlich da, wo ich jetzt auch lieber wäre – im Bett. Ich hatte heute das alleinige Glück Bereitschaftsdienst zu haben, da Riedmann bis gestern Abend noch auf einer Fortbildung war«, erwiderte Hansen. »Marquardt und Beck werde ich gleich informieren. Ich wollte erst einmal abwarten, was ich hier vorfinde«.
Gemeinsam steuerten sie auf den Fundort der Leiche zu, wo Mertens´ Kollegen noch eifrig hin- und herliefen.
»Der Abstand, in dem unser Mörder zuschlägt, wird immer kürzer. Das bereitet mir Sorgen«, meinte Hansen schließlich, nachdem er sich den Leichnam angesehen hatte.«
»Das stimmt. Und wenn wir ihn nicht bald schnappen, fürchte ich, dass wir schon bald an einem neuen Tatort stehen werden, um die Leiche eines vierten Opfers zu untersuchen.« Mertens holte tief Luft, bevor er weitersprach. »Mensch Karl, wo soll das alles noch hinführen? Manchmal frage ich mich ernsthaft, warum ich diesen scheiß Job überhaupt noch mache? In den letzten Jahren ist alles immer schlimmer geworden. Ich frage mich, ob wir mit unserer Arbeit überhaupt irgendetwas erreichen?«
Hansen sparte es sich, auf Mertens Worte einzugehen. Auch wenn er seinen Kollegen wirklich gut verstehen konnte. Aber jetzt war weder der richtige Zeitpunkt noch der richtige Ort, um eine Grundsatzdiskussion über den Sinn und Zweck der Polizeiarbeit zu führen. Sie mussten einen Serienmörder schnappen.
»Wissen wir außer dem Namen des Opfers noch mehr über den Mann?«
»Nicht viel. Er war siebenunddreißig Jahre alt und wohnte in Monschau. Von Beruf Krankenpfleger im Luisenhospital. Wir haben einen entsprechenden Dienstausweis in seiner Brieftasche gefunden.«
Nach seinem Gefühlsausbruch von eben, hatte sich Mertens ganz offensichtlich wieder gefangen stellte Hansen erleichtert fest. »Wurde das Auto des Opfers wieder in der Nähe abgestellt?«, wollte Hansen als Nächstes von Mertens wissen. Schon bei den ersten beiden Morden hatte man die Autos der jeweiligen Opfer ganz in der Nähe der Leichenfundorte gefunden. Offensichtlich wurden die Opfer von ihrem Mörder gezwungen, in ihrem eigenen Wagen zu ihrer Hinrichtung zu fahren.
»Die Kollegen suchen bereits danach. Wir haben gerade erst von der Leitstelle erfahren, wonach wir suchen sollen. Apropos, ich muss mal da mal…«, murmelte Mertens und sprang eilig die Böschung hinab, kaum dass Hansen sich verabschiedet hatte.

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17. November 2017

'Die Königin der Kelten (Eifel-Saga 3)' von Sabine Altenburg

Was nimmt hier gerade seinen Anfang?
Wohin wird es uns führen?
Und wie soll es enden?


Sommer des Jahres 52 vor Christus. Die junge Germanin Sucella wird dem zukünftigen König der keltischen Treverer zur Frau versprochen, um das Bündnis der beiden Stämme gegen die feindlichen Sueben zu besiegeln. Doch ihr Herz gehört einem anderen Mann, Acco. Während eine gewaltige suebische Streitmacht Sucellas neue Heimat bedroht, kämpft sie an seiner Seite um ihr Leben, ihre Liebe und ihr Glück.

Mehr als zweitausend Jahre später lernt die Fotografin Sarah den charmanten Franzosen Armand kennen, der sie auf Anhieb fasziniert. Doch kaum kommen sich die beiden näher, geraten sie in einen Strudel unheimlicher Ereignisse, die auf geheimnisvolle Weise mit Sucellas und Accos Schicksal verknüpft zu sein scheinen. Und bald spitzt sich die Bedrohung so dramatisch zu, dass Sarah um Armands Leben fürchtet ...

Die Eifel-Saga umfasst bislang drei historische Romane, die in der Eifel angesiedelt sind. Sie sind in sich abgeschlossen und können unabhängig voneinander gelesen werden.

Gleich lesen: Die Königin der Kelten. Historischer Liebesroman (Eifel-Saga 3)

Leseprobe:
»Komm ins Wasser! Es ist herrlich erfrischend.«
Sucella schaute zu Aruna hinüber, die lachend und planschend in den Fluss vorausgelaufen war. Das rehbraune, knielange Kleid der Freundin, der Gürtel mit ihrem Dolch und die Schuhe aus durchbrochenem Leder türmten sich in einem unordentlichen Haufen auf dem Ufer des Renos. Die beiden jungen Frauen liebten diesen friedlichen Ort, eine sanfte Bucht mit seichtem Wasser in der Farbe von Eisvogelfedern und einem sandigen, von den Schalen unzähliger Muscheln übersäten Strand.
Sucella winkte Aruna zu, ehe sie die Zügel ihrer Stute um den Ast einer Bruchweide schlang, der tief über das Flussufer hinabhing und nur hie und da Sunnas Strahlen und Splitter des Himmelsblaus hindurchblitzen ließ. Der edle Schimmel, ein Geschenk ihres Vaters, stupste mit dem weichen Maul gegen ihre Schulter und schnaubte leise.
Sie strich ihm zärtlich über die Stirn. »Ich bleibe nicht lange fort, Mondlicht«, flüsterte sie, »versprochen.« Dann entledigte sie sich ebenfalls ihrer Kleidung, entbot dem Gott des Flusses mit einer Abfolge von Gesten ihren Gruß und lief Aruna hinterher, die bereits einige Manneslängen in die Bucht hinausgeschwommen war.
Ihre Freundin hatte recht. Das klare blaugrüne Wasser war wunderbar kühl und prickelte auf ihrer heißen, verschwitzten Haut. Zwei Wochen nach der Sommersonnenwende war das Wetter beinah unerträglich schwül. Daher hatten sich die sechzehnjährige Sucella und die ein Jahr jüngere Aruna nach dem Mittagsmahl davongestohlen und waren aus der Siedlung auf dem Gipfel der Anhöhe hinabgeritten in das Tal des Renos, dessen Fluten Abkühlung und einen unbeschwerten Nachmittag versprachen.
Sucella wusste sehr wohl, dass ihr Vater Maelo, der Fürst der Ubier, es missbilligte, wenn sie sich ohne seine Erlaubnis und eine Eskorte von Kriegern aus Burunda entfernte. Doch was sollte ihr in dieser friedlichen Bucht schon zustoßen, in der Bachstelzen über den Strand trippelten und Sonnenflecken auf dem heißen Sand tanzten?
Mit den Sugambrern, deren Gebiet im Norden an das der Ubier grenzte, herrschte Frieden. Und die Sueben, jener rastlose, gierige Stammesverband, waren zwar in den vergangenen Jahren in immer neuen Wellen aus den in Richtung des Sonnenaufgangs gelegenen Landstrichen an den Renos gedrängt und hatten ihn sogar mehrmals überschritten. Nun jedoch deutete alles darauf hin, dass sie sich in die unendlichen Weiten des fernen, Bacenis genannten Waldgebiets zurückgezogen hatten.
»Worüber zerbrichst du dir den Kopf?« Aruna spritzte ihrer Freundin mit der flachen Hand Wasser ins Gesicht. »Genieß lieber den herrlichen Tag.«
»Na warte!« Sucella tauchte, schwamm unter ihr hindurch, und als sie wieder an die Oberfläche kam, sah sie ihn.
Der Mann saß auf einem Rappen von gewaltiger Größe. Dies war kein einheimisches Tier, erkannte sie. Dies war eines der edlen, hochbeinigen Pferde, wie die Römer sie züchteten, indem sie Rassen aus den Ländern südlich und östlich des Mare internum einkreuzten.
Sein Reiter war jedoch kein Angehöriger der Legionen. Er mochte Ende dreißig oder Anfang vierzig sein, war hochgewachsen und von kräftiger Gestalt. Trotz der drückenden Hitze trug er einen schwarzen Umhang über seiner gleichfarbigen Tunika und der Hose aus derbem Rindsleder. Die Seiten seines Schädels hatte er geschabt, sodass sich lediglich ein Kamm dunkler Haare von der Stirn bis in den Nacken zog. Diesen hatte er mit Kalkwasser gestärkt, um ihm ein stacheliges, verwegenes Aussehen zu verleihen und seine ohnehin beeindruckende Statur noch größer erscheinen zu lassen. Auf den Wangen des Mannes prangten Symbole in tiefblauer Farbe, die sich bedrohlich von seiner auffallend bleichen Haut abhoben. Ein dunkler Bart umrahmte Kinn und Mund des Reiters, dessen Oberlippe durch eine Hasenscharte entstellt wurde, eine helle, kahle Schneise, die Sucellas Blick anzog. Seine Augen, in den Schatten unter dem Blätterdach der Weide schwarz wie Kohlestücke, ruhten unverwandt auf den beiden jungen Frauen.
Sucellas Kopfhaut zog sich warnend zusammen, und ein eisiger Schauer rieselte ihren Rücken hinab, der nicht dem kühlen Wasser des Renos geschuldet war.
Dieser Mann war ein Fremder. Und nicht nur das: Er war auch kein Ubier, kein Angehöriger des Stammes, über den ihr Vater herrschte. Die genaue Bedeutung der Zeichen auf seinen Wangen kannte Sucella nicht, doch sie verrieten, dass er sich auf einem Kriegszug befand.
Aruna hatte den Reiter ebenfalls entdeckt. »Bei Aufania«, flüsterte sie heiser. »Wer ist dieser Mann?«
Sucella strich sich die nassen blonden Locken aus dem Gesicht und ließ den Fremden nicht aus den Augen. »Ich weiß es nicht«, gab sie ebenso leise zurück.
Mit wachsendem Unbehagen beobachtete sie, wie sein Blick von ihrer wertvollen Schimmelstute zu den beiden jungen Frauen wanderte, kurz zwischen ihnen hin und her zuckte, um schließlich auf Sucella zu verharren. Er nahm die zierlichen goldenen Armreife an ihren Handgelenken wahr und hielt für die Dauer eines Atemzugs ihren bangen Blick fest. Dann neigte er den Kopf in einer Geste, die höflich und zugleich bedrohlich wirkte, wendete mit einer sparsamen Bewegung seinen gewaltigen Rappen und lenkte ihn auf den Weg, der aus der Bucht hinausführte.
Einen Herzschlag später hatte ihn der Vorhang der Weidenzweige verschluckt. Ein sanfter Wind säuselte in den silbrig grünen Blätterbüscheln. Und schon wagten sich auch die Bachstelzen wieder hervor, als hätte es den bleichen, schwarz gekleideten Fremden gar nicht gegeben, als wäre er bloß eine Erscheinung, geradewegs Hel entsprungen.

Im Kindle-Shop: Die Königin der Kelten. Historischer Liebesroman (Eifel-Saga 3)

Mehr über und von Sabine Altenburg auf ihrer Website.



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16. November 2017

'Winterglitzern (Cornwall Seasons 2)' von Cara Lindon

Was wäre, wenn eine einzige Begegnung dein Leben verändert?

Die unabhängige Bree arbeitet als Curvy Model und genießt ihr Single-Leben mit Reisen, spannenden Jobs und unverbindlichen Affären. Ein Anruf ihres Vaters ändert alles: Sie muss zurück ins beschauliche Cornwall, um sich dort um das B&B ihrer Eltern zu kümmern. Den einzigen Gast kennt sie bereits – aus einer unerfreulichen Begegnung in London. Ben, Mitte 30, enttäuscht von der Liebe und gelangweilt vom Job. Er ist sofort von Bree fasziniert, aber sie zeigt ihm die kalte Schulter.

Bald entdeckt Bree Anzeichen, dass Ben ihr seine wahren Absichten verheimlicht. Aber warum kann sie seine braunen Augen nicht vergessen? Als sie Bens Geheimnis auf die Spur kommt, droht alles zu zerbrechen. Wird Bree um ihre Liebe kämpfen oder kehrt sie zurück in ihr altes Leben?

Ein Liebesroman mit selbstbewusster Heldin, unerzogenem Hund, höflichem Kater, anstrengender Familie, wunderbaren Freundinnen, zahlreichen Verwicklungen und Weihnachten sowie Herz und Humor.

Gleich lesen: Winterglitzern (Cornwall Seasons 2)

Leseprobe:
»Willkommen im Hyde Park«, murmelte sie, nachdem sie die Brücke des Sees überquert hatte, der die beiden großen Parks voneinander trennte. Obwohl The Serpentine voller Ruderboote und Wasservögel war und etliche Menschen, Londoner und Touristen, die Oktobersonne nutzten, genoss Bree den Frieden, den sie beim Anblick des Wassers empfand.
Ich sollte jeden Moment der Ruhe mitnehmen, bevor ich mit Mum zusammenstoße.
Der Gedanke ließ sie schneller laufen, als könnte sie so dem anstehenden Konflikt entgehen, der in St. Bart auf sie wartete, sollte ihre Mutter sich nicht durch ein Wunder oder die Krankheit verändert haben. War sie eine schlechte Tochter, weil ihr solche Gedanken durch den Kopf gingen?
In dem Moment galoppierte ein braunweiß gefleckter Hund laut bellend auf sie zu. Dabei hatte sie sich bewusst für eine Strecke entschieden, auf der Hunde an der Leine zu führen waren. Aufgrund ihrer Hundeerfahrung entschied sie sich dafür, nicht weiter zu joggen, solange der Beagle frei war.
Na, das ist mal wieder typisch, dachte Bree und trabte entnervt auf der Stelle. Ein Hundebesitzer, der sich nicht an das Leinengebot hält, weil
a) sein Dexter / Russel / Monty oder Oscar so gut erzogen ist, dass er frei herumrennen darf,
b) der Leinenzwang den natürlichen Bewegungsdrang des Hundes einschränkt und damit Tierquälerei ist,
c) normalerweise hier NIEMAND um diese Uhrzeit joggt oder
d) Winston / Alfie / Bonnie oder Jack nur spielen will.
Ignorante Hundehalter. Wie sie die hasste!
Und – überraschenderweise – waren es immer die Menschen, deren Hunde am schlechtesten erzogen waren, die sich nicht an die Regeln hielten. So wie dieses Prachtexemplar: Ein Mann, etwa so groß wie sie, der hinter seinem Beagle herjagte und brüllte: »Charlie Brown. Komm sofort her, Charlie Brown!«
So wie der Hund reagierte, hätte der Mann auch »Lauf so schnell du kannst, und versuch die Frau zu fangen, Charlie Brown!« rufen können.
Bree trabte immer noch auf der Stelle und beobachtete das Schauspiel. Eins musste sie dem Beagle lassen. Für einen Hund hatte er wirklich Humor. Er ließ seinen Besitzer bis auf ein paar Schritte an sich herankommen und rannte dann, wie von Wölfen gehetzt, davon, nur um sich ein paar Meter weiter auf seinen Hintern zu setzen, den Kopf schief zu legen und auffordernd zu kläffen.
Immerhin – und das hielt sie ihm zugute – hatte der Besitzer nicht versucht, mit ihr zu darüber zu diskutieren, ob der Beagle ein braver Hund wäre, an dem sie unbesorgt vorbeijoggen könnte. Nein, er war sofort losgestürzt, um Charlie Brown einzufangen …
… und das war jetzt das Ergebnis: ein Rennen zwischen Herrchen und Hund, das eindeutig der Beagle für sich entscheiden würde. Ein Blick auf die Uhr bestätigte ihre Befürchtungen. Wenn er Charlie Brown (immerhin ein pfiffiger Name) nicht bald einfing, käme sie zu spät zu ihrem Treffen mit Sarah, die Unpünktlichkeit verabscheute.
»Na ja, ein bisschen Sport hat dein Mensch auf jeden Fall nötig«, murmelte Bree in sich hinein und beschloss, dass sie, da der Beagle abgelenkt war, gefahrlos weiterlaufen konnte.
»NEIN! NEIN! Auf keinen Fall! CHARLIE Brown, aus!« Als sie die ansteigenden Schreie hörte, erkannte Bree, dass das Weiterjoggen nicht eine ihrer besten Ideen gewesen war.
Der Beagle hatte wohl entschieden, dass Herrchen fopppen deutlich langweiliger war als Beute jagen, und raste bellend auf sie zu. Sie hielt an.
»Mist, damit ist das Training heute für die Katz«, zischte sie dem Beagle entgegen, der immer noch auf sie zukam, jetzt aber mit geöffnetem Maul und schwanzwedelnd. Mit deutlichem Abstand folgte sein Herrchen.
Bree stand ruhig, aber in ihrem Innern kochte es. Sie liebte es, wenn sie in Kensington Gardens und im Hyde-Park joggen konnte. Jedes Mal, wenn sie in London war, nutzte sie die Chance. Hier hatte Laufen etwas Meditatives, bei dem sie allen Ärger und alle Sorgen vergessen konnte. Und jetzt das! Ausgerechnet heute, wo sie knapp in der Zeit lag.
Während der Beagle kläffend um sie herum hüpfte, sah Bree dem Mann entgegen, der sich wacker abmühte, seinen Hund zur Räson zu bringen. Das Repertoire reichte von »Charlie, lass das!« über »Sitz, Charlie!« bis hin zu »Komm sofort her, Charlie Brown. SOFORT!«, alles mit einem Keuchen in der angenehm dunklen Stimme und keinerlei Effekt auf den Hund.
Endlich war er angekommen und griff nach dem Halsband des Beagles. Der blieb stehen und wedelte mit dem Schwanz. Bree hätte schwören können, dass der Hund sie angrinste.
Neugierig musterte Bree den Mann, der angestrengt atmete. Irgendwie passte alles an ihm nicht so recht zusammen: sein dunkler Zauselbart und die ausgewachsene Frisur bildeten einen seltsamen Kontrast zu den teuren Schuhen und dem eleganten Regenmantel von Hackett, den Bree auf den ersten Blick erkannte. Er sah aus, als hätte er sich gehen lassen, aber erst seit Kurzem. In einem Anflug von Neugier fragte sie sich, was wohl für eine Geschichte dahintersteckte.
»Tschuldigung«, murmelte Zauselbart, während er die Leine am Halsband befestigte. »Das macht er sonst nie.«
Dieser Spruch brachte Bree dazu, die Augen zu verdrehen. Wenn sie jedes Mal fünf Pfund bekäme, wenn ein Hundebesitzer etwas in der Art sagte, könnte sie sich auf einer Südsee-Insel zur Ruhe setzen. Sie holte tief Luft und donnerte los: »Können Sie Ihren Hund nicht an der Leine behalten?!«
Beinahe tat er Bree leid, wie er den Boden anstarrte und hilflos den Beagle streichelte, aber nur beinahe. Obwohl er von Nahem attraktiv aussah mit seinen hellbraunen Haaren und dunkelbraunen Augen. So dunkel, dass sie beinahe schwarz wirkten, unter kräftigen Augenbrauen, die gezupft aussahen. Auch das passte nicht zu Haaren und Bart. Am auffallendsten jedoch waren seine Lippen: geschwungen und voll, sodass sie weiblich wirkten.
»Das hier ist ein Weg mit Leinenpflicht. Menschen wie Ihnen sollte man verbieten, Hunde zu halten.«
»Sorry«, sagte Zauselbart und lächelte zu ihrer Überraschung. »Charlie Brown hat sich losgerissen. Das macht er normalerweise wirklich nicht. Ehrlich. Ich weiß, das sagen alle.«
Ein tolles Lächeln. Nein, im Moment habe ich keine Zeit für eine Affäre.
»Halten Sie den Hund jetzt fest! Bitte.« Bree drehte sich um und joggte langsam weiter. Mist, damit ist das Training heute für die Katz, nein für den Beagle. Hinter sich hörte sie den Beagle bellen und den Mann etwas murmeln, dass sie nicht verstehen konnte und auch nicht verstehen wollte. Aber es hörte sich beinahe an, als hätte er sie zu einem Kaffee einladen wollen.
»Warten Sie!«, rief er ihr hinterher, so laut, dass Charlie Brown hektisch kläffte. »Hallo, bitte warten Sie!«

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15. November 2017

'Bittersweet Experience – kein Rendezvous' von May Newton

Verlangen, Macht und ein Spiel ohne Grenzen mit ungewissem Ausgang – das ist Bittersweet Experience – kein Rendezvous!
Das Leben ist ein aufregendes Spiel. Es ist unberechenbar und sein Verlauf offen. Ein Dark-Romance-Roman mit hellen Nuancen!


Der charismatische Julian Greenwood genießt sein Leben als wohlhabender Privatier. Er sucht den Kick der Macht und nimmt sich das, was er will – er ist ein Spieler ohne Limit. Er trifft auf die zurückhaltende Cathleen, die ihn reizt. Sie ist jedoch eine Frau mit festen Glaubenssätzen. Durch die hohen Spielschulden ihres Freundes Arthur, sieht er eine Gelegenheit, sie zu brechen. Wird sie sich auf die hochexplosive Partie einlassen? Oder bleibt sie ihren Grundsätzen treu und riskiert Arthurs Existenz?

Hinter May Newton verbergen sich Tabea S. Mainberg und die dunklen Seiten der Erotik. Deutliche Worte, keine Tabus, verboten gut!

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Leseprobe:
Cathleen Rosenburg – die Träume sind mein Leben
Ich saß mit geschlossenen Augen auf dem Stuhl und durchlebte jede Szene. Es erregte mich zutiefst und ein Glücksgefühl durchströmte meinen Körper. Was jedoch ein innerliches Beben hervorrief, war der Gedanke an die Hochzeitsnacht. Ein romantisches Zimmer, Kerzenschein und ein großes Himmelbett, übersät mit Rosenblättern, sah ich als den vollkommenen Rahmen an, der mein erstes Mal zu einem unvergesslichen Erlebnis werden ließ.
Das Klingeln des Telefons riss mich aus den Tagträumen. Mit einem Lächeln nahm ich das Gespräch an. »Arthur, Liebling, schön, dass du dich meldest«, flötete ich.
Wie immer rief er pünktlich um die Mittagszeit an. Ein lieb gewonnenes Ritual, das ich nicht missen wollte. »Hallo, Süße, ich muss einfach deine Stimme hören. Du fehlst mir.«
»Du mir auch.« Obwohl wir uns erst gestern gesehen hatten, empfand ich eine wundervolle Sehnsucht nach ihm. Diese Form des Vermissens genoss ich, denn es fühlte sich süß wie Schokolade an.
»Was machst du gerade?«, fragte er.
»Ich schaue mir Brautkleider an und träume von unserem großen Tag«, hauchte ich in den Hörer und meine Wangen glühten.
»Ich kann es ebenfalls kaum erwarten. Noch exakt zweiundsechzig Tage.«

Julian Greenwood – Ich bleibe ein Spieler
Wir Pokerspieler sind Nachtmenschen. Die Turniere begannen am Abend und in der Regel spielten wir bis zu zwölf Stunden. Die Kontrolle über die eigenen Bewegungen und Gesten zu behalten, erwies sich als die größte körperliche Herausforderung. Wie zum Beispiel bei einem American-Football-Spiel erkennen erfahrene Spieler, in welche Richtung der Gegenspieler laufen wird. Es sind minimale Signale, die über Sieg oder Niederlage entscheiden.
Einen erfolgreichen Akteur betrachtete man in Pokerkreisen als Hai, der die kleinen Fische strategisch und gnadenlos jagte. Allerdings blieb es nicht aus, dass ein Fisch uns entkam. Das war jedoch reines Glück. Fortuna ist die einzige Komponente, die auch ein Profi nicht beeinflussen kann.
Ich war mittlerweile vierzig und finanziell zufrieden, was mir eine sorgenfreie Existenz garantierte. Vor zwei Jahren verlor ich die Lust an den Turnierspielen und an dem rastlosen Leben. Der Erfolg und das prall gefüllte Bankkonto führten dazu, dass ich den Reiz und somit den nötigen Ehrgeiz einbüßte. Möglicherweise ist der ausgeprägte Narzissmus der Grund, warum ich mich von dem offiziellen Turnierpoker verabschiedete. Ich verlor nicht gern.

Arthur Clark – Mein dunkles Geheimnis
Abwesend starrte ich auf den Bildschirm. Eine unendlich lange Liste mit Kundennamen, die ich anrufen musste, verschwamm vor den Augen. Ich hatte keine Kraft, mich einem Verkaufsgespräch zu stellen und Höflichkeit zu heucheln. Wie konnte das gesamte Leben dermaßen in Schieflage geraten? Noch vor einem halben Jahr lief alles reibungslos. Cathleen kennengelernt zu haben, empfand ich als persönlichen Jackpot. Eine hübsche und kluge Frau, die viele Eigenschaften besaß, die ich schätzte. War es ein Fehler, sich auf ihre Bedingung einzulassen? Kein Sex vor der Ehe, was für ein absurder Standpunkt in unseren modernen Zeiten. Ich erinnerte mich noch genau, wie mir das Essen im Hals stecken blieb, als sie mir ihre Einstellung offenbarte. Zunächst hatte ich angenommen, es sei ein Scherz und sie wollte mich testen, ob es mir nur auf die körperlichen Reize ankam. Frauen kamen manchmal auf seltsame Ideen, um herauszufinden, wie ein Mann zu ihnen stand.
Dass es mir derart schwerfiel, sie nicht zu berühren, überraschte mich. Ihren Körper, den sie mir vorenthielt, begehrte ich in einer aufreibenden Intensität. Natürlich hätte ich jederzeit die Notbremse ziehen können. Es zwang mich niemand, bei ihr zu bleiben. Doch wir verstanden uns prächtig, da uns viele gemeinsame Interessen verbanden. Weiterhin ging ich zu Beginn davon aus, dass sie ihren Entschluss nicht durchzog. Ich täuschte mich gewaltig. Händchen halten, küssen und ein bisschen kuscheln, mehr gestand sie mir nicht zu.
Der erste Disput entstand, kurz nachdem ich ihr einen Heiratsantrag machte. Für mich bedeutete die Frage und ihre Zustimmung ein Ende ihres Keuschheitswahnsinns. Mir ging es mittlerweile auf die Nerven, es mir ständig selbst zu besorgen. Ich betrachtete meine Sexualität als normal, insbesondere wenn ich eine Frau begehrte.

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14. November 2017

'Einen Kopf kürzer: Dunkle Geschichten' von Stefan Barth

"Einen Kopf kürzer" sammelt zwölf dunkle Kurzgeschichten, nach denen das Löschen der Nachttischlampe womöglich etwas schwerer fällt.

Ob bei einem nächtlichen Freibadbesuch, beim Joggen im Stadtwald, in einem Erdloch in Syrien oder in uns selbst. Das Böse lauert überall und in den unterschiedlichsten Formen.

Gleich lesen: Einen Kopf kürzer: Dunkle Geschichten

Leseprobe:
Carsten hört, wie Roy um sein Leben bettelt.
Er hört, wie sich das Betteln in panische Schreie verwandelt und die Schreie in Grunzen. Aber dieses Grunzen wird nicht von Roy ausgestoßen, sondern von den Männern, die ihm bei lebendigem Leib den Kopf absägen. Jemanden zu enthaupten muss eine anstrengende Arbeit sein.
Roy ist nicht der Erste, den Carsten sterben hört. In seiner beinahe dreimonatigen Gefangenschaft wurden seine Ohren Zeugen der Enthauptung von sechs weiteren Männern. Ein russischer Journalist, zwei japanische Mitarbeiter einer internationalen Hilfsorganisation, ein syrischer Offizier, ein englisch sprechender Mann mit türkischem Akzent, der über seine Herkunft nicht sprechen wollte und ein Texaner, dessen letzte Worte „Das dürft ihr nicht. Ich bin Amerikaner“ waren.
Carsten hat viel Gewalt und Tod und Leiden gesehen.
Das gehört zu seinem Beruf.
Das ist sein Beruf.
Er hat nach einem Jahrhundert-Taifun in Indonesien Hunderte von Leichen gesehen, die wie ungepflücktes Obst in den kahlen Bäumen hingen. Er ist mit der Nord-Allianz in Kabul einmarschiert, Blumen in den Gewehrläufen der triumphierenden Männer, vorbei an den zerfetzten Körpern der von amerikanischen Bombern in Stücke gerissenen Taliban. Er war dabei, als Massengräber in Libyen ausgehoben und Hunderte von menschlichen Überresten fein säuberlich auf weißen Tüchern platziert wurden. Er hat in Ruanda in Kirchen gestanden und meterhohe, knallbunte Kleiderberge gefilmt, die sich als mit Macheten niedergemetzelte Frauen und Kinder entpuppten. Er hat geholfen, aufgedunsene Wasserleichen, afrikanische Flüchtige, die glaubten, in Europa ein besseres Leben zu finden, aus dem Meer vor Lampedusa an Bord der Küstenwache zu ziehen. Er hat zwei Jahre lang in Moskau die alltägliche Grausamkeit der Großstadt dokumentiert, die Opfer der Mafia und banaler häuslicher Gewalt, zu Tode geprügelte junge Prostituierte, Babys, die von Müttern im Drogenrausch in Mikrowellen gebraten wurden. Dinge, die den Gräueltaten der Kriegsgebiete in nichts nachstanden.
Er hört, wie die Tür zum Nebenraum aufgeschlossen wird. Dann schiebt Said die vor der Tür hängende Decke beiseite. Er trägt ein silbernes Tablett. Darauf ein Teller mit Reis und klein gehacktem Fleisch, ein Glas mit dampfendem Schwarztee. Said stellt das Tablett auf dem Boden vor Carsten ab und macht einen Schritt zurück. Bleibt mit verschränkten Armen stehen und sieht auf Carsten hinab. Er spricht britisches Englisch mit arabischem Akzent. Carsten vermutet, dass Said die Hälfte seiner geschätzten vierzig Lebensjahre in England verbracht hat.
„Er hat gewinselt wie ein Hund“, sagt Said und meint damit Roy, Carstens Kameramann, eine dauergrinsende Frohnatur aus Leicestershire, verheiratet und Vater von drei Kindern, den sie heute früh ermordet haben.
Carsten erwidert nichts.
„Wirst du auch winseln wie ein Hund?“
Carsten bleibt still.
Said schlägt ihm mit der flachen Hand auf den Kopf. Nicht besonders schmerzhaft, aber unglaublich erniedrigend. „Gib mir Antwort, wenn ich dich etwas frage.“
Carsten hebt den Kopf und sieht Said in die Augen. „Ich weiß es nicht.“
Said lächelt verächtlich. „Natürlich wirst du winseln. Ihr seid keine Männer. Ihr seid Hunde. Ihr habt keine Ehre und keine Eier. Deswegen wird Allah euch vom Angesicht der Erde fegen.“
Statt einer Erwiderung greift Carsten zum Tee und trinkt vorsichtig einen Schluck von der heißen Flüssigkeit.
Said zieht Rotze hoch und spuckt auf Carstens Teller. „Guten Appetit, du Hund.“
Die ersten Männer, die Carsten und seine inzwischen toten Leidensgefährten bewachten, waren erstaunlich freundlich zu ihnen. Said, der seit zwei Wochen kommt, ist ein ausgemachtes Arschloch. Ein Sadist. Er provoziert in Hoffnung auf eine Reaktion. In der Hoffnung, zuschlagen zu dürfen. Nicht, dass er dazu von irgend jemandem eine Erlaubnis bräuchte. Carsten vermutet, dass Said eine Art Kommandeur ist.
„Danke, Said“, sagt Carsten, ohne ihn anzusehen. Dann nimmt er den Teller. Er sieht Saids Spucke auf dem Fleisch. Greift mit den Fingern zu und schiebt es sich trotzdem in den Mund. Widersteht dem kurz aufsteigenden Brechreiz, kaut und schluckt das fade gewürzte Fleisch hinunter.
Said schüttelt angewidert den Kopf. „Ehrenlos.“ Er wendet sich ab, verlässt den Raum und schließt die Tür hinter sich ab.
Carsten hört die Schritte auf der Treppe, die sie ihn vor genau zwei Monaten, drei Wochen und einem Tag mit verbundenen Augen hinabgeführt haben, leiser werden und schließlich ganz verstummen.
Mit dem Tod von Roy ist er zum ersten Mal seit Beginn seiner Gefangenschaft allein. Ganz allein.
Werden neue Gefangene kommen? Oder werden sie ihn vorher töten?
Er sieht Roys Gesicht vor sich, als sie ihn heute früh aus dem Raum geholt haben. Den flehenden Blick, den Roy ihm zuwarf, so als könnte Carsten irgendetwas tun.
Er checkt seine G-Shock, die sie ihm erstaunlicherweise nicht weggenommen haben. Es ist acht Uhr abends. Er macht Liegestütze. Zwanzig Stück. Wie jeden Tag. Morgens, mittags und abends. Ein paar Yoga-Übungen. Dann hört er seinen Magen rumoren und schafft es gerade noch auf den gelben Plastikeimer, der in der hinteren rechten Ecke des Raumes steht. Dünnflüssige Kacke spritzt in den Eimer und sein Anus brennt. Hoffentlich kein Virus, sondern nur eine verspätete psychische Reaktion auf Saids Rotze in seinem Essen.
Er löscht das Licht der batteriebetriebenen Campinglampe, die sie ihnen zusammen mit einem makellosen, mit Gold verzierten Koran gegeben haben, um darin zu lesen und zu dem wahren, dem einzigen Gott zu finden. Dann rollt er sich auf dem handgewebten Teppich zusammen, der den Boden bedeckt. Er sucht das große schwarze Loch in seinem Kopf, dieses Universum von Nichts, und lässt sich treiben.
Er wacht auf, als er Stimmen hört.
„Pass doch auf, du Idiot.“
„Pass doch selber auf.“
Er drückt auf den Knopf für die Beleuchtung der G-Shock. Acht Uhr morgens. Er hat genau zwölf Stunden geschlafen. Den ganzen Tag mehr oder weniger bewegungslos eingepfercht, in einem vier mal vier Meter großen, fensterlosen Raum, und doch schläft er fast jede Nacht so lang und tief wie ein Kleinkind.
Die Erkenntnis schießt ihm durch den Kopf: Sie sprechen Deutsch.

Im Kindle-Shop: Einen Kopf kürzer: Dunkle Geschichten

Mehr über und von Stefan Barth auf seiner Website.



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