29. November 2019

'EISIGE HÖLLE - Verschollen in Island' von Álexir Snjórsson

Kindle (unlimited) | Taschenbuch
Autoren-Website
»Ich röchelte, würgte und rang gierig nach Luft, gleichzeitig entwich mir mit jedem Atemzug ein großes Stück Lebenskraft. Ihren Platz nahm Kälte ein, eisige Kälte.«

Was tust du, wenn während einer Islandreise deine Frau nach einem Streit mit dir spurlos verschwindet? Wenn du feststellst, dass dich der Polizist, der dich unter einem Vorwand festgenommen hat, betäuben will? Nutzt du die Gelegenheit zur Flucht und wendest dich in deiner Verzweiflung an deinen Schwiegervater in Deutschland, auch wenn dieser dich hasst und dir die isländische Polizei inzwischen den brutalen Mord an einer einheimischen Frau zur Last legt?

Oder wird dich das erst recht in den größten Albtraum deines Lebens stürzen …

Leseprobe:
Kapitel 1
Vor fünf Tagen, Rückblende
Mit eingezogenem Kopf kämpfte ich mich durch den knietiefen Schnee. Der Sturm stieß mich hin und her, gleichzeitig schienen sich die Krallen einer unsichtbaren Meute hungriger Raubkatzen in meine Kleidung zu schlagen. Sie zerrten und rissen an mir, als wollten sie mich zu Fall bringen, um mich zu zerfleischen.
Immer wieder sank ich mit einem Bein tiefer ein, als mit dem anderen, sackte seitlich in den Schnee und quälte mich wie ein weidwundes Tier erneut auf die Beine.
Als stünde ich unter Drogeneinfluss, begannen sich in meinem Verstand Einbildung und Realität zu vermischen. Ich hörte Stimmen. Erst weit entfernt, dann dicht neben und hinter mir. Ich blieb stehen, drehte mich im Kreis. Doch da war niemand. »Zeigt euch, ihre feigen Trolle!«, stieß ich heiser hinter zusammengebissenen Zähnen hervor.
Ein irres Kichern war die Antwort. Ich schüttelte den Kopf, stolperte weiter. Kein Zweifel, ich verlor den Verstand. Außer mir und meiner geflohenen Geisel war niemand in dieser menschenfeindlichen Einöde unterwegs. Der Unterschied war, dass sie sich hier oben zwischen den mächtigen Gletschern auskannte und wusste, wie sie dieser eisigen Hölle entrinnen konnte. Meine Chancen hingegen standen hierfür nahe bei null.
Noch war ich aber nicht bereit, mein drohendes Schicksal zu akzeptieren. Ich stapfte orientierungslos weiter, bis meine vor Kälte tauben Beine plötzlich nachgaben und ich in eine dichte Schneewolke gehüllt, in die Tiefe stürzte.
Ich prallte so hart auf den Rücken, dass es mir den Atem verschlug. Ich wollte schreien, brachte aber keinen Ton heraus. Panik erfasste mich. Ich war wie gelähmt, konnte mich nicht aufrichten.
Kurz bevor ich zu ersticken glaubte, löste sich die Verkrampfung in meiner Brust. Ich röchelte, würgte und rang gierig nach Luft, gleichzeitig entwich mir mit jedem Atemzug auch ein großes Stück Lebenskraft. Ihren Platz nahm Kälte ein, eisige Kälte.
Ich blinzelte in die Schneeflocken, die über den Felsvorsprung wirbelten, von dem ich gestürzt war – und fühlte mich auf einmal entsetzlich müde.
Du darfst nicht liegen bleiben, Cooper, sonst erfrierst du! Ich schloss die Augen, sammelte meine verbliebenen Kräfte. Winselnd wie ein angefahrener Straßenköter wälzte ich mich auf den Bauch. Meine tauben, vor Kälte zitternden Hände krallten sich in den eisigen Untergrund. Unter quälenden Schmerzen stemmte ich meinen Oberkörper in die Höhe, rammte einen Fuß in den Boden und kam schwankend auf die Beine. Du musst weiter, musst in Bewegung bleiben, trieb mich eine innere Stimme wie ein Drill Sergeant an.
Einem Betrunkenen gleich, torkelte ich weiter durch das dichte Schneetreiben. Mit jedem Schritt fühlten sich meine Beine tauber an, bis sie mein Gewicht nicht mehr tragen wollten. Ich stolperte, stürzte erneut in den Schnee. Auf allen vieren kroch ich weiter. Winde dich nicht wie ein Wurm auf dem Boden herum, auf die Beine mit dir! Mit einem Ruck stemmte ich mich hoch, um gleich wieder Gesicht voran in den Schnee zu fallen.
Es hatte keinen Zweck, ich konnte nicht mehr. Mit letzter Kraft rollte ich mich langsam auf den Rücken.
Wie lange würde es wohl dauern, bis mich das weiße Leichentuch zugedeckt hatte? Würde ich so enden, wie die berühmte Gletschermumie aus der Jungsteinzeit? Wie hieß der Mann noch mal? Ach ja, Ötzi …
Erstaunlich, was für Gedanken einem durch den Kopf gingen, wenn das eigene Leben nur noch am seidenen Faden hing.
Hätte ich an eine höhere Macht geglaubt, dann hätte ich wohl das Bedürfnis verspürt, zu irgendeinem Gott zu beten. Doch zu welchem? Ich war nicht religiös. Und um es zu werden, war es jetzt definitiv zu spät.
Dass dieser trostlose und unwirtliche Ort die Bühne war, auf der ich meinen letzten Auftritt hatte, schmerzte mich erstaunlicherweise nicht. Auch nicht, dass ich nicht wusste, ob oder was nach dem Tod kam. Ich hatte gelebt, ich hatte geliebt und gekämpft. Eins bereute ich jedoch: so kurz vor dem Ziel versagt zu haben.
»Es … tut mir … leid, Cass«, keuchte ich. »Ich hätte mein Leben … für deins … gegeben.«
Angezogen wie von einem schwarzen Loch, schossen meine Gedanken zu dem verhängnisvollen Tag zurück, an dem das Schicksal die Weichen für diese eisige Endstation gestellt hatte …

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28. November 2019

'Tiranorg: Schwertverrat' von Judith M. Brivulet

Kindle (unlimited) | Taschenbuch
Website Judith M. Brivulet
Autorenseite im Blog
»Wir kämpfen aus dem Untergrund, fügen den Schlangenanbetern an allen möglichen Stellen Schaden zu. Dazu brauchen wir Waffen und Verbündete. Wir müssen sie ständig an den verschiedensten Orten angreifen, dürfen nicht ruhen. Ich nenne es die Taktik der Nadelstiche.« (Esmanté d’Elestre, Schwertmeisterin)

In Tiranorg spitzt sich die Lage zu. Kaum aus Gwyn Nogkt entkommen, werden Esmanté, Loglard und ihre Kameraden von dem Drachen Blutschatten gejagt. Überraschend bieten die Koadeck ihre Hilfe an. Aber können die Gefährten ihren ehemaligen Feinden vertrauen? Sind die Waldgeister die geeigneten Führer auf den verlassenen Pfaden der Zwerge?

Währenddessen formieren sich ihre Gegner. Esmanté und Loglard erkennen, dass sie das Blatt nur wenden können, wenn sie alte Feindschaften überwinden und im Kampf neue Wege beschreiten.

Die alles entscheidende Frage lautet: Wer findet das mächtigste Artefakt von Tiranorg?

Dritter und letzter Band der High Fantasy Saga 'Tiranorg'.

Leseprobe:
Ärger, nichts als Ärger

»Morgen brechen wir auf. Jede Faser meines Körpers sagt mir, dass hier etwas nicht stimmt«, erklärte Sigrith an diesem Abend und fuhr sich durch die kurzen Haare. »Egal, wer mitkommt, ich verschwende nicht noch mehr Zeit.«
»Die Jäger aus dem Dorf sagen, dass es noch Tage lang schneien wird. Das ist vollkommen normal für diese Jahreszeit in den Bergen«, hielt Kharem dagegen.
Er war der Einzige, der unbeeindruckt von Sigriths Launen seine Auffassung vertrat. Na gut, auch ich hielt meistens nicht mit meiner Ansicht hinter dem Berg, was natürlich wenig dazu beitrug, die Spannungen zwischen Sigrith und mir zu mildern.
Mit gemischten Gefühlen blickte ich von einem zum anderen. Wir saßen in Amarachs Küche um den großen Tisch, alle gezeichnet vom Kampf gegen die verdammten Schwarzmagier. Sigrith, blass und mit geröteten Augen, versuchte, zu verbergen, wie sehr ihn die Brandwunden immer noch schmerzten. Kharem saß wie so oft neben Mira. Normalerweise heiterte meine Freundin eine Gesellschaft gern mit guten Geschichten und zweifelhaften Witzen auf, aber seit Téfors Verrat brütete sie fast immer vor sich hin. Uth wirkte zufrieden, er hatte wieder einen Platz neben Eobar ergattert. Noreia schmiegte sich an Loglard und las in einem Buch.
Ein Schneesturm jagte den anderen, rüttelte an den dicken Mauern von Gwyn Nogkt und hinderte uns daran, Amarachs unheimliche Burg zu verlassen. Im Stillen gab ich Sigrith recht. Auch ich würde lieber heute als morgen verschwinden, denn ich traute dem Frieden nicht. Wer konnte sagen, welche Übel hier noch lauerten?
Seit gestern war unsere Stimmung noch bedrückter. Wir hatten Pert begraben. Loglard war nichts anderes übrig geblieben, als zusammen mit Uth und Kharem unter Zuhilfenahme ihrer Zauberstäbe etwas abseits vom Turm eine schmale Stelle vom Schnee zu befreien. In einer kurzen Zeremonie hatte er Perts Seele der Großen Mutter empfohlen. Ein dunkelroter Blitz aus Loglards Zauberstab hatte die Leiche viel zu schnell verbrannt. Eine ehrenhafte Beisetzung, wie sie dem Anführer der Gwydd-Bogenschützen zugestanden hätte, sah anders aus.
»Lasst uns weiterspielen«, schlug ich vor, um mich abzulenken.
Kharem nickte, schickte sich an, zu würfeln. In diesem Augenblick schrien Loglard und Sigrith gleichzeitig auf, sprangen hoch und hielten sich die Seite.
Nur einen Moment später stürmte Fiom herein. »Unter uns sind so komische Geräusche. Die Koadeck ist halb verrückt vor Angst, aber ich verstehe nicht, was sie sagt«, keuchte er völlig außer Atem.
»Kümmere dich um Noreia, Fiom! Ihr beiden bleibt bei der Koadeck«, befahl Loglard mit verzerrtem Gesichtsausdruck.
Aus seiner Hand floss das rote Heilende Licht, mit dem er Sigrith und sich selbst über die schmerzenden Stellen fuhr.
»Eobar, geh mit den Kindern!« Kaum hatte ich den Satz zu Ende gesprochen, nahm meine Schülerin Noreia an der Hand und bedeutete Fiom vorauszulaufen. Mary, unsere Wichtelin, erschien aus dem Nichts und schwebte hinterher.
Loglard rannte los, dicht gefolgt von Sigrith, Uth und Kharem. Mit einem komischen Gefühl im Bauch schloss ich mich Mira an. Welche Überraschung bescherte uns Amarach jetzt wieder?
Die Gward folgten einer für mich unsichtbaren Spur, eilten die Treppen hinab in den Eingangsbereich, dann zu einer Tür, die mir bisher nicht aufgefallen war. Das war kein Wunder, da eine lebensgroße Statue des nackten Weingottes sie verdeckte. Hinter der Tür erwartete uns ein schmaler Treppenabgang in den Keller. Falls auch dieser Gang zum Wehrturm führte, würden wir nicht weit kommen, denn der war verschüttet.
»Groß, verflucht groß!«, knurrte Sigrith.
Ich fragte mich, was genau er damit meinte. Es klang nicht gut.
»Bleib hinter mir, Esmé!«
Nur ungern kam ich Loglards Bitte nach, aber falls ein magisches Wesen im Keller sein Unwesen trieb, würde ich mit meiner Schwertkunst und Kampferfahrung nicht weit kommen.
Jetzt hörten wir ein Rumpeln, ein rhythmisches Stampfen – und schließlich einen sehr, sehr tiefen Ton, der die Wände zum Vibrieren brachte.
Von Stufe zu Stufe steigerte sich das seltsame Geräusch. Ein Ächzen mischte sich hinein, das auf keinen Fall von einem Elfen stammte. Dann knirschte es, als würde etwas sehr Schweres über Kieselsteine gezogen. Im Rhythmus eines imaginären Atemzuges bebten die Grundfesten des Hauses.
»Was bei allen beschissenen Dämonen der Anderswelt ist das?«
Einerseits freute es mich, wieder etwas von Mira zu hören. Andererseits klang ihre Stimme trotz der Flüche so gefühllos, dass mir bang wurde.
Stöhnend blieb Loglard stehen. Sogar durch den Stoff des Leinenhemdes sah ich, wie mehrere Krended glühten. Sigrith sog scharf die Luft ein, was mich davon überzeugte, dass er dieselben Schutzzeichen an sich hatte wie mein Gefährte. Kharem grunzte und fluchte lästerlich. Uth war kreidebleich und gab keinen Ton von sich.
»Bleib zurück, Esmé«, wiederholte Loglard. »Keine Ahnung, was dort vorne wütet. Auf jeden Fall verfügt es über mächtige Magie.«
»Von mir aus!« Schulterzuckend ließ ich die Gward vorbei.
Sogar in dieser Situation grinste mich Sigrith herausfordernd an, als er sich an mir vorbeidrückte. Kopfschüttelnd hielt ich Abstand.
Die Treppen mündeten in einen Gang. Ich fragte mich, wie das Haus der Lady du Lenn überhaupt stehen konnte, da der Untergrund so löchrig war wie Käse aus dem Süden. Lauernd gingen die Gward weiter, Loglard als Erster, dicht gefolgt von Kharem. Dabei hielten sie ihre Kampfstäbe in voller Länge nach vorne gerichtet. Erst gestern hatte mir Loglard die Funktionsweise der Stäbe erklärt. Der Einsatz der Lanzenspitze verlangte natürlich einiges an körperlicher Kraft. Noch komplizierter verhielt es sich mit der Erzeugung der Lichtsalven, denn der Stab holte sich die Energie von seinem Besitzer zurück.
Jetzt pulsierten die Griffe in ihren Händen. Für mich war es noch immer seltsam, meinen Gefährten als Kämpfer zu erleben. Wie die Dinge lagen, würde ich mich daran gewöhnen müssen. Jäh blieben sie stehen.
»Runter!«, schrie Loglard.

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26. November 2019

'Wer nix checkt, kann nix ändern: DerLangeWeg - Sein Leben lenken lernen' von Herbert Lange

Kindle (unlimited) | Taschenbuch
Website zum Buch
Dem Menschen können Flügel wachsen, wenn er weiß, wie´s geht. Aber: Wer nix checkt, kann nix ändern!

Unvorteilhafte und zumeist unhinterfragte Denk-, Fühl- und Verhaltensgewohnheiten können dich stark ausbremsen und dein persönliches Wachstum dauerhaft sabotieren. Wenn du möchtest, dass dir befreiende Flügel wachsen, und du nicht länger Gefangener deines Autopiloten bleiben willst, sind drei Schritte wichtig:
- Erkenne und löse deine Selbstsabotage-Programme
- Lerne, dich und deine Gefühle effektiv zu lenken
- Entwickle deine Lebenswunschziele und strebe sie erfolgreich an
In diesem Buch erfährst du, wie das funktioniert.

Der LANGEWEG ist die Quintessenz einer jahrzehntelangen Beratererfahrung des Diplom-Psychologen Herbert Lange. Er unterscheidet sich deutlich vom Mainstream der Einzelkämpfer-Mentalität und vertritt eine kooperative und ethisch verankerte Grundphilosophie.

Du möchtest lernen, dein Leben selbst zu lenken? In die gewünschte Richtung? In Verbundenheit mit wertvollen Menschen? Du suchst für dieses mutige Vorhaben nach einer Art „Betriebsanleitung“, nach einer Vorgehensweise, die dich dabei unterstützt, deine Absichten erfolgreich in die Tat umzusetzen? Dann kann es sehr gut sein, dass du jetzt fündig geworden bist. Für den Fall, dass du dir über deine persönlichen Ziele noch nicht oder noch nicht ganz im Klaren bist, kann ich dir dabei behilflich sein, deine Wunschziele zu entwickeln ...

Link zur Leseprobe

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'Schwarze Villa' von Claudia Konrad

Kindle (unlimited) | Taschenbuch
pinguletta Verlag
Schwarz. Komplett schwarz.
Wände, Treppe, Türen, Fenster, Dach.


Die schwarze Villa - umstrittenes Kunstobjekt im Pforzheimer Nobelviertel. Doch nicht nur das Äußere der Jugendstilvilla ist schwarz, auch ihre Geschichte ist mehr als düster.

Kai Sander, Immobilienmakler und Aktionskünstler, bekommt das als erster ganz hautnah zu spüren. Und einmal aufgeschreckt, finden die Geister der Vergangenheit keine Ruhe mehr. Und ziehen alle, die mit dem Haus in Berührung kommen, tief und tiefer hinein in den Strudel der schaurigen Ereignisse ...

Leseprobe:
Prolog
Vergebens flehte er um Sex. Bettelte und erniedrigte sich, bis es eines Tages mit ihm durchging. Gnadenlos trieb er sie in den Keller und verging sich grauenvoll an ihr. Wie ein ausgehungertes Raubtier auf Beutezug stürzte er sich auf sie, vergewaltigte sie. Nicht ein Mal, nicht zwei Mal, er wusste nicht, wie oft er das arme Ding geschunden hatte. Wie ein Irrer hatte er auf sie eingeschlagen, bis sie sich nicht mehr bewegte. Sein Drang, der Wahn, die Begierde, die Lust nach ihr war noch nicht gestillt. Er quälte den bewusstlosen, geschundenen Körper weiter. Immer und immer wieder, unermüdlich, bestialisch.
Stunden später ließ er endlich erschöpft von ihr ab.

Kapitel Eins
Pforzheim, 21. Februar 1945
Wie er diesen Krieg hasste. Was war nur aus der einst blühenden Stadt geworden? Was aus seinem Betrieb? Wütend schob er die Schreibtischschublade zu, in der die Ideen für edle Schmuckstücke ruhten. Dieser verdammte Krieg, wer weiß denn schon, wann er sich wieder seiner eigentlichen Arbeit widmen, die eingemotteten Feinmechanik-Maschinen endlich auspacken und Zeichnungen das lang ersehnte Leben einhauchen konnte. Diese Ungewissheit, ob die Franzosen auf der anderen Seite des Rheins nur auf eine passende Gelegenheit warteten, den Fluss überqueren zu können, um die Stadt zu überrennen oder gar zu besetzen.
Heinrich Goldammer saß hinter seinem klobigen Eichenschreibtisch und beobachtete die fünfzehn Mitarbeiter durch eine mit Feinstaub belegte Glasscheibe. Munition stellten sie her, anstatt Gold- und Doubleketten zu produzieren.
Seit heute Morgen schwelte die neue verfluchte Angst, dass Hitler nun völlig durchdrehen könnte. Man hatte dem Führer vom unbemerkten Treffen zwischen Heinrich Himmler und dem ehemaligen Schweizer Bundespräsidenten Jean-Marie Musy in Wildbad berichtet. Geheim und doch nicht geheim. In Windeseile, hinter vorgehaltener Hand und ganz im Vertrauen, verbreitete sich die Nachricht durch die noch lebenden Verwandten, dass Himmler angeblich seine Schuld am Holocaust mindern wollte und in gemeinsamer Arbeit mit Musy versuchte, Juden über die Schweiz in die Vereinigten Staaten zu schleusen. Wohl schafften zwölfhundert Menschen die erste nächtliche Zugfahrt. Was, wenn Hitler seinen Zorn auf die Region ausbreiten würde?
Goldammer stierte vor sich hin, spielte gedankenversunken mit der linken Hand in einer kleinen Box, die randvoll mit Edelsteinen gefüllt war. Steine, die für seine Schmuckstücke gedacht waren und die im Moment als totes Kapital vor ihm lagen.
Er dachte an Walter, seinen jüdischen Freund, Schulfreund und Geschäftspartner, den man 1933 mitsamt Familie deportiert hatte. Die Schmuckfabrik wurde arisiert. Tradition und Zukunft ausgelöscht. Welch große Pläne sie hatten! Walter arbeitete als Goldschmied in der Firma seines Großvaters, die er bald hätte übernehmen sollen. Seine Eltern starben, als er gerade einmal neun Jahre alt war. Goldammer fragte sich, ob es besser gewesen wäre, ebenfalls tote Eltern gehabt zu haben oder solche wie die seinen. Fusionieren wollten sie, gemeinsam zur weltweiten Aner-kennung für ihre Schmuckwaren gelangen, Pforzheim zu weiterem Ruhm durch hochkarätiges Design verhelfen. Vorbei.

Sirenen heulten, Fliegeralarm.
Ermattet erhob er sich. Da war sie wieder, diese ätzende Angst, dass Pforzheim dieses Mal bombardiert werden könnte. Solche Gedanken wurden dann doch von der Bevölkerung verdrängt. Überhaupt glaubte niemand so recht daran, da die Schmuckstadt bisher größtenteils verschont geblieben war, wenn auch die erste Bombardierung durch die United States Army Air Force im April 1944 knapp einhundert Menschenleben gefordert hatte. Die sich häufenden Angriffe der Alliierten gegen Ende 1944 hinterließen eben-falls verhältnismäßig geringe Schäden. Nach der Bombardierung Dresdens war man sich in seinen Freundes- und Geschäftskreisen relativ sicher, mit einem blauen Auge davonzukommen.
Eine halbe Stunde verbrachte Goldammer gemeinsam mit seinen Arbeitern im Keller. Genügend Zeit, um die Zwangsarbeiter genauer zu beobachten. Jedes Unternehmen in der Stadt, das Kriegsmaterial – und wenn es noch so kleine Teile waren – herstellen musste, bekam solch arme Teufel zur Arbeitsverrichtung zugewiesen. Konnte er den beiden KZ-Häftlingen zur Flucht verhelfen? Lag es überhaupt im Bereich des Möglichen? Und wenn, dann wie? Was, wenn es schiefginge? Offensichtlich würde man ihn auf der Stelle erschießen. Die Stadt wimmelte von Hitler-Treuen und Soldaten. In der Ferne grollte es. Es hörte sich wie das Abladen von Kartoffeln von einem Lastkraftwagen an.
Der Entwarnungston der Sirenen drang durch das dicke Gemäuer. Einmal mehr nur ein Fehlalarm, Glück gehabt. Man schüttelte sich die Hände, umarmte sich, ging erneut an die Arbeit – erleichtert, am Leben zu sein.
Goldammer klopfte seinen Anzug aus und hing im Büro seinen Gedanken abermals hinterher.
Was war heute bloß los mit ihm? Er kannte solche Gefühlsseligkeit und Sentimentalitätsausbrüche von sich nicht, er vermochte es sich nicht zu erklären und steckte sich eine Zigarre an. Den Rauch entließ er in großen Ringen aus dem Mund. Seine verkorkste Jugend tauchte vor seinem geistigen Auge auf, mit einem weichlichen Vater und einer Mutter, die er nur selten zu Gesicht bekam. Liebe und Geborgenheit wurden ihm eher wenig zuteil. Ein fataler Umstand, der sein Leben prägte. Zumindest hatte man ihm die Goldschmiedeschule ermöglicht, so gelang es ihm, sich schon in jungen Jahren eine kleine Schmuckmanufaktur aufzubauen. Es war sehr vorteilhaft, dass sein Vater Ausbilder in der ersten Berufsschule für diese Branche war. Seine Mutter stammte aus Wildbad, einem Erholungs- und Kurort, nur fünfundzwanzig Kilometer von Pforzheim entfernt. Sie war eine Gebürtige von Stetten, deren Familie in der dritten Generation ein Hotel führte, in dem zu besseren Zeiten Herzöge, Könige und der Kaiser speisten. Wildbad wurde von der oberen Schicht beherrscht. Fabrikanten aus nah und fern urlaubten und genossen die Thermalbäder inmitten des Schwarzwaldes.

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22. November 2019

'Immer diese Menschen' von Annette Paul und Krisi Sz.-Pöhls

Kindle | Tolino | Taschenbuch
Website Annette Paul
Sechs Tiergeschichten für Leseanfänger ab 7 Jahre. Illustrierte Neuauflage.

„Was denkt der eigentlich von mir? Ich bin doch nicht blöd, sondern passe schon selbst auf mich auf.“ Der Goldhamster wünscht sich mehr Auslauf. Außerdem will er am Tag in Ruhe schlafen.

In kurzen Geschichten für Erstleser erzählen Goldhamster, Wellensittich, Pony, Katze, Hund und Frosch von ihrem Leben. Nicht immer sind sie von den Menschen begeistert. Manchmal reißen sie auch aus und erleben Abenteuer. Sie sind nämlich kein Spielzeug, sondern Lebewesen mit eigenen Wünschen.

Lesermeinung: Das kleine Büchlein für Erstleser vermittelt den Kindern auf vergnügliche Weise neue Einsichten in die Bedürfnisse ihrer Tiere.

Leseprobe aus "Goldhamster Goldi":
„Musst du blödes Vieh so einen Lärm machen?", schreit das Mädchen mich an.
Dabei laufe ich doch nur etwas herum. Viel Platz ist hier nicht. Also muss ich meinen Laufdrang in diesem dämlichen Rad abarbeiten. Lieber würde ich daheim in der Wüste herumrennen. Dabei kenne ich sie gar nicht. Ich bin nämlich hier geboren. Und blöd bin ich schon gar nicht. Ich habe mich schließlich nicht in diesem kleinen Käfig eingesperrt.
Das Mädchen zerrt an dem Käfig. Vorsichtshalber flüchte ich in meine Höhle. Ängstlich spähe ich hinaus. Sie zieht den Käfig aus ihrem Zimmer hinaus. Jetzt stehe ich in einem Raum ohne Fenster, aber mit ganz vielen Türen. Das Mädchen verschwindet wieder und bald darauf ist es ruhig.
Trotzdem warte ich noch eine Weile, bis ich mich hinaustraue. Misstrauisch schaue ich mich um. Erst als alles ruhig bleibt, steige ich wieder in das Rad und laufe noch ein paar Kilometer. Ich will schließlich meine schlanke Linie behalten. Irgendwann, die Nacht muss schon vorbei sein, werde ich müde und verkrieche mich in meine Höhle.
Noch im Halbschlaf höre ich Schritte. Dann scheppert es und der ganze Käfig wackelt. Vor Schreck falle ich fast in Ohnmacht. Eine Männerstimme schimpft. „Wer stellt den Käfig einfach in den Weg? Marie!"
Er reißt die Tür auf und das Mädchen sagt etwas. Es klingt recht mürrisch. Eine Weile reden sie miteinander. Schließlich zerrt es den Käfig wieder in das Zimmer zurück. Jetzt ist es überall laut und hektisch. Ich komme gar nicht zum Schlafen. Diese Menschen laufen hin und her und unterhalten sich lautstark. Dabei nehmen sie überhaupt keine Rücksicht auf mich. Irgendwo spielt Musik. Immer sind sie laut. Haben sie denn keine Angst, entdeckt zu werden?
Endlich kehrt Ruhe ein. Ich fresse noch ein Stückchen Apfel. Dann verkrieche ich mich in die Höhle und baue mir ein gemütliches Nest. Bald darauf schlafe ich tief ein.

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21. November 2019

'Tiranorg: Schwertverrat' von Judith M. Brivulet

Kindle (unlimited) | Taschenbuch
Website Judith M. Brivulet
Autorenseite im Blog
»Wir kämpfen aus dem Untergrund, fügen den Schlangenanbetern an allen möglichen Stellen Schaden zu. Dazu brauchen wir Waffen und Verbündete. Wir müssen sie ständig an den verschiedensten Orten angreifen, dürfen nicht ruhen. Ich nenne es die Taktik der Nadelstiche.« (Esmanté d’Elestre, Schwertmeisterin)

In Tiranorg spitzt sich die Lage zu. Kaum aus Gwyn Nogkt entkommen, werden Esmanté, Loglard und ihre Kameraden von dem Drachen Blutschatten gejagt. Überraschend bieten die Koadeck ihre Hilfe an. Aber können die Gefährten ihren ehemaligen Feinden vertrauen? Sind die Waldgeister die geeigneten Führer auf den verlassenen Pfaden der Zwerge?

Währenddessen formieren sich ihre Gegner. Esmanté und Loglard erkennen, dass sie das Blatt nur wenden können, wenn sie alte Feindschaften überwinden und im Kampf neue Wege beschreiten.

Die alles entscheidende Frage lautet: Wer findet das mächtigste Artefakt von Tiranorg?

Dritter und letzter Band der High Fantasy Saga 'Tiranorg'.

Leseprobe:
Ärger, nichts als Ärger

»Morgen brechen wir auf. Jede Faser meines Körpers sagt mir, dass hier etwas nicht stimmt«, erklärte Sigrith an diesem Abend und fuhr sich durch die kurzen Haare. »Egal, wer mitkommt, ich verschwende nicht noch mehr Zeit.«
»Die Jäger aus dem Dorf sagen, dass es noch Tage lang schneien wird. Das ist vollkommen normal für diese Jahreszeit in den Bergen«, hielt Kharem dagegen.
Er war der Einzige, der unbeeindruckt von Sigriths Launen seine Auffassung vertrat. Na gut, auch ich hielt meistens nicht mit meiner Ansicht hinter dem Berg, was natürlich wenig dazu beitrug, die Spannungen zwischen Sigrith und mir zu mildern.
Mit gemischten Gefühlen blickte ich von einem zum anderen. Wir saßen in Amarachs Küche um den großen Tisch, alle gezeichnet vom Kampf gegen die verdammten Schwarzmagier. Sigrith, blass und mit geröteten Augen, versuchte, zu verbergen, wie sehr ihn die Brandwunden immer noch schmerzten. Kharem saß wie so oft neben Mira. Normalerweise heiterte meine Freundin eine Gesellschaft gern mit guten Geschichten und zweifelhaften Witzen auf, aber seit Téfors Verrat brütete sie fast immer vor sich hin. Uth wirkte zufrieden, er hatte wieder einen Platz neben Eobar ergattert. Noreia schmiegte sich an Loglard und las in einem Buch.
Ein Schneesturm jagte den anderen, rüttelte an den dicken Mauern von Gwyn Nogkt und hinderte uns daran, Amarachs unheimliche Burg zu verlassen. Im Stillen gab ich Sigrith recht. Auch ich würde lieber heute als morgen verschwinden, denn ich traute dem Frieden nicht. Wer konnte sagen, welche Übel hier noch lauerten?
Seit gestern war unsere Stimmung noch bedrückter. Wir hatten Pert begraben. Loglard war nichts anderes übrig geblieben, als zusammen mit Uth und Kharem unter Zuhilfenahme ihrer Zauberstäbe etwas abseits vom Turm eine schmale Stelle vom Schnee zu befreien. In einer kurzen Zeremonie hatte er Perts Seele der Großen Mutter empfohlen. Ein dunkelroter Blitz aus Loglards Zauberstab hatte die Leiche viel zu schnell verbrannt. Eine ehrenhafte Beisetzung, wie sie dem Anführer der Gwydd-Bogenschützen zugestanden hätte, sah anders aus.
»Lasst uns weiterspielen«, schlug ich vor, um mich abzulenken.
Kharem nickte, schickte sich an, zu würfeln. In diesem Augenblick schrien Loglard und Sigrith gleichzeitig auf, sprangen hoch und hielten sich die Seite.
Nur einen Moment später stürmte Fiom herein. »Unter uns sind so komische Geräusche. Die Koadeck ist halb verrückt vor Angst, aber ich verstehe nicht, was sie sagt«, keuchte er völlig außer Atem.
»Kümmere dich um Noreia, Fiom! Ihr beiden bleibt bei der Koadeck«, befahl Loglard mit verzerrtem Gesichtsausdruck.
Aus seiner Hand floss das rote Heilende Licht, mit dem er Sigrith und sich selbst über die schmerzenden Stellen fuhr.
»Eobar, geh mit den Kindern!« Kaum hatte ich den Satz zu Ende gesprochen, nahm meine Schülerin Noreia an der Hand und bedeutete Fiom vorauszulaufen. Mary, unsere Wichtelin, erschien aus dem Nichts und schwebte hinterher.
Loglard rannte los, dicht gefolgt von Sigrith, Uth und Kharem. Mit einem komischen Gefühl im Bauch schloss ich mich Mira an. Welche Überraschung bescherte uns Amarach jetzt wieder?
Die Gward folgten einer für mich unsichtbaren Spur, eilten die Treppen hinab in den Eingangsbereich, dann zu einer Tür, die mir bisher nicht aufgefallen war. Das war kein Wunder, da eine lebensgroße Statue des nackten Weingottes sie verdeckte. Hinter der Tür erwartete uns ein schmaler Treppenabgang in den Keller. Falls auch dieser Gang zum Wehrturm führte, würden wir nicht weit kommen, denn der war verschüttet.
»Groß, verflucht groß!«, knurrte Sigrith.
Ich fragte mich, was genau er damit meinte. Es klang nicht gut.
»Bleib hinter mir, Esmé!«
Nur ungern kam ich Loglards Bitte nach, aber falls ein magisches Wesen im Keller sein Unwesen trieb, würde ich mit meiner Schwertkunst und Kampferfahrung nicht weit kommen.
Jetzt hörten wir ein Rumpeln, ein rhythmisches Stampfen – und schließlich einen sehr, sehr tiefen Ton, der die Wände zum Vibrieren brachte.
Von Stufe zu Stufe steigerte sich das seltsame Geräusch. Ein Ächzen mischte sich hinein, das auf keinen Fall von einem Elfen stammte. Dann knirschte es, als würde etwas sehr Schweres über Kieselsteine gezogen. Im Rhythmus eines imaginären Atemzuges bebten die Grundfesten des Hauses.
»Was bei allen beschissenen Dämonen der Anderswelt ist das?«
Einerseits freute es mich, wieder etwas von Mira zu hören. Andererseits klang ihre Stimme trotz der Flüche so gefühllos, dass mir bang wurde.
Stöhnend blieb Loglard stehen. Sogar durch den Stoff des Leinenhemdes sah ich, wie mehrere Krended glühten. Sigrith sog scharf die Luft ein, was mich davon überzeugte, dass er dieselben Schutzzeichen an sich hatte wie mein Gefährte. Kharem grunzte und fluchte lästerlich. Uth war kreidebleich und gab keinen Ton von sich.
»Bleib zurück, Esmé«, wiederholte Loglard. »Keine Ahnung, was dort vorne wütet. Auf jeden Fall verfügt es über mächtige Magie.«
»Von mir aus!« Schulterzuckend ließ ich die Gward vorbei.
Sogar in dieser Situation grinste mich Sigrith herausfordernd an, als er sich an mir vorbeidrückte. Kopfschüttelnd hielt ich Abstand.
Die Treppen mündeten in einen Gang. Ich fragte mich, wie das Haus der Lady du Lenn überhaupt stehen konnte, da der Untergrund so löchrig war wie Käse aus dem Süden. Lauernd gingen die Gward weiter, Loglard als Erster, dicht gefolgt von Kharem. Dabei hielten sie ihre Kampfstäbe in voller Länge nach vorne gerichtet. Erst gestern hatte mir Loglard die Funktionsweise der Stäbe erklärt. Der Einsatz der Lanzenspitze verlangte natürlich einiges an körperlicher Kraft. Noch komplizierter verhielt es sich mit der Erzeugung der Lichtsalven, denn der Stab holte sich die Energie von seinem Besitzer zurück.
Jetzt pulsierten die Griffe in ihren Händen. Für mich war es noch immer seltsam, meinen Gefährten als Kämpfer zu erleben. Wie die Dinge lagen, würde ich mich daran gewöhnen müssen. Jäh blieben sie stehen.
»Runter!«, schrie Loglard.

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20. November 2019

'Das geheime Kapitel' von Mara Winter

Kindle (unlimited) | Taschenbuch
pinguletta Verlag
Was wäre, wenn jemand versuchen würde, dir dein Leben zu stehlen?
Wenn eine Fremde es auf dein Zuhause und deinen Ehemann abgesehen hätte?
Und wenn du plötzlich Zugang zu einem verbotenen Buch mit Zaubersprüchen bekämst … würdest du sie einsetzen?

Als Anna am Tiefpunkt ihres Lebens ein geheimnisvolles Buch mit Zaubersprüchen auf dem Dachboden findet, rechnet sie mit vielem, aber nicht mit einem Mord in ihrem eigenen Heim. Und damit fängt der Albtraum erst an ...

Leseprobe:
2008
Der alte Mann stöhnte.
»Martha! Wo ist Martha?«
»Ach, Vater. Hast du es schon wieder vergessen? Sie ist gestorben.«
»Nein!« Der Mann schrie auf und wimmerte. Sein erwachsenes Kind rückte ihm die Decke zurecht und sah ihn bedauernd an. »Nun beruhige dich doch. Es ist schon dreißig Jahre her.«
»Meine Martha ist tot?«
»Jeden Tag dasselbe. Es ist nicht mehr auszuhalten mit dir. Uns fehlt sie auch, hörst du? Uns auch. Ruh dich aus, ich gebe dir noch etwas von deinem Schlafmittel.«
Der Greis starrte an die Decke. »Ihr habt sie in den Tod getrieben.«
»Sei still, Vater. Sie hat sich selbst umgebracht, das weißt du genau. Wir ertragen all deine Launen seit Jahren! Lass mich jetzt in Ruhe! Es ist spät und ich will ins Bett.«
»Nein!«, heulte er auf. »Verlass mich jetzt nicht! Bleib bei mir, ich bin krank!«
»Du bist nicht krank, du bist nur alt und nutzlos. Ich ertrage dich nicht mehr. Du hast mir alle Kraft ausgesaugt! Du ruinierst mich! Ich hasse dich!«
Er wollte widersprechen, doch das Kissen lag plötzlich schwer auf seinem Gesicht. Er bäumte sich auf und wollte schreien, doch der kratzige Stoff wurde immer stärker auf seinen Kopf gepresst und verschloss ihm Mund und Nase. Hilflos fuchtelte er mit den Armen in der Luft und versuchte, seinen Angreifer zu packen, doch der war stärker.
»Gleich ist es vorbei«, sagte sein Kind, nun mit einer sanften, geduldigen Stimme. »Gleich ist alles vorbei.«

Kapitel Eins. Silke
Ich habe die Zeichen immer gesehen, aber niemand hat mir geglaubt. Am Abend, als Vater starb, saß ein Schwarm Krähen im Baum vor unserem Haus. Sie schlugen mit den Flügeln und krächzten in einer düsteren Sprache, die offensichtlich Unheil verkündete. Mein Bruder Heiner lachte, als ich ihn zum Fenster rief.
»Rabenbraten, zum Greifen nahe. Da hol ich gleich das Schrotgewehr!«
Ich war als einzige nicht überrascht, als der Anruf kam und wir ins Krankenhaus gerufen wurden. Vater starb in derselben Nacht und wir verloren das Haus innerhalb eines Monats. Seitdem mag ich keine Raben mehr leiden.
Heiner machte deutlich, dass ihn Vaters Tod kaltließ. »Er war ja nur mein Stiefvater!«, sagte er auf der Beerdigung, als Frau Izmelda ihm kondolierte. Anstatt Mama und mir zu helfen, nahm er sich eine eigene Wohnung und kam nur noch vorbei, um mich zu kritisieren und zu erziehen. Er zwang mich, meine Kristalle fortzuwerfen und mich ausschließlich auf die Schule zu konzentrieren. »Du brauchst einen guten Abschluss, sonst kommt ihr nie aus diesem Ghetto raus!« Es machte mich wütend, dass mein Halbbruder unsere Hochhaussiedlung als Ghetto bezeichnete, obwohl sie eng und düster war und ich sie hasste. Aber Heiner musste nicht hier leben, wo es blühende Gärten nur im Fernsehen zu sehen gab.
»Wenn ich die Ausbildung fertig habe und Makler bin, dann suche ich euch eine bessere Wohnung«, versprach er mir zum neunten Geburtstag, was er jedoch nie einhielt.

Ich vermisste Papa glühend, der stets lustig und zuversichtlich gewesen war. Auch unser Haus fehlte mir und vor allem der Garten mit dem Flieder und den Himbeerbüschen. Ich hatte jedes Fleckchen gekannt, wusste, wann die Sträucher blühten und welche Pflanzen giftig waren. Mit Papas Tod hatte ich nicht nur meine einzige Bezugsperson, sondern auch mein Zuhause verloren. Ich wünschte mir eine Schwester oder wenigstens eine Freundin. Alles, was ich hatte, waren ein strenger, grausamer Bruder und eine weinerliche, leidende Mutter, die niemals selbst etwas in die Hand nahm, sondern jammernd vor sich hinwelkte. Bis dann Vera in meine Klasse kam, mager und blass, wohnhaft im Kinderheim. Genau wie ich fand sie keinen Anschluss, und in unserem Elend taten wir uns zusammen. Sie beschrieb mir das Heim als einen Ort mit regelmäßigen Mahlzeiten, frischer Wäsche und sogar einem Waldstück zum Spielen. Das klang besser als das Leben mit meiner Mutter, die sich aufgegeben hatte. Wahrscheinlich hätte sie einen Job finden und uns aus der modernden Sozialwohnung herausschaffen können, doch sie hatte resigniert, nahm Tabletten und schlief die Tage durch. Ob ich pünktlich zur Schule ging, war ihr gleichgültig.
Ohne unsere Nachbarin, Frau Izmelda, wäre ich verloren gewesen. In ihrem düsteren Wohnzimmer brachte sie mir bei, Tarotkarten zu legen. »Auf dich wartet etwas Großes, Mädchen. Sei zur rechten Zeit am rechten Ort und wachsam, dann kann es dir nicht entgehen. Sei vorsichtig, dass du nicht die falsche Abzweigung nimmst, sonst landest du im Verderben.«
Ich grübelte darüber nach, was das Große sein mochte, aber meinen größten Wunsch, Papa und mein Zuhause zurückzubekommen, konnte mir niemand erfüllen.
Täglich putzte Izmelda zehn Stunden, um die Schulden ihres Mannes zu bezahlen, der sie ohne Nachricht verlassen hatte. Außer für Tabak blieb ihr kein Cent für Vergnügliches. »Geld müsste man haben, Mädchen, mit Geld kannst du dir alles kaufen. Einen schönen Ausblick vom Balkon, Massagen für die müden Beine, Fußbodenheizung im Bad, frisches Obst und Glückspillen für den Kopf.« Ihre Durchblutung funktionierte nicht richtig, sie hatte Schmerzen in den Beinen und Lymphödeme. »Du bist jung und hübsch, versprich mir, dass du etwas aus dir machst! Wirf dich nicht irgendeinem Tölpel an den Hals, such dir einen Mann mit Geld. Die Liebe vergeht, dann ist die Hauptsache, dass die Kasse stimmt.«

Ich besaß ein einziges Märchenbuch, voller faszinierender Geschichten. Abends im Bett, wenn das Licht ausgeknipst war, spann ich die Geschichten im Kopf weiter. Dort trafen sich all meine Lieblingsgestalten im Garten des glücklichen Riesen und feierten gemeinsam ein Fest. Frau Izmelda saß in der Mitte, wurde von der Goldmarie bekocht und von Zwerg Nase bedient. Der Kronprinz sang lustige Lieder und spielte dazu auf der Laute, während die liebe Großmutter den feinsten Brotteig knetete.

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19. November 2019

'Over The Rainbow: Die Traumwelt' von Uwe Tiedje

Kindle (unlimited) | Taschenbuch
Website Uwe Tiedje
Eine Fantasiegeschichte, für alle, die ihre Träume noch nicht verloren haben.

Seitdem die Träume der Menschen immer schwächer werden, sieht auch die Traumwelt ihrem Untergang entgegen. Um das zu verhindern, schicken die Bewahrer – Wesen, die für die Erhaltung verschiedener Bereiche dieser Welt zuständig sind – einen grauen Wolf und ein weißes Einhorn zu den Menschen. Sie sollen die beiden aufspüren, die in ihren Träumen der Fantasie noch freien Lauf lassen.

So finden sich Nic und Nora in einer ihnen fremden Umgebung wieder, in der sie sich dem Kampf gegen Todesfeen und finstere Druiden stellen müssen. Bis Nora Gefahr läuft, sich in einem Traum zu verlieren …

Leseprobe:
Es beginnt …
Er war da, seit der Schöpfung, seit Anbeginn allen Lebens. So lange er denken konnte, kümmerte er sich um die Erde, die Lebewesen, die Pflanzen, die Gewässer, um alles, was war.
Früher existierten noch andere, wie er, vor Urzeiten, nach der Schöpfung. Doch nun gab es nur noch eine Handvoll von ihnen.
Er stand hoch oben, auf seinem Lieblingsplatz, nahe dem Ort, an dem er geboren wurde. Ein Geschöpf aus Erde, aus Wasser und Feuer, aus Luft und Sternenstaub. Dieser Berg war seine Ruhestatt. Hier wanderte er durch seine Gärten, hegte und pflegte sie.
Doch heute Nacht war er ruhelos hierhergekommen. Er spürte, wie sich etwas verschob. Ein Ungleichgewicht der Kräfte. Oben am Nachthimmel fand er sein Gefühl bestätigt. Ein neues Sternbild zeigte sich dort.
Schreck und Schmerz erfüllten sein Innerstes und wühlten ihn emotional auf. Er sah hinauf zu denen, die einmal waren, nahm ihr Leuchten in sich auf, linderte mit ihrem Strahlen sein Leid ein wenig.
Starker Wind kam auf, peitschte über das Land, beugte die mächtigen Wipfel seiner Bäume, so als spüre die Natur, dass sich etwas veränderte. Es begann zu regnen, erst wenige Tropfen, dann eine wahre Sturzflut. Sie nässte seine Erde. Der Wind fegte in Böen daher, jagte die Regenschauer vor sich her. Dunkle, drohende, schwarze Wolken wallten über den Berg.
Doch an der Stelle, an der er stand, war es vollkommen windstill. Kein Regen fiel, hier war es sternenklar. Über ihm, inmitten der brodelnden Wolkendecke, war ein Loch, durch das er die Sterne klar und deutlich sehen konnte. Wie ein strahlendes Auge inmitten pechschwarzer Finsternis.
Sein langes weißes Haar umrahmte ein altes, zerfurchtes Gesicht. Blaue, gütige Augen schauten unter dichten, weißen Augenbrauen hervor und ein langer, weißer Bart zierte sein Kinn. Eingehüllt in ein braunes Gewand, die Farbe der Erde, gestützt auf seinen Stab, stand er da und sah hinauf zu den Sternen.
Zuerst sah er nur einen winzigen, schwarzen Punkt, der sich vor den drei vollen Monden abhob. Der Punkt bewegte sich, kreiste, kam immer näher. Nur schemenhaft nahm er die Umrisse wahr. Doch er brauchte kein klares Bild, um zu wissen, wer da kam. Wie er selbst war sie schon immer da, hütete wie er, pflegte. Auch sie schien die Veränderung zu spüren.
Nahe bei ihm landete der schwarze Pegasus. Majestätisch schwebte er heran, die mächtigen Flügel schlugen und erzeugten Wind, der das lange, weiße Haar des Bewahrers wie eine Fahne wehen ließ. Sanft setzte er auf, so als landete er auf einer weichen Wolke und nicht auf harter Erde. Die Flügel hielten inne, der Kopf mit der langen schwarzen Mähne verneigte sich vor ihm und leises Schnauben begrüßte den Bewahrer.
Eine Gestalt in schwarzem Gewand, der Farbe der Nacht, und dunkler Kapuze stieg vom Rücken des Pegasus, setzte die Füße ins feuchte Gras und kam mit leichten Schritten, fast schwebend zu ihm herüber, in der Hand einen Stab, schwarz im Gegensatz zu seinem grünen.
Er deutete eine Verbeugung an und seine Lippen bewegten sich nicht, als er sie begrüßte.
»Bewahrerin.«
Sie lächelte und nickte. Auch sie deutete eine Verbeugung an und er hörte ihre Stimme in seinen Gedanken.
»Bewahrer.«
Nun lächelte auch er. Nur die wenigen, die noch waren, sprachen auf diese Weise miteinander. Ihre Gedanken berührten sich, wenn sie sich unterhielten, und diese Berührung löste ein Gefühl der Freude in ihm aus, dass er seit langem vermisste.
»Eine lange Zeit, Bewahrerin, seit wir uns zuletzt trafen.«
»Nur ein Moment, Bewahrer, ein Moment in der Ewigkeit. Was ist schon Zeit für solche wie uns?« Er hob seinen Stab und deutete zum Nachthimmel.
»Du hast es auch gesehen?«
Sie schaute hinauf, nickte und ihr Gesicht verzog sich schmerzhaft.
»Ja ich sehe es, konnte sie jedoch nicht daran hindern. Meine Aufgabe ist es, die Sterne zu bewahren, so wie du die Erde, und doch konnte ich gegen dieses neue Sternenbild nichts unternehmen.«
Er nickte und schaute sie besorgt an.
»Das Sternbild der Todesfeen. Niemand kann etwas dagegen tun. Sie sind dunkle Elfen, sind da seit Anbeginn der Zeiten. Nur sie selbst können etwas tun … «
Entschieden schüttelte die Bewahrerin der Sterne den Kopf. Tiefe Traurigkeit stieg in ihr auf.
»Sieh dir nur unsere Sterne an, ihr Leuchten verblasst. Die Träume der Menschen – sie gaben ihnen einst Kraft. Einst strahlten sie hell und leuchteten uns in der Nacht. Immer weniger Träume erreichen uns, die Menschen sind zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt.
Doch um zu deinen Worten zurückzukehren, nicht nur sie selbst können uns helfen. Lass uns die finden, die in der Lage sind hinüberzugehen. Sie können dafür sorgen, dass dieses Sternbild verblasst, vergeht für lange, lange Zeit.«
Er schaute in ihre nachtschwarzen Augen, nicht überzeugt von ihren Worten. Doch sie war eine wie er, er vertraute ihrer Überzeugung.
»Auch ich spüre, dass die Träume weniger werden. Die Menschen verändern, verwüsten meine Welt, indem sie meine Elemente nutzen, sich selbst zu vernichten. Sie verbrauchen meine Kraft, die ich aufwenden muss, um zu regenerieren, was sie zerstören. Tod und Elend – so viele, die gehen müssen vor Ihrer Zeit. Schau hinauf, wie viele Sterne täglich hinzukommen. Aber dennoch, es gibt welche unter ihnen, die ihre Träume nicht verloren haben, sie tragen sie tief in sich verborgen. Wenn diese ihre Träume wiederfinden, können sie hinüber.«
Traurig blickte die Bewahrerin in sein altes, zerfurchtes Gesicht.
»Es kostet dich viel, schau dich an.«
In Gedanken sah sie ihn bei ihrer letzten Begegnung vor sich, sah das jungenhafte, wunderschöne Gesicht. Entschlossen trat sie zu einer Senke, rief ihn zu sich und nahm seine Hand.
»Lass uns hier den Zauber wirken. Er soll sie finden und ihnen helfen, zu ihren Träumen zurückzufinden, damit sie uns und allen anderen helfen können.«
Sie streckte den Stab vor und stieß ihn in die Erde. Schwarzes Licht färbte die Erde, bildete einen Kreis. Der Bewahrer der Erde lächelte, nahm seinen Stab, stieß ihn ebenfalls in die Mitte des Kreises, der sich mit strahlendem, grünem Licht füllte. Die beiden hielten sich an den Händen, hielten mit der anderen ihre Stäbe und stimmten einen uralten Gesang an, in einer Sprache, die längst von dieser Welt verschwunden war.

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18. November 2019

'Morgenfiktion' von Reinhard Belser

Kindle (unlimited) | Tolino | Taschenbuch
Reinhard Belser auf Facebook
Die Fiktion auf ein "Morgen" – Hoffnung und der Wille zum Weiterleben.

Ein Schicksalsschlag brachte Reinhard Belser an die Schwelle des Todes. Als hoffnungsloser Fall wurde er in ein Pflegeheim abgeschoben. Doch so wollte er nicht weiterleben.

Tiefpunkte, Schmerzen und Leid gehören unvermeidlich zu unserem Leben als Menschen. Belser lässt den Leser an seinen Krisen teilhaben und zeigt gleichzeitig einen Weg, wie es selbst in scheinbar hoffnungslosen Lagen einen positiven Neuanfang geben kann.

Wer von Lehrbüchern, Motivationstrainern, Coaches oder Ärzten bisher nicht ausreichend inspiriert wurde und nicht vorankommt, der sollte diese Geschichte lesen. Sie ist ein ergreifendes Zeugnis, wie wir nach dem Versagen unserer physischen Kräfte durch das Mobilisieren von mentaler Energie, Zuversicht und Beharrlichkeit unsere einstige Lebensqualität wiedererlangen können.

Leseprobe:
Der lange Weg zurück ins Leben
Als ich zu Bewusstsein kam und die Augen öffnete, war da nur Leere. Wo ich war, woher ich kam, wie viel Zeit vergangen war – keine Ahnung. Es war seltsam, aber ich war mir mit dem Erwachen meiner Existenz im wirklichen wie auch im metaphysischen Sinne bewusst, aber viele Erinnerungen an die Vergangenheit fehlten. Selbst meinen Namen wusste ich nicht mehr.
Schleichend formte sich aus vermeintlicher Leere eine weiße Wand, die ich wahrnahm. Auch machten sich erste Schmerzen im Rücken bemerkbar, die zunehmend stärker wurden. Noch hatte ich keine Möglichkeit, etwas dagegen zu unternehmen, um sie wenigstens ein bisschen zu lindern, denn ich konnte weder sprechen noch meine Glieder auch nur im Geringsten bewegen.
Seltsame Geräusche ließen mich meine Schmerzen vergessen. Ich versuchte, diese Geräusche zu orten, was allerdings nicht gelang. Immerhin vermochte ich, zwischen Dunklem und Hellem zu unterscheiden. Ob die Helligkeit von Sonne oder elektrischem Licht herrührte, konnte ich nicht erkennen.
Im Laufe der nächsten Tage erkannte ich dann sogar die Stimme meiner Ehefrau Sandy, die mich regelmäßig in der Klinik besuchte. Ich glaubte, mit einem Lächeln darauf reagiert zu haben. Später erzählte mir Sandy, dass ich sogar versucht hätte, mit ihr zu reden.

Während der langen Schlafperioden haben mich fürchterliche Albträume heimgesucht, von denen etliche haften geblieben sind, wie zum Beispiel dieser:
Verschwommen – wie durch schmutzige Brillengläser – erblickte ich eine Wiesenlandschaft mit einem sich dahinter erstreckenden dunklen Waldstrich, in dessen Innerem sich ein Gebäude erhob. Ich ging auf das Gebäude zu und betrat es durch eine breite Tür. Das Innere erinnerte an eine Musikkneipe, in der eine Party stattfand. Unter den Gästen erkannte ich einige mir bekannter Menschen, die ich als ehemalige Kollegen meiner letzten Arbeitsstelle identifizierte. Plötzlich saß ich mit ihnen um einen Tisch: Wir plauderten miteinander, hörten gemeinsam Musik und tranken dazu. Jäh wurde die heitere Stimmung der Gruppe durch das Erscheinen meines ungeliebten Vorgesetzten gestört. Wie aus dem Nichts kam er mit erhobener Pistole in der Rechten. Er trat stumm auf mich zu, hielt die Waffe gegen meine Schläfe und sagte: »Jetzt knall ich dich ab!« Und dann drückte er tatsächlich eiskalt ab. So verwirrt wie ich war, hielt ich es für real, nicht für einen Traum, und rechnete mit dem Schlimmsten. Ich war geschockt, die Zeit stand still und ich wusste nicht, ob ich noch lebte oder bereits tot war. Es herrschte unheimliche Stille; da war nichts mehr. Es dauerte eine Weile bis ich mich von diesem furchtbaren Schock erholt hatte und realisierte, dass ich noch lebte. Diese mir ungeheure angsteinflößende Szene wiederholte sich noch öfter. Und jedes Mal, nachdem mein Vorgesetzter den Abzug der Pistole gedrückt hatte, war ich wiederholt in dem Zustand, dass mir für wenige Augenblicke nicht klar war, ob ich noch lebte oder schon tot war – eine äußerst befremdende Situation. Aber dann ließen der unglaublich hohe Druck und die extreme Anstrengung, die dieser Albtraum in meinem Kopf verursacht hatte, nach und ich wurde innerlich ruhiger, konnte weiterschlafen. Eines wurde mir jedenfalls bei diesem Traum bewusst: dass ich zwischen Leben und Tod zu unterscheiden vermochte. Und ich fühlte mich froh, noch am Leben zu sein.
Rückblickend bezieht sich dieser Albtraum auf eine wahre Begebenheit: Vor meinem Zusammenbruch übte ich tatsächlich einen Bürojob in einer amerikanischen Firma aus. Ich hasste sowohl die Firma als auch meinen Job. Zu allem Überfluss traf ich auch noch auf einen Vorgesetzten, der Mobbing perfekt beherrschte und es liebte, Intrigen in die Welt zu setzen. Man konnte ihm die Freude förmlich ansehen, die er verspürte, wenn er seine Mitmenschen quälte und leiden sah. Sein Führungsstil zeichnete sich durch maßlose Arroganz und Ignoranz in ganz besonderer Weise aus. Es ist leicht nachzuvollziehen, dass ich zu ihm ein gestörtes Verhältnis pflegte und ihn nicht ausstehen konnte. Im Laufe der Zeit entwickelte sich eine regelrechte Aversion gegen ihn, die Firma und den Job, eine Aversion, die wohl tiefer in mein Unterbewusstsein eingedrungen war, als ich mir das je hätte vorstellen können.

Zunächst setzte sich meine Welt jedoch nur langsam und Stück für Stück zusammen. Als ich dann irgendwann eine sanfte Stimme neben mir hörte, vermochte ich auf einmal meinen Kopf ein klein wenig zu drehen und blickte in ein Gesicht, welches mir völlig fremd war. Leicht irritiert versuchte ich zu verstehen, was vor sich ging. Es dauerte, bis ich das weibliche Gesicht zuordnen konnte. Wahrscheinlich zeigte ich eine Reaktion, denn die Frau begann zu lächeln und wirkte dabei sehr freundlich. Mit einfühlsamer Stimme sprach sie zu mir, doch was sie sagte, weiß ich nicht mehr. Mir wurde unbehaglich, als sie mit einer Hand an meinen Hals griff. Ich spürte, wie sie ein Pflaster wegriss. Im nächsten Augenblick beobachtete ich, wie sie mit einem Plastikröhrchen hantierte und damit an meinem Hals herumstocherte. Ich wusste nicht, wie mir geschah. Darauf hörte ich zischelnde Geräusche, die sich anhörten, als würde Flüssigkeit abgesaugt – es tat weh. Ich hatte keine Ahnung, was das zu bedeuten hatte. Ich wollte etwas dazu sagen und stellte fest, dass ich kaum einen Ton herausbrachte, aber ich konnte nicht nachvollziehen, warum das so war. Die gesamte Prozedur war mir äußerst lästig und ich war froh, als die Frau damit fertig war und ging. Danach lag ich wieder teilnahmslos da, in der unendlichen Leere.

Während eines weiteren lichten Moments nahm ich dieselbe Frau erneut neben meinem Bett wahr, hörte ihre beruhigende Stimme und sah ihr Lächeln. Dabei fiel mir auf, dass sie grüne Kleidung anhatte, die ich irgendwo schon einmal gesehen hatte, aber wo? Wiederholt beugte sie sich über mich, riss mir ein Pflaster vom Hals und saugte Flüssigkeit mithilfe eines Plastikröhrchens ab. Als sie damit fertig war, beobachtete ich, wie sie das Plastikröhrchen, welches an einem Schlauch befestigt war, in einen Apparat steckte. Endlich begriff ich, dass ich in einem Krankenhausbett lag und die Frau eine Krankenschwester war. Vielleicht assoziierte ich mit den zischelnden Geräuschen und dem Plastikröhrchen Erinnerungen an vergangene Zahnarztbesuche. Diese ernüchternde Erkenntnis drang jedoch nur langsam zu mir durch und verunsicherte mich. Das alles wurde mir zu viel, ich schaltete ab und starrte die weiße Wand an.

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15. November 2019

'Ratte Prinz im Weihnachtsbaum' von Annette Paul und Krisi Sz.-Pöhls

Kindle | Tolino | Taschenbuch
Website Annette Paul
Ich bin Prinz, eine kleine sprechende Ratte. Und ich lebe freiwillig bei Rapunzel und ihrer Familie. Momentan sind meine Menschen besonders schrecklich. Das liegt wohl an der Weihnachtszeit. Alle haben so viel zu tun. Sie malen, basteln und backen. Außerdem machen sie ständig Krach. Schließlich ist die Mutter Sängerin und jedes Kind spielt zwei Instrumente.

Seit Tagen versuche ich Rapunzel zu überreden, mich zur Schule mitzunehmen. Ich möchte unbedingt ihre Freunde und Lehrer kennenlernen. Außerdem zerbreche ich mir den Kopf, was kann ich meiner Freundin schenken?

Leseprobe:
Seit Tagen tuscheln die Großen miteinander. Was die wohl haben? Selbst wenn ich meine Ohren spitze, höre ich nichts. Dabei besitze ich ein viel feineres Gehör als die Menschen.
Einmal schnappe ich etwas wie Überraschung und Geschenke auf. Doch dann bemerkt Schneeweißchen, die große Schwester meiner Prinzessin, dass Rapunzel und ich in der Nähe sind und zischt: „Pst“. Danach ist kein Wort mehr zu verstehen. So eine Gemeinheit, als ob ich etwas verraten würde! Für wen halten die mich? Ich bin der beste Geheimnisbewahrer der Familie!
Rapunzel kommt mittags mit klebrigen Fingern aus der Schule. Sie ist sechs Jahre alt und geht in die erste Klasse. Vor ein paar Monaten hat sie mir das Leben gerettet und mich mit einem Schal aus einem Kanal gezogen, sonst wäre ich ertrunken. Deshalb nennen ihre Geschwister sie jetzt Rapunzel, nach der Prinzessin aus dem Märchen, das den Prinzen an ihrem Haar hochklettern ließ. Ich bin eine kleine goldfarbene Ratte aus königlicher Familie. Eine alte Prophezeiung sagt, dass wir einst verhext wurden. Deshalb können wir uns mit den Menschen in ihrer Sprache unterhalten. Erst wenn der auserwählte Prinz eine liebende Prinzessin findet, werden wir erlöst. Deshalb bleibe ich bei Rapunzel, auch wenn es noch lange dauern wird, bis sie erwachsen ist und mich heiraten kann.
„Nimmst du mich morgen mit zur Schule?“, frage ich am Abend, als sie ihren Schlafanzug anzieht.
„Nein, das geht nicht.“
„Warum nicht? Ich bleibe im Ranzen und bin ganz leise“, verspreche ich.
Rapunzel lacht nur.
„Wenn du mich hierlässt, ärgere ich deinen Vater“, drohe ich.
Sie schüttelt den Kopf, dann schlüpft sie unter die Decke und nimmt sich ein Buch. Sie darf jeden Abend zwei Seiten lesen, bevor sie schlafen soll.
„Ich nage in der Vorratskammer alle Lebensmittel an.“ Irgendwie muss ich sie doch herumbekommen.
Aber sie antwortet gar nicht mehr, so vertieft ist sie in ihr Buch.

Wenn sie mich schon allein lassen, muss ich halt jede Gelegenheit nutzen, um einen Spaziergang zu machen. Am nächsten Morgen herrscht wie üblich Lärm und Unruhe. Rapunzel kommt noch einmal in das Zimmer um ihren Turnbeutel zu holen.
„Rapunzel, beeile dich, sonst kommst du zu spät“, ruft Nachtigall.
„Prinz braucht Wasser.“
„Das mache ich, mit dem Fahrrad bin ich schneller in der Schule.“ Zorro, der zweitälteste der Geschwister, schiebt Rapunzel samt Turnbeutel aus dem Zimmer. Dann beugt er sich zu mir herunter, schüttet etwas Futter in den Napf und holt aus dem Badezimmer frisches Wasser. Dabei hakt er meine Käfigtür nicht richtig ein. Sobald Ruhe einkehrt, klettere ich raus und springe die Treppe hinunter. Ich habe Glück, die Wohnzimmertür steht offen. Normalerweise ist sie geschlossen. Ich schlüpfe hinein und sehe mich gründlich um. „Ihr dürft nur zum Klavierspielen ins Wohnzimmer oder wenn wir dabei sind!“, hat Nachtigall bestimmt. Nachtigall ist Rapunzels Mutter. Sie wird so genannt, weil sie Sängerin ist und schön wie eine Nachtigall singt.
Im Wohnzimmer stehen ganz viele Bücher im Regal. Und auf einem Tisch neben dem Klavier stapeln sich Noten. Bergeweise. Wer soll das bloß alles spielen? Ich schaue es mir an. Obenauf liegen Stücke von Beethoven. Dabei klimpert hier niemand den alten Beethoven. Die Kinder lieben eher Schlager und selbst Nachtigall bevorzugt modernere Stücke.
An der Wand hängen sehr bunte Bilder. Sicher stammen sie von Picasso. Nicht dem berühmten Maler, der vor vielen Jahren gelebt hat, sondern Rapunzels Vater. Der versucht nämlich, mit seiner Kleckserei Geld zu verdienen. Die Kinder nennen ihn deshalb respektlos Picasso. Seine Bilder sehen wirklich so ähnlich aus wie bei dem großen Künstler. Lauter Farbspritzer, untern denen man sich nichts vorstellen kann. Vor einiger Zeit konnte man wenigstens noch ein paar verzehrte Gesichter erkennen, aber momentan sind es nur Striche, Vierecke, Kreise und Punkte.
In einer Ecke stehen ein Computer und ein Fernsehgerät. Die Kinder dürfen nur selten fernsehen, sie sollen nämlich lieber auf ihren Musikinstrumenten Krach machen. Wie gut, dass wir in einem alten Haus mit einem großen Garten wohnen. Dadurch leiden die Nachbarn nicht so sehr unter dem Lärm. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob nicht die Angst, dass der alte Fernseher ganz kaputt geht, eher der Grund für das Verbot ist.
Gerade als ich es mir auf der Sofalehne gemütlich machen will, höre ich Schritte näherkommen. Vorsichtshalber springe ich auf den Tischen nebenan und verstecke mich unter einem Notenheft.

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13. November 2019

'In ständiger Angst' von Janette John

Kindle (unlimited) | Taschenbuch
Website Janette John | Autorenseite im Blog
»Wer das Leben fürchtet, wird sich nie am Schönen freuen.« Janette John

Angenommen DU hast zwei Möglichkeiten,
Für welche entscheidest DU dich?
Die des Lachens oder die des Weinens?


Er ist smart, ruhig und sieht gut aus. Doch hinter der Fassade des seriösen Geschäftsmannes verbirgt sich die Fratze des Teufels. Jeder, der sich ihm anvertraut wird gestalkt. Denn von seiner inneren Leere hat niemand Kenntnis, nicht einmal die eigene Frau, die er ebenso auf Schritt und Tritt verfolgt und der er das Leben damit zur Hölle macht.

Und dann ist da dieses Geheimnis, das er in sich trägt und das ihn antreibt und auf brutale Weise wie ein Tier handeln lässt. Je mehr sich die Kripo Bodensee mit ihm befasst, desto grausamer wird die Realität, die seine Gier erst ermöglicht.

Der 11. Fall der Kripo Bodensee.

Link zur Leseprobe

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12. November 2019

'Tom Dugan Box Set: Drei Thriller in voller Länge' von R.E. McDermott

Kindle (unlimited)
Spannung pur und ein außergewöhnlicher Preis machen dies zu einem unschlagbaren Angebot:

Ein widerwilliger CIA-Agent mit einer belasteten Vergangenheit ...
... gegen seinen Willen an die vorderste Front katapultiert.


Als die CIA einen Sündenbock braucht, ist Dugan ihr Mann. Verlassen von denen, denen er vertraute, und ohne greifbaren Ausweg, macht er es sich zur Aufgabe, die Missetäter, die sein Leben ruinierten, aufzuhalten, bevor sie anderen das Gleiche antun können.

Von brutalen Menschenhändlern über gewissenlose Auftragsmörder bis hin zu komplizierten Verschwörungen, die die Weltordnung zu verändern suchen … Dugan muss diejenigen, die ihn tot sehen wollen, überlisten, während er gleichzeitig gezwungen wird, gegen übermächtige Widrigkeiten anzukämpfen. Kann er seinen Namen von einem Verbrechen reinwaschen, das er nicht begangen hat, bevor seine Feinde die Straße mit seinem Blut rot färben?

Drei herausragende Romane voller Intrige und atemloser Spannung von Meistererzähler R.E. McDermott garantieren Stunden sich rasend schnell entwickelnder Action und Unterhaltung.

Die Bücher:
Tödliche Passage (Buch 1)

Wir sind von Massenvernichtungswaffen umgeben. Sie sind überall, solange man nur weiß, wo man hinsehen muss. Eine Waffe am richtigen Ort kann die Welt in die Knie zwingen. Als eine Gruppe internationaler Terroristen die Durchführung nicht nur eines, sondern gleich dreier Terrorakte plant, erkennt allein Tom Dugan, ehemaliger Teilzeitspion und mittlerweile CIA-Sündenbock, die Gefahr.
Aber niemand hört ihm zu. Alle sind zu sehr mit dem Versuch beschäftigt, ihn aus dem Weg zu räumen.
Tödliche Passage verspricht ununterbrochene Spannung von den Straßen Londons über die Docks von Singapur hinweg auf die Decks der Tanker, die den Durst der Welt nach Öl löschen - mit Zwischenstationen in Panama, Langley, Virginia und Teheran. Gespickt mit reichen Details aus der dreißigjährigen Berufserfahrung, die sich der Autor weltweit im Segeln, Bauen und Reparieren von Schiffen angeeignet hat, ist dieser Roman in den Worten einer Leserrezension: „Atemberaubend, mehrschichtig und fesselnd“.

Tödliche Küste (Buch 2)

Kaum hat Tom Dugan sein Leben wieder unter Kontrolle und sich zu einer Partnerschaft im Unternehmen seines Freundes Alex Kairouz bereiterklärt, als eines ihrer Schiffe von mordgierigen somalischen Piraten entführt wird.
Aufgrund einer möglichen Verbindung zwischen Akten der Piraterie und dem Terrorismus, brechen sowohl die Regierung Großbritanniens als auch die amerikanische Regierung die Verhandlungen um die Freilassung der Geiseln ab. Ein frustrierter Dugan weigert sich, den Richtlinien der Behörden zu folgen und nimmt die Sache selbst in die Hand. Aber seine schnell zusammengeschusterte Rettungsoperation stolpert über einen über die reine Piraterie hinausgehenden, weit bösartigeren Plan – die geheime Bergungsaktion einer längst verloren geglaubten Massenvernichtungswaffe. Mit einem Mal stellen Dugan und seine kleine Gruppe bunt zusammengewürfelter Freiwilliger die letzte Linie der Verteidigung zwischen der Welt, wie wir sie kennen, und einer furchterregenden Biowaffe dar.
In Tödliche Küste transferiert die Einbindung historischer Tatsachen in die spekulative Fantasie des Autors den Leser über die Chefetage eines Londoner Unternehmens hinaus in die realistisch existierende Welt der modernen Piraterie – und der ihrer Opfer.

Tödliche Überfahrt (Buch 3)

Den Handel mit Menschen gibt es überall. Sobald aber die, die Tom Dugan nahestehen, betroffen sind, teilen er und seine Freunde ihr eigenes Maß an Gerechtigkeit aus.
Monate sind vergangen und das Leben ist in jeder Hinsicht lebenswert, als Dugan zusammen mit der Frau, die er liebt, die Straßen Londons in einem Taxi durchfährt. Dann aber alarmiert ihn das Klingeln des Telefons vom Eintreffen seiner beiden russischen Freunde, die ein enormes Problem haben.
Dugans Versuche, seinen Freunden bei der Befreiung eines russischen Mädchens aus den Klauen der russischen Mafia zu helfen, stürzt ihn in eine Welt, die er sich so kaum vorstellen konnte, und die sowohl ihn selbst, als auch alle, an denen ihm etwas liegt, in Gefahr bringt. Es ist eine Welt moderner Sklaverei voll unaussprechlicher Grausamkeit – es sei denn, Dugan meistert eine Tödliche Überfahrt.

Im Kindle-Shop: Tom Dugan Box Set: Drei Thriller in voller Länge.
Mehr über und von R.E. McDermott auf der Website seiner Übersetzerin.

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'Mord & Kaffee schwarz: Paula Anders' zweiter Fall' von Klaudia Zotzmann-Koch

Kindle | Tolino | Taschenbuch
Website Klaudia Zotzmann-Koch
Paula Anders' zweiter Fall

Eine Vernissage im Derneburger Glashaus findet ein jähes Ende, als das Oberhaupt der Hildesheimer Künstlergilde tot im nahen Weiher treibt. Durch ihre Verbindung zum Opfer gerät Paula ins Fadenkreuz der Ermittlungen. Doch als plötzlich Paulas Nichte Susi verschwindet, offenbart sich erst das ganze Ausmaß der Verbrechen.

Hier entlang zu Paula Anders' erstem Fall Anders' erstem Fall

Leseprobe:
Leise wurde die Tür aufgeschoben, diffuses Licht warf Schatten in merkwürdigen geometrischen Mustern auf verstreut liegende Gegenstände. Tuben, Werkzeuge, Stifte, Pinsel. Eine Werkstatt. Eine Staffelei und aneinandergereiht stehende Keilrahmen – eine Werkstatt, ein nächtliches Atelier. Es roch nach frischen Ölfarben und einer heruntergebrannten Kerze, die den kleinen Raum bis vor Kurzem mit goldgelbem Licht erfüllt haben musste. Ein tiefer Atemzug war zu hören. Ein zweiter. Jemand schlief, den Kopf auf die Hände gelegt, auf der Kante eines klapprig wirkenden Tisches. Die hinter dem Schläfer stehende Gestalt zog einen langen Gegenstand aus einer Tasche der eng anliegenden schwarzen Softshelljacke. Eine lange, schmale Klinge glänzte verschwörerisch im schwachen Licht, das durch die lange Fensterfront und das Dachflächenfenster hereinfiel. Tagsüber war der Raum lichtdurchflutet und sicher ein Traum für kreatives Arbeiten. Doch in einer mondlosen Nacht und mit all den Büschen und Bäumen, die das Licht der nächsten Straßenlaterne nahezu erfolgreich von hier fernhielten, konnte man mit etwas Glück gerade noch die eigene Hand schemenhaft erkennen. Nach einer Weile gewöhnten sich die Augen an die Dunkelheit. Die Bewegung war schnell und fließend, als der Kopf des Schlafenden an den Haaren hochgerissen wurde und das Messer mit einer kraftvollen Geste seinen Weg durch die Kehle des Opfers fand. Ein furchtbares, röchelnd-blubberndes Geräusch erfüllte den Raum, Dinge fielen zu Boden, herabgewischt von Armen, die nach dem Leben griffen. Irgendwo zersprang Glas. Der Geruch von Terpentin stieg auf. Mit der Eleganz eines Mehlsacks sank der leblose Körper zu Boden, das Röcheln wurde leiser und erstarb. Ein dunkler See kroch über den Linoleumboden, saugte sich in farbgetränkte Tücher und handbeschriebenes Papier. Ein weiteres Tuch gesellte sich dazu, herabgeworfen, nachdem die überlange Klinge das auskühlende Blut daran abgegeben hatte. Und dann begann das Spiel.

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11. November 2019

'Zwillinge in Dur und Moll' von Brigitte Teufl-Heimhilcher

Kindle | Tolino | Taschenbuch
Website Brigitte Teufl-Heimhilcher
Autorenseite im Blog
Veränderung ist am Anfang schwer, chaotisch in der Mitte, aber am Ende einfach großartig! (unbekannter Verfasser)

Roswitha und Vicky sind Zwillingsschwestern, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten.

Vicky, lebensfroh und tatkräftig, ist eine erfolgreiche Geschäftsfrau, und obwohl sie erst vor Kurzem ihren Mann verloren hat, sieht sie vertrauensvoll in die Zukunft. Roswitha hat scheinbar alles, um glücklich zu sein - ein großes Haus, Familie und einen Job in der Firma ihres Mannes.

Ein Schicksalsschlag führt die beiden nach langer Zeit wieder zusammen. Vicky stellt bald fest, dass ihre Schwester mit ihrem Leben unzufrieden ist. Sie versucht herauszufinden, woran das liegen könnte und macht dabei ganz erstaunliche Entdeckungen, die das Leben aller Beteiligten drastisch verändern - auch das ihre.

Leseprobe:
Als Vicky Stunden später das Haus der Leitners betrat, fühlte sie sich beschwingt und ein klein wenig beschwipst.
Roswitha kam aus der Küche und empfing sie mit den Worten: „Da bist du ja endlich! Ich habe mir schon Sorgen gemacht.“
Das war jetzt nicht ganz das, was Vicky hatte hören wollen, dennoch zwang sie sich zu einem Lächeln und antwortete fröhlich: „Du glaubst nicht, wen ich heute Mittag in der Annagasse getroffen habe.“
„In der Annagasse? Philipp Schmand vielleicht? Der hat dort seine Praxis, besser gesagt sein Institut.“
„Stimmt! Woher weißt du das?“
Roswitha machte kehrt und ging in die Küche zurück. Vicky folgte ihr. „Das hast du mir gar nicht erzählt, als wir uns letztens über unsere alte Clique unterhalten haben.“
„Dann hab ich’s wohl vergessen“, entgegnete Roswitha und wandte sich wieder ihrem Salat zu.
„Er ist ein gutaussehender Mann geworden, findest du nicht?“
„Na ja, hässlich war er nie.“
„Stimmt. Dann weißt du vielleicht auch, dass er geschieden ist.“
Um ein Haar hätte sich Roswitha in den Finger geschnitten, ehe sie sagte: „Wir können gleich essen. Es gibt griechischen Salat. Magst du ein Glas Retsina dazu?“
„Ich glaube, es ist besser, wenn ich mich vorerst ans Wasser halte. Aber jetzt sag schon, wann und wo hast du Philipp denn getroffen?“
„Ach, das ist auch schon wieder eine Ewigkeit her. Jedenfalls war er noch verheiratet. Magst du Knoblauchbrot zum Salat?“
„Gerne, ich hab‘ ja heute nichts mehr vor. Aber für nächste Woche habe ich mich mit Philipp zum Abendessen verabredet. Komm doch mit, er freut sich bestimmt, uns beide zu sehen.“
„Bist du sicher?“
„Ja klar, darüber reden wir noch“, meinte Vicky, pickte eine Olive aus dem Glas und machte sich auf den Weg in ihr Zimmer. Sie war vielleicht ein klein wenig beschwipst, aber nicht so sehr, dass ihr nicht aufgefallen wäre, dass Roswitha nicht über Philipp Schmand reden wollte. Vielleicht war sie als Patientin bei ihm gewesen. Möglich wär’s. Philipp war Psychologe und Psychotherapeut. Es erklärte auch, warum er ebenfalls so getan hatte, als hätte er Roswitha seit dem Maturaball nicht mehr gesehen.

Im Kindle-Shop: Zwillinge in Dur und Moll.
Für Tolino: Buch bei Thalia
Mehr über und von Brigitte Teufl-Heimhilcher auf ihrer Website.

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8. November 2019

'Weihnachtsfrauen küssen besser' von Marit Bernson

Kindle (unlimited) | Taschenbuch
Website Marit Bernson | Autorenseite im Blog
Julia hat einen Job als Weihnachtsfrau in einem Kaufhaus ergattert - obwohl sie sich als Elfe beworben hatte. Doch in ihrem Zustand, krank und übernächtigt, schien sie dem Personalchef nicht "geeignet". Auf dem Weg nach Hause wird sie auch noch beinahe von einem Auto angefahren und der Fahrer bekommt ihren ganzen Frust ab.

Der stellt sich später als der attraktive Besitzer des Kaufhauses heraus, erkennt Julia aber nicht in ihrem Fatsuit und mit der graugelockten Perücke. Jetzt muss Julia dafür sorgen, dass es so bleibt, damit sie den Job behält.

Doch Mister Kaufhaus scheint auch in ihrer unvorteilhaften Aufmachung Gefallen an Julia zu finden.

Leseprobe:
»Lass uns einander besser kennenlernen«, schlug er vor. »Gleich jetzt.«
Julia schnaubte. »Erzählen wir uns jetzt unsere Lebensgeschichten?«
»Nein.« Henning schüttelte sich. »Doch nicht gleich so etwas Kompliziertes. Ich habe eine bessere Idee. Wenn ich etwas einordnen möchte, Dinge, dann überlege ich mir drei Sachen, die ich an diesem Ding mag, und drei, die ich nicht mag.«
Julia zog die Augenbrauen hoch.
»Die Dinge, die jemand dann nennt, sagen viel über den Menschen aus«, erklärte er weiter. »Manchmal alles, was man wissen muss.«
Julia atmete übertrieben laut aus. »Und ich dachte schon, ich soll drei Dinge sagen, die ich an dir mag. Oder an mir.«
Henning schüttelte mit ernstem Gesicht den Kopf. »Dafür kennen wir uns nicht genug. Das wäre schon etwas für Fortgeschrittene. Wir beginnen mit etwas Leichtem. Filme. Deine drei Lieblingsfilme.«
»Filme? Das soll ein leichtes Thema sein?« Julia schüttelte heftig den Kopf. »Ich kenne kaum ein Thema, bei dem man mehr streiten kann. Was, wenn ich A Star is born sage? Dann sind wir automatisch bei der Debatte darüber, welche Verfilmung die einzig wahre ist. Judy, Barbara oder Lady Gaga?«
»Und was ist mit Janet?« Ein Flackern ging durch Hennings Augen.
Julia beugte sich zurück und verschränkte die Arme.
»Ich verstehe«, sagte er. »Das war eine Fangfrage. Und die Antwort ist ganz klar.«
Julia musste lächeln. Sie wusste, was er sagen würde.
»Sie sind alle vier großartig«, sagte sie zeitgleich mit ihm.
Dann grinsten sie sich an.
Julia aß weiter und nickte dann. »Okay. Ich verstehe, was du meinst. Das Thema verbindet …«
»… oder trennt sofort. Dann muss man keine Zeit verschwenden.«
»Leicht ist das Thema trotzdem nicht.«
»Aber effektiv. Und leicht deshalb, weil es einem leichter fällt, von jemandem abzulassen, bei dem man sofort feststellt, dass er einen miesen Filmgeschmack hat.« Er beugte sich vor und schaute Julia direkt in die Augen.
Sie konnte ihren Blick nicht von seinem lösen. Was passierte hier gerade? Bei seinen Worten von jemandem ablassen war ein merkwürdiges Klopfen durch ihre Körpermitte gefahren und breitete sich immer weiter aus, wandelte sich zu einem Kribbeln in den Armen und Beinen. Meinte er es so, wie sie es verstand? Nicht möglich!
»Vier«, stammelte sie.
Sofort veränderte sich sein Blick, als habe dieses eine Wort ihn von irgendwo weit her zurückgeholt.
»Wie bitte?«, fragte er.
Julia räusperte sich und sprach erst weiter, als sie sich halbwegs sicher war, mehr als ein Stammeln oder Stottern hervorzubringen. Dass er sie so aus der Fassung bringen konnte.
»Du wolltest drei Lieblingsfilme wissen. Ich habe dir vier genannt. Alle vier sind großartig – jetzt haben wir Streit.« Julia war fast stolz, dass ihr das so souverän über die Lippen gekommen war. Hätte sie selbst nicht gedacht.
Henning kniff die Augen zusammen und nickte. »Du hast völlig Recht. Das Thema verkompliziert sich. Es sei denn, man unterteilt noch mal …«
»Musikfilme und Filme über Schauspieler? Sehr clever.«
»Dann würde ich sagen, dass wir die erste Hürde des Kennenlernens überwunden haben.«

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'Ratte Prinz' von Annette Paul und Krisi Sz.-Pöhls

Kindle | Tolino | Taschenbuch
Website Annette Paul
Ich bin eine goldfarbene Ratte aus königlichem Geschlecht. Einer alten Prophezeiung nach bin ich ein verwunschener Prinz. Weil ich mich langweile, mache ich mich auf die Suche nach der Prinzessin, die mich erlösen soll.

Dabei gerate ich in ein Unwetter und werde in einen Kanal gespült. Da ich an den glatten Wänden nicht hochklettern kann, bin ich kurz vor dem Ertrinken. Zum Glück kommt das kleine Mädchen Raja vorbei und rettet mich. Allerdings erst, nachdem ich ihr versprochen habe, sie zur Prinzessin zu machen. Seitdem lebe ich in dieser verrückten Großfamilie. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, alle zurechtzubiegen und erlöst zu werden.

Leseprobe:
Schnell husche ich über den Weg. Das Wasser reicht mir bis zum Bauch. Nicht so schlimm, ich schwimme wie ein Weltmeister. In der Mitte der Straße ragt nur mein Kopf heraus, also paddle ich gelassen weiter. Die Strömung wird immer stärker. Wahre Sturzbäche überschwemmen alles. Im Straßengraben reißt mich die starke Strömung fort. Ich finde keinen Grund unter den Füßen. In einer Affengeschwindigkeit werde ich mit Schlamm, Dreck und Treibgut weggespült. Obwohl ich mit aller Kraft arbeite, schaffe ich es nicht, aus der Strömung herauszukommen. Mir bleibt nichts weiter übrig, als den Kopf über Wasser zu halten und auf eine gute Gelegenheit zu warten. Doch die ergibt sich nicht.
Wie ein Korken schleudere ich in eine Röhre hinein und stürze anschließend in einem Wasserfall hinab. Als ich unten wieder auftauche, bin ich ganz benommen. Erst nach einer Weile bemerke ich, dass der Sog nachgelassen hat. Ich bin in einem Kanal gelandet. Ich schwimme an den Rand, doch der hat überall nur glatte Wände. Es gibt keine Stelle, an der meine Krallen Halt finden. Und so schwimme ich herum, ohne einen Ausweg zu entdecken. Ich tauche und suche unter Wasser einen Abfluss, aber auch den gibt es nicht. Ich bin gefangen. Nicht einmal ein Stückchen Holz entdecke ich, auf das ich hinaufklettern könnte.
Erst paddele ich noch ganz entspannt herum. So ausgiebig habe ich lange nicht mehr gebadet. Mit der Zeit aber werden meine Beine müde. Stundenlang schwimme ich herum. Ich friere und meine Muskeln schmerzen. Schließlich wird es dunkel. Meine Kraft lässt nach und ich verzweifle immer mehr.
Endlich höre ich Schritte näherkommen. Das muss ein kleiner Mensch sein, so leicht wie sie klingen. Tatsächlich bleibt ein Kind am Rand des Kanals stehen. Soll ich um Hilfe rufen? Wird es mir helfen? Mein Herz klopft. Da ich nichts zu verlieren habe, rufe ich ganz laut: „Hilfe, ich ertrinke.“
Das Kind bleibt stehen.
„Ich komme hier nicht allein heraus.“
Das Kind dreht sich suchend um, entdeckt mich aber nicht.
„Ich bin im Kanal gefangen.“
„Hallo! Ist hier jemand?“ Das Kind dreht sich um, dann läuft es ein Stückchen am Kanal entlang.
„Lege bitte einen Ast von der Kante ins Wasser, dann kann ich hochklettern“, schreie ich, schon ganz verzweifelt. Hoffentlich macht es das, was ich sage.
Jetzt kniet es sich am Rand hin und schaut ins Wasser.
„Genau, hier unten“, rufe ich.
Das Mädchen lacht. „Du kannst sprechen?“
„Hilfe! Rette mich! Ich bin ein verwunschener Prinz, zum Dank werde ich dich heiraten und zu meiner Königin machen.“
Endlich schaut sich das Kind suchend um. Kann es sich nicht beeilen? Sonst ertrinke ich, bevor es einen Ast hinunterwirft. Schließlich wickelt es seinen Schal ab und hält ihn zu mir hinunter.
Ich schwimme hin und klettere mit letzter Kraft hinauf. Erschöpft sitze ich mit klopfendem Herzen und atmet tief ein und aus, bis ich endlich wieder sprechen kann. „Danke!“ Eigentlich will ich weghuschen, doch die Kleine ist schneller. Sie schließt ihre Hand und hält mich gefangen.
„Hau nicht einfach ab.“
„Tu ich gar nicht“, verteidige ich mich. Wer weiß, was sie mit mir vorhat.
„Du hast mir versprochen, dass ich Königin werde, wenn ich dich rette. Jetzt musst du dein Versprechen einhalten.“
Ich seufze. Vielleicht hat mein Bruder doch recht, wenn er meint, ich würde immer zu viel erzählen.
„Versprochen ist versprochen!“
Ich nicke ergeben.
„Ich nehme dich mit. Du siehst hübsch aus. Gar nicht wie eine Ratte, die im Dreck lebt.“
Ich hebe empört meinen Kopf hoch. „Ich lebe nicht im Dreck, sondern im Schloss. Ich stamme aus der königlichen Familie.“
„Sag ich doch.“ Die Kleine stopft mich in ihre Tasche. Und da sie trocken und warm und ganz gemütlich ist, beschließe ich, erst einmal zu bleiben. Außerdem habe ich mein Wort gegeben. Vielleicht hat die kleine Retterin eine große Schwester, die mich erlöst und meine Königin wird.
Die Kleine setzt sich in Bewegung und hopst nach Hause. Am Anfang schlägt mir ihr Gehüpfe etwas auf den Magen. Nach einer Weile läuft sie zum Glück gleichmäßiger und ich werde regelrecht in den Schlaf gewiegt.

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'Das Wäldchen: KRIMINAListenROMAN' von Karin Büchel

Kindle | Tolino | Taschenbuch
Website Karin Büchel
Ein Knochenfund in den Siegauen stellt die Beueler Polizei vor ein Rätsel. Untersuchungen der Rechtsmedizin ergeben, dass es sich um menschliche Überreste handelt, die mindestens 20 Jahre alt sind.

Kommissar Willi Wipperfürth verfolgt eine Spur, die ihn zu einem nicht aufgeklärten Vermisstenfall führt. Er setzt alle Hebel in Bewegung, um Licht ins Dunkel zu bringen. Dabei sticht er in ein Wespennest und kann nicht verhindern, dass seine Ermittlungen Einfluss auf sein Privatleben haben.

Als dann auch noch ein alter Freund auftaucht und im Rhein eine Wasserleiche gefunden wird, gerät Wipperfürth an seine Belastungsgrenze.

Leseprobe:
Prolog... vor 27 Jahren an der Bushaltestelle
„Oh, so ein Mist!!“ Nora stampfte wütend mit ihren Füßen auf den Boden. „Hätte der blöde Busfahrer nicht eine Minute warten können?“ Ihre Stimme hallte durch das Dunkel der Nacht.
„So ein Idiot. Der hat uns doch gesehen“, Jenny schnappte nach Luft. „jetzt kommen wir zu spät nach Hause. Mama ist bestimmt total sauer.“
„Ohhh... nee! Der nächste Bus kommt erst in dreißig Minuten. Hoffentlich verbietet uns Mama nicht am Samstag auf die Geburtstagsparty zu gehen. – Hmm, nützt aber nichts. Wir sagen ihr wie es passiert ist. Basta! Schließlich sagt sie immer, wir sollen im Dunkeln nie zu Fuß den Weg durch das Wäldchen gehen. Gerade jetzt, wo der Maskenmann gesucht wird.“
„Ach Nora, dieser Maskenmann ist doch nicht hier. Den sucht die Polizei irgendwo im Ruhrgebiet, in Essen oder Dortmund oder so. Also weit weg. Weißt du was? Wir laufen zusammen ganz schnell durch das kleine Waldstück und sind dann pünktlich zu Hause. Komm schon!“ Jenny fasste Noras Hand und wollte los laufen. „Nein, Jenny. Nein! Ich laufe nicht dadurch. Schau doch wie düster es ist. Richtig unheimlich. Kein bisschen Licht, nur Bäume und Sträucher. Nein! Da vorne ist ein Schatten, eine Person glaube ich. Nein! Ich warte hier auf den Bus.“
„Du Angsthase! Da ist niemand. Uns passiert schon nichts. Wir rennen ganz schnell und sind in fünf Minuten auf der anderen Seite des Wäldchens und da sind auch Straßenlaternen. Komm schon!“ Jenny zog an Noras Hand. „Komm!“
„Nein! Ich habe Angst. Im Übrigen drücken meine Schuhe. Ich kann gar nicht schnell laufen.“
„Mensch Nora! Immer das Gleiche mit dir. Du bist wie Papa. Übervorsichtig! Dann laufe ich alleine und sage Mama, dass du später mit dem Bus kommst.“ Jenny ließ Noras kalte Hand los, hängte sich die Tasche über die Schulter und rannte davon.
Nora hörte ihre schnellen Schritte, die langsam leiser wurden, sah in der Ferne die gelbe Jacke, die allmählich ganz verschwand. Sah die Mondsichel, die spärlich Licht gab und setzte sich auf einen Mauervorsprung. Dort wartete sie auf den Bus. Es war unheimlich. Fremde Geräusche aus dem nahegelegenen Wald drangen an ihre Ohren. Machten ihr Angst. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals und ihre Finger zitterten.
Jenny erreichte keuchend die Haustür und wurde bereits von Mama erwartet. „Da seid ihr ja. Pünktlich wie immer. Wo ist denn Nora?“
Jenny druckste herum, schaute auf den Boden. „Die kommt mit dem Bus!“
„Was? ... Und du? Du bist alleine durch das Waldstück gelaufen? Alleine! Verdammt, Jenny, ich habe es euch verboten. Verboten! Hast du das denn nicht verstanden?“
„Doch!“, Jenny nickte wortlos, zog ihre Schuhe schweigend aus und ging bedrückt in die Wohnstube.
„Ich weiß“, ihre Stimme war leise. Mama hatte ja recht, dachte sie. „Es tut mir leid, Mama.“
„Du wartest hier und ich laufe jetzt Nora entgegen. Wenn wir zurück sind, reden wir weiter.“
Mama warf sich ihre Strickjacke über die Schulter, schlüpfte hastig in ihre Schuhe, nahm die kleine Taschenlampe, die auf dem Schuhregal lag und warf die Haustür hinter sich zu. Jenny war alleine.
Sie wartete ...
Mama kam irgendwann keuchend und schweißgebadet zurück. Sie zitterte am ganzen Körper. Ihr Gesicht war fahl und verschwitzt.
Nora kam nie zu Hause an!

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