31. Mai 2014

"Fesselnde Entscheidung" von Alissa Sterne

Ein deutsches Pharmaunternehmen kämpft ums Überleben. Gerade als ein absolut geheimes, menschenverachtendes Projekt zur Erprobung eines Impfstoffes gegen eine todbringende Krankheit ins Leben gerufen werden soll, wird die Tochter des Firmeninhabers entführt. Auf der Flucht trifft sie eine folgenschwere Entscheidung und lernt einen Mann kennen, der eine starke Sehnsucht in ihr entfesselt … mit katastrophalen Konsequenzen.

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Leseprobe:
Es roch modrig und war kalt. Eiskalt. Irgendwo tropfte Wasser. Alle vier Sekunden verloren Wassermoleküle ihren Kampf gegen die Schwerkraft und fielen im freien Fall ins Ungewisse. Sie zählte die Tropfen. Das war ihre Art sich zu beruhigen. Bei 503 hörte sie auf einmal auf. Sie versuchte sich ein wenig zu strecken. Aber es gelang ihr nicht. Ihre Hände waren fest auf ihrem Rücken gefesselt. Jede Bewegung verursachte unvorstellbare Schmerzen, die Riemen hatten sich tief in ihre Haut gegraben. Mit ihren nackten Füßen saß sie auf dem kalten Boden an die Wand gelehnt und versuchte nicht durchzudrehen. Vier oder fünf heftige Panikattacken hatte sie schon hinter sich gebracht. Völlig verzweifelt stellte sie jedes Mal fest, dass die Heulkrämpfe und verzweifelten Versuche, sich aus ihrer misslichen Lage zu befreien, nicht halfen. Im Gegenteil: Die Fesseln schienen statt lockerer immer fester zu werden und ihre vom Knebel eingerissenen Mundwinkel brannten wie Feuer.
Immer und immer wieder ging sie den vergangenen Abend durch. Sie war auf dem Nachhauseweg, als …. Plötzlich hörte sie Schritte. Er kam zurück!
Atemloses Entsetzen lähmte sie für Sekunden. Ihr Herz raste. Voller Panik atmete sie immer schneller, immer flacher. Blitzartig bildete sich kalter, nasser Schweiß auf ihrer Stirn und ihrem Rücken.
Ein Schlüssel wurde in das Schloss gesteckt und zweimal umgedreht.
Instinktiv schob sie sich mit den Füßen in die hinterste Ecke des Raums. Panikartig versuchte sie sich aufzurichten, Tränen liefen ihr über das Gesicht. Sie wollte schreien. Aber zu hören war nur ein gurgelndes Keuchen.
Erst mit einem kräftigen Druck sprang die Tür knarrend auf.
Er trat ein und stand mit einer rostigen Säge in der Hand vor ihr.
Sie wünschte sich schon tot zu sein.

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30. Mai 2014

"Juli.Mord.: Sylt-Krimi" von Bodo Manstein

Am Westerländer Strand wird eine junge Frau tot aufgefunden. Robert Benning, Inselmaler und freier Journalist, erhält den Auftrag über den Fall zu berichten. Zusammen mit seinem Freund, Hauptkommissar Hinrichs, stößt er schon bald auf weitere ungeklärte Mordfälle in Norddeutschland. - Sind sie etwa einem Serienmörder auf die Spur gekommen?

Dann erhält Benning eine Nachricht aus der Vergangenheit, die auf merkwürdige Weise mit den Morden in Verbindung zu stehen scheint. Und auf einmal bekommt der Fall eine bedrohliche Nähe. Benning steht plötzlich inmitten einer tödlichen Geschichte, über die er eigentlich nur berichten wollte.

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Leseprobe:
So, habt ihr sie also gefunden! Aufmerksam las der mittelgroße Mann, der sich lässig auf einen Stehtisch vor der Arko-Filiale stützte, über einen Mord am Sylter Weststrand. '...Wie die Polizei mitteilte, wurde am frühen Sonntagmorgen eine junge Frau in Höhe der Nordseeklinik tot am Strand aufgefunden. Nach ersten Ermittlungen wurde die Tote, deren Identität bei Redaktionsschluss noch nicht bekannt war, offensichtlich ermordet. Als Todeszeitpunkt wird derzeit von einem Zeitraum zwischen Samstagabend, 23 Uhr und Sonntagmorgen 1 Uhr ausgegangen.'
»Ziemlich dicht dran«, bemerkte der sportlich gekleidete Anfangfünfziger leise. Mit einem wissenden Lächeln schielte er zu einem älteren Ehepaar am Nachbartisch, das sich mit rheinischem Dialekt lautstark über die ihrer Meinung nach in diesem Jahr mal wieder viel zu hohe Kurtaxe unterhielt.
'... Sachdienliche Hinweise nimmt die Polizei Westerland oder jede andere Polizeidienststelle entgegen.' Sichtlich amüsiert legte der Mann die an einem hölzernen Zeitungshalter befestigte Gazette vor sich auf den Tisch und schaute mit überheblichem Blick in die Runde. Doch niemand nahm Notiz von ihm.
Eure Suche nach Hinweisen könnt ihr euch sparen, dachte er. Bisher habt ihr mich nicht gekriegt und daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern. Er war eben einfach zu clever. Was sollte man auch sonst von jemandem erwarten, der in den letzten zwanzig Jahren nach eigenem Gusto über Leben und Tod entschieden hatte? So wie gestern. Doreen hatte jemanden gesucht, der ihr die große weite Welt der Reichen und Schönen zeigen würde. Und zu ihrem Glück hatte sie ihn gefunden. Es musste doch ein Glück sein, für einen, wenn auch nur kurzen Moment, diesen Traum leben dürfen.
Oh, wie hatte sie diesen Abend genossen: Champagner in Kampen, danach edle Köstlichkeiten in der Sansibar. Versonnen blickte er vor sich hin. Und wenn es am schönsten ist, dachte er, soll man ja bekanntlich gehen. Und Doreen war gegangen. Mit seiner Hilfe. Gegangen in eine Welt ohne Enttäuschungen und ohne falsche Illusionen. Doreens selbst ernannter Erlöser richtete sich auf und genoss dieses, wie er persönlich fand, viel zu seltene Gefühl der Überlegenheit und Stärke. All die ganzen Durchschnittsbürger, in ihren geschmacklosen Hawaihemden, mit billigen Strohhüten und Plagiaten teurer Sonnenbrillen auf der Nase, die sich direkt vor ihm die Friedrichsstraße in Richtung Strand schoben, lösten in ihm Ekel und tiefste Verachtung aus. Immer auf der Suche nach dem ultimativen Urlaubskick zertrampelten sie Jahr für Jahr die spärlichen Reste norddeutscher Kultur. Die Steigerung waren im Grunde nur noch alkoholgefüllte Plastikeimer, aus denen meterlange Strohhalme ragten ...
Er warf einen Blick auf seine Uhr und stand auf. Den Zehneuroschein, den er auf den Tisch legte, war, wie er fand, auch für Sylter Verhältnisse einem Cappuccino einschließlich Trinkgeld angemessen. Der Mann schlenderte in die Mitte der Westerländer Fußgängerzone, wo er wie ein Fels in der Brandung stehen blieb. Ein Pulk von Tagestouristen, die soeben mit dem Zug aus Hamburg eingetroffen sein mussten, zog eilig an ihm vorbei.

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27. Mai 2014

"Das Ende der Weltmafia" von Rolf Nagel

Der Autor war Jahrzehnte lang als Topmanager in der internationalen Finanzwelt tätig. Als Geschäftsführer einer der ersten deutschen Risikokapitalgesellschaften, die sich bei Unternehmen aus der Softwarewelt engagierte, erhielt er später tiefe Einblicke in die Finanzströme der weltweit agierenden Unternehmensbeteiligungsbanken. Unweigerlich und beinahe zwangsweise kam er bei diesen Geschäften in Kontakt mit dubiosen Persönlichkeiten. Dabei ist es äußerst ratsam, sich in dieser Schattenwelt nicht persönlich zu verstricken. Über einige Jahre hinweg entwickelte sich beim Autor der Gedanke, einen Kriminalroman über die Organisation der internationalen Mafia zu schreiben.

Eigene wirtschaftliche Erfahrungen sollten in die Geschichte einfließen. Der Roman erhebt keinen Anspruch auf wissenschaftliche Recherche und Genauigkeit, sondern soll den Eindruck des Autors wiedergeben. Häufig erlebte der Autor beim eigenen Bücherstudium, dass er aus zeitlichen Gründen eine Geschichte nicht von Anfang bis Ende lesen konnte. Beim Neubeginn musste er jeweils einige Abschnitte nochmals lesen, um der Geschichte folgen zu können. Dieser Roman soll dem entgegenwirken und eine leichte Lektüre darstellen, die mit ins sich geschlossen Kapiteln einen abschnittweisen Wiedereinstieg erleichtert und sich so bestens für Urlaubszeiten oder Reisen eignet. Dem Autor ist daran gelegen, wirtschaftliche Zusammenhänge einfließen zu lassen, ohne den Leserinnen und Lesern wirtschaftliche Kenntnisse abzuverlangen. Auch wenn die Dramatik keineswegs fehlt, handelt es sich nicht um eine weitere blutrünstige Mafia-Erzählung, wie es sie schon zahlreich gibt.

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Leseprobe:
Karl Grosser wurde durch eine Intrige aus seinem bürgerlichen Leben herausgerissen und stieg zu einem internationalen Mafiaboss auf. Er war ein großer stattlicher Mann mit stark ausgeprägten Wangenknochen und verfügte über eine hohe erotische Ausstrahlung. Stets legte er Wert auf korrekte Kleidung und führte ein wohlgeordnetes Leben. Eigentlich gäbe es nichts außergewöhnlich über ihn zu berichten, wenn nicht an einem einzigen Wochenende sein Leben auf den Kopf gestellte worden wäre.
Wie an jedem Sonntag ging er alleine die Uferpromenade entlang und dachte ein wenig über sein bisheriges Leben nach. Er war mit sich selbst recht zufrieden, obwohl viele seiner Kollegen ihn als Langweiler ansahen. Mit seinen 40 Lebensjahren hatte er es zu einer hübschen Eigentumswohnung gebracht und war seit vielen Jahren als Organisationsleiter in einem privaten Geldinstitut angestellt. Was wollte er mehr von seinem Leben erwarten? Frauen spielten in seinem Leben keine große Rolle und das war nach seiner Meinung auch gut so. Schließlich sah er um sich herum genug gescheiterte Ehen und katastrophale Liebschaften, die regelmäßig zum Chaos führten.
Um den Sonnenuntergang bei seinen Spaziergängen zu genießen, verweilte er stets auf einer Parkbank am Flussufer, die ihm bereits wie persönliches Eigentum erschien. Auch an diesem Tag näherte er sich „seiner“ Parkbank, die er bereits aus einer Entfernung von circa 300 Metern sah.
Aber was war das? In all den Jahren war so etwas noch nie vorgekommen. Auf seiner Holzbank saß eine Gestalt, das glich einer Verschwörung, einem Anschlag auf seine Person heran. Als er näher kam, fielen ihm die Rundungen einer eleganten Frau auf. Er hatte jedoch keinesfalls die Absicht, sich dieser Person zu nähern. Möglicherweise war es eine Frau, in die er sich – ohne Erwiderung – verlieben würde. Einer solchen Gefahr konnte er sich nicht aussetzen. Was war zu tun? Er überlegte, wie er mit dieser Überraschung umgehen könnte. Sollte er ohne einen Blick vorbeiziehen und auf den Genuss der Abenddämmerung verzichten? Oder sich vielleicht doch neben ihr auf der Parkbank niederlassen? Natürlich bei voller Ignoranz der geballten Weiblichkeit.
Als er sich bis auf wenige Meter der Parkbank genähert hatte, war er gezwungen, einen schnellen Entschluss fassen. Zu seiner eigenen Verwunderung sprach er die hübsche Weiblichkeit an: „Guten Tag, darf ich hier Platz nehmen.“
Er hatte in diesem Moment nicht den Hauch einer Ahnung, was diese kleine Frage für die Zukunft der gesamten Menschheit bedeuten würde.
Freudig, mit einem Lächeln auf den roten Lippen, antwortete die impertinente Person: „Sehr gerne, mein Herr.“
Vorsichtshalber ein wenig von ihr abgewendet, ließ er sich mit einem kurzen „Dankeschön“ neben ihr nieder. Nach seiner Meinung war damit der Höflichkeit bereits Genüge getan. Nicht im Geringsten hatte er Absicht, die Konversation fortzusetzen. Sein aufkeimender Zorn ließ hierzu auch wenig Raum, wenngleich sie eine ausgesprochen hübsche Weiblichkeit war.
So saßen sie nun mit einigen Zentimetern Abstand auf seiner Parkbank, die Beine in gleicher Richtung zeigend übereinander verschränkt, was wohl jeder Psychologiestudent als eine wechselseitige Interessenbekundung gedeutet hätte.
Eine ganze Weile verging, ohne ein Zeichen der gegenseitigen Kontaktaufnahme.
Hier hätte diese Geschichte bereits ihr endgültiges Ende finden können, wenn diese weibliche Person nicht den nächsten Angriff gestartet hätte.
Die junge Dame öffnete ihre sündhaft teure Tasche und zog ein goldenes Zigarettenetui heraus, aus dem sie eine Damenzigarette entnahm. Dann kramte sie weiter in ihrer kleinen Tasche, als ob sie ein riesigen Koffer für eine mehrwöchige reise durchsuchen müsste. Karl spielte seine Rolle so, als ob er dies nicht bemerkte.
Nach einer Weile, vernahm er den Satz: „Verzeihung mein Herr, dürfte ich sie um Feuer bitten?“
Karl traute seinen Ohren nicht. Jedoch lies es seine Erziehung zum Gentleman nicht zu, diese Frage genüsslich zu überhören. Ja, er verfügte über ein Feuerzeug in seiner Jackentasche. Er führte es als Nichtraucher nur mit sich, um bei solchen Gelegenheiten dem Bittenden seinen Wunsch erfüllen zu können. Dieses elegante Stück kam nicht häufig zum Einsatz, aber gerade für solche Gelegenheiten hatte es durchaus seine Existenzberechtigung.

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23. Mai 2014

"Von Möpsen und Rosinen" von Miriam Pharo

Ein SciFi-Krimi-Sammlung.

Lucio Verdict hat alles verloren: seinen Job als Spion, seine Glaubwürdigkeit und seine Geliebte Kaori. Mit etwas Geld, zwei Koffern und Kaoris kleinem Sohn Shou strandet er im Münchner Umland des Jahres 2066, wo die Gesichter der Hundertjährigen so glatt sind wie Alabaster und bewaffnete Blumenmädchen für die Sicherheit sorgen.

Bei seinen Ermittlungen bekommt es der frischgebackene Privatdetektiv unter anderem mit einem explosiven Mops, einer tollwütigen Oma und einer Rosine im Trenchcoat zu tun. Und er trifft eine alte Freundin wieder, die nicht vor Mord zurück schreckt …

Gleich lesen: "Von Möpsen und Rosinen (Sammelband - ISAR 2066)" von Miriam Pharo

Leseprobe:
„Oaschloch!“
Als Jimmy der Mops mein Büro entert, bin ich gerade dabei, die letzte Kiste auszupacken. Den blank polierten, schwarzen Schreibtisch zieren bereits eine polyforme Lichtskulptur und ein Hacker-Tablet. An den unsichtbaren Halterungen rundum reiht sich MiniCube an MiniCube – noch sind die Datenspeicher leer – und neben der Eingangstür hängt ein Panel mit den Hologrammen der am höchsten dotierten Verbrecher der Europäischen Föderation. Mit etwas Glück kreuzt einer dieser grimmig aussehenden Jackpots schon bald meinen Weg. Das Bullauge hinter dem Schreibtisch bietet freie Sicht auf die gelb verhangenen Berggipfel, vorausgesetzt eine Expressbahn jagt nicht gerade lautlos vorbei, was exakt alle sechsundsiebzig Sekunden geschieht.
In der Regel bedarf es einigem, um mich zu verblüffen. Jimmy gelingt das auf Anhieb. Wie ein Poller steht er mitten im Raum, klein und gedrungen, die Hände in die Seiten gestützt. Sein Gesicht ist mit roten Flecken übersät und er scheint kurz vor der Explosion zu stehen.
„So a bleeds Oaschloch!“, bellt er noch einmal für den Fall, dass ich schwerhörig bin. Als ich immer noch nicht reagiere, seufzt er hörbar. „Ich will wissen, welcher Mistkerl das getan hat!“ Bei diesen Worten reißt er sein Hemd auf und zeigt auf seinen Solarplexus, in dem ein fünf Zentimeter langer Bolzen steckt. „Das ist doch Ihr Job oder?“, brüllt er weiter.
Ich nicke und versuche das Klingeln in meinen Ohren zu ignorieren.
„Gut!“ Er wirkt erleichtert. „Ich kann Ihnen nur fünfhundert zahlen!“
Ich verziehe keine Miene. Die Monatsmiete für das Büro allein beträgt zweitausend Eurodollar, obwohl es sich im wenig glamourösen Außengürtel der Biosphäre befindet. Andererseits ist der Poller mein erster Klient. Sollte ich die Sache also nicht vermasseln, und das werde ich nicht, könnte das weitere Aufträge nach sich ziehen.
„Tut es weh?“, frage ich und zeige auf den Bolzen.
„Ja, Zefix!“
„Wie ist das passiert? Und könnten Sie bitte etwas leiser reden, sonst steht gleich die Security auf der Matte.“
„Geht nicht!“ Seine Augen drohen aus ihren Höhlen zu fallen. „Rede ich mit normaler Stimme oder versuche den Bolzen zu entfernen, detoniert das Teil!“
Unwillkürlich trete ich einen Schritt zurück. „Sie machen Witze.“
„Sehe ich vielleicht so aus?!“
„Werden Sie erpresst?“
„Nein! Keine Ahnung, was die Schweinerei soll! Heute Morgen bin ich mit diesem Ding da aufgewacht und daneben lag ein handgeschriebener Zettel!“
„Handgeschrieben?“ Das ist ungewöhnlich. „Haben Sie ihn dabei?“
Wortlos fischt er einen durchsichtigen Beutel mit einem Zettel aus der Tasche und reicht ihn mir. Ein umsichtiger Mitbürger. Ich werfe einen kurzen Blick darauf, dann lege ich ihn zur Seite. Ich werde ihn mir später genauer anschauen.
„Also, was is?“, reißt mich mein Gegenüber aus meinen Gedanken. „Helfen Sie mir oder nicht?“
„Ich tue es.“ Zwar fällt mein Lächeln angesichts des mickrigen Honorars etwas dünn aus, dennoch kann ich nicht verhehlen, dass der Fall einen gewissen Reiz birgt – auch wenn er mir samt Klient jede Sekunde um die Ohren fliegen könnte.
Ich bitte meinen Gast im Besuchersessel Platz zu nehmen und während sich das Wall-Flax seiner Körperform anpasst, nehme ich ihn in Augenschein. Er ist schätzungsweise zwischen fünfzig und sechzig – ziemlich jung für die Biosphäre – mit gegeltem Haar, Augen in der Farbe eines qualmenden Kamins und Pranken wie ein Boxer. Er ist nachlässig gekleidet, Hose und Hemd passen nicht zusammen, und weder trägt er Handschuhe noch Weste. Ein Wunder, dass er nicht von der Straße weg verhaftet wurde. Die geringste Abweichung der Norm wie das Nichttragen modischer Retrofits – Einglas oder Halstuch bei Männern, brodiertes Taschentuch oder Spitzenfichu bei Frauen, um die knitterigen Schultern zu verdecken – sorgt gewöhnlich für Unmut. Eine für mich entscheidende Erkenntnis. So glänzen meine Schaftstiefel mustergültig mit dem Schreibtisch um die Wette, Hose und Seidenweste lassen jeden Sonnenuntergang blass aussehen, die taillierte Jacke sitzt tadellos.
„Mein Name ist Jimmy Marquard! Ich bin der hiesige Coiffeur!“
Überrascht ziehe ich die Augenbrauen hoch. Coiffeur? Auf mich wirkt er wie ein Totschläger.

"Von Möpsen und Rosinen (Sammelband - ISAR 2066)" im Kindle-Shop

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20. Mai 2014

'Bollock und die gräulichen Drei' von Tobias Schindegger

Horror für Kinder und Möchtegern-Kinder: "Mein Name ist Tom. Ich bin 9 Jahre alt und ein waschechter Junge. Ich habe vor nichts Angst, außer dass ich von meinen Eltern oder gar von einem Mädchen ‘nen feuchten Schmatzer kriege. Obwohl, wenn es dunkel ist und ich ein Knarren höre … Und meine Eltern hatten unrecht. Es gibt Monster, Dämonen, Gespenster und vieles andere. Ich habe einige getroffen. Es gibt fiese, böse und gemeine aber auch lustige, liebe und gutmütige. Die meisten sehen ihre Aufgabe darin, tatsächlich Angst und Schrecken zu verbreiten. Und das ist gut so. Es ist ihre Bestimmung."

"Sie wollen uns lehren, wie wichtig und schön Angst auch sein kann. Angst beschützt uns, macht uns auf Gefahren aufmerksam und beflügelt uns, Gefahren zu erkennen, evtl. zu beseitigen. Sie wollen uns motivieren, manche unnötigen Ängste zu überwinden. Woher ich das weiß? Nun, mein Leben änderte sich, als mich eines nachts ein Bollock besuchte und ich ihn begleiten durfte. Es hat mein Leben schlagartig verändert, mich auf Angst vorbereitet … und ja … ich habe immer noch Angst … und das ist gut so. Ich vermisse Bollock. Was ein Bollock ist? - Davon handelt diese Geschichte ..."

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Clip einer Lesung:

Leseprobe:
Ich lag im Bett. Draußen war es dunkel. Mein Zimmer wurde durch mein Trinchen spärlich erleuchtet. Trinchen war eine Nachttischlampe in Entchenform. Sie befand sich etwas abseits auf dem Schreibtisch, welcher meinem Bett gegenüber stand. Zu meiner Linken war an der Wand mein Not-Licht montiert. Es war eine Wandleuchte für Kinder, die einen halbförmigen Mond darstellte. Draußen durch das Fenster schien der wahrhaft echte Mond hinein. Nebelschwaden zogen an ihm vorbei. Er war so hell, dass er durch den zugezogenen roten Vorhang schien, welcher mein Zimmer in ein gespenstisch wirkendes Farbenspiel eintauchte. Selbst die Schatten spielten verrückt. Sie bewegten sich hin und her, Dielen knarrten, die Heizung gluckerte. Draußen krächzte eine Krähe ihren Totengesang. Dann schepperte es auch noch. Ich versuchte mich zu beruhigen. Vermutlich war vor unserer Einfahrt eine Katze, die den Mülleimer umschmiss. Aber hätte sie dann nicht lauthals miaut? Meine Nackenhaare richteten sich langsam aber sicher auf. … Mist … außerdem musste ich jetzt so dringend auf die Toilette. Das Badezimmer befand sich zwar gegenüber, aber ich musste 3 bis 4 Meter Spielflur überwinden … verdammt. Egal. Ich sprang schnell auf, flitze ins Badezimmer. Schnell öffnete ich die Türe, betätigte den Lichtschalter und schwang mich auf den Toilettensitz. Plötzlich hörte ich ein leises Hüsteln. Es könnte auch ein gedämpftes Röcheln gewesen sein. Es kam aus der Badewanne. Der Duschvorhang war zugezogen. Komisch, wer stellt sich denn mitten in der Nacht in die Dusche ohne das Wasser aufzudrehen? Mein Herz raste. Es schlug mir bis zum Hals. Langsam rutschte ich von dem WC herunter, zog mir die Hose meines Schlafanzuges hoch. Ich wagte nicht mehr zu atmen, geschweige denn die Klospülung zu betätigen. Ich streckte zitternd meinen Arm aus. Vorsichtig, ganz vorsichtig näherte sich meine Hand dem Duschvorhang. Mit einer plötzlich eintreffenden Entschlossenheit zog ich mit einem Ruck den Vorhang zur Seite. Schließlich konnte da kein Monster sein, es gab ja keine ...also musste es für alles eine vernünftige Erklärung geben. Aber da täuschte ich mich. Als ich den Vorhang zur Seite schob sah ich es … das Monster.
Das war also der Augenblick der absoluten Zuspitzung von Angst. Sie war so groß, dass Tom gar nicht merkte, ob er schrie oder nicht. Er fürchtete, dies sei sein Ende. Der Anblick dieses Monsters war zu schrecklich. Beinahe hätte sein Herz aufgehört zu schlagen. Aber dann wurde er auf einmal ruhig. – Weiterhin hoch konzentriert, aber dennoch gelassen. Dem kalten Schauer wich dem Zweifeln an seinem Verstand. Absolute Neugier gesellte sich zu seinen Gefühlen hinzu. Was war das für ein Vieh?
In der Wanne saß ein grüngestreiftes lila Fellknäuel mit den Proportionen eines in etwa 9jährigen und ziemlich pummeligen Jungen. Drei große rötliche Augen mit kleinen schwarzen Pupillen sahen ihn an. Das Maul – ähnlich einer Raubkatze – stand offen. Seine beiden Schweinsohren standen auf „Hab‘ acht“ – Stellung, kleine Hörnchen, wie die eines jungen starken Stieres ragten aus seiner Stirn. In seiner linken Tatze befand sich ein tiefgefrorenes Pommes Frites und in der rechten Hand eine von Tom’s Socken, die er schon seit mindestens 2 Wochen vermisste. Im Grunde genommen vermisste sie gar nicht Tom, sondern Tom’s Mutter. Sie lag ihm ständig in den Ohren, auf seine Sachen besser aufzupassen.
Ein kleiner Fetzen dieser Socke ragte aus seinem Maul. Genauer gesagt die Sockenregion, die normalerweise den großen Zeh bedeckte.
Das mittlere Auge pendelte zwischen der Pommes und der Socke hin und her. Wäre es nicht eine auf den ersten Blick so gruselige Erscheinung gewesen, hätte man diese Mimik durchaus als verlegen deuten können. Mit seiner dicken Nase mit drei Nasenlöchern atmete er schwer. Die anderen beiden äußeren Augen wagten nicht von Tom zu weichen. Eine Weile schwiegen sie sich an.
Diese Stille wurde langsam aber sicher unerträglich. Tom fühlte ein Krabbeln im Hals. – Er hüstelte. Jetzt schauten ihn alle drei Augen an. Anscheinend erwartete er von ihm den Beginn einer Konversation. „Mist“ dachte Tom. Jetzt lag es also an ihm das Gespräch anzufangen. Er hasste so etwas bei Fremden, geschweige denn bei Monstern. Nie fiel ihm etwas Vernünftiges ein. Egal, er stellte die erste Frage, die ihm sowieso schon eine Weile durch den Kopf ging:
„Frisst Du mich jetzt?“
Zu Tom’s Erstaunen klang die Frage weniger ängstlich als erwartet. Sie tendierte schon eher in Richtung kindlicher Neugier.
Jetzt musterten ihn alle drei Augen von oben bis unten. Wieder verging eine Weile des Schweigens.
Dann löste sich das Monster aus seiner Erstarrung und verschlang noch schnell die tiefgekühlte Pommes und die Socke, rülpste wie ein von Luther geprägter Mönch und sprach mit einer tiefen aber erstaunlicherweise sehr sanft klingenden Stimme: „Später …“ und zwinkerte dabei mit seinem rechten Auge. Dann schmatzte er ein Weilchen und fragte schließlich ganz selbstverständlich, als sei dies die normalste und alltäglichste Situation auf der Welt: „Du hast nicht zufällig etwas Eiscreme, oder!?“ Dabei weiteten sich hoffungsvoll seine Pupillen.
Minuten später saßen sie in der Küche an dem runden hölzernen Esstisch. Erneut war Tom mit einer ähnlichen Situation konfrontiert. Das Monster schaufelte sich mehrere Packungen Eiscreme (samt Verpackungselementen) in sich hinein, welche Tom zuvor mühsam aus dem Eisfach des Kühlschrankes in der Küche geholt hatte. Eines seiner drei Augen konzentrierte sich auf das Koordinieren von Tatzen und des „Eiscreme-in-sich-Hineinschaufelns“, während die anderen beiden Tom unentwegt anstarrten. Anscheinend erwartete das Monster erneut, dass Tom das Gespräch fortführte. Dies nervte ihn allmählich. Zumal er immer noch keine beruhigende und zufriedenstellende Antwort auf seine Frage erhalten hatte. Außerdem war er so müde, dass ihm die Augen schon vom Aufhalten schmerzten. Also fragte er erneut: „Frisst Du mich jetzt?“
Nachdem sein Gegenüber nun sämtliche Eiscremes aus dem Tiefkühlfach verputzt hatte, antwortete es schließlich: „Naja, jetzt bin ich erstmal pappsatt. Außerdem verspeise ich mein Fleisch nur ungern roh … Dann schon lieber medium oder voll krass durchgebraten … mit einer ordentlich scheußlich scharfen mit Peperoni verfeinerten Ketchup-Chili-Sauce…“
Während es antwortete, lief im grünlich-glibbriger Speichel aus dem Maul, welchen es mit seiner erstaunlich riesigen rosa fleischigen extrem langen und vor allem schnellen Zunge wieder einschlabberte. Kleinlaut, fast schon absichtlich nuschelnd fuhr es fort: „Außerdem weiß ich gar nicht wie Menschenfleisch schmeckt, geschweige denn wie es zubereitet werden sollte …“
Spitzbübisch sah es Tom in die Augen:
„Es sei denn, Du besorgst uns das nächste Mal eine ziemlich große Bratpfanne, in die ein großer 9jähriger Junge auch hineinpasst!“ Dann lächelte es. Auch wenn dieses Lachen ziemlich heiser und kaum hörbar klang, war es sehr ansteckend. Und so lachten beide eine Weile. Schließlich fragte Tom:
„Heißt das, dass Du wieder kommst?“
Nun sah es Tom mit allen drei Augen und ernster Miene an und fragte:
„Na, wenn Du das möchtest?“
Zu seinem eigenen Erstaunen hörte Tom sich sagen: „Ja, sehr gerne.“
Und das war noch nicht einmal gelogen, sondern entsprach der Wahrheit.
Äußerst cool meinte es nur: „Na gut, mal sehen ob ich Zeit habe. Mein Terminplaner ist ziemlich voll, weißt Du … Mal sehen, ob sich das Einrichten lässt … Ich bin sehr beschäftigt …“
Tom hatte noch viele Fragen, war aber auch sehr müde. Dies schien sein Gesprächspartner zu bemerken.
„Na, Du bist jetzt sehr schläfrig was? Das liegt an meinen Ausdünstungen aus meinen sogenannten Schlafdrüsen, weißt Du? Die wirken wie das reinste Schlafmittel … hätte ich gecheckt, dass wir uns unterhalten wollen, dann hätte ich mich mit meinen Ausdünstungen zurückgehalten …. Ich kann das nämlich steuern … weißt Du?“
Tom konnte tatsächlich kaum noch den Worten des Monsters folgen. Das Monster kam sehr flink und elegant um den Tisch geflitzt, da Tom vor Müdigkeit umzufallen drohte.
„Warte, ich trage dich in Dein Bett“ sprach es mit sanfter Stimme. Komisch, irgendwie kam Tom das Monster plötzlich ein wenig größer vor. So, als sei es schlagartig um ein paar Zentimeter gewachsen. Mühelos brachte es Tom zurück in sein Kinderzimmer zu seinem Bett. Gerade als es sich abwenden und gehen wollte, sprach Tom mit seinen letzten Kräften:
„Könntest Du noch ein wenig bei mir zum Kuscheln bleiben? – Nur so lange bis ich eingeschlafen bin. Ich habe doch solche Angst allein und nachts im Bett.“ Freudestrahlend drehte sich das Monster um, sprach „Aber gerne“, schrumpfte auf seine vorherige Größe zurück und krabbelte zu Tom ins Bett. Das Fell des Monsters war so wohlig warm und kuschelig weich. Mmmh, mittlerweile fand Tom den Begriff „Monster“ ziemlich unpassend für dieses zwar furchtsam anzublickende, aber doch sehr nette Geschöpf. Tom schmiegte sich wohlig entspannt um dieses knufflig schaurig schön hässliche furchteinflössende und Geborgenheit und Wärme gebende Wesen und fragte mit aller-allerletzter Kraft:
„Was …“ Weiter kam er nicht mehr. Zu einem „… bist Du?“ fehlte ihm die nötige Energie. Der Schlaf hatte ihn buchstäblich übermannt. In weiter Ferne hörte er es „Bollock“ sagen. Dann fiel er in einen sehr erholsamen und angenehmen, langen, tiefen Schlaf.

"Bollock und die gräulichen Drei" im Kindle-Shop

Mehr über und von Tobias Schindegger auf seinem Blog.

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18. Mai 2014

'Herzensfreunde' von Lena Paul

Die Liebe – ein allgegenwärtiges, großes Thema. Auch die Liebe auf den ersten Blick ist ein oft thematisiertes Ereignis und viele Menschen fragen sich: Gibt es sie wirklich? „Herzensfreunde“ erzählt auf humorvolle Art die Geschichte der jungen Carolin, die mit einem Job bei einer Tageszeitung ihr Geld verdient. Eines Tages lernt sie in einem Wellness-Urlaub Mark kennen und ist vom ersten Augenblick an fasziniert von ihm. Er wird schnell zu ihrem besten Freund, mehr noch: Carolin verliebt sich in ihn. Doch wer denkt, damit wäre das Ende der Geschichte bereits besiegelt, der irrt. Denn es vergehen Jahre, bis beide endlich zusammenfinden.

Für Carolin ist früh klar, dass Mark ihr Traummann ist. Doch Mark, der liiert und ziemlich irritiert über die Tatsache ist, dass sich eine junge, hübsche Frau für ihn interessiert, obwohl er zehn Jahre älter als sie ist und nach eigener Auskunft auch noch mit zahlreichen Macken bepackt, lässt sie lange Zeit zappeln. Carolin versucht es in der Zwischenzeit mit anderen Männern, scheitert aber immer wieder. Entweder weist der jeweilige Verehrer keine guten Manieren auf, oder er sucht nur eine platonische Freundin beziehungsweise mag seine Hobbys mehr als sie. Zudem vergleicht Carolin jedes Mal ihre Freunde mit Mark, dem einen Mann, dem scheinbar keiner das Wasser reichen kann ...

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Leseprobe:
In ihre Cosmolita vertieft saß Carolin auf der Terrasse des Restaurants und wartete auf das leckere Gratin, dass sie kurz zuvor bestellt hatte. Sie ließ ihren Blick dabei kurz durch den Raum schweifen, in dem sich gerade viele der Hotelgäste einfanden, um ebenfalls zu Mittag zu essen.
Plötzlich, wie aus heiterem Himmel, durchzuckte Carolin ein Blitz, der ihr durch Mark und Bein ging. Sie schüttelte den Kopf, als wolle sie sich vehement gegen etwas wehren, schloss für einen kurzen Augenblick ihre Augen und öffnete sie dann ganz vorsichtig wieder.
NEIN, sie hatte sich nicht getäuscht. Inmitten einer Menschenmenge hatte sie soeben die schönsten blauen Augen des Universums entdeckt. Leuchtende, vor Fröhlichkeit strahlende Augen, die sie sofort in ihren Bann zogen. Die Menge lichtete sich und im nächsten Augenblick wusste Carolin: Das ist er!
Sie war wirklich wie vom Blitz getroffen. Keine zwanzig Meter von ihr entfernt hatte Carolins Traummann den Raum betreten und von jetzt auf gleich gab es nichts mehr, das wichtiger war als dieser Mann.
Warum, weshalb, wieso? Carolin hatte keine Ahnung. Sie sah ihn und wusste, dass dieser Mann ihr Mann war. Der eine, auf den sie schon so lange gewartet hatte und den sie ein Leben lang lieben würde. Derjenige, der für sie bestimmt war. Sie war sich einfach sicher, auch wenn sie noch kein einziges Wort mit ihm gewechselt, keinen noch so kleinen Blick oder ein Lächeln mit ihm getauscht hatte.
„Das ist mein Traummann!“, war der erste und einzige Gedanke, der Carolin bei seinem Anblick durch den Kopf ging.
Fortan konnte sie nicht anders, als ihn immer und immer wieder anzusehen. Ihr Herz stolperte vor Aufregung und machte Luftsprünge, als er sich an einem Tisch in ihrer Nähe niederließ und ein Wasser bestellte. Seine Stimme war klar, ruhig und sanft. Stundenlang hätte er weiterreden können, hätte die Speisekarte von oben nach unten und zurück vorlesen oder über Gott und die Welt philosophieren können, wenn er nur nie wieder damit aufhörte.
Während der letzten Tage hatte sich der Stresspegel in Carolin gelegt, sie war ruhig geworden und hatte sich entspannt. Doch die Ruhe, die sich jetzt in ihr breitmachte, war ihr bis dahin völlig fremd. Der schöne Fremde beruhigte allein mit seiner Stimme ihr aufgekratztes, nervöses Seelenleben, ohne dass er die leiseste Ahnung davon hatte. Er plauderte mit dem Kellner darüber, dass er gerade erst eingetroffen war und fragte ihn nach seiner Empfehlung für das Mittagessen. Er war offenkundig ein Mann mit Manieren, soweit man das nach ein paar Minuten aus der Ferne beurteilen konnte.
Carolin versteckte sich hinter ihrer Zeitung und betrachtete ihn über die Gläser ihrer Sonnenbrille hinweg verstohlen aber eingehend. Wie eine Detektivin saß sie da und hoffte, dass nur niemand ihr merkwürdiges Treiben beobachtete.
Der Unbekannte war groß, hatte eine stattliche Figur (nicht zu dünn, nicht zu dick, ein paar Muskeln, hübsches Hinterteil, starke Oberarme und Brust), sein Haar war grau meliert, die Gesichtszüge sanft und freundlich.
„Kein störender Bart, keine ungepflegten Hände, gute Schuhe und Kleidung. Perfekt!“, stellte Carolin fest. Nun musste sie nur noch mit diesem Wundermann in Kontakt kommen.
Aber wie?
„Bitte, sieh mich! Ich bin hier, dreh dich doch mal um! Bitte, bitte, schenk mir nur ein Lächeln!“, bettelte Carolin in ihrem Innersten.
Und tatsächlich: Im nächsten Moment sah „Mr. Du-verzauberst-mich“ Carolin direkt in die Augen und lächelte ihr freundlich entgegen. So herzergreifend, unverschämt frech und gleichzeitig bezaubernd, dass Carolin sich gerade noch beherrschen konnte, nicht das Sabbern anzufangen. Stattdessen verschluckte sie sich an ihrem Fruchtcocktail und konnte sich nur mit Müh und Not das Husten verkneifen.
Mutig lächelte sie zurück.
„Diese Augen, der Hammer! Wie kann ein Mann nur so unverschämt gut aussehen und so lächeln? Wer bist du, dass du einfach nur zur Tür hineinkommst und schon gehört dir mein Herz?“, fragte Carolin sich selbst, bemüht, nicht ständig in seine Richtung zu sehen.
Sie hatte nie an Liebe auf den ersten Blick geglaubt, doch gerade war sie eines Besseren belehrt worden. Nun wusste sie, dass dieses Gefühl, das in unzähligen Kinofilmen zum Thema gemacht und in noch mehr Liedern interpretiert worden war, kein Mythos, sondern Wirklichkeit war. Ihr Herz, ihr Verstand, ihr ganzer Körper sagte ihr, dass dieser Mann einfach der Richtige für sie war. Dass mit ihm ihr Traummann in ihr Leben getreten und eben dieser Mann ihr Schicksal war. Warum, das konnte sich Carolin selbst nicht erklären. Aber wer brauchte schon Erklärungen, wenn das größte und mächtigste Gefühl der Welt plötzlich über einen hereinbrach?
Die Liebe hatte in ihr Leben Einzug gehalten. Musste sie sich also wirklich noch fragen, ob das Liebe war? Nein, das musste sie nicht, denn sie wusste es. Sie spürte es mit jeder Faser ihres Körpers und nun verstand sie auch, was ein Autor in einer ihrer Frauenzeitschriften gemeint hatte, als er schrieb, dass man Liebe daran erkennt, nicht mehr danach fragen zu müssen, ob es überhaupt Liebe ist.

"Herzensfreunde" im Kindle-Shop


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16. Mai 2014

"Ein Mord geht immer: kurz und schmerzfrei" von Karin Büchel

24 Kurzkrimis. Ein Mord geht immer. Kurz und schmerzfrei muss er sein, fesselnd und trotzdem mit einer gewissen Portion Humor gespickt. Eine Sammlung mörderischer Kurzgeschichten vereinen sich in diesem Buch - mal zum Lachen, mal zum Weinen, zum Fürchten und zum Nachdenken bilden sie ein Gesamtbild, in dessen Fokus die Schattenseiten und verborgenen Wünsche von uns Lesern zum Vorschein kommen.

Steckt nicht ein bisschen Mordlust in jedem von uns? Ein kleiner Giftmord mit Cashewnüssen am Abend, ein unbeabsichtigt freier Fall aus enormer Höhe oder ein Golfball, der zum plötzlichen Tod führt. In jeder einzelnen Geschichte sprühen Spannung, Mystik, Überraschung, Ironie: So wie das Leben ist.

Gleich lesen: > > > Ein Mord geht immer


Leseprobe aus "Endlich":
Es klingelte. Laut und schrill.
Konnte nur der Postbote sein, die haben nie Zeit, schoss es mir durch den Kopf.
Muss warten, bis ich wenigstens das nötigste angezogen hatte. Wollte keinen zu so früher Stunde schocken.
Muss einfach nicht sein.
Dabei hatte ich einen Astralkörper, wie aus dem Bilderbuch. Nur jetzt gerade zu wenig an, um die Tür zu öffnen. Meine Haare hingen mir ins Gesicht und der Zahnpastaschaum quoll mir weißlich aus dem Mund. Zähne wollten gepflegt sein. Darauf achten besonders Frauen. Das weiß ich aus Erfahrung. Sie gucken dir als erstes in den Mund. Nicht so direkt, sondern ganz beiläufig. Frauen sind da raffiniert. Und wenn du dann ein Spinatblatt zwischen den Zähnen hast oder dein Atem nach Whisky riecht, hast du schon verloren. Ich spuckte also kurzerhand ins Waschbecken, riss den Morgenmantel vom Haken und schlurfte zur Tür.
Wieder dieses penetrante Schellen. Laut und störend.
Dem Postboten werde ich den Marsch blasen. Warte ab, mein Freund.
Ich öffnete mit meinem grimmigsten Gesichtsausdruck, den ich so gerade auf Lager hatte und wollte gerade zu einem Wortschwall ansetzten, da sehe ich sie: Jung, dynamisch, sympathisch und wunderschön. So stand sie vor meiner Tür.
Damit hatte ich ja nun gar nicht gerechnet.
„Sie müssen mir helfen. Hier im Haus scheint keiner anderer zu hause zu sein. Ich habe ein Problem mit dem Strom. Irgendetwas stimmt nicht und ich habe wahnsinnige Angst vor allem Elektrischen. Ich wohne eine Etage über Ihnen. Können sie mal kurz mitkommen? Nur gucken, ob nichts passieren kann. Bitte!“
Ich schaute in zwei katzengrüne Augen, die anscheinend wirklich Angst zu haben schienen.
„Bin nicht ausgehfertig. Müsste etwas anziehen.“
„Brauchen sie nicht.“ Sie versuchte ein krampfhaftes Lächeln. „Kommen sie. Schnell!“
Na gut. Ich rannte in meinen blauen Plastikschlappen hinter ihr her, hielt den Morgenmantel mit einer Hand zu, da der Gürtel irgendwie nicht dran war und erreichte ihre Wohnung, in die sie schnell hinein lief.
Weg war sie.
„Hallo?“
„Hallooo?“ Ich ging den kleinen Flur entlang in die Küche, deren Tür weit geöffnet war.
Von da an weiß ich nichts mehr.
Schwarzes Loch.
Leere.
Blackout, um einen Fachbegriff aus der Psychologie zu nehmen.

Im Amazon-Shop: Ein Mord geht immer: kurz und schmerzfrei

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10. Mai 2014

"Nora Morgenroth: Der Hüter" von Kerstin Michelsen

Ein Thriller mit übersinnlicher Spannung. Vor Kurzem ist Nora Morgenroth mit ihrem Lebensgefährten Oliver in ein Haus auf dem Land gezogen. Sie ist verliebt und glücklich. Mit der Renovierung des malerischen Bauernhauses hat Nora außerdem alle Hände voll zu tun. Ja, eigentlich könnte alles perfekt sein, wären da nicht die quälenden Träume, die sie neuerdings heimsuchen. Die düsteren Bilder lassen Nora bald nicht mehr los. Und was hat es mit dem fremden Kind auf sich, das scheinbar in großer Not ist? Was ist Traum und was ist Wirklichkeit?

Auf der Suche nach dem Ursprung ihrer Visionen begeht Nora einen verhängnisvollen Fehler ...

Gleich lesen: "Nora Morgenroth: Der Hüter" von Kerstin Michelsen



Leseprobe:
Der Aufschrei riss mich aus dem Schlaf. Ich schlug in wilder Panik um mich. Licht, ich brauchte Licht. Es war so entsetzlich dunkel. Wo war ich, warum gab es keinen Lichtschalter? War ich etwa in das Loch gefallen, das sich eben noch wie ein schwarzer Schlund vor mir aufgetan hatte? Einen Aufprall hatte ich nicht gespürt, aber es war so schrecklich dunkel. Entsetzt keuchte ich auf.
«Nora, was ist denn?»
Das Licht ging an. Ich setzte mich auf und blickte um mich. Alles war gut. Oliver war da. Ich erkannte ihn und den Schrank und die Kommode und die Decke, die zusammengeknüllt zu meinen Füßen lag. Ich musste sie weggestrampelt haben, aber es war eindeutig meine Bettdecke und wir lagen in unserem wunderschön verschnörkelten Bauernbett. Es war antik, sehr groß und mit außergewöhnlichen Schnitzereien versehen. In wochenlanger, mühseliger Arbeit hatte ich es abgeschliffen und neu lasiert. Dies war unsere erste gemeinsame Nacht in dem alten, neuen Möbel und wir hatten es am gestrigen Abend würdig eingeweiht. Alles war genau so, wie es sein sollte. Es war nur ein böser Traum gewesen. Sehr, sehr böse.
Ich ließ mich auf das Kissen zurücksinken. Oliver zog die Decke über mich. Das alte Shirt, das ich zum Schlafen trug, war durchgeschwitzt. Ich fror.
«Was ist denn?», wiederholte er.
«Nur ein dummer Traum», murmelte ich und lehnte den Kopf an Olivers Schulter.
«Du hast laut geschrien!»
Ich zuckte zusammen. Eigentlich hatte ich angenommen, dass der Schrei in dem Traum vorgekommen war. Jemand hatte doch gequält aufgeschrien. Vielleicht sogar ein Tier? In höchster Not, der Schrei, kaum menschlich.
Aber so war es ja manchmal. Der Wecker klingelte und im Traum meinte man dann, dass es an der Tür läutete. Wenn ich im Schlaf geschrien hatte, dann hatte der reale Schrei sich in meine Traumbilder geschlichen. Die Augen fielen mir zu und ich spürte, wie ich erneut versank. Morgen konnte ich immer noch darüber nachdenken, ich war müde, einfach zu müde.

Am nächsten Tag war alles vergessen. Der nächtliche Alptraum mochte noch so entsetzlich gewesen sein, sobald der helle Tag übernommen hatte, war alles wie fortgewischt. Zum Glück. Lediglich ein vages Gefühl von Erschöpfung war geblieben und legte sich wie ein leichter Dunst über alles. Dämpfend. Wie es eben war, wenn man nicht gut geschlafen hatte. Mehr nicht. Nichts, was dem Grauen der nächtlichen Bilder nahe kam.
Unser Wecker in Form von Olivers Handy weckte uns aus einem unerfindlichen Grund zu spät. Wir mussten uns beeilen oder eher: Oliver musste es tun, denn obwohl es ein Sonntag war, wurde er zum Dienst erwartet. Das war oft so, bei der Kriminalpolizei gab es so etwas wie geregelte Arbeitszeiten nicht. Dennoch stand ich mit auf und bereitete ihm eine Tasse Kaffee, während er hastig duschte und sich anzog. Der Tee, den ich für mich selbst aufgesetzt hatte, war noch zu heiß, als Oliver mir einen eiligen Kuss auf die Lippen pflanzte und das Haus verließ.
Ich trat an das Küchenfenster und sah ihm nach, als er über das viel zu hohe Gras hinüber zum Wagen schritt. Bevor er einstieg, drehte Oliver sich um und blickte zu dem Fenster, an dem ich stand. Wie eigentlich immer, wenn er zur Arbeit fuhr. Es war ein kleines Ritual. Wir hoben gleichzeitig die Hand. Ich lächelte. Oliver stieg ein. Der Wagen wendete und verschwand hinter dem dichten Grün der Fliedersträucher, die unser Haus wie eine undurchdringliche Wand zur Straße hin abschirmten. Sie hingen voll von dicken Blütenrispen, die einen betörenden Duft aussandten.

Ich versank in meinen Gedanken. Es würde noch spannend werden, wie der restliche Garten im Sommer aussah. Wir waren erst im vergangenen Herbst eingezogen, in dieses etwas verwohnte, aber sehr heimelige ehemalige Bauernhaus in Altenstein, einem Zweihundert-Seelen-Dorf zwischen Erzfeld und Vallau. In einem Anfall von Leichtsinn hatten wir zugeschlagen und, obwohl wir uns zu dieser Zeit erst gerade ein Jahr kannten, zusammen das Haus gekauft.
Olivers Mutter hatte, als wir unsere Entscheidung verkündeten, die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen und uns dann beide geküsst und beglückwünscht. Meine Mutter dagegen hatte uns steif die Hand gereicht und dann ihr Scheckbuch gezückt. Natürlich war sie beleidigt gewesen, dass wir ihre Dienste als Immobilienmaklerin nicht in Anspruch genommen hatten. Dabei wusste sie genau, dass wir uns die Art von Objekten, die sie vermittelte, auch in hundert Jahren nicht würden leisten können, geschweige denn wollen.
Für Oliver und mich war das Haus ein Glücksfall, der uns zu einer Zeit in den Schoß geplumpst war, als wir noch nicht im Entferntesten daran gedacht hatten, etwas Eigenes zu kaufen. Nicht einmal die Möglichkeit, dass wir zusammenziehen könnten, hatten wir mehr als spielerisch ins Auge gefasst. Wir waren beide sehr verliebt gewesen, denke ich, aber es hatte eben auch keine Eile gehabt. Dann hatte Oliver in einem Fall ermittelt, der ihn in die Nachbarschaft unseres heutigen Heims führte. Wie sich herausgestellt hatte, war der Tatverdacht unbegründet gewesen. Zur Entlastung des Verdächtigen hatte maßgeblich eine Zeugin beigetragen, die Oliver mehrmals befragen musste. Aus Rücksicht auf das Alter der Zeugin hatte er sie dann zuhause aufgesucht. Am Abend hatte er mir von dem gemütlichen Bauernhaus vorgeschwärmt. Dann musste er die Zeugin wegen einer Formalität ein letztes Mal aufsuchen. Bei dieser Gelegenheit bat Frau Martensen Oliver herein und servierte ihm einen vorzüglichen, von Hand aufgebrühten Kaffee. Als er sich schon verabschieden wollte, erwähnte sie ihre Entscheidung, das Haus zu verkaufen und in eine Seniorenresidenz in Vallau zu ziehen, wo die beiden erwachsenen Töchter mit ihren Familien lebten.
Drei Tage später saßen wir zu dritt in Ludviga Martensens Wohnküche und ich verstand, was Oliver an diesem Gemäuer so bezaubert hatte. Es war malerisch, wenn auch renovierungsbedürftig. Nur deshalb konnten wir es uns überhaupt leisten. Der Kaufpreis, auf den wir uns geeinigt hatten, war wohl für beide Seiten fair. Wir würden einiges an Zeit und Geld in die Renovierung stecken müssen, aber dafür bekamen wir auch ein gut zweitausend Quadratmeter großes Grundstück. Es war etwas verwildert, aber wunderschön. Und nun waren wir hier.

"Nora Morgenroth: Der Hüter" im Kindle-Shop

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9. Mai 2014

'Double Standard - Doppelmoral' von Peter Brentwood

Ein Thriller. Der Irakveteran Tyler Milinski ist auf der Flucht. Er braucht sofort einen Wagen und stoppt auf einer belebten Kreuzung in Reno ein Auto. Am Steuer sitzt eine Frau, die sich weigert auszusteigen, denn auf der Rückbank sitzt ihr Kind. Aus dem geplanten Carnapping wird eine Geiselnahme. Nicht nur die Polizei heftet sich an Tylers Fersen. Die Odyssee führt Richtung Süden und endet schließlich in einer verlassenen Boraxmine im Death Valley. Hier in der Wüste weiß der erfahrene Veteran, wie man überlebt.

Und hier beginnt Tyler langsam zu verstehen, wer alles hinter ihm her ist und warum...

Gleich lesen: "Double Standard - Doppelmoral" von Peter Brentwood



Leseprobe:
Die Ampel an der Kreuzung Oddie / Silverada Boulevard schaltete auf rot. Ellen ließ den Wagen bis zur Haltelinie ausrollen. Vor ihr rannten zwei Männer über die Straße, die wohl zu bequem waren, die Fußgängerbrücke zu benutzen. Ellen schüttelte den Kopf und erneut blickte sie in den Rückspiegel. Jimmy hatte sich wieder beruhigt. Er sah sie im Rückspiegel und lächelte. Ellen lächelte zurück.
»Raus aus dem Wagen!« Ein schneidiger Befehlston zerriss die Familienidylle.
Erschrocken sah Ellen nach links in die Richtung, aus der der Befehl kam. Im Gegenlicht der gleißenden Sonne erkannte sie schemenhaft einen kräftigen Mann, der die Fahrertür ihres Wagens aufgerissen hatte.
»Los, mach schon! Raus aus dem Wagen!« Jetzt zerrte der Typ an Ellens Arm.
»He, was soll das!«, schrie Ellen.
»Mom!«, kreischte Jimmy. »Mom!«
»Steig aus, Du Schlampe, ich brauch den Wagen!«
Jetzt bemerkte Ellen, dass eine Pistole auf ihr Gesicht gerichtet war. Sie hatte also keine andere Wahl, auch wenn sie für einen Moment an das Reizgasspray im Handschuhfach dachte.
»Ich muss erst meinen Sohn aus dem Kindersitz holen.« Ellen versuchte möglichst ruhig zu sprechen, aber ihre Stimme zitterte. Der Angreifer wirkte sichtlich irritiert.
»Fuck, so eine verdammte Scheiße!«, fluchte der Räuber, der erst jetzt begriff, dass die Fahrerin nicht alleine im Wagen saß. Durch die verdunkelten Scheiben hatte er das Kind nicht gesehen! Der Straßenräuber ließ die Pistole sinken.
Das war Ellens Chance! Sie drückte das Gaspedal durch, obwohl die Ampel immer noch auf Rot stand. Mit quietschenden Reifen schoss der Chevrolet in die Kreuzung. Von links hupte ein SUV, dessen Fahrer offensichtlich voll in die Eisen gestiegen war und sein Gefährt gerade noch vor dem linken Kotflügel des Chevrolet zum Stehen brachte. Der Abstand war so knapp, dass die noch offene Fahrertür an der Front des SUV entlang schrammte und dabei wieder ins Schloss fiel.
»Geschafft!«, dachte Ellen erleichtert und ungeachtet der Tatsache, dass sie gerade dabei war, gegen alle nur erdenklichen Verkehrsregeln des Bundesstaates Nevada zu verstoßen. Wie groß mochte der Kratzer an der Fahrertür wohl sein? Egal! Jetzt erst einmal weg hier! Zur Polizei würde sie später fahren. Sie wollte ihre Flucht nach vorne über die Kreuzung fortsetzen, als ihr ein von rechts kommender Truck den Weg versperrte. Sie musste abbremsen, wollte sie nicht mit voller Wucht in die Seite des Trucks krachen. Sie blickte nach rechts. Hinter dem Truck war frei!
»Mom!« Schon wieder kreischte Jimmy hysterisch.
»Mein Schatz, es wird alles gut!«

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8. Mai 2014

'Danach: Der Schock' von Scott Nicholson

Ein postapokalyptischer Thriller. Eine gewaltige Sonneneruption hat die technologische Infrastruktur der Erde ausgelöscht und Milliarden von Menschen getötet. Während die wenigen Überlebenden damit beschäftigt sind, sich anzupassen und zu überleben, müssen sie feststellen, dass sich einige von ihnen verändert haben. Rachel Wheeler ist auf sich allein gestellt in einer Stadt, in der gewalttätige »Zapphirne« in den Straßen herumziehen, um zu zerstören und zu töten. Rachels einzige Hoffnung ist, die Berge zu erreichen, in denen ihr Großvater, ein legendärer Überlebenskämpfer, als Vorbereitung auf den Weltuntergang einen sicheren Rückzugsort gebaut hat.

Auch andere Überlebende wollen aus der Stadt fliehen, aber die Zapphirne sind nicht die einzige Gefahr. Skrupellose Gruppen von Soldaten versuchen, in den bröckelnden Ruinen der Zivilisation ihre eigene Ordnung zu errichten. Als Rachel einen zehnjährigen Jungen entdeckt, schwört sie sich, dass sie sich um ihn kümmern wird, auch wenn sie dabei ihr Leben riskieren muss.

Gleich lesen: "Danach: Der Schock -Ein postapokalyptischer Thriller" von Scott Nicholson

Leseprobe:
Marvin der Marsmensch wird eindeutig unterschätzt.
Campbell Grimes hatte den gesichtslosen kleinen Außerirdischen der Looney Tunes immer bewundert. Jeder liebte Bugs Bunny. Bugs war ein Hase für alle Lagen, aber genau wie Tweety, Sylvester und Schweinchen Dick zog Bugs manchmal den Kürzeren. Wile E. Coyote musste für seine Hartnäckigkeit und seinen Erfindungsreichtum bewundert werden, aber diesem stifthalsigen Road Runner gelang es immer, das Blatt zu wenden.
Campbell hasste den Road Runner, weil ihn der Zeichentrickvogel an Sonny Stanton erinnerte, den Würdigen Meister seiner Studentenverbindung damals an der Universität. Stanton hatte die Gewohnheit, sich von hinten an andere heranzuschleichen und seine nasale Version des Road Runner »meep meep« zum Besten zu geben. Was hätte Campbell nicht für einen patentierten ACME Arschloch-Auslöscher gegeben.
Während Wile E. Coyote ein hilfloser Sklave seines Verlangens war, hatte Marvin ein kultivierteres Gespür für die universelle Ordnung. Für die gesichtslose kleine Ameisenkreatur mit dem Besen auf dem Helm war die Zerstörung nur eine ästhetische Entscheidung.
Nun, als er über die tote Weite der Autobahn und die wie Kinderspielzeug darauf verstreuten, reglosen Fahrzeuge blickte, dachte er, dass dies ein geeigneter Moment sei, einen von Marvins Sprüchen anzubringen.
»Wo bleibt das große Wumm?«, erkundigte er sich mit näselnder Zeichentrickfigurenstimme.
»Was?«, fragte Pete, der nicht zugehört hatte.
»Ich hatte mehr Wumm erwartet.«
»Ja, mit einem Asteroiden am Tag des Jüngsten Gerichts hätte man wirklich mehr Eintrittskarten verkauft. Die Welt endet nicht mit einem Knall, sondern mit einem Wimmern, nicht wahr?«
»Du hast Literatur studiert. Bei dieser Angelegenheit, bei der es um Leben oder Tod geht, wirst du nicht sonderlich von Nutzen sein, oder?«
Pete nahm einen Schluck warmen Busch-Biers und schob sich die dunklen Locken aus dem Gesicht. »Hey, ich bin hier – im Unterschied zu einer Menge anderer Leute. Ich denke, dafür sollte ich Pluspunkte bekommen.«
»Nun«, meinte Campbell, »du hast wahrscheinlich deine Kappe aus Alufolie getragen, als das große Brutzeln begann.«
Pete nahm einen weiteren Schluck und warf die leere Dose auf den begrünten Mittelstreifen, wo sie aufprallte und in einem Meer verstreuter Kleidung zu liegen kam. »Ich bin nicht derjenige, der Marvin den Marschmenschen zitiert, Alter.«
»Treffer.«
Campbell klappte den Ständer seines Zehngangrads aus und schüttelte den Staub von den Ärmeln seiner Lederjacke. Sie hatten ihre Auswahl im Triad Radladen getroffen. Während Pete sich für ein Mountain Bike mit Noppenreifen entschieden hatte, war Campbells Wahl auf ein Tourenrad mit Drahtkorb gefallen. Es hatte sogar einen kleinen »Made in America«-Anhänger am Korb. Pete hatte versucht, ihn aufzuziehen, indem er ihn »Cheesy Rider« nannte, aber Campbell hatte einen Korb voller Essen und Ausrüstung, während Pete nur das hatte, was in seinen Rucksack passte.
Was im Augenblick vor allem Bier war.
Campbells Körper fühlte sich von der langen Fahrt wie durchgeschüttelt an. In den letzten drei Stunden hatten sie zwanzig Meilen geschafft, wobei sie mitunter durch Ansammlungen von Fahrzeugen gezwungen gewesen waren, die Straße zu verlassen. Sie hatten die Nacht in einem verlassenen VW-Bus auf einem Zeltplatz verbracht und nicht gewagt, Feuer zu machen. Es war ihr sechster Tag, seit sie Chapel Hill verlassen hatten, und eine Woche, nachdem alles zum Stillstand gekommen war. Einem Verständnis dessen, was eigentlich passiert war, waren sie keinen Schritt näher gekommen.
Keine Anzeichen für intelligentes Leben, dachte Campbell in seiner Marvin-der-Marsmensch-Stimme. Was nicht unbedingt schlecht ist. Nein, überhaupt nicht.
»Willst du welche von diesen Autos unter die Lupe nehmen?« Pete akzentuierte seine Frage mit einem tiefen Rülpser.
»Mein Korb ist voll.«
»Vielleicht finden wir was Nützliches: eine Pistole, getrocknete Rindfleischstreifen, mehr Bier.«
»Ich hab schon eine Waffe.«
Pete deutete auf den Revolver, der in Campbells Gürtel steckte. »Willst du nichts Besseres?«
»Der genügt.« Campbell hatte sich für Kaliber .38 entschieden, weil er die Trommel sehen wollte. Er dachte, dass es so einfacher sein würde zu wissen, wie viele Kugeln er noch hatte, falls er ihn überhaupt wirklich benutzen musste. Pete hatte sich eine Glock geschnappt und schien große Freude an dem Klick zu haben, die sie von sich gab, wenn er das Magazin einschob. Die Waffen hatten sie einem Outdoor-Shop zu verdanken. Der war zwar schon ein wenig ausgeplündert gewesen, aber offenbar war die Anzahl der Überlebenden so gering, dass das Angebot die Nachfrage bei Weitem übertraf.
»Was ist, wenn in diesen Autos noch jemand am Leben ist?«, fragte Pete.
»Unwahrscheinlich.« Campbell unterzog die Autobahn einer genaueren Prüfung, weil ihn der Gedanke beunruhigte.
»Könnte jemand wie wir sein. Einer von den Glücklichen.«
»Glücklich bedeutet etwas anderes.«
»Vielleicht hätten wir an der Uni bleiben sollen. Wenn irgendjemand herausfinden kann, was eigentlich los ist, dann sind es unsere guten alten Wissenschaftler.«
»Und wenn schon!« Campbell fühlte sich zunehmend genervt und begann, wütend zu werden, was ihm nicht behagte. Weil es vermutlich mit den anderen genauso angefangen hatte, als die Drähte schmolzen und das Gehirn zu kochen begann. Als sie anfingen, zu denen zu werden.
»Vielleicht können sie einen Impfstoff entwickeln.«
»Es ist kein gottverdammter Tripper, Pete. Und wie willst du die Durchgeknallten dazu bringen, mitzumachen? Willst du sie mit deinem hochexplosiven Weltraummodulator sprengen?«

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7. Mai 2014

"Ein knapp verpasster Traum: Das Schicksal von Prol Prolinger" von Andrea Spreitzer und Ludwig Sinzinger

Eine gesellschaftskritische Fabel. Jeder möchte in seinem Leben hoch hinaus, etwas werden, jemand sein. Dieses Bedürfnis ist mehr als natürlich. Dennoch, nicht jedem gelingt eine derart grandiose Entwicklung aus eigener Kraft. Im Ergebnis dessen kommt es zu zahlreichen „Verrenkungen“. Dies wird durch den häufigen Missbrauch von Markenprodukten als Persönlichkeitsprothese belegt, wobei dies nur ein Beispiel sein soll. Lesen Sie bitte diese Fabel und Sie werden schnell merken, dass unsere Entwicklung generell soziale Grenzen besitzt und wir nur innerhalb dieser Grandiosität erlangen können.

Seien Sie gespannt darauf, wie Prol Prolinger seine Perspektive zu gestalten gedenkt und auf welche abenteuerliche Situation er sich einlässt, ohne dabei zu bedenken wie seine aufrichtig engagierten Bezugspersonen damit klarkommen. Lernen Sie zu begreifen, dass sozial-ethische Werte für jede Form der Persönlichkeitsdimensionierung von ausschlaggebender Bedeutung sind. Hören Sie letztendlich damit auf, Abkürzungen finden zu wollen, welche es Ihnen ermöglichen könnten den Ihrerseits gewünschten sozialen Aufstieg mühelos und bequem zu bewerkstelligen.

Gleich lesen: "Ein knapp verpasster Traum: Das Schicksal von Prol Prolinger"

Leseprobe:
Wir über uns
Wer sind wir? Wir sind zwei Bergonier, die es geschafft hatten, einen nahezu beispiellosen soziologischen und beruflichen Aufstieg sowie Erfolg zu verwirklichen.
Ich, die Erzählstimme, heiße Ereg Flieger. Mein zuverlässiger Partner nennt sich Marthi Schmidling. Da unsere Erfahrungen und Engagements, bezogen auf die zu schildernde Story, nahezu identisch verliefen, erzähle ich im Plural und erspare Ihnen somit die Kommentare von Schmidling.
Wir beide haben es geschafft, ein vollkommen neues Know-how zu entwickeln. Im Ergebnis dessen, haben wir eine Firma gegründet, nämlich ein Traumbildatelier. Der Name unserer Firma lautet „Flieger & Schmidlings Dreams to go“ – „Träume zum Mitnehmen“. Unsere Tätigkeitsbezeichnung nennt sich Traumtransformatoren.
Die eigentliche tätigkeitsbezogene Vorgehensweise nennt sich konspelementieren. Dies umfasst den wissenschaftlich-kreativen Aspekt unseres Engagements. Der Prozess selbst läuft unter der Bezeichnung Konspelementation. Die diesbezügliche Apparatur nennt sich Konspelementator. Diesen Apparat muss man sich, von der Optik her, wie eine Röhre vorstellen. In dieser Röhre, findet der entscheidende Transformationsprozess statt. Hier werden elektrisch-emotionale Energien in psychisch determinierte Denk- und Verhaltensmuster transformiert und fixiert. Das Resultat ist ein neues und wunschgemäßes Persönlichkeitsformat.
Wir, Schmidling und meine Wenigkeit, haben es vermocht, eine bahnbrechende Erfindung zu machen. Diese Erfindung nennt sich Traumkatalysieren.
Natürlich waren wir Wünschlinge schon immer Vorreiter in der Traumforschung. Dennoch, einen derartigen wissenschaftlich-praktischen Durchbruch gab es bisher noch nicht.
Was vermochten Flieger und Schmidling zu leisten? Die Theorie bestand in folgender Erkenntnis: Träume existieren auch in Form von emotional-energetischen Spannungsfeldern, welche sich in Abhängigkeit ihrer Relevanz, für den jeweiligen Träumer, bemerkbar machen. Dies nennen wir ein ganz konkretes Traumerlebnis. Diese Träume verlieren an Bewusstheit, Konkretheit und Intensität, wenn sich die diesbezüglichen Schlafphasen ihrem Ende nähern.
Das Wachwerden und die sich wieder durchsetzende Realität bewirken einen enormen Verlust an Schöpfungsenergie, soweit es sich nicht um Albträume handelt. Wir, Flieger und Schmidling, wollten diese Energien erschließen und effizient nutzen.
Im Ergebnis dieser Motivation, ersannen wir unser revolutionäres Verfahren. Gemäß unserer Theorie müsste es möglich sein, Träume kurz vor ihrer Verflüchtigung aufrecht zu erhalten, erneut zu verdichten und durch eine Art Schub-umkehr diese der realen Sphäre hinzuzufügen.
Demzufolge bestand die Herausforderung darin, das Traumgeschehen am Ende einzufangen, dieses Umzukehren und in das Bewusstsein des Träumers praxistauglich sowie fixiert zu transformieren. Die Psyche durfte im Prozess der Konspelementation nicht als Ausgangspunkt des Traumes fungieren, sondern als Endpunkt einer prozessbezogen Traumempfängnis und letztendlichen Bewusstseinserweiterung.
Das Werden der Wünschlinge konnte, mittels konstruktiver Träume und der Konspelementation, erheblich abgekürzt werden.
Um dieses Ziel zu erreichen, konspelementierten wir wie besessen, Tag und Nacht. Das Ergebnis unserer Bemühungen war der Konspelementator. Seine Funktionssicherheit dieser Apparatur hatten die Erfinder, durch erfolgreiche Eigenversuche, mehrfach nachgewiesen. Aber was ist schon ohne Risiko? Eine neuralgische Stelle gab es bei diesem Konspelementator.
In dem Moment, wo der eigentliche Transfer vom Traum in die Realität erfolgt, darf es keine Bewusstseinsüberschneidung geben, was bedeutet, dass der Träumer sich nicht anderen Traumbildern hingibt. Die lupenreine Traumeindeutigkeit ist eine unabdingbare Voraussetzung für den Transfer. Dieser Störfaktor läuft unter der Bezeichnung Traumhygiene.
Im Laufe der Zeit bekam man dieses Thema weitestgehend in den Griff, aber dennoch, ein Restrisiko blieb bestehen. Dies lag vor allem daran, dass wirksame Medikamente, aufgrund des öffentlichen Drucks, abgesetzt wurden und durch autogenes Disziplinieren ersetzt werden mussten. Derartige Verfahrensweisen brauchten ihre Entwicklungszeit. Diese Entwicklungsphase ist bereits Geschichte.
Flieger und Schmidling realisierten einen weiteren Entwicklungsschritt, nämlich die beiderseitige Metamorphose. Sie konnten nicht nur Träume zur Realität transformieren, sondern auch Wünsche in Träume wandeln, um diese Träume dann zur Realität zu erheben. Somit erblickten Wünsche, über den Umweg des Träumens, das Licht der Welt.
Das Verfahren der Konspelementation bedarf einiger Vorlaufaktivitäten. Diese bestehen darin, dass der jeweilige Trauminhaber, bevor er traumgemäß transformiert wird, die dazugehörige Praxis in den sozialen Grundzügen erlernen muss. Das neu zu schaffende Bewusstsein muss auf vorhandene Kompetenzen zurückgreifen können, beziehungsweise eine auf Kompetenzen basierende Adaption eingehen können. Mittels Konspelementation kann man die Bergonier zwar in ein neues Bewusstseinsformat katapultieren, welches sich in der Realität sofort ausleben lässt, aber nicht mit den diesbezüglichen sozialen Fähigkeiten und Fertigkeiten ausstatten.
Wenn beispielsweise ein Wünschling Millionär werde möchte, müsste er vorher den Umgang mit Geld erlernen. Wir besitzen alle ein ganz bestimmtes Verhältnis zu Geld, was unserer soziologischen Beschaffenheit geschuldet ist. Die Einen haben als Vertreter der Unterschicht gelernt, wie man Geld spart. Die Anderen, zumeist Angehörige der Oberschicht, haben sich aneignen können, wie man Geld investiert. Der Unterschied dürfte diese Herausforderung plausibel machen.
Damit die Transferträume nicht aufgrund sozialer Inkompetenzen platzen, erfolgt die praktische Eingangssozialisation.

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Mehr über und von Andrea Spreitzer und Ludwig Sinzinger auf ihrer Website.

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6. Mai 2014

'Victoria Bitter - Geschichten aus dem australischen Winter' von Alex Tannen

Eine Feldstudie über Australiens weiße Ureinwohner in 15 Kapiteln. Bier als Hauptnahrungsmittel und Ersatzwährung, aufs Brot geschmierte Linsensuppe und ein Englisch, das man auch nach vier Monaten nicht versteht: Die Realität in Australiens Outback übertrifft alle Klischees. Vier Monate hat der Berliner Alex Tannen in einer Baufirma im Busch gearbeitet – mit liebevoll-rauen, kauzigen Bauarbeitern, die nach Sonnenuntergang vor allem trinken. Alkohol ist daher der rote Faden der Geschichten über seine eigenwilligen Kollegen und ihren Alltag am geografischen Rande der australischen Gesellschaft.

Tannen war im Juni in Australien gelandet … und der Winter hat ihn kalt erwischt. Denn es ist ein Mythos, genährt durch geschicktes Marketing, dass es down under immer warm ist. Dank eines improvisierten Kamins, gebaut aus einer Waschmaschinentrommel, ist er nicht erfroren.

Gleich lesen: "Victoria Bitter - Geschichten aus dem australischen Winter" von Alex Tannen

Leseprobe:
Ein Alkoholladen, zwei Pubs, drei Tankstellen und vier Kirchen: Meine australische „working experience“ verschlägt mich nach Lake Cargelligo, einem 1.300-Einwohner-Ort am Rande des Outbacks, 700 km westlich von Sydney im Bundesstaat New South Wales gelegen. Während die Gegend fast nur aus Busch und trockenem Weideland besteht, liegt der Ort idyllisch am gleichnamigen See.
Die nächste Stadt, Griffith, ist 130 Kilometer entfernt, so dass mich Andie, mein Chef für die kommenden Monate, standesgemäß mit seiner Cessna 232 abholen lässt. Es gibt auch nicht viele andere Möglichkeiten zu fliehen: Einmal am Tag fährt ein Bus in einen unbedeutenden Nachbarort.
Zwar liegen viele Orte in Australien noch isolierter – aber anderthalb Stunden Autofahrt zum Zahnarzt dauern den Bewohnern wohl zu lange: Jedes zweite Gebiss dürfte den Ort schon seit mehreren Jahren nicht mehr verlassen haben. Zum Wegfahren gibt es sonst auch wenig Gründe – als Zentrum der Region verfügt Lake Cargelligo über eine Mainstreet mit Bäcker, Snackshops, Polizeistation, einem halben Dutzend Autowerkstätten, Post und Zeitungsladen (aktuelle Ausgaben kommen erst um zehn Uhr). Der Fleischer führt alles außer Känguru, während die beiden Supermärkte sogar Sauerkraut anbieten. Als ich einmal die letzten vier Büchsen gekauft hatte – ich war mit Kochen dran und habe natürlich etwas klischeehaftes serviert – , stand eine Woche später wieder Nachschub da.
Dort, wo sich kein eigener Laden lohnt, werden die Geschäftsbereiche zusammengelegt: Der deutschstämmige Shell-Tankwart Mister Schneider trägt auch Pakete aus und repariert Rasenmäher – in Australien genauso wichtig wie Grills. Die BP-Tankstelle, vom ebenfalls deutschstämmigen Mister Heinz betrieben, beherbergt die größte Videothek am Ort, und die Niederlassung des staatlichen Energieunternehmens Country Energy unterhält das Internetcafé. In der Bibliothek werden gleichzeitig Autos registriert.
Inklusive Friseur und Heilsarmee hat der Ort alles, was man braucht – es sei denn, jemand benötigt ein DVD-Gerät oder die aktuellsten Playstation-Spiele: Anders als die Leute, die Zahnschmerzen haben, fährt mein neuer Freund Bill allein wegen einer frisch veröffentlichten DVD anderthalb Stunden nach Griffith. Kaum hält er den Film in seinen Händen, kehrt er wieder um. Als Bushie mag er keine Städte.

Meine Kollegen verlegen hauptsächliche große Wasserrohre und scheinen einem Drehbuch entsprungen zu sein:
George: Mitte 40, ein Harley-Davidson-Typ mit grauem Ho-Chi-Minh-Bart, landet im Krankenhaus, weil ihn ein 400 Kilogramm schweres Rohr getroffen hat, das in den Graben gerollt ist, in dem er gerade stand; es ist mein zweiter Tag auf der Baustelle, und er überlebt wie durch ein Wunder;
Antony: ein intellektueller Ex-Polizist, Ende 50, der angeblich an Georges Unfall Schuld ist und deswegen freiwillig die Firma verlässt, irgendwo hat er das deutsche Wort „Katzenficker“ aufgeschnappt;
Steve: ein Halb-Aborigine, Ersatz für George, braver, zuverlässiger Familienvater, als einziger der Truppe kommt er aus Lake Cargelligo und trinkt keinen Alkohol;
Martin: Anfang 60, ein erfahrener Buschpilot und Ex-Fluglehrer mit Opalmine, den ich nicht verstehe; er kümmert sich ausschließlich um Arbeitsschutz, legt also nicht selbst Hand an; außerdem fliegt er die Firmenmaschine, wenn etwas aus dem Baumarkt geholt werden muss; Fliegerzeitschriften und ein Magazin mit gebrauchten Baggern und Bulldozern sind seine Hauptlektüre;
Bill (Spitzname): mein bester Freund, ein liebenswürdiger Heißsporn, 28 Jahre, sieht aus wie 38, Typ „Rugby-Spieler“, Drei-Tage-Bart, trinkt täglich fünf 0,8-Liter-Flaschen Victoria Bitter-Bier, kifft für 100 Dollar die Woche, spielt martialische Playstation-Spiele und rast mit seinem 90-PS-Motorrad durch den Busch. Ihm fehlt zum Glück nur noch der Besuch des Münchner Oktoberfestes, von dem er mir jeden Tag vorschwärmt, kommt aus der Stadt Warren, genauso wie Robert;
Robert: Ende 30, ein Familienvater, der schon fünf Mal beim Drink-Driving erwischt wurde und deswegen kein Truckfahrer mehr ist, sondern hier arbeitet; als er – nach unzähligen Malheuren – den Pipeline-Graben mit teurem Sand statt kostenlosem Abraumboden zuschüttet, wird er entlassen. Zuvor hat er beim Reifenwechsel ein Lkw-Rad nur unzureichend befestigt: beim Fahren auf freier Strecke wird Andie vom vierten Rad seines Trucks überholt;
Andie: der Chef, vor 40 Jahren als 14-Jähriger mit seinen Eltern aus Deutschland eingewandert; ich muss aufpassen, dass ich nicht zu viel Deutsch mit ihm spreche, schließlich bin ich vorrangig zum Englischlernen nach Australien gekommen.

"Victoria Bitter - Geschichten aus dem australischen Winter" im Kindle-Shop

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5. Mai 2014

"Opfer 1 - 4" von Peter Gallert und Jörg Reiter

Kurzkrimis von den Agatha-Christie-Krimipreisträgern 2014: Ein Jedermann findet bei einer Zen-Meditation Erleuchtung durch eine Enthauptung. Eine Hausfrau entdeckt einen Doppelmord und zieht das große Los. Ein Kommissar hat einen Kopf zu wenig und eine Whiskeyflasche zu viel. Eine Kellnerin ist dem Tod näher als ihrer Heimat. Geschichten von Opfern und Mördern.

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Leseprobe aus "Kleinmann befreit sich":
Jetzt war es zu spät. Wenn er jetzt wieder aufstand, würden sich alle Augen auf ihn richten. Die Wucht der Blicke würde ihn noch vor dem ersten Schritt auf die Holzbank zurückwerfen. Undenkbar, es quer durch den Sitzkreis zu dem anderen noch freien Platz gegenüber zu schaffen. Er lugte über seine Schulter. Der Gekreuzigte hing direkt über ihm an der Wand. Blut quoll unter den Dornen hervor. Es sah echt aus. Kleinmann rutschte unwillkürlich an die Vorderkante der Bank um nichts abzubekommen. Er musterte die anderen. Niemand sprach laut. Er spürte das Kruzifix wie eine wunde Stelle im Nacken. Morgen würde er sich einen anderen Platz suchen. Nein, hier wollte er ehrlich zu sich sein: Er hatte seinen Platz gewählt, er würde damit leben.
Der Meister kam herein. Er trug eine schwarze Robe. Sein Schädel war kahl, sein Bart weiß, sein Gesicht nicht freundlich. Kleinmanns Unsicherheit wuchs. Stille spannte sich im Kreis. Der Meister schritt mühelos hindurch. Er schloss die Lücke gegenüber von Kleinmann. Damit war das Thema Platzwahl erledigt. Der Meister begrüßte die Teilnehmer und führte die Neulinge in das Zazen ein. Kleinmann verspürte den Drang mitzuschreiben. Am Ende gab der Meister ein Thema für das Sesshin aus: Die Suche nach dem freien Ich.
Mit dem Abendessen im Refektorium des Klosters begann das Schweigen. Die Lautstärke und Rücksichtslosigkeit, mit der manche Ich-Suchende aßen, erschütterte Kleinmann. Er belegte sein Brot mit Käse. Er mochte keinen Käse, aber Wurstaufschnitt gab es nicht. Nach dem Essen ging Kleinmann auf sein Zimmer. Darin standen ein Bett, ein Schrank, ein Tisch und ein Stuhl. Die Wände waren gekalkt, das Bett war weiß bezogen. Ein schmales Holzkreuz über der Tür störte die perfekte Leere des Raums. Das Fenster ging auf den Klosterhof hinaus. Er konnte die Berge nicht sehen, aber der Himmel dämmerte eifelgrau.
Kleinmann packte aus und räumte seine Sachen in den Schrank, auch die Reisetasche. Er zog sich aus. Die Schuhe stellte er unter den Stuhl, die Kleider hängte er über die Lehne. In Unterwäsche schlüpfte er ins Bett. Die Decke fühlte sich klamm an. Er lag regungslos. Die Verbrühung auf seinem Handrücken juckte unter dem Verband. Er wollte nicht an Karla denken. Er stand wieder auf, nahm seine Kleider vom Stuhl, hob die Schuhe auf und verstaute alles im Schrank. Dann legte er sich wieder hin, auf den Rücken, ganz gerade. So war es besser.
Ein anschwellendes, blechernes Tönen riss ihn aus dem Schlaf. Es war noch dunkel. Er hatte es sich schöner vorgestellt, von einem Gong geweckt zu werden. Er sprang auf, zog sich rasch an. Trotzdem war er der Letzte auf dem Gang. Hatten die anderen in ihren Kleidern geschlafen?
Auch die Meditation begann mit einem Gong. Viele knieten im Seiza, dem Fersensitz, auf ihrem eigenen Kissen. Kleinmann hatte kein Kissen. Er konnte auch nicht knien. Er saß auf der breiten Holzbank, die Füße auf dem Boden, den blutenden Jesus im Nacken, die Augen halb geschlossen. Seine Lider zitterten. Er schloss sie ganz. Er betrachtete den Fluss seines Atems, seiner Empfindungen und Gedanken. Der Mann neben ihm atmete lauter und brachte Kleinmann aus dem Rhythmus. Er ärgerte sich und sah Karlas verächtliches Lächeln vor sich. Er öffnete seine Augen. Jeder im Raum war hoch konzentriert, der Meister eine Statue achtsamer Stille. Kleinmann versuchte es erneut. Als der Gong die Stunde beendete, war Kleinmann sicher, dass keiner so gründlich versagt hatte wie er.
Nach dem Frühstück, wieder in wortlosem Lärm, stand für alle Samu an, meditative Arbeit. Kleinmann hatte sich für die Küche gemeldet. Eine riesige Schüssel voller Kartoffeln stand zwischen ihm und einer Frau. Er hasste Küchenarbeit, aber er war geübt darin. Er schälte schnell und sauber. Die Frau lächelte ihn an. Sie war nur halb so alt wie er. Er mochte ihr Lächeln nicht. Sie nahm eine Kartoffel, die er geschält hatte, wieder aus dem Kessel und entfernte ein Auge, das er übersehen hatte. Sie lächelte die ganze Zeit. Das Gefühl, nicht gut genug zu sein, rollte wie ein Welle über ihn hinweg. Er wollte sorgfältiger arbeiten. Das klappte nicht, es klappte nie, er wurde nur fahrig. Die Frau fand weitere Makel. Er zeigte Gleichmut. Sie glaubte ihm nicht, das sah er.

"Opfer 1 - 4" im Kindle-Shop

Mehr über und von Peter Gallert und Jörg Reiter auf ihrer Website.



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3. Mai 2014

'Judasmord: Salvatore Röhrlmoser' von Ulrich König

Atemlose Stille. Die Glieder des mit dem Tode ringenden Judas zucken noch einmal kurz, dann erschlafft der gepeinigte Körper, hängt leblos am Galgen. Tosender Applaus brandet im Freilichttheater der Oberammergauer Passionsspiele auf, solch eine überzeugende Darbietung hat man selten gesehen. Keine 10 Minuten später kommt die grausame Wahrheit ans Licht. Ein tragischer Unfall, der Judasdarsteller hatte sich versehentlich erhängt. Doch einer unter den Zuschauern ist von Berufswegen misstrauisch: Kommissar Salvatore Röhrlmoser.

Zwar „nicht im Dienst“ aber eben immer neugierig, untersucht er den Galgen und entdeckt schnell, dass das Gerät manipuliert worden ist. Der vermeintliche Unfall war ein raffinierter Mord. Doch das ist nur die Spitze eines Eisberges und Salvatore Röhrlmoser wird noch so manches Mal seine Neugier bereuen und sich wünschen, an diesem Tag nicht in Oberammergau gewesen zu sein.

Gleich lesen: "Judasmord: Salvatore Röhrlmoser" von Ulrich König

Leseprobe:
»Es gibt überhaupt keinen Grund zu jammern« schimpfte Salvatore Röhrlmoser still in sich hinein, während er mit unbewegter Miene die Begeisterungsausbrüche seiner Sitz-Nachbarin über sich ergehen ließ. »Du hast deine zweite Eintrittskarte dieser Kölner Tante aus freien Stücken überlassen!«
Im letzten Moment hatte ihm Tochter Julia einen Korb geben müssen. Enkelin Veronika, die alle nur Vroni riefen, hatte sich im Kindergarten Masern geholt.
Salvatore verstand gut, dass die Mutter nicht vom Krankenbett der Kleinen weichen wollte. Wie ein Häufchen Elend hatte diese Frau draußen auf dem Vorplatz gestanden, in ihrem frühlingsgrasgrünem, mit großen, roten Rosen bedruckten, aus mehreren Lagen durchsichtigen Stoffs bestehenden, Kostüm. Ob der Schmuck dieser dicken mit unglaublichen Klunkern behängte Mittsechzigerin echt war, hätte Salvatore nicht zu behaupten gewagt. Jedenfalls erinnerte sie ihn mehr an eine, sich auf Weltreise befindenden, reichen, verwitweten Amerikanerin, denn an eine biedere Hausfrau aus dem Ruhrgebiet.
Die Ärmste war extra mit einer Reisegruppe aus Köln angereist und hatte ihre Eintrittskarte verloren, oder in einer ihrer anderen Handtaschen zuhause vergessen. Spontan hatte Salvatore der Frau die Karte zum regulären Preis überlassen, die ursprünglich einmal für Sabine gedacht gewesen war. Zu diesem Zeitpunkt hatte er sich noch nicht bewusst gemacht, dass die Frau zwangsläufig während der Aufführung neben ihm sitzen würde. Andererseits hatte er auch nicht ahnen können, welch Temperament in dieser, eher schwerfällig wirkenden, Frau steckte.
»Mein Gott, wie fantastisch! Ich geh kaputt!« krähte die Kölnerin neben ihm und gab Salvatore einen vertraulichen Rempler.
So hatte er sich die Passionsspiele nicht vorgestellt und er wurde langsam sauer bei dem Gedanken an ihren Mann, der hier irgendwo mit dem Rest der Reisegruppe saß und ganz unbehelligt das Spektakel auf der Bühne genießen konnte.
Prompt trieb sie ihm wieder den Ellenbogen in die Seite. Diesmal, um ihn auf den Selbstmord des Judas aufmerksam zu machen, als würde er nicht schon längst gebannt dorthin blicken. Nicht umsonst waren alle Scheinwerfer auf den am Galgen baumelnden Selbstmörder gerichtet.
»Mein Gott sehen sie nur! Der Judas! Wie echt der spielt! Fantastisch! Ich schmeiß mich weg!« stöhnte die Frau neben ihm, als bekäme sie einen Orgasmus.
»Ja, ja!« brummelte Salvatore aus einer Mischung von bayrischem Grant und einem Rest an Höflichkeit.
Tatsächlich wirkte die Darstellung des Judas jetzt sehr überzeugend. Während der bisherigen Aufführung war Salvatore von dessen Auftritten nicht so sonderlich begeistert gewesen, hatte die Judasinterpretation irgendwie etwas steif gefunden, nicht so enthusiastisch und fanatisch, wie er sich Judas in seiner Seelennot immer vorgestellt hatte. Dieser Oberammergauer Judas wirkte eher unterkühlt und über der Szene stehend, doch seine Selbstmordszene hatte es wirklich in sich.
»Scheiße, erwischen sie mich hier!« fuhr es Roman Blattner durch den Kopf, während er verzweifelt versuchte irgendwo an den versteckten Griffen des Galgens Halt zu finden. Doch wer es auch immer gewesen war, hatte ganze Arbeit geleistet.
Alles war dick mit Fett, oder sonst einer glitschigen Substanz beschmiert. So sehr er sich auch bemühte, seine Hände rutschten immer wieder ab.
»Hirschtalg!« schoss es ihm in den Sinn. Hier musste jemand sehr gut über ihn Bescheid wissen.
Hirschtalg war Blattners Insignium. Welche Waffe er in seinem Killer-Leben auch immer benutzt hatte, sie war vorher in dieses Fett getaucht, oder damit eingeschmiert worden.
Diesen Brauch hatte er vom Weingärtner Max, einem alten Oberammergauer Wilderer übernommen. In jungen Jahren war er mit ihm Nachts durch die umliegenden Wälder gezogen, musste die erlegten Tiere tragen. Als Gegenleistung überließ ihm Weingärtner jedes fünfte Tier. Ein ganz erträglicher Nebenerwerb für jemand, der kein Taschengeld besaß. Von ihm hatte er den Umgang mit einem südamerikanischen Blasrohr und Giftpfeilen gelernt, das es ihnen ermöglichte lautlos zu jagen.
Jede Kugel, jeden vergifteten Pfeil und jede Schlinge hatte der Alte mit Hirschtalg geweiht und Blattner hatte diese Zeremonie übernommen. Das gab dem Ganzen etwas Feierliches, wie er fand.
Immer und immer wieder rutschten seine Hände ab. Langsam, aber mit tödlicher Kraft zog sich die Schlinge fester um seinen Hals. Eigentlich war sie so präpariert, dass sie sich gar nicht zuziehen konnte. Auch da hatte man geschickt nachgeholfen, denn bei seinem obligatorischen Probezug hatte sie noch gehalten. Nie hätte er sich die Schlinge um den Hals gelegt, ohne sie vorher zu testen. Doch wie auch immer, man hatte ihn überlistet.
Als das Brettchen, auf dem er normalerweise stand, durch den Ruck des gespielten Selbsterhängens unter seinen Füßen weggebrochen war, hatte er noch an einen dummen Zufall gedacht. Natürlich hatte er sich darauf verlassen, dass sich die Schlinge nicht zuziehen konnte und instinktiv nach den Griffmulden getastet, die man zu seiner zusätzlichen Sicherheit angebracht hatte. Dann riss etwas in der Schlinge, die sich sofort zuzog. Spätestens da musste er feststellen, dass jemand sein Ableben äußerst gründlich vorbereitet hatte.
Geradezu perfekt hatte der Mörder seine Reaktion vorausbedacht. Durch den Umstand, dass Blattner im Reflex zuerst an die Griffe gefasst hatte, waren die Hände mit fettem Talg verschmiert und rutschten an dem Galgenstrick ab. Ohne den Talg hätte sich der durchtrainierte Judas vielleicht an dem Strick hochziehen können, so jedoch hatte er keine Chance.
»Wenigstens ist es saubere Profiarbeit!« konnte sich Blattner trotz seines Todeskampfes eine gewisse Bewunderung für seinen Mörder nicht verkneifen.
»Vor auserwähltem Publikum! Und ich bin in der Tagesschau!« schossen ihm die letzten Gedanken durch den Kopf. Dann schüttete sein Körper große Mengen Adrenalin aus und Roman Blattner spürte zum allerletzten mal das große Kribbeln, nach dem er sich sein ganzes Leben lang gesehnt hatte.
»Wirklich beeindruckend!« bestätigte Salvatore seiner Nachbarin die Judasdarbietung, der jetzt im Hintergrund leblos am Galgen hing. Der Spot auf Judas erlosch.
»Da drüben kommen die Römer!« krähte die Kölnerin und rammte ihm ihren Ellenbogen mit kleinen, schnellen Stößen in die Rippen.
»Noch einmal und ich bring sie um!« dachte Salvatore.
Wie von der Frau richtig bemerkt, marschierten von der anderen Seite der Bühne römische Soldaten herbei. Der Verräter Christi geriet in Vergessenheit.
Plötzlich, mitten in den Auftritt von Pontius Pilatus stürmte Christus an den verblüfften Römern vorbei an den Rand der Bühne. »Arzt! Einen Arzt! Ist ein Arzt im Publikum?« schrie er aufgeregt. Prompt sprangen mindestens fünfundzwanzig Männer und achtzehn Frauen auf, hasteten Richtung Bühne.
Dort informierte sie Christus über den Grund seiner Aufregung. Wenigstens zwölf Mediziner klettern mehr, oder weniger sportlich auf die Bühne und verschwanden in den Hintergrund.

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2. Mai 2014

'Der Pakt des Seelensammlers' von Martin Krüger

Ein Horror-Thriller. Ein Hotel in den Bergen Washingtons. Für Jack Carver, Schriftsteller und Lieferwagenfahrer, endet eine gewöhnliche Dienstfahrt im Chaos. Als ein Wintersturm heraufzieht und das Hotel mitsamt allen Gästen inmitten von Schneemassen einschließt, wird aus Urlaubsvergnügen ein tödlicher Kampf um das Überleben. Es wird kalt, eisig kalt. Stimmen flüstern im Sturmwind.

Bald begreift Carver, dass dies kein gewöhnlicher Blizzard ist, der sie von der Außenwelt abgeschnitten hat. Etwas regt sich im dichten Schneegestöber. Und was auch immer dort draußen lauert, wird nicht ruhen, ehe sein Hunger gestillt ist ...

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Leseprobe:
Einunddreißig Vermisste. Dies ist die Geschichte, die von dem heftigsten Sturm erzählt, dessen Ausläufer die Stadt Brighton Lake seit ihrer Gründung im Jahr 1879 gestreift haben. Die Chroniken der Stadt berichten von nur einem Sturm, der ein ähnliches Ausmaß erreicht hatte und das war im Jahr 1945 gewesen – diejenigen, die wissen, was geschah, wenden sich ab, wenn sie gefragt werden.
Wir müssen uns wohl alle glücklich schätzen, dass dieser Sturm, obwohl (und hauptsächlich, weil) er so heftig war, die Stadt nur am Rande gestreift hat, sagte William Langdon, Chief des Brighton Lake Police Departments. Wie gut, dass dort oben, wo er am schrecklichsten wütete, nur wenige Menschen unterwegs waren. Und welch ein Unglück, dass ein Leck zu dieser bedauerlichen Explosion im Hotel geführt hat.
Einunddreißig Menschen verschwanden in diesem Sturm, allesamt Gäste und auswärtige Mitarbeiter jenes Hotels, das dort oben in den Wäldern lag. Verirrte Wanderer, schlecht angezogen, keine Planung, Touristen eben, die zu weit hinausgegangen waren und vom Sturm überrascht wurden. Hinterfragt wurde nichts. Wieso auch, es waren Unbekannte, die verschwanden. In Brighton Lake hielt man nicht viel von ihnen. Nach einigen Monaten legte der Chief den Fall zu den Akten und nach ein paar Jahren wusste niemand mehr, dass dort oben einmal Menschen spurlos verschwunden waren.
Einunddreißig.
Das Vergessen kam schnell in Brighton Lake.
Seltsam war nur, dass sich sämtliche Gäste des Hotels gleichzeitig in jenem Sturm verirrt haben mussten, seltsam war nur, dass niemand auch nur die geringste Spur von ihnen gefunden hatte.
Als hätten sie sich alle zugleich in Luft aufgelöst.
Der Platz wurde gemieden. Dort, wo der Sturm sein Auge geöffnet hatte, stand jetzt nur noch eine ausgebrannte Ruine jenes Hotels, das einst prächtig gewesen war.
Sie fragen sich, was dort geschah?
Ich will erzählen, was geschah.

22. November, 8.23 Uhr

Sie erreichen die Stadt Brighton Lake, Whatcom County, Staat Washington.
Diese Schrift stand auf einem erdig braunen Schild, das frech zwischen all dem Schnee herausragte, als hätte es nur darauf gewartet, ihn zu ärgern. Jack Carver lenkte den Lieferwagen jene steile Straße hinauf, die er bei sich gerne die Rampe nannte – die Scheiß-Rampe, und fragte sich, warum um alles in der Welt er ausgerechnet hier war.
Er könnte gute tausend Kilometer entfernt sein, an einem weißen Strand mit Mädchen in knappen Bikinis und bunten Blumenschmuck, Cocktails und der warmen Sonne auf seiner Haut – stattdessen war er nun hier, auf den verschneiten Straßen der Kleinstadt Brighton Lake im hintersten Norden des Bundesstaates Washington. Hier, gleich vor der kanadischen Grenze, hinter dem Steuer eines Lieferwagens, dessen Frachtraum mit Lebensmitteln vollgestopft war. Carver drehte am Knopf des Radios, hörte die letzten Takte von James Blunts »You’re Beautiful« (Blödsinn, dachte er), bevor der Sprecher dazwischenquatschte. Ein riesiges Tiefdruckgebiet ziehe über den Norden der USA hinweg, über Washington, Washingtons Norden und damit über Brighton Lake, sagte er, und Jack stellte das Radio aus. Das weiß ich schon. Schließlich muss ich nur einen Blick aus dem Fenster werfen.
Draußen war der Himmel ein tiefes, dunkles Grau. Es schneite nicht, aber der Wind heulte über die wetterschiefen Dachfirste und erzählte davon, dass der Abend lang, schneereich und düster werden würde. Zu beiden Seiten der Straße waren Schneehaufen aufgeschaufelt, die der letzte Schneepflug beiseitegeschoben hatte. Die Straße glänzte silbrig, was am sich langsam bildenden Glatteis lag, und Jack wusste, dass der Pflug in den nächsten Stunden nicht mehr fahren würde. Vielleicht sogar nicht mehr vor dem nächsten Morgen.
Aber es störte ihn nicht. Er würde die Waren abliefern und dann wieder verschwinden, und das, noch bevor der Nachmittag anbrach. Alles eine Sache des perfekten Timings.
Zuvor würde er Kaffee brauchen, und zwar äußerst starken. Der übermüdete Blick, den ihm der Mann aus dem Spiegel zuwarf, zeugte nicht von Erholung und Gesundheit. Jack lenkte den Wagen auf den Parkplatz des letzten Restaurants (»Brighton Inn«, die mit den besten Pfannkuchen, die Sie in Ihrem Leben essen werden – Jack hatte welche gegessen und war eher froh, dass er überhaupt noch am Leben war) vor dem Ende der Stadt. Der Kaffee war nicht schlecht, immerhin. Jack beschloss, sich eine Kanne für den Weg mitgeben zu lassen. Er konnte das frisch geschnittene Holz aus dem nahen Sägewerk riechen, als er über den halb leeren Parkplatz schlenderte. Es roch hier eigentlich nie anders. Ganz Washington roch nach Holz, einem endlosen Haufen von Nadelbäumen und den Hinterwäldlern, die sich hier Abend für Abend volllaufen ließen.
Als er eintrat, war das Brighton Inn fast leer. Es hatte sich überhaupt kaum etwas verändert: der Tresen, der in einem Rechteck in der Mitte stand, darum herum die Tische. Der Boden, langweilig braun-weiß gefleckt, sowie der Plunder, der in einem kleinen Haufen auf einem Brett beim Eingang herumlag. Jack warf nur einen kurzen Blick darauf, es waren die üblichen Werbeprospekte der hiesigen Tourismusbranche. Von einer Wand hing der Kopf eines Hirsches herab, eine Jagdtrophäe, das Fell war zottig und über all die Jahre ausgeblichen. Das Radio dudelte einen Countrysong. Jack setzte sich auf einen Stuhl am Tresen und bestellte Kaffee, schwarz, ohne Milch, mit Zucker. An einem Tisch in der Nähe des Ausgangs saßen zwei Männer in karierten Hemden. Gewiss einige der örtlichen Holzfäller. Weiter hinten im Raum hielt sich jemand hinter einer breit aufgefalteten Zeitung verborgen, aber abgesehen davon hatte Jack das Brighton Inn für sich.
Der Kaffee kam. Die Kellnerin war jung, bestimmt noch im letzten Jahr auf der Highschool. Das Gebräu schmeckte schal, war aber stark und heiß, und das reichte ihm.
Für eine ganze Weile saß Jack da und betrachtete die Maserung der Holzplatte und die Malerei auf der Tasse, die vor ihm stand. Ein Bär, ein See und Berg mit spitzem Gipfel. Es vergingen zehn, fünfzehn Minuten. Der stets wiederkehrende Gedanke in seinem Kopf war die Frage danach, wie sein Leben in den letzten Jahren dermaßen hatte schief laufen können. Er hatte seit drei Jahren keine einzige Zeile mehr aufs Papier gebracht und seltsamerweise war, seitdem er nicht mehr schrieb, seine Welt aus den Fugen geraten.

Im Kindle-Shop: Der Pakt des Seelensammlers (Horror-Thriller)

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