29. März 2017

'Ich werde dich nicht noch einmal töten' von Thomas Conrad

Bastian Langkamps Leben gerät völlig aus den Fugen, als seine Freundin ihn verlässt und er dreimal nur knapp dem Tod entgeht. Dass all das mit einem früheren Leben zu tun haben könnte, wäre dem jungen Journalisten niemals in den Sinn gekommen. Durch die Lebenskrise aber offen für spirituelle Themen, befasst er sich mit Reiki und experimentiert mit Rückführungen.

Als er dann auch noch unschuldig in die Fänge zweier Krimineller gerät, kann er die Hinweise nicht mehr länger leugnen: Er ist überzeugt: In einem früheren Leben muss er sich Schuld aufgeladen haben, für die er nun büßen soll. Bei seinen Recherchen stößt er auf ein Leben zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Es entspinnt sich ein Abenteuer, in dem Gegenwart und Vergangenheit miteinander verschmelzen. Liebe und Tod liegen dabei gefährlich nah beieinander.

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Leseprobe:
Zehn Minuten später war Bastian weit weg. So fremd ihm die Stimme auch erschien, sie hatte ihn schnell in eine tiefe Entspannung geführt. Alle Muskeln waren gelockert, der Atem floss ruhig und gleichmäßig, sein Herz pumpte Blut in extrem langsamen, regelmäßigen Schüben durch seine Arterien. Bastian wanderte über eine grüne Wiese, genoss die Sonnenstrahlen, beobachtete einen Schmetterling, der sich auf seiner Hand niederließ. Bastian gefiel die Situation und er ließ sich gerne führen. Zu einer Wand aus Wolken, rosafarbenen Wolken. Nun schwebte er sogar zu ihnen hinauf.
„Du weißt, jede dieser Wolken wird dich in eines deiner früheren Leben zurückführen”, sagte die Stimme auf der CD. „Formuliere dein Ziel. Jetzt!”
„Führe mich zurück in ein Leben, in dem ich berühmt war!”, dachte Bastian.
„Du hast Deine Wahl getroffen und du weißt jetzt auch genau, welche Wolke auf dich wartet”, sagte die Stimme. Bastian steuerte ohne Zögern auf eine dieser rosafarbenen Wolken zu. „Diese Wolke ist das Tor zu dem früheren Leben, das du dir ausgesucht hast. Wenn ich gleich bis drei gezählt habe, findest du dich in diesem früheren Leben wieder und zwar in einem bedeutenden Abschnitt dieses Lebens. Eins, zwei, drei.”
Dunkelheit. Schon wieder. Aber Bastian wusste, dass er warten musste. Es würde nicht lange dauern, bis Licht das Dunkel vertreiben würde. Schon begann es.
Wo war er? Es fühlte sich an, als wäre er auf einem hervorgehobenen Platz. Ein Gefühl nur, denn Bastian sah noch nicht viel. Er war im Freien, er meinte den Himmel über sich zu erkennen.
Das Dunkel lichtete sich weiter. Bastian erkannte Häuser. Er war also wirklich im Freien, aber nicht in offener Landschaft.
Eine Stadt. Bastian war in einer Stadt. Kein kleines Dorf, das wusste Bastian. Wusste es, wie er schon bei der Rückführung bei Manuela vieles einfach gewusst hatte. Er erkannte Fachwerkhäuser, offenbar im Kreis angeordnet. War er auf einem großen Platz? Einem Marktplatz?
Frankfurt, 1540? War er wieder im gleichen Leben gelandet? War er etwa als Tuchhändler berühmt gewesen? Oder als Ratsherr? Was sollte das aber für eine Berühmtheit gewesen sein? Nein, das konnte nicht sein. Außerdem war da noch etwas. Unbehagen.
Bastians Sicht verbesserte sich weiter. Er sah Menschen. Viele Menschen. Tatsächlich musste er auf einem recht großen Platz stehen. Vor ihm drängten sich Massen von Menschen, seltsame Menschen.
Nein, sie waren nicht seltsam. Seltsam gekleidet vielleicht. Nein, auch das nicht. Sie waren nur gekleidet, wie man eben vor 500 Jahren gekleidet war. Aber stimmte das überhaupt? War Bastian erneut im 16. Jahrhundert in Frankfurt. Bastians Gefühl sagte nein. Aber in welcher Zeit war er dann gelandet?
1728 tauchte vor ihm auf. 1728! Ein besonderes Jahr, das war Bastian sofort klar. Aber warum? Wieder spürte er das Unbehagen. Mehr noch: In seinem Magen bildete sich allmählich ein Kloß.
Die Menschen vor ihm sahen zu ihm auf. Wie schon bei Manuela erkannte Bastian das auch jetzt nur verschwommen. Er wusste jedoch, es waren einfache Menschen. Männer, Frauen, Kinder. Und sie waren wegen ihm hierhergekommen. Aber warum?
Wo war er eigentlich? Er stand auf jeden Fall höher als diese Menschen? Auf einer Bühne? Bastian sah an sich hinunter. Soweit er das erkennen konnte, musste das ein Podest aus Holz sein. Also wirklich eine Bühne. Aber was wurde hier aufgeführt? Und war er der Hauptdarsteller?
Ja! Die Antwort kam schnell.
Natürlich. Bastians Wunsch war ein Leben gewesen, in dem er berühmt war. Deshalb stand er als Hauptdarsteller auf einer Bühne. Warum aber wollte dieses Unbehagen nicht weichen? Warum wurde dieser Kloß im Magen immer größer?
Bastian schaute noch einmal an sich hinab. Welche Kleider trug er? Gamaschen? Stiefel? Eine Uniform? Völlig verdreckt, schien ihm. War er ein Soldat? Ein Offizier womöglich? Wieso war ein Offizier berühmt? War er ein Revolutionär? Ein Umstürzler, der vor seinen Anhängern sprach?
Nein! Auch diese Antwort kam schnell. Und Bastian wusste auch sofort, warum. Er konnte sich nicht bewegen. Weder Arme noch Beine. Ein Redner hätte vor allem seine Hände eingesetzt, Bastian jedoch konnte seine Arme nicht bewegen. Auch die Beine nicht. War er ein Gefangener? Gefesselt?
Ja! Wieder kam die Antwort schnell.
Ein Gefangener! Ein Revolutionär, der gefangen und gefesselt war? Aber warum waren dann hier so viele Menschen? Warum schauten alle auf ihn? Zu ihm hoch? Er erkannte die Erwartung in ihren Gesichtern. Was erwarteten sie?
Es konnte nichts Gutes sein. Bastian wusste das. Sie erwarteten ein Schauspiel. Aber welches?
Eine Hinrichtung!
Bastian fröstelte. Wo war er nur gelandet? War er ein berühmter Revolutionär, der gerade auf seine Hinrichtung wartete?
Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag ins Gesicht. Er würde gleich sterben.
So hatte er sich das nicht vorgestellt. Warum sollte er sterben? War er als Soldat gegen seinen Fürsten aufgetreten? Hatte er sich für die Menschen gegen einen Despoten eingesetzt?
Die Menschen riefen etwas. Bastian sah es. Nein, fühlte es. Er hörte es nicht, aber wieder wusste er, was die Menschen riefen. Ein paar Hundert mochten es sein, vielleicht mehr. Und sie waren nicht gekommen, weil sie einen Helden auf seinem letzten Gang unterstützen wollten. Nein, sie wollten sehen, wie er starb. Sie wünschten ihm den Tod. Sie hassten ihn. Sie schrien: „Mörder!”
Wo war er nur hingeraten? Er war berühmt, ja. Aber kein Held. Er war ein Mörder und offenbar einer, der Grässliches getan hatte.
„Mörder! Mörder!”, skandierte die Menge. „Mörder!” Bastian spürte den Hass, der ihm entgegenschlug.
„Mörder!”
Jetzt bemerkte Bastian, dass er nicht allein auf der Bühne war. Er hörte einen Mann hinter sich sagen: „Hängt ihn!”
Die Menge jubelte. Panik stieg in Bastian auf. Er würde sterben. Hängen. Jetzt. Die Menge tobte, stärker, lauter, schriller, immer lauter, immer schriller, dann veränderte sich der Ton. Bastian merkte, dass nicht mehr die Menge tobte, sondern jemand an seiner Haustür. Irgendjemand klingelte Sturm.

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28. März 2017

'Eiskalter Schlummer - Band 2: Die Rache' von Lutz Kreutzer

Die Assistentin von Hauptkommissar Völz und Kommissar Kowalski bringt Schwung in die Ermittlungen. In einer eigenwilligen russischen Bar in München haben die drei Polizisten eine merkwürdige Begegnung. Und die Frau des Wirts weiß mehr als sie zugeben kann. Was hat der organisierte Geheimbund der 'Diebe im Gesetz' mit der Sache zu tun?

Unterdessen strebt die Suche nach dem verschwundenen Mädchen auf einen nervenaufreibenden Höhepunkt zu. Immer wieder tauchen geheimnisumwitterte schwarze Gestalten auf, die eine zentrale Rolle zu spielen scheinen. Wie hängt alles zusammen? Was hat der Tote am Baum mit den entführten Mädchen zu tun? Können Völz und Kowalski am Ende den Fall klären?

Band 2 des Thrillers 'Eiskalter Schlummer' um Menschenhandel, Rauschgift und das organisierte Verbrechen, mit einem Ende, das voller Überraschungen steckt. Ein Spannungsroman, der sich an wahren Begebenheiten orientiert.

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Leseprobe:
Die beste Aussicht
Ivana zitterte am ganzen Körper. Ihre Augen waren von einer schwarzen Augenbinde verdeckt. Sie saß neben Igor Köbel im Heck des BMW, der auf der Stadt-Autobahn durch den Richard-Strauss-Tunnel Richtung Süden raste.
Nachdem sie in Ivanas Hotelzimmer eingedrungen waren, hatte Ivana geschrien wie am Spieß. Miro hatte sie so sehr geschlagen, dass ihr Auge angeschwollen war, ihre Wange und ihre Nase hatten geblutet. Ihre Wunden waren von Igor versorgt worden, soweit er das konnte. Ihr Auge schmerzte immer noch.
Miro, der am Steuer saß, hatte russische Punkmusik eingelegt. Die Musik hämmerte so laut, dass Ivana sich die Ohren zuhielt. Neben ihm auf dem Beifahrersitz lag Igors Colt Python.
Igor schlug Miro auf die Schulter. »Hey, leiser, du Idiot!«, schrie er. »Das ist ja nicht zum Aushalten!« Er deutete auf den Colt. »Und pack das Ding weg!«, schrie er. Miro drehte die Musik leiser, nahm den Colt und legte ihn ins Handschuhfach.
»Und fahr nicht so schnell, du Irrer. Oder willst du, dass die Polizei uns bemerkt?«
Miro nahm den Fuß vom Gas. Jetzt fuhren sie sechzig wie überall angezeigt.
»Ich brauch Bonbons!«, sagte Ivana.
Igor packte eine Papiertüte aus und bot ihr Lakritze an. Gierig stecke Ivana drei in den Mund.
»Hey nicht so viele auf einmal!«, sagte Igor und zog die Tüte zurück.
»Was macht ihr mit mir?«, fragte Ivana leise weinend. »Was habt ihr vor?«
»Wir bringen dich in ein neues Haus«, sagte Igor besänftigend.
Miro bog in die Ottobrunner Straße ein Richtung Süden.
»Ihr wollt mich umbringen! So wie Elza und Evgeniya!«, schrie sie. »Und wie die Polizistin!«
»Deine Freundinnen sind tot, weil du so böse warst und weggelaufen bist. Das war deine Schuld. Du bist ein dummes Mädchen. Eigentlich müssten wir dich bestrafen. Weißt du«, fügte er schmallippig hinzu, »anderen Mädchen wurde dafür schon ein Finger abgeschnitten!«
Ivana schreckte zurück.
»Keine Angst, Ivana. Bei dir mache ich das nicht. Weil ich weiß, dass du erkennst, wie dumm du warst. Du machst das nicht wieder, oder?«
Ivana schüttelte den Kopf wie ein kleines Mädchen.
»Gut, Ivana. Du bekommst ein neues Heim. Viel schöner als das erste. Wenn du tust, was wir dir sagen.«
Ivana war kalt. Sie krümmte sich. Dann nickte sie.
Miro bog in den Schumacherring ein und hielt das Auto vor einem riesigen Mietshaus an. Sie stiegen aus. Ivana wehrte sich nicht, sie ging einfach mit. »Wo sind wir hier?«, fragte sie.
»Das brauchst du nicht zu wissen, Ivana. Wir zeigen Dir jetzt deine Wohnung.«
Das hier war so anders als das, was sie bisher von München gesehen hatte. Sie legte den Kopf in den Nacken, um die Höhe dieses Gebäudes zu erfassen. Hier stand ein Mietshaus neben dem anderen. Sie bildeten eine Front, die jeden Betrachter zu erschlagen drohte. Wie die Waben in einem riesigen Bienenstock klebte Wohnung an Wohnung, miteinander verzahnt und längst nicht mehr in dem Zustand, wie sie vor einigen Jahrzehnten einmal gebaut worden waren.
Sie betraten einen dieser großen Wohnkomplexe und stiegen in einen Aufzug. Igor drückte auf die vierzehn. Er packte einen Schlüssel aus. Als sie die Wohnungstür aufsperrten, schlug ihnen ein muffiger Geruch entgegen. Igor öffnete die Balkontür. Er trat hinaus und winkte Ivana zu sich. »Ausblick nach Süden. Die beste Aussicht von ganz München«, sagte er und rang sich ein dünnes Lächeln ab.
Ivana verschlug es für einen Moment die Sprache. Wie schön es hier war! Ihr Blick fiel auf eine Gebirgskette, deren Gipfel von einer weißen Haube überzuckert schienen. »Die Alpen», sagte Igor.
Der Himmel war stahlblau, und die Ebene, die vor ihr lag, war makellos grün. Ein kurzes Lächeln flammte in Ivana auf, und sie spürte einen Augenblick lang so etwas wie Glück.
Dann sah sie sich die Wohnung an. In einem Zimmer stand ein riesiges Bett. Viel zu groß für nur eine Person. Sie ahnte, wozu es dienen sollte.
»Es ist gestern geliefert worden. Fühl dich hier zuhause. Und wehe, du willst weglaufen. Wir finden dich. Immer und überall!«, drohte Igor. Dann lächelte er und streichelte sie. »Sei ein gutes Mädchen.«
Ivana sah ihm traurig in die Augen und nickte vorsichtig. Ihre Furcht riet ihr, sich nicht mehr zu wehren. Sie wollte das hier alles überstehen.
»Hier wirst du leben, Ivana. Zumindest für die nächste Zeit. Und hier wirst du deine Männer empfangen.«
Ivana sah zu Boden.
Igor ging Richtung Wohnungstür. »Ivana, den Schlüssel nehme ich an mich. Ab und zu werden wir vorbeisehen. Du hast genügend Lebensmittel hier. Wir werden dir irgendwann zeigen, wie das hier mit dem Einkaufen geht. Wenn du zahm geworden bist«, lächelte er. »Und versuch nicht, andere Leute auf dich aufmerksam zu machen. Die Wohnungen rechts und links und unter dir stehen leer. Hier hört dich niemand!«, sagte er mit einem hämischen Lachen. »Und selbst wenn dich jemand hört, die Leute, die hier leben, die helfen dir nicht, wenn du schreist. Sie sind Schreie gewöhnt.«

Im Kindle-Shop: Eiskalter Schlummer - Band 2: Die Rache

Mehr über und von Lutz Kreutzer auf seiner Website zum Buch.

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25. März 2017

'Isolation: Der Anfang' von C.K. Reuter

Ascon Travennor lebt mit seiner Ehefrau Darjana und drei Kindern in der überfüllten Stadt Phérsír, die durch anhaltende Überflutungen dem Untergang geweiht ist. Im Glauben, etwas Sinnvolles für die Gesellschaft zu tun, arbeitet er als Wohnraumexperte für das Projekt Integration 1. Im Auftrag der Projektleitung kundschaftet er Familien aus und erstattet genauen Bericht über beengte Wohnsituationen. Dass sein Job in Wahrheit einem ganz anderen Zweck dient – und das Projekt einen ganz anderen Namen trägt –, ahnt er nicht.

Hat seine Arbeit etwas mit den vielen Frauen zu tun, die in letzter Zeit einfach verschwinden? Unter ihnen auch die schwangere Kaýleen Grewe, die von einer Vorsorgeuntersuchung bei ihrem Gynäkologen nicht zurückgekehrt ist.

Ascons Bruder lernt Kaýleens Schwester kennen und verliebt sich in sie. Gemeinsam machen sie sich auf die waghalsige Suche nach Kaýleen und stoßen dabei auf einen alten Bunker, der beängstigende Geheimnisse birgt.

Werden sie die Vermisste finden? Und welche Rolle spielen Ascons sensible Ehefrau und der perverse Bunkerwächter Peddenpol?

Gleich lesen: Isolation: Der Anfang (Band 1)

Leseprobe:
Hätte er gewusst, was ihm bevorstand, wäre er lieber im Knast geblieben.
Raphaele Mummbý zitterte vor Kälte, hatte blaue Lippen und entleerte seinen Mageninhalt auf verfaulte glitschige Obstschalen, Essensreste und Zigarettenkippen, die ihn umgaben. Sein Hinterteil fühlte sich eiskalt an, denn sein Hosenboden, auf dem er ständig hin und her rutschte, war binnen Kurzem völlig durchgeweicht. Geduckt saß er da und stellte fest, dass er stank wie der Abfall selbst.
Fünf Uhr morgens und stockdunkel in diesem Müllcontainer, der an zwei riesigen Ketten über der Ladefläche eines Lastwagens hing. Der verrostete Behälter pendelte beim Fahren in sämtliche Richtungen, manchmal so stark, dass Raphaele das Gleichgewicht verlor. Er versuchte sich an den Metallwänden abzustützen, aber vergeblich, seine glitschigen Hände fanden keinen Halt. Unentwegt schlitterte er durch den Müll und knallte schließlich mit dem Kopf an die Metallwand auf der anderen Seite.
Au! Verdammt!
Für einen Moment wurde ihm schwindlig und er befürchtete ohnmächtig zu werden.
Schließlich hielt der Lkw an und der Container bewegte sich langsam und quietschend nach unten. Hart und rumpelnd setzte er auf der Ladefläche auf. Kurz darauf erhob sich der riesige Kasten an der hinteren Seite und sein besonderer Inhalt, der blinde Passagier in dunkelblauer Knastuniform, geriet, beinahe kopfüber, in eine unbequeme und schmerzhafte Lage. Er versuchte sich umzudrehen, aber nirgendwo konnte er sich festhalten. Im Zeitlupentempo rutschte er auf die Öffnungsklappe zu.
Ja … egal … Hauptsache raus hier, mach schon, geh auf, dachte er. Sein Herz begann zu rasen, als die Klappe des Containers sich endlich quietschend öffnete.
Die ersten Kartoffel- und Bananenschalen mitsamt Orangenkompott, gemischt mit übel riechendem Fleisch und Tomatensuppe, rutschten hinaus. Die Abfälle ergossen sich über Jacke, Hose und sein Gesicht. Er spuckte angewidert aus, als ihm Salatsoße über die schmalen Lippen lief, die schon beim Mittagessen im Knast eher nach Arznei als nach Kräuterdressing geschmeckt hatte. Im nächsten Moment atmete er sonderbarerweise noch trockene Zigarettenasche ein, hustete und würgte, als er unkontrolliert zur Luke hin rutschte.
Dann fiel er …

„Hey Alter, aufwachen!“
Die Stimme klang nah und vertraut. Er spürte warmen Atem über seinem halb erfrorenen Gesicht.
„Hallo, Rapha, hörst du mich?“
Klatsch.
Die Backpfeife auf der eiskalten Haut fühlte sich an wie ein Messerstich, und nachdem sich das Schwindelgefühl gelegt hatte, öffnete Raphaele benommen die Augen. Er schaute in die Richtung, aus der die Worte gekommen waren und sah in der Dunkelheit zuerst verschwommen vier weiße Augäpfel. Er blinzelte einige Male, bis er begriff, dass er die Augen seines Freundes Saýosha infolge des Sturzes und der Erschütterungen doppelt gesehen hatte.
Saýosha hielt die Hand, sie steckte in einem schwarzen Handschuh, vor die Nase: „Mann, du stinkst ja schlimmer als vergammelter Fisch! Bin ich froh, dich zu sehen, ich warte hier schon ewig! Komm steh auf, wir müssen hier weg!“ Er holte eine kleine Taschenlampe aus seiner Hosentasche hervor und knipste sie an. Ihr Schein fiel unbeabsichtigt direkt in Raphaeles Gesicht. Der schielte ihn überrascht an und hielt schützend die Hände vor die schmerzenden Augen.
„Sorry“, entschuldigte sich Saýosha. Groß und breit stand er neben ihm wie eine alte Eiche, deren Äste abgesägt worden waren. Sein Körper steckte in einem schwarzen Müllsack, sodass Saýosha fast eins war mit der dunklen Nacht. Zudem hatte er seine Kappe tief ins Gesicht gezogen.
Angewidert wischte Raphaele seine klebrigen Hände am Hemd ab und fasste in sein Gesicht, nur um erleichtert seine Nase zu ertasten, die er vor Kälte nicht mehr spüren konnte. Dann entfernte er faulige Gemüsereste aus seinem Vollbart und den langen schwarzen Haaren, die im Nacken zusammengebunden waren.
Er richtete sich auf und versuchte aufzustehen. „Au! Verdammt!“
„Psssst …! Leise!“, zischte Saýosha und seine wasserblauen, von kleinen Fältchen umrandeten Augen funkelten, während er ihm die Hand reichte. „Der Fuß?“
„Ja, scheiße, ich versuch’s noch mal. Warte.“ Raphaele biss die Zähne zusammen, ergriff die Hand und ließ sich von seinem Freund hochziehen. „Es geht, glaub ich. Muss ihn mir beim Aufprall verknackst haben“, sagte er heftig atmend mit schmerzverzerrtem Gesicht.
Saýosha sah auf die Uhr und drängte. „Wird Zeit, oder willst du zurück in den Bau? Wir müssen schnellstens hier weg! Jaja, Kumpel, hier wird sogar der Abfall bewacht! Die sind doch echt schwachsinnig! Tagelang habe ich hier rumgehangen und alles beobachtet. In einer halben Stunde werden zwei bewaffnete Wachmänner über das Gelände patrouillieren und mit ihren Taschenlampen die Gegend ausleuchten. Wir stehen hier wie auf dem Präsentierteller! Also los, weg hier!“
Er stützte seinen Kumpel, der einen halben Kopf größer war als er, leuchtete mit der Taschenlampe die Grube aus, in der sie standen, und blickte besorgt nach oben. „Kannst du allein gehen? Wir müssen da hoch, durch den ganzen Mist durch. Sei vorsichtig, ich bin vorhin beim Abstieg ein paarmal ausgerutscht, hab mich dann aber einfach hingesetzt und bin in meinem fabelhaften Anzug wie auf Schmierseife hier runtergeglitten.“ Er grinste und zeigte auf den Müllsack und seine Schuhe, die in Plastiktüten steckten.
Als sie mit dem Aufstieg begannen, verflog sein Optimismus. Mit den übergezogenen provisorischen Galoschen hatte er auf dem glitschigen Untergrund keine Chance, also riss er das Plastik kurzerhand ab. Nun stand er mit seinen neuen weißen Turnschuhen inmitten von Unrat, den die Insassen des Gefängnisses Borlínth in der letzten Woche weggeworfen hatten. „Sauerei“, stieß er hervor. Raphaele nickte bestätigend. „Das kannst du laut sagen.“
Saýosha versuchte seinen ehemaligen Knastkumpel so gut es ging zu stützen. Gemeinsam wateten sie durch den Unrat und in wenigen Sekunden waren die Schuhe der beiden verdreckt und durchgeweicht. Bis zu den Knöcheln steckten sie im Müll. Bei Temperaturen nur knapp über dem Gefrierpunkt war der fünfundvierzigjährige Ausbrecher, der nichts als die dünnen Knastklamotten anhatte, in Windeseile völlig durchgefroren und klapperte mit den Zähnen. Er hatte starke Kopfschmerzen, sämtliche Knochen taten ihm weh und durch seinen Fuß schossen messerscharfe Stiche. Er schnaufte heftig. „Nicht so schnell, ich komme mir vor wie durch den Wolf gedreht!“

Im Kindle-Shop: Isolation: Der Anfang (Band 1)

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24. März 2017

'Tod am Deich. Ostfrieslandkrimi' von Ulrike Busch

Kriminalhauptkommissar Tammo Anders von der Kripo Greetsiel wacht mit Magengrummeln auf: Ab heute wird ihm die Profilerin Fenna Stern an die Seite gestellt. Eine Frau in seinem Team – kann das gutgehen? Tammo bleibt nicht viel Zeit, darüber nachzudenken. Bei seiner morgendlichen Radtour fällt er einer Leiche förmlich in die Arme: Der Teehändler und Patriarch Folkert Petersen liegt tot am Deich. Ermordet.

Kurz darauf erscheint Enno Duwe im Ort. Vor rund 25 Jahren war er über Nacht verschwunden, gemeinsam mit Petersens Tochter Tina. Hat Duwe mit dem Mord zu tun? Bei ihren Recherchen geraten Tammo Anders und Fenna Stern in einen Sumpf aus familiären Intrigen, in denen es um viel Geld und geplatzte Träume geht. Und schon bald nach dem Fund der Leiche müssen die Ermittler erkennen, dass der Mörder keine Ruhe gibt.

Ein Krimi in lockerem Stil und mit der bewährten Mischung aus Spannung, Emotion und Humor.

'Tod am Deich' ist der Auftakt zur Serie ‚Kripo Greetsiel ermittelt‘. Das Team um Kriminalhauptkommissar Tammo Anders und Profilerin Fenna Stern ist in dem historischen Fischerdorf an der ostfriesischen Küste angesiedelt. Der Ort wirkt so romantisch und weltentrückt – man mag kaum glauben, was dort alles passiert.

Gleich lesen:
Für Kindle: Tod am Deich. Ostfrieslandkrimi (Kripo Greetsiel ermittelt 1)


Leseprobe:
Tammo blinzelte. Die heiße Sonne Afrikas blendete ihn. Am Steuer seines Jimco Trophy Trucks kämpfte er sich durch den Wüstensand, den anderen Teilnehmern immer ein Stück voraus. Ein einsamer Wolf auf der gefährlichsten Rallyestrecke der Welt.
Eben noch hatte er sich zwischen riesigen Sandbergen hindurchgeschlängelt, hatte im Vorbeifahren ein Beduinenzelt fast zum Einsturz gebracht und wäre beinahe mit einer Herde wilder Kamele kollidiert. Risiken lauerten überall, doch Aufgeben galt nicht.
Wenn nur die grelle Sonne nicht wäre. Und wieso spielte das Autoradio plattdeutsche Musik? Genervt nahm Tammo eine Hand vom Lenkrad, hielt sie über die Stirn und riss die Augen auf.
Seine gemütlich eingerichtete Dachkammer in Onkel Fridos altem Friesenhaus empfing ihn im Hier und Jetzt. In Schweiß gebadet blickte der Kriminalhauptkommissar um sich. Der Radiowecker zeigte sechs Uhr zweiunddreißig, und durch das Veluxfenster begrüßte ihn ein strahlend blauer Himmel.
Tammo setzte sich auf und schob die zerknüllten Kopfkissen dahin, wo sie hingehörten. Schlagartig fiel ihm ein, was ihn an diesem Tag hier, in Greetsiel, erwartete: ein zusätzlicher Kollege in seinem Team.
Der Neue in der Mannschaft war eine Frau.
Wenn das mal gut ging.
Tammo schlug die Decke zurück und setzte sich auf die Bettkante – das Zeichen für Buddy, dass er sich zum frühmorgendlichen Gassigehen fertig machte.
Der Rüde, eine Schnauzermischung mit pechschwarz glänzendem Fell, legte Tammo beide Pfoten auf die Knie. Mit feuchter Schnauze schnüffelte er an Herrchen herum, schnaufte ihm fragend in die Nase und setzte diesen unwiderstehlichen Blick auf, der ›Fütter mich‹ bedeutete, den Tammo jedoch gern als ›Ich mag dich‹ verstand.
»Ich mag dich auch«, grummelte der Kommissar. »Aber jetzt lass Herrchen erst mal wach werden.« Er schob Buddy sanft von sich weg und schlich sich ins Bad.
»Aller guten Dinge sind drei«, warnte ihn sein Spiegelbild, und Tammo fragte sich, welches Abenteuer außer der Rallye vorhin im Traum und der Kollegin nachher im Büro an diesem Tag wohl noch auf ihn lauerte.
Frisch rasiert und schlecht gelaunt stieg er die Treppen ins Erdgeschoss hinab.
Buddy tapste hinterher.
Im gestreiften Pyjama schlurfte Onkel Frido durch die Diele in die Küche, um das Teewasser aufzusetzen. »Oh, heute mal wieder über die Rasierklinge gerutscht?«, fragte er auf halbem Weg. »Hab ich was verpasst?«
Tammo nahm die Hundeleine vom Garderobenhaken. »Dir auch einen guten Morgen«, murmelte er.
Frido kehrte in die Diele zurück und stützte sich auf die Kommode. »Nu erzähl schon.« Er deutete mit dem Kopf auf das glatt rasierte Kinn seines Neffen. »Dienstjubiläum? Oder nein, doch nicht etwa ’n Mädel? Wird ja auch mal Zeit.«
»Das musst du gerade sagen«, konterte Tammo. »Wie lang ist es jetzt her, dass Tante Lisbeth dich verlassen hat?«
Frido machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich bin wenigstens geschieden. Du hast ja nicht mal ’ne Hochzeit geschafft. Und das mit bald fünfzig Jahren.«
»Achtundvierzigdreiviertel«, korrigierte Tammo ihn. Er klinkte die Leine an Buddys Halsband fest und kramte auf der Kommode nach dem Fahrradschlüssel, der zwischen Brieftaschen, Handschuhpaaren, einer Schale mit Münzen und einem schon ewig nicht mehr beachteten Zauberwürfel lag. Dann gab er seinem Onkel einen Klaps auf die Schulter und verließ mit Buddy das Haus.
Er schwang sich aufs Rad, ließ die Laufleine ausrollen und radelte durch die so früh am Morgen noch menschenleeren Straßen des historischen Ortskerns von Greetsiel, vorbei an den gepflegten Häusern aus naturbelassenen oder weiß gekälkten Backsteinen und an liebevoll dekorierten Sprossenfenstern. Eine Welt aus Puppenhäusern.
Ein frühlingsfrischer Nordwestwind wehte dem Kommissar entgegen, als er in die Sielstraße einbog, geradewegs auf den Hafen zu. Die Masten der Fischkutter reckten sich in den Himmel, und die Fischer liefen geschäftig auf dem Hafengelände herum. Auf der Rückfahrt würde er sich eine große Tüte Granat mitnehmen. Nichts ging über Rührei mit Krabben, dazu ein kräftiger Ostfriesentee.
Tammo lenkte sein Rad auf den Weg, der die Deichkrone entlangführte, und legte an Tempo zu. Putzmunter und topfit wollte er erscheinen, wenn die Neue nachher das Büro betrat. Für den ersten Eindruck gab es keine zweite Chance.
Wie das wohl laufen würde mit Fenna Stern? Fallanalytikerin nannte sie sich. Mit einem extrascharfen, spuckesprühenden F warf Tammo dem Wind das Wort entgegen. Fallanalytikerin. Auf Neudeutsch: eine Profilerin.
Als sie sich weit genug vom Ortskern entfernt hatten, löste Tammo die Leine von Buddys Halsband. Übermütig lief der Hund zu den Wiesen am Leyhörner Sieltief hinab und hechtete einer Möwe hinterher, während Herrchen auf dem Deich die Ruhe genoss. Weit und breit war kein Mensch zu sehen.
Bis auf den Jogger da vorn, der ihm entgegenlief.
Kopfhörer, Sonnenbrille und den Blick stur geradeaus. Das waren die Typen, die der Kommissar nicht leiden konnte. Auf dem schmalen, unebenen Pfad machte der Turnschuhträger sich breit wie ein Überseekoffer.
In Gedanken noch auf der Rallye im Wüstensand unterwegs, wich Tammo dem Sportler mit einem zu großen Schlenker aus. Er kam ins Trudeln, und plötzlich stand die Welt Kopf. Das Bike machte einen Salto über ihn hinweg und polterte hinab. Lenker und Vorderrad landeten im Entwässerungsgraben hinter dem Deich. Tammo rollte hinterher, fand jedoch vor dem Schilfgürtel am Ufer des Grabens Halt.
Nach einer Schrecksekunde blickte er hinauf. »Hey!«, rief er dem Jogger hinterher, doch der lief weiter wie ein Roboter.
Aufgeschreckt von Tammos Ruf erschien Buddy oben auf dem Deich. Seine hochgestellten Ohren, der schiefgelegte Kopf und die braunen Knopfaugen stellten eine Frage, auf die Herrchen jetzt nicht eingehen wollte.
Hoffentlich war das Rad nicht verbeult. Tammo raffte sich auf. Mit der einen Hand umfasste er das Oberrohr, mit der anderen den Sattel und versuchte, das Bike herauszuheben. Der linke Fuß schmerzte, der Drahtesel gab sich störrisch.
Ein zweiter Versuch. Vergeblich.
Was hielt das Rad im Wasser?
Tammo kniete sich hin und drückte das Schilf auseinander.
Da sah er die Hand.
Blutleer und schlaff hatte sie sich in den Speichen verfangen. Sie gehörte zu einer dunkel gekleideten Gestalt, die, das Gesicht nach unten gekehrt, im Wasser trieb.

Im Kindle-Shop: Tod am Deich. Ostfrieslandkrimi (Kripo Greetsiel ermittelt 1)


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22. März 2017

'Eiskalter Schlummer - Band 1: Das Verlies' von Lutz Kreutzer

In der Isar bei München wird die Leiche eines Journalisten gefunden. Die Gesichtszüge des Mannes weisen auf eine asiatische Herkunft hin. Wie sich bald herausstellt, war der tote Journalist ein paar Finanzhaien auf die Spur, die den Wohnungsmarkt in München auf skrupellose Weise untergraben. Wenig später hängt ein Mann an einem Baum, der gefürchtete Personalchef einer Bank.

Drei Mädchen geraten an eine russische Schlepperbande. Die jungen Frauen suchen ihr Glück und vertrauen ein paar Männern, die ihnen ein leichtes Leben versprechen. Ihre Gutgläubigkeit wird ihnen zum Verhängnis, und sie landen in einem Verlies.

Hauptkommissar Benno Völz und sein Kollege Kowalski stehen vor einem Rätsel. Ihre neue Assistentin aber scheint ihre Ermittlungen jedoch zu beflügeln. Ein Fall, der die Polizisten menschlich an ihre Grenzen bringt.

Die Geschichte spielt in München und in Kalmückien, der tiefsten russischen Provinz. Ein Thriller um Menschenhandel, Rauschgift und organisiertes Verbrechen, der sich an wahren Begebenheiten orientiert.

Gleich lesen: Eiskalter Schlummer - Band 1: Das Verlies

Leseprobe:
Der blutleere Zwickauer

Elista, Kalmückien, Mai 2014
»Hallo Papa. Ich bin Igor. Schön, dich kennenzulernen«, sagte er, holte aus und knallte Sergej Kasikov die Faust ins Gesicht.
Sergej flog gegen die Reihe Mäntel, die an der Garderobe hingen. Verwundert musterte er Igor, schüttelte sich und stand auf. »Den Schlag hast du von mir«, schnarrte er in gebrochenem Deutsch und rieb sich Kinn und Nase, aus der das Blut in seine Hand lief.
Als Igor ihm ein Taschentuch reichte, lehnte Sergej ab. Stattdessen wischte er das Blut mit dem Ärmel seines Hemds kurz weg und ließ es einfach weitertropfen.
Igor roch deutlich seine Alkoholfahne.
»Igor. Igor heißt Du also«, sagte Sergej mit bohrendem Blick und nickte. »Und weiter?«
»Köbel. Igor Köbel!«
»Hat Deine Mutter also meinen Wunsch nach einem russischen Namen erfüllt, diese Hure!« Sergej grinste schief. Seine Augäpfel waren von roten Äderchen durchzogen.
Igor nahm ihn beim Hemd und hielt ihn hoch. »Nenn meine Mutter nie wieder Hure!«, schnauzte er und starrte seinem Vater drohend in die Augen.
»Warum nicht? Ist sie nicht?«, fragte Sergej, hob seine Arme und boxte Igor die Fäuste in die Seiten.
Igor grunzte und ließ ihn los.
»Igor ist guter Name. Aber… Ko-ebel. Viel zu deutsch für Russe!«, rief Sergej und spuckte in eine Ecke.
Igor trat über die Türschwelle und sah sich um. Dieses Heim war so schäbig und roch so beißend, dass er die Nase rümpfte.
»Hat sie dich gut behandelt, deine … Mutter?«, fragte Sergej und wartete geduldig auf eine Antwort. Doch die kam nicht. Dann lachte er laut auf. »Siehst du, ich habe es gewusst. Eine verdammte Hure.«
»Du kannst russisch reden, hab’s in der Schule gelernt«, sagte Igor zischend. »Ty buchoj, versoffenes Loch!«
»Was willst du hier?«
Erst jetzt erfasste Igor, wie klein sein Vater war. Das Foto, das seine Mutter ihm vor langem gegeben hatte, zeigte nur sein Gesicht. »Ich wollte wissen, welcher Widerling mir meinen großen Kopf und die tellergroßen Hände verpasst hat.«
Sergej betrachtete die Innenflächen seiner Hände, drehte sie dann hin und her und brummte: »Musst du von meinem Großvater haben. Man sagt, er war ein Riese!«
»Hast du ihn nicht gekannt?«, fragte Igor.
»Nein«, antwortete Sergej grimmig, »hat sich tot gesoffen, als meine Mutter noch ein Kind war.« Sergej fasste Igor bei den Armen und prüfte seine Muskeln. »Wie bist du hierhergekommen, Igor?«
»In Moskau bin ich in eine kleine Maschine umgestiegen, mit der bin ich hierher nach Elista geflogen.«
Sergej nickte. Er strich über sein blutig verschmiertes Hemd und maß Igor von oben bis unten. »Wie groß?«, fragte er, streckte die Brust raus und legte den Kopf nach hinten, so wie er es als sowjetischer Soldat für Militärparaden gelernt hatte.
»Zwei Meter drei.«
»Das ist verdammt groß«, sagte Sergej mit dem Blick väterlicher Ergriffenheit. »Lass uns feiern, mein Sohn!« Sergej zog Igor in die Wohnung. Dann schrie er etwas.
Drei Kameraden, unfrisiert, vom Alter gebeugt und ziemlich verwahrlost, kamen angewackelt. Der Erste trug einen Orden an der linken Seite, wo ein Arm fehlte, der Zweite humpelte auf zwei Krücken, weil ihm das linke Bein fehlte, und der Dritte trug eine schwarze Binde, weil ihm anscheinend das rechte Aue fehlte. Sergej stellte Igor als seinen Sohn vor. Sie freuten sich lauthals und reckten sich, um Igor auf die Schultern zu klopften.
»Was machst du hier in diesem gottverlassenen Ort?«, fragte Igor und drehte sich, um jedes noch so verkommene Detail dieser Behausung zu erfassen.
Sergej schniefte unappetitlich. »Hast Du eine Ahnung, wo du hier bist?«, fragte er leise.
»Das muss wohl der Arsch der Welt sein«, spottete Igor.
Sergej zog den Rotz hoch. »Kalmückien, das Dreckloch am Kaspischen Meer. Seit die Sowjets hier gewütet haben, gibt es hier nichts als Wüste, bis hinab zur Manytsch-Niederung. Da ist Europa tatsächlich zu Ende. Südlich davon, da bist du schon in Asien. Dort gibt es nur noch verarmte Darginer, heimatlose Turkmenen«, zählte er voller Verachtung auf, »streitsüchtige Osseten und amoklaufende Tschetschenen. Und dann, noch weiter unten, da ist schon der Kaukasus. Wenn du in diesem Scheißland hier verschwindest, fragt niemand nach dir.«
»Und warum finde ich dich ausgerechnet in diesem Loch? Ich dachte, du lebst in Saus und Braus?«
»Das ist lange her. Wir haben alles versoffen, verhurt und im Westen verbraten. Jetzt ist das Geld weg.«
»Und wieso Elista?«
»Elista!«, sagte Sergej und breitete die Arme aus. »Das hier ist nicht nur die Hauptstadt von Kalmückien, das ist gleichzeitig die Welthauptstadt des Schachspiels. Hier gibt es die besten Spieler auf dem Planeten. Und meine Freunde und ich hier, wir tun den ganzen Tag nichts anderes als Schach spielen.«
»… und Saufen!«, brummte Igor streng.
Sergej lachte laut.
»Schachspielen, das Einzige, was du am Hindukusch machen konntest, um nicht verrückt zu werden«, schnarrte der einbeinige Kerl, wackelte auf seinen Krücken gestützt unsicher zur Seite und grinste verächtlich.
»Meine Freunde … also die, die mir geblieben sind«, sagte Sergej und ließ seine Hand kreisen, um die drei Männer vorzustellen. »Wir waren lange zusammen in Afghanistan, seitdem muss ich für sie denken und die Wohnung putzen«, höhnte Sergej. »Danach waren wir kurz in Deutschland stationiert.«
»Deutschland war das Paradies!«, rief der Einäugige.
»In dem Zustand haben sie euch in Deutschland als Soldaten arbeiten lassen?«, höhnte Igor und zeigte auf die fehlenden Gliedmaßen und die Augenbinde.
»War billiger als uns eine Leibrente zu geben. Und nach dem Abzug haben die Deutschen dann alle Zahlungen übernommen, diese Idioten!«, lachte Sergej ausgelassen. Die anderen Drei fielen lauthals in sein Lachen ein.
»Wir haben viel Geld verdient«, sagte der Einarmige hämisch.
»Ja, Mama hat erzählt, dass ihr mit Stoff gehandelt habt«, sagte Igor bitter, »du hast sie süchtig gemacht mit dem Scheiß.« Erneut packte er Sergej beim Kragen. »Und mich dann allein mit ihr gelassen.«
Sergej machte ein betretenes Gesicht. »Jungchen, komm, sei nicht so böse mit mir. Deine Mamuschka hat das selbst gewollt. Ich hab ihr nie dazu geraten, ich hab das Zeug nur verkauft in ihrem Land. Und sie wollte es probieren. Da hab ich ihr halt was gegeben.« Er hob die Schultern und machte eine Miene der Unschuld. »Hier, frag meine Freunde, sie können das bezeugen«, sagte er und zeigte auf die Männer, die im Halbkreis um sie herum standen und heftig nickten.
»Und warum geht das jetzt nicht mehr mit dem Schmuggeln?«, fragte Igor und beäugte seinen Vater skeptisch.
Sergej lachte. »Das willst du alles wissen, mein Junge? Das ist viel zu viel für deinen jungen Kopf.«

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17. März 2017

'Meine beiden Leben - Die Traumbücher' von J.J. Winter

Nach ihrer dramatischen Rettung aus der Gegenwelt muss Jess gegen das Trauma ankämpfen, das die fingierte Ermordung von Christoph und Raphael in ihr ausgelöst hat – immer wieder wird sie in die Erinnerung zurückgezogen, die sie für die Wirklichkeit hält. Ihre Familie und Freunde tun ihr Bestes, sie dabei zu unterstützen, doch darüber hinaus quälen sich alle noch mit einem weiteren Problem: Wo ist das verhängnisvolle Medaillon des Herrn geblieben – und wer ist der „Henker“, der mittlerweile ein hohes Kopfgeld auf Jess ausgesetzt hat?

So schwebt Jess beständig weiter in höchster Gefahr, und als sie und Christoph ihre Hochzeitsreise nachholen wollen, müssen beide erkennen, dass es keinen Ort gibt, an dem die Kronprinzessin wirklich in Sicherheit wäre. Zwar gewinnen die Vincenzes neue Freunde und Verbündete, aber überall lauern auch heimliche Feinde und gewissenlose Schergen des „Henkers“.

Als schließlich unerwartet noch eine weitere Macht mit einem raffinierten Zug ihr eigenes Spiel beginnt, überschlagen sich die Ereignisse …

Gleich lesen: Meine beiden Leben - Die Traumbücher

Leseprobe:
Während Raphael noch versuchte, seine Verlegenheit in den Griff zu bekommen, machte sich Christoph daran, Jess das verdreckte, kratzige Kleid auszuziehen. Er öffnete sein Handgelenk und verschloss die Wunde in ihrem Gesicht. Danach drehte er sie auf den Bauch und versiegelte einen der Striemen auf ihrem Rücken, die durch die Bewegung immer wieder aufgerissen waren.
Raphael trat neben ihn. Er war wieder völlig besonnen und auf das Wesentliche konzentriert. „Hör damit auf, Christoph.“ Der Blick, den er für diese Anweisung erntete, hätte jeden anderen in die Knie gezwungen. Nicht so Raphael. „Lass das Estephan machen. Dein Blut wird noch anderweitig benötigt. Jess muss alle vier Stunden genährt werden, und ich glaube nicht, dass sie in ihrem jetzigen Zustand bereit ist, von einem anderen etwas anzunehmen. Wir können schon froh sein, wenn sie deines nicht ablehnt.“
Christophs Blick wurde weicher. Der Todesengel hatte recht. Jess brauchte ausreichend Nahrung, um wieder zu Kräften zu kommen. Wenn er zu viel für ihre Heilung verwendete, war sein Lebenssaft nicht mehr nahrhaft genug. Mit einem kurzen Nicken gab er sein Einverständnis. „Vater, würde es dir etwas ausmachen?“
Ohne zu zögern trat Estephan an das große Himmelbett und setzte sich neben Jess. Nach einem prüfenden Blick auf die schweren Misshandlungen begann er mit seiner Arbeit. Es dauerte über eine Stunde, bis alle Wunden verschlossen waren. Nur Brust, Bauch und Oberschenkel zeugten nun noch von den Qualen, die sie hatte erleiden müssen. An diese Stellen wagte sich Estephan nicht. Christoph hatte beschlossen, sie selbst zu heilen. Der ließ ihn währenddessen keine Sekunde aus den Augen.
Während der gesamten Zeit sprach niemand ein Wort. Christoph schickte sich an, Jess ins Badezimmer zu tragen, um die letzten Wunden zu versorgen und ihren Körper in der Wanne von dem Schmutz und Blut zu säubern.
Verlegen räusperte sich Alessandro. „Vielleicht sollten wir derweil unten warten, um den beiden die Intimität zwischen Ehegatten zu gewähren.“
Binnen fünf Sekunden war das Schlafzimmer leer. Alle hatten den Wink mit dem Zaunpfahl verstanden.

***

Orario trat als Erster freudestrahlend auf die Veranda, und sofort stürmte das versammelte Rudel auf ihn zu. Alessandro trat vor. „Wir haben es geschafft. Jess ist zurück und ruht jetzt in der Engelsgleiche, um zu heilen.“
Weiter kam er nicht. Heftiger Jubel brach unter seinen Gefährten aus. Allein schon die Tatsache, dass Jess hatte zurückgebracht werden können, reichte den Wölfen, um in Euphorie auszubrechen. Sie war wieder da, alles andere würde sich schon ergeben.
„Es ist allerdings noch zu früh, um mit Sicherheit zu sagen, ob sie wieder ganz die Alte wird“, verkündete Alessandro weiter, nachdem wieder ein wenig Ruhe eingekehrt war. „Außerdem ist die Gefahr noch nicht gebannt. Wir haben den Auftraggeber des Dämons nicht ausfindig machen können. Und Jess erzählte uns auf dem Rückweg, dass Wandler in der Gestalt von Raphael und Christoph in Bezirk sechs aufgetaucht sind, um sie von dort wegzulocken. Die Bedrohung ist also immer noch gegenwärtig. Heute ist allerdings mit keinem Angriff mehr zu rechnen und es ist an der Zeit, einen ersten Erfolg zu feiern. Haltet aber trotzdem weiterhin die Augen offen.“
Rodriguez, Carla und Santos machten sich daran, Getränke und Speisen auf die Veranda zu schaffen und Bänke und Tische auf dem Rasen aufzustellen. Die Vampire mischten sich unter die Wölfe und genossen die Freude, die jedem einzelnen Gesicht anzusehen war.
Selbst Orario konnte sich dem nicht entziehen. Das Rudel freute sich tatsächlich darüber, eine Vampirin gerettet zu haben. Dieses Mädchen – diese Urreine – war einfach unbezahlbar, und sie war sein. Sie stand unter dem Schutz seines Clans, und er war ihr Meister. Mit breitem Grinsen im Gesicht wandte er sich an den Todesengel: „Ein neues Zeitalter bricht an und du bist Zeuge davon. Vampire, Werwölfe und ein Todesengel. Alle ziehen gemeinsam an einem Strang, um ein Wesen zu beschützen. Eines von unglaublichem Wert. Eine Urreine!“ Stolz ergriff ihn bei diesen Worten.
Raphael neigte nur das Haupt und zog sich in seine eigenen Gedanken zurück. Beinahe hätte er sie verloren, und sie dachte die ganze Zeit, ihn verloren zu haben. Und nun, da er sie gefunden hatte, wollte sie ihn nicht bei sich haben. Tief in seinem Inneren durchzuckte ihn Schmerz, unvorstellbare Höllenqual. Sie hatte sich in der Nacht vor ihrer Vermählung von ihm verabschiedet. Ihn freigegeben. Aber wollte er diese Freiheit?
Nein, will ich nicht! Ich will Evangeline, und ich werde nicht ruhen, bis ich einen Weg gefunden habe, sie zurückzuholen. Sie war schon immer mein, und sie wird auch mein bleiben!
Ein heftiges Knurren entglitt seiner Kehle, und zig Augenpaare richteten sich auf ihn. Ohne darauf zu achten, suchte er sich einen Platz etwas abseits von dem Trubel und setzte sich.

***

Valerie, die sich in den letzten beiden Stunden ihren Träumen hingegeben hatte, wurde durch den Jubel aufgescheucht und stürmte in die große Halle. Dort vernahm sie Alessandros Ansprache an das Rudel. Die Nachricht von Jess‘ Rückkehr und die Tatsache, dass sie wahrscheinlich überleben würde, versetzten ihr einen tiefen Schock.
In den Stunden, in denen die Wölfe damit beschäftigt gewesen waren, die Überreste der Dämonen zu beseitigen, war sie nicht untätig geblieben. Geschickt hatte sie Lorenzo dazu gebracht, sie über die Ereignisse der letzten Nächte in Kenntnis zu setzen.
So erfuhr sie alles über Jess‘ – in ihren Augen höchst peinlichen – Auftritt vor dem Hohen Rat und ihren Zusammenbruch, der sich als Entführung in die Gegenwelt entpuppt hatte. Ihre Hoffnung stieg weiter, als er ihr anvertraute, dass Jess schon seit sechs Tagen keine Nahrung zu sich genommen hatte. Die ersten Anzeichen ihres bevorstehenden Todes würden sich bereits abzeichnen. Die Zeit drängte. Sollte es dem Suchtrupp nicht gelingen, sie noch heute zu befreien und in Erfahrung zu bringen, was sie an der Rückkehr hinderte, würden ihr selbst die Vampire nicht mehr helfen können. Außerdem müsse man sie dazu bringen, zu trinken, und das könnte ein beinahe noch größeres Problem werden.
Nachdem sich die Ursprünglichen mit Carla und Rodriguez in Christophs Schlafzimmer zurückgezogen hatten, um dort auf die Rückkehr derer zu warten, die zu Jess‘ Rettung aufgebrochen waren, nutzte Valerie einen unbeobachteten Moment, um unbemerkt in die Küche zu schleichen und Samuel anzurufen. Es gab noch einiges, was sie in Erfahrung bringen wollte, und er war der Einzige, der ihr die Antworten auf ihre Fragen liefern konnte.
Hocherfreut über die Gesamtsituation und die Möglichkeit, selbst an neue Informationen zu kommen, war Samuel nur allzu gerne bereit, sein Wissen über den Tod durch Nahrungsentzug mit Valerie zu teilen. Nach zwanzig Minuten beendete die Haushälterin zufrieden das Gespräch. Seither schwebte sie auf Wolke sieben. Nicht mehr lange, und sie wäre endlich am Ziel ihrer Träume angekommen. In den schillerndsten Farben stellte sich Valerie ihre gemeinsame Zukunft mit Christoph vor.

Im Kindle-Shop: Meine beiden Leben - Die Traumbücher

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16. März 2017

'Die Rivalen am Lago di Bènaco' von Sabina Gabriel

Italien, anno 1267. Der junge Edelmann Giacomo wird nach dem Ableben des Vaters Burgherr und Gutsbesitzer.

Als Mastino I. aus Verona die Edelleute am Lago di Bènaco zusammenruft, um den jungen Hohenstaufener Konrad, den Enkelsohn Kaiser Friedrichs von Sizilien, im Kampf gegen Karl I. von Anjou zu unterstützen, zieht er in Betracht sich zu vermählen, um nicht in den Krieg ziehen zu müssen. Doch er kann seine Jugendliebe Mariella nicht vergessen, die von seinem Vater vom Hof verbannt wurde, da sie nicht standesgemäß war.

Als er Maresca begegnet, verliebt er sich, doch das Mädchen birgt ein Geheimnis. Burgherr Giacomo und Graf Federico gehen dem auf die Spur und geraten selbst in eine Intrige, die letztendlich Federico in den Kerker bringt. Währenddessen plant Conradino, wie der 15jährige Konrad von den Italienern genannt wird, mit Unterstützung der Kaisertreuen den Kampf gegen Papsttreuen seinen Zug nach Italien.

Gleich lesen: Die Rivalen am Lago di Bènaco: Historischer Roman

Leseprobe:
IM Hafen von Sirmiù
Bevor sich Giacomo mit den Galeerenbesitzern bezüglich des Warentransportes zwischen Padenghe sul Garda und Sirmiù auseinandersetzen wollte, stieg er vom Pferd und führte es zu einem großen Stein, auf den er sich setzte und tief einatmete. Er liebte die Luft am Lago Benàco und den Anblick des Sees mit dem Funkeln der Sonne auf der Wasseroberfläche. Er war ganz in seinen Gedanken vertieft, als es um ihn herum ziemlich laut wurde.
Plötzlich hörte er einen lauten Aufschrei und sah einen kleinen Jungen humpelnd davonlaufen. Er rannte an ihm vorbei und Giacomo hielt ihn im letzten Moment am Arm fest.
»Was hast du verbrochen, dass die ganze Meute hinter dir her ist?«
Bevor der Junge antworten konnte, wurde Giacomo von einer Gruppe aufgebrachter Fischer angesprochen.
»Gehört der Bengel zu Euch? Schöne Nachzucht, die Ihr heranzieht! Er hat uns Fischer beklaut und nicht das erste Mal.«
Der Junge versteckte sich hinter dem Rücken des Edelmannes.
»Erstens ist es nicht mein Junge und zweitens hüte deine Zunge, du stehst vor einem Ritter und Edelmann. Da sollte dir erst mal das richtige Benehmen einfallen. Hier hast du ein paar Gulden und jetzt verzieht euch alle zusammen. Ich möchte keinen Kommentar mehr hören, der Junge bleibt in meiner Obhut und wird den Schaden abarbeiten.«
Murrend verzog sich die Meute und Giacomo war mit dem Jungen alleine. Er packte ihn am Kragen und schimpfte: »Was fällt dir ein, ehrliche Leute zu berauben?«
»Es tut mir leid, aber ich muss mich um meine kranke Mutter und meine kleine Schwester kümmern. Ich kann sie ja nicht verhungern lassen.«
»Ist das wahr, oder ist das ein Bettelmärchen?«, fragte Giacomo den Jungen mit hochgezogenen Augenbrauen. Trotzig blickte der Junge weg und gab keine Antwort von sich. Dann wurde er verlegen.
»Also gelogen! Jetzt will ich die Wahrheit hören! Wie heißt du überhaupt?«
»Ich heiße Piro. Ich habe meine Eltern verloren, mein Vater starb, als ich noch klein war. An ihn kann ich mich nicht mehr erinnern. Und meine Mutter starb ebenso, vor ein paar Jahren, auf dem Krankenbett. Sie war schwer krank und ich musste sie pflegen. Geschwister habe ich keine.«
Nun schimmerten Tränen in den Augen des Jungens und Giacomo war gezwungen, ihm die Geschichte zu glauben.
»Vielleicht wäre sie noch am Leben, hätte ich Geld für Medizin gehabt, aber ich war noch so klein und keiner gab mir Arbeit.«
Er stoppte in seiner Erzählung und wischte sich versteckt die Tränen aus dem Gesicht.
»Als ich letztes Jahr auch noch unter die Räder einer Kaufmannskarre geriet, verweigerte man mir jede Arbeit.«
Verächtlich fuhr er mit seiner Erzählung fort.
»Wer will schon einen Krüppel beschäftigen? Ich kann immer noch gut arbeiten, aber es gibt einem ja keiner eine Gelegenheit. Also besorge ich oft Waren für die Bauern, die am Hafen rumliegen.«
»Soso, rumliegen, mh, wie alt bist du?«
»Acht oder neun, ich weiß es nicht. Vielleicht auch zehn. Obwohl, für zehn bin ich eigentlich zu klein. Ich habe nicht mitgezählt. Ich lebe schon seit einigen Jahren auf der Straße«, fuhr er traurig fort.
»Würdest du einen Gutsherrn ebenso bestehlen, wenn du dort einen Schlafplatz und Essen bekommen würdest und dafür im Stall helfen müsstest?“
»Oh, nein, mein Herr, sicher nicht«, stieß Piro aus und seine Augen funkelten vor Freude.
»Ich werde sehen, was ich für dich tun kann. Du wartest hier. Ich muss noch mit dem Besitzer der Galeere reden, dann werden wir eine Lösung für dein Problem finden. Rühr dich nicht von der Stelle! Ich finde dich, solltest du nicht gehorsam sein«, fügte Giacomo im strengen Ton zu.
»Piro, passe auf mein Pferd auf, während ich mit den Leuten am Hafen spreche.«
Er hätte es auch an den Zügeln mitnehmen können, aber so sah er für den Jungen weniger Gelegenheit, wieder fortzulaufen. So dreist, sein Pferd zu stehlen, würde er wohl nicht sein.
Nachdem Giacomo die Verschiffung seiner Güter mit den Schiffseignern abgesprochen hatte, kehrte er zu dem Jungen zurück. Piro sprach zu dem Pferd und machte keine Anstalten, zu flüchten. Giacomo stellte die Überlegung an, ob er ihn auf sein Gestüt holen sollte. Aber da er dem Jungen noch nicht so recht traute und er oft unterwegs war, wäre es wahrscheinlich besser, ihm einen behüten Platz in Sirmiù zu suchen.
Eigentlich könnte er Federico fragen, denn er konnte sich gut vorstellen, dass sich sein Sohn mit dem Jungen anfreunden könnte. Beide konnten sich gegenseitig stützen, der eine wegen seiner Behinderung und der andere, weil er der uneheliche Sohn eines Edelmannes war. Zu zweit waren solche Tatsachen weit besser wegzustecken, als wenn man alleine dagegen ankämpfen musste.
Giacomo wusste, wovon er sprach, denn Knappen waren nicht immer nette Burschen und Gehässigkeit stand oft auf der Tagesordnung. Vor allem suchten sie sich dafür immer die Schwächeren aus.

Im Kindle-Shop: Die Rivalen am Lago di Bènaco: Historischer Roman

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14. März 2017

'Floras Traum von rotem Oleander' von Annette Hennig

Eine weiße Villa, eine adlige Familie und der Traum vom großen Glück.

Im Frühjahr 1939 träumt die 19-jährige Flora Hoffmann von einem besseren Leben. Mit fünf Schwestern in einfachen Verhältnissen aufgewachsen, ist der Alltag der Familie in der ländlichen Idylle der Insel Rügen von Arbeit und Entbehrungen geprägt. Doch Flora sehnt sich nach Reichtum und Macht, eben jener Art von Wohlstand, die sie in ihrer Stellung als Hausmädchen täglich erlebt. Bald schon kennt die junge Frau nur noch ein Ziel. Den Weg dorthin verfolgt sie mit aller Kraft und trifft dabei Entscheidungen, die nicht nur ihr Leben für immer verändern.

Fünfzig Jahre später kehrt Flora Gräfin von Langenberg zum ersten Mal in den kleinen Badeort an der Ostseeküste zurück, an dem alles begann. Seinem letzten Wunsch entsprechend trägt sie ihren verstorbenen Mann in heimatlicher Erde zu Grabe. Noch einmal streift die Gräfin durch die alte Villa, der einst ihre ganze Sehnsucht galt. Einsam und zugleich entschlossen beginnt die fast Siebzigjährige eine Reise in die Vergangenheit, die ihr weit weniger Hoffnung als Schmerzen bereitzuhalten scheint. Doch auch dieses Mal geht sie unbeirrt ihren Weg. Wird Flora letztlich finden was sie längst verloren glaubte?

Gleich lesen: Floras Traum von rotem Oleander (Blütenträume 1)

Leseprobe:
Insel Rügen, Mecklenburg-Vorpommern 1990
Martha Dannert traute ihren Augen nicht. Als sie sich aufrichtete und den schmerzenden Rücken geradebog, erblickte sie die hochgewachsene, schlanke Gestalt.
Seit fast zwanzig Jahren pflegte Martha jetzt die Gräber der Eltern, und bald würde es diesen Ort der Besinnung, des Einhalts und der Erinnerung nicht mehr geben. Die Zeit war abgelaufen, sie hatte die Grabstätten nur für zwanzig Jahre reserviert. Heute Morgen, als die alten Glieder ihr wieder einmal die vielen gelebten Jahre vor Augen gehalten hatten, hatte sie gar nicht herkommen wollen, doch jetzt war sie froh, den Besuch nicht auf den nächsten Tag verschoben zu haben. Auch morgen würden Knie und Rücken schmerzen. Daran änderte sich in ihrem Alter gewiss nichts mehr.
Sie legte die kleine Schaufel, mit der sie das Pflanzloch gegraben hatte, aus der Hand. Die Rose, die noch im Topf neben ihr stand, musste warten. Schützend hielt sie ihre Hand über die Augen, um im Gleißen der Sonne die beiden Trauernden besser erkennen zu können, die in einiger Entfernung an einem offenen Grab standen. Als sie ihren Kopf reckte und ein Stück nach links trat, um einen besseren Blick zu haben, geriet sie ins Straucheln. An der blechernen, mit Wasser gefüllten Gießkanne schürfte sie sich die Wade auf, und im letzten Moment fand sie Halt am Grabstein. Erschrocken stieß sie einen spitzen Schmerzensschrei aus. Sofort presste sie die Hand auf den Mund; die beiden Fremden sollten sie nicht bemerken. Nachdem sie etwas Atem geschöpft und sich von ihrem Schreck erholt hatte, spähte sie wieder angestrengt hinüber. Sie zweifelte noch immer, musterte aufmerksam die ganz in schwarze Seide gekleidete Frau.
Diese aufrechte Haltung, erhaben und distinguiert. Konnte das wirklich möglich sein? Das Haar kurz geschnitten, aber nicht gefärbt. Sein helles Grau bildete einen starken Kontrast zu der Trauerkleidung und unterstrich den vornehm blassen Teint. Das modisch geschnittene Kostüm war von erlesener Eleganz, konnte aber ebenso wenig über die Jahre gelebten Lebens hinwegtäuschen wie die knallrot geschminkten Lippen oder die hohen Pumps, die nicht recht an diesen Ort passen wollten.
Martha blinzelte gegen die Sonne. Sollte sie sich dem Paar nähern? Nein, entschied sie, und ihr Blick streifte flüchtig den Mann, der, auf einen Krückstock gestützt, neben der Dame stand. Sie kannte ihn nicht, hatte ihn noch nie zuvor gesehen. Aber diese Frau? War sie es wirklich? Vierzig, fünfundvierzig Jahre lag es jetzt zurück, rechnete Martha schnell nach. Und doch, ja, sie wurde immer sicherer …
Die beiden Trauernden standen eng beieinander, jeder in Gedanken versunken, keiner sprach ein Wort. Martha wünschte sich sehnlichst, die Frau möge etwas sagen, nur einen einzigen Satz. Auch nach hundert Jahren noch würde sie diese Stimme unter Tausenden wiedererkennen. Die Stimme, die sie schikaniert und gedemütigt hatte. Wie oft war sie durch ihre Träume gegeistert, vor Hohn triefend und vor Verachtung klirrend. Nur aus Liebe zu den Kindern, die ihr anvertraut worden waren und die sie geliebt hatte wie ihre eigenen, war sie geblieben und hatte sich alles gefallen lassen.
Erst jetzt bemerkte Martha die drei prächtigen Kränze, die neben dem offenen Grab lagen. Suchend schaute sie sich um. War noch jemand anwesend? Sie konnte niemanden ausmachen.
„Kommen Sie, Wilhelm“, hörte sie im selben Moment die Frau sagen und ein eiskalter Schauer lief ihr über den Rücken.
Jetzt gab es keinen Zweifel mehr.
Martha schaute den beiden Menschen nach, bis diese den Ausgang des kleinen Friedhofs erreicht hatten. Dann bückte sie sich und pflanzte hastig die Rose an die zuvor ausgesuchte Stelle. Schnell noch ein bisschen Wasser, das musste reichen. Behände, wie man es der alten Frau kaum zutraute, lief sie wenig später durch das Friedhofstor hinaus auf die Straße. Das Blut dröhnte ihr in den Ohren vor Aufregung: Sie ist es, sie ist es! Es rauschte durch ihre Adern, und Martha fröstelte trotz des warmen Sommertages. Ohne dass sie etwas dagegen hätte tun können, trugen ihre Füße sie zu der alten Villa, in die sie vor langer Zeit mit so viel Eifer, Freude und Zuversicht gekommen war, um dann nur Enttäuschung und Gram zu erleben. Jung, unbekümmert und arglos war sie damals gewesen und schnell hatte das Leben sie gelehrt, dass es ungerecht und mitleidlos war.
Als Martha über die kleine Mauer in den Park der Villa schaute, blickten ein Paar stahlgraue, kalte Augen sie aus der Ferne an. An keinem Zucken in dem feingeschnittenen Gesicht, an keiner Träne, die die Wangen benetzt hätte, konnte man ablesen, dass diese Frau Trauer trug. Den schwarzen, edlen Hut streng auf dem kurzen grauen Haar befestigt und einen bitteren Zug um die immer noch schönen Lippen, reckte sie den Kopf noch etwas höher. Dann wandte sie sich ab, als hätte sie Martha nicht erkannt.
„Wilhelm, lassen Sie uns fahren!“, rief sie herrisch dem Herrn entgegen, der im Eingangsportal der Villa stand und sich aufmerksam umschaute.
Und Martha Dannert wusste: Flora von Langenberg hatte sich nicht verändert.

Im Kindle-Shop: Floras Traum von rotem Oleander (Blütenträume 1)

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13. März 2017

'Alpha One' von Minny Baker

Beth ist unzufrieden mit sich, ihrem Leben und der Liebe. Alles ist darin so normal, so durchschnittlich und nichts erweckt den Anschein, als würde sich das jemals ändern. Doch eines Tages wandelt sich ihr Leben von Grund auf: Talentsucher von der United Confederation of Performance, kurz UCoP, entdecken sie und führen sie schließlich in eine Welt voller Performen, Tanz und Gesang, von der sie nie zu träumen gewagt hätte.

Doch ein harter Weg liegt vor ihr, auf dem es vor lauter Problemen und Männern nur so wimmelt. Besonders Henry ist alles andere als nett und macht ihr das Leben zur Hölle. Schafft sie es trotz ihm und all den harten Prüfungen, ihrem normalen Leben zu entfliehen und das Besondere an ihr zu akzeptieren?

Gleich lesen: Alpha One (Alpha-Reihe 1)

Leseprobe:
„Und du hattest bis jetzt wirklich nie professionellen Unterricht?“, fragte er ernst.
Beth schüttelte leicht verängstigt den Kopf. „Nein! Oder zählt ein halbes Jahr Ballett mit 6?“
„Nein! Das ist beeindruckend!“ Er ließ los und blickte zu Klaus: „Absolut beeindruckend. Was machen wir jetzt?“
Klaus antwortete nicht. Anscheinend war das eine rhetorische Frage gewesen.
„Wir gehen hinüber. Ich habe genug gesehen.“
Beth zog sich schnell Socken und Schuhe an. Den Blazer und ihren Mantel nahm sie über den Arm, ihr war warm und geschwitzt hatte sie auch von all dem Rumgehoppel. Zwei Minuten später saß sie erneut auf der Couch im Nachbarzimmer. Carlos setzte sich ebenfalls, in Gedanken versunken. Klaus bot ihr ein Glas Wasser an, was sie dankbar annahm.
Alle schwiegen, Beth hätte die Stille gern unterbrochen, traute sich jedoch nicht und wartete deswegen ab. Carlos warf Klaus einen Blick zu und der zog als Antwort einen Bogen aus einem Aktenkoffer, der sich anscheinend neben ihm befunden hatte und gab ihn Carlos.
„Also Beth, hier ist eine Verschwiegenheitserklärung, die Klaus vermutlich erwähnt hat. Wenn du sie unterschreibst, informier ich dich über Sinn und Zweck dieses Treffens. Bitte tu es!“ Er schob den Bogen samt Kugelschreiber in ihre Richtung.
Beth nahm das Blatt und las es durch. Der Wisch war gottseidank auf Deutsch. Sie konnte nicht erkennen, worüber sie exakt schweigen musste, angegeben war alles, was mit der Sache um Carlos zu tun hatte. So interpretierte sie zumindest die juristische Fachsprache. Um alles zu lesen, brauchte Beth ein paar Minuten. Die beiden Männer ließen sie in Ruhe. Schließlich unterschrieb sie. Wäre sie erst ins Grübeln gekommen, wäre sie bestimmt zu feige gewesen.
Sie schob den Bogen zu Klaus, der nach einem kurzen Check der Unterschrift, die Erklärung zurück in den Koffer legte.
Beth linste zu Carlos, der sie immer noch beobachtete. Doch als er ihren Blick bemerkte, schien er aus seinen Gedanken gerissen zu werden. „Ich würde dir gern ein Angebot machen, Beth!“ Er kam direkt auf den Punkt: „Falls du möchtest, würden wir dir die nächsten Wochen Unterricht unter professioneller Anleitung erteilen und dich dann noch einmal bewerten. Du bist sehr, sehr talentiert, ich habe zumindest noch nicht viele mit deinem Stand und diesem Talent gesehen.“ Er reagierte auf ihr erstauntes Gesicht. „Ich würde gerne sehen, wie groß es ist. Das geht nur unter professionellen Bedingungen. Falls du so gut bist, wie ich es einschätze, dann hätte ich vielleicht nach dieser Zeit ein Jobangebot für dich.“
Beth saß völlig regungslos da und hörte zu. Sie wusste nicht, was sie denken sollte. Wer war Carlos?
„Wir kommen dabei natürlich für alle Kosten auf und geben dir auch noch einen Bonus für die Mühen. Wie alt bist du eigentlich?“
„Fast 20, also faktisch noch 19.“ Sie wollten ihr Geld dafür geben? Wie wahnsinnig waren sie? Oder war das Ganze doch ein unseriöses Angebot?
„Was machst du beruflich?“
„Ich bin Studentin, habe aber noch einen Nebenjob, um das Studium zu finanzieren. Ich kann nicht einfach so ein paar Wochen wegbleiben!“
„Hmm, das ist natürlich schwierig. Es gibt da auch noch ein paar andere Sachen, die geklärt werden müssten.“ Er schaute auf Klaus. „Wäre eine Unibeurlaubung ein Problem?“
„Auf die Schnelle schon. Da muss sie sich entscheiden, was sie lieber möchte. Wir bezahlen schließlich dafür. Dasselbe gilt für den Job.“
Beth sparte sich den Kommentar, dass gerade Semesterferien waren und sie keine Unibeurlaubung brauchte. Doch Sorgen kamen in ihr hoch, sie wusste noch nicht einmal, was das hier war und sollte einfach kurzfristig ihren Job und ihr Studium hinschmeißen?
„Okay.“ Carlos schien nicht zufrieden, aber wandte sich zurück zu Beth: „Also Beth, du hast, vermute ich, schon einmal was von UCoP gehört?“
Beth stockte der Atem. UCoP? Das alles hatte was mit UCoP zu tun?

Im Kindle-Shop: Alpha One (Alpha-Reihe 1)

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11. März 2017

'Der Sarazenenschatz: Das Erbe der Barone von Hofstetten' von Klaus Kurt Löffler

Die 15-jährige Tessi von Hofstetten muss mit der Schande leben, dass ihr Vater Felix, der Titelerbe des Baronats, enterbt und verstoßen worden ist. Er ist verbittert ins Ausland gegangen und dort umgekommen. Nach dem Tode ihres Großvaters Gottfried beansprucht sein jüngster Sohn Stephan Erbe und Titel.

Tessi zweifelt an der Rechtmäßigkeit. Denn ihr ist ein Medaillon mit dem Bild des Verstorbenen zugegangen. Sie sieht darin einen Sinneswandel und will die Sache vor Ort aufklären.

In Abwesenheit ihres Onkels verschafft sie sich Zutritt zum Anwesen und beginnt ihre Nachforschungen. Zugleich sucht sie nach einem Schatz, den ein Ahnherr von einem Kreuzzug aus dem Morgenland mitgebracht haben soll. Damit bringt sie sich in Lebensgefahr. Denn auch andere sind hinter dem Schatz her. Zum Glück findet sie in Max und Micha die Unterstützung, die sie bei ihrem gefährlichen Kampf um Schatz und Erbe braucht.

Gleich lesen: Der Sarazenenschatz: Das Erbe der Barone von Hofstetten - Erster Teil (Max und Micha, die Junior-Detektive vom Wolfgangsee)

Leseprobe:
Ein rätselhaftes Geschenk
Das Mädchen überlegte einen Augenblick, wo sie anfangen sollte. Dann öffnete sie ihren Rucksack und holte ein kleines Päckchen hervor, das an sie adressiert war. »Das ist mir nach dem Tode meines Großvaters zugegangen«, erklärte sie. »Seht´s euch an und sagt, was es nach euer Meinung bedeutet.«
Micha wickelte das Papier ab und entnahm einer kleinen Schachtel ein kunstvoll gearbeitetes silbernes Medaillon. »Das ist antik und sicherlich sehr wertvoll«, bemerkte er bewundernd. »Weißt du, wer es dir geschickt hat?«
»Das Päckchen enthielt keinen Absender ... Ich nehme aber an, es kommt von meinem Großvater, wenn ich auch nicht weiß, wie das möglich ist.«
»Er kann verfügt haben, dass es nach seinem Tode abgesandt wird«, warf Micha ein. »Hat die Sendung einen Poststempel?«
»Ja, es wurde in St. Wolfgang aufgegeben. Und es kam mit der Post. Wir fanden es im Briefkasten.«
»Woher weißt du, dass es von deinem Großvater stammt? Gibt es irgendeinen Hinweis?«
»In St. Wolfgang hat sich außer ihm nur noch mein Onkel Stephan aufgehalten, der ihn im letzten Jahr gepflegt hat. Er hat sich aber nie um uns gekümmert. Ich weiß keinen Grund, warum er sich plötzlich anders besonnen haben sollte ... Es ist aber noch etwas anderes«, setzte sie hinzu. »In dem Medaillon befindet sich ein Porträt!« Sie öffnete den Deckel und wies auf das Bild eines würdevollen Herrn mit einem unternehmungslustigen Schnurrbart. »Es ähnelt dem Foto meines Vaters. Mutter verwahrt es in ihrem Nachttisch und betrachtet es immer wieder, wenn sie sich unbeobachtet fühlt. Der Mann in dem Medaillon ist älter, hat aber dieselben Gesichtszüge.«
»Da muss er noch wesentlich jünger gewesen sein«, bemerkte Micha. »So freundlich hat der Baron in seinen letzten Jahren nicht mehr ausgeschaut. Er war ein richtiger Miesepeter.«
»Sprich nicht so von meinem Großvater«, rügte Tessi. »Über die Toten soll man nichts Böses sagen.«
»Sorry!«, entschuldigte sich Micha. »Das war gedankenlos ... War noch etwas in dem Päckchen? Ein Brief mit ein paar erklärenden Worten oder Ähnliches?«
»Ich habe nichts dergleichen gefunden, obschon ich das Packpapier von allen Seiten betrachtet habe.«
»Vielleicht hat der Absender eine Geheimtinte benutzt«, mutmaßte Max, »die man erst zum Vorschein bringen müsste.«
»Eher nicht«, widersprach Micha. »Das macht nur Sinn, wenn der Empfänger weiß, was es damit auf sich hat, was bei Tessi offenbar nicht zutrifft.«
»Das kann man sagen«, pflichtete das Mädchen bei. »Ich habe von so was null Ahnung.«
»Und was willst du aus der Übersendung des Medaillons schließen?« Max liebte solche geheimnisvollen Geschichten, die mit einem Rätsel endeten.
»Er wollte mir etwas hinterlassen, das mich an ihn erinnert«, antwortete das Mädchen zögernd. »Aber warum hat er das getan? Er hatte meinen Vater enterbt und sich die ganzen Jahre nicht um uns gekümmert. Da konnte er nicht erwarten, dass wir seiner freundlich gedenken.«
»Vielleicht ist das der letzte Akt eines Rachefeldzuges«, sagte Max melodramatisch. »Er wollte euch vor Augen führen, was ihr verloren habt.«
»Das glaube ich nicht«, mischte sich Micha ein. »Er hat ein Bild hineingetan, das ihn in seinen guten Tagen zeigt, wo er den Glauben an die Menschheit noch nicht verloren hatte. Die Botschaft ist sicherlich, dass er den Groll gegen euch aufgegeben hat.«
»So habe ich es auch verstanden«, pflichtete ihm Tessi bei. »Aber warum hat er uns dann nicht an sein Sterbebett geholt? Hatte er keine Zeit mehr dazu?«
»Er ist nicht von einem Tag auf den anderen tot umgefallen«, bemerkte Micha. »Er war fast ein Jahr krank und wurde von deinem Onkel gepflegt.«
»Du meinst, dass der eine Versöhnung mit meiner Familie verhindert hat?«
»Das läge doch nahe, Tessi. Weshalb ist dein Vater enterbt worden?«
»Genaueres weiß ich auch nicht«, erwiderte das Mädchen. »Mutter spricht nicht darüber. Es ging, glaube ich, um gigantische Schulden, für die Großvater aufkommen musste. Vater hat aber heftig bestritten, dass er dafür verantwortlich war.«
»Weshalb ist er dann verschwunden?«, fragte Max, ohne zu merken, dass das nicht sehr feinfühlig war.
»Das war kein Schuldbekenntnis«, erwiderte Tessi heftiger als gewollt. »Er hat meiner Ma etwas von ›verlorener Ehre‹ geschrieben, die er erst ›reinwaschen müsste, bevor er ihr wieder unter die Augen treten könnte‹. Er wusste ja noch nichts davon, dass sie mit mir schwanger war.« Sie wischte sich eine verstohlene Träne aus dem Auge. »Und nun ist mein Vater tot und kann es nicht mehr tun.«
»Langsam verstehe ich, weshalb du deinen Onkel erst mal aus der Ferne betrachten willst, wenn sich jetzt Gelegenheit dazu bietet.« Micha fuhr sich mit der Hand nachdenklich über die Stirn. Gründe dafür hast du ja reichlich. Vielleicht findest du etwas über die Geldgeschichte heraus.«
Tessi wurde rot und bestätigte damit, dass Micha mit seiner Vermutung ins Schwarze getroffen hatte. »Ich hatte echt so ´ne Ahnung, dass irgendwie etwas nicht stimmt. Deshalb bin ich hier unangemeldet aufgekreuzt, um ein wenig herumzuschnüffeln. Das kann sicherlich besser geschehen, wenn niemand weiß, dass ich da bin.«
»Dann bleibt die Frage, ob du dir zutraust, die Nacht hier allein zu verbringen?«, fragte Micha und stand auf. »Ich kann dir leider keine Gesellschaft leisten, da ich daheim erwartet werde. Wie sieht es mit dir aus, Max?«
Der zögerte einen Augenblick. Die Aussicht, eine Nacht lang den Beschützer für das schöne Mädchen spielen zu können, war verlockend. Er konnte aber ebenfalls - ohne jede Vorankündigung - nicht einfach wegbleiben. Seine Mutter würde sonst Himmel und Hölle in Bewegung setzen und erst Ruhe geben, wenn sie ihn gefunden hätte. Er war ohnehin schon viel zu spät dran.
»Ich könnte anrufen und sagen, dass du heute bei uns schläfst«, äußerte Micha lächelnd.
»Ich will nicht, dass ihr für mich lügt«, unterbrach Tessi bestimmt. »Seid ihr sicher, dass ›Blackman‹ nicht kommt und niemand aus seinem Gefolge?«
»Freilich«, erwiderte Micha lachend. »Ich verspreche es. Und Max hat selber Angst vor so was und wird sich bestimmt da raushalten.«
»Aber hallo!«, widersprach Max. »Ich und Angst? Wir passen nicht zusammen! … Aber von mir hat Tessi nichts dergleichen zu befürchten … Das weiß sie doch!«
»Gut, Jungs! Wenn das ein Versprechen ist, dann könnt ihr beide zu Mutters Rockzipfel zurückeilen. Ich werde hinter euch die Tür schließen und bin zufrieden, wenn ihr Softis morgen erscheint und etwas zum Essen mitbringt.«
Max war froh, dass ihm die Entscheidung abgenommen wurde. Er bereitete seinen Eltern ohnehin schon genug Kummer. Den wollte er nicht vermehren, wenn es nicht unbedingt nötig war. »Hast du wirklich keine Angst, allein hierzubleiben?«, fragte er nochmals halbherzig. Als das Mädchen dies verneinte, war er sichtlich erleichtert und schloss sich bereitwillig Micha an.
»Dann also bis morgen«, äußerte er, wie sie sich an der Hintertür verabschiedeten.
»Und verschließ auch die Kellertür gut von innen«, empfahl Micha.
»Glaubst du denn ...?«, fragte Tessi leise und sah auf einmal wieder sehr ängstlich aus. »Nein«, erwiderte Micha. »Aber sicher ist sicher!«

Im Kindle-Shop: Der Sarazenenschatz: Das Erbe der Barone von Hofstetten - Erster Teil (Max und Micha, die Junior-Detektive vom Wolfgangsee)

Mehr über und von Klaus Kurt Löffler auf seiner Website.

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9. März 2017

'Tabu: Verbotenes Verlangen' von Lana Stone

Alexa & Tyrell - Ein verführerischer Geschäftsmann und eine junge Frau, die begierig ist ihre Grenzen kennenzulernen.

Wieder der gehetzte, abwesende Ausdruck in Tyrells sonst perfektem Gesicht.
»Irgendetwas fehlt in meinem Leben. Ich kann dir nicht genau sagen, was. Aber irgendetwas fehlt.«
Die unvermittelte Ehrlichkeit des Ausgenblicks hätte unter anderen Umständen dafür gesorgt, dass Alexa sich unwohl fühlte. Doch hier und jetzt, mit diesem Menschen, ließ die Ehrlichkeit eine Verbindung zwischen den beiden entstehen, die ihr vollkommen neu war.
»Du wirst es herausfinden. Da bin ich sicher. Die Antwort steht wahrscheinlich direkt vor dir und du hast es nur noch nicht gemerkt«, sagte sie.

Der jungen Studentin war ein anderes Leben vorhergesehen, doch der dominante Selfmade-Man aus der Bronx lehrt sie Leidenschaft, wie sie sie noch nicht kannte.

Romantisch und mit heißen Szenen.

Gleich lesen: Tabu: Verbotenes Verlangen

Leseprobe:
Alexa stand herum, war sich nicht sicher, was sie tun sollte. Tyrell war in der Zeit bei der Glastür angekommen. Ein bisschen rauszugehen, schien eine gute Idee zu sein.
»Hey, ich bringe dich noch nach Hause.«
Tyrell sah sie an.
»Es ist nicht weit.«
Alexa zuckte mit den Schultern.
»Ich könnte ein bisschen Luft gebrauchen.«
»Klar, wenn du möchtest.«
Alexa folgte Tyrell die Stufen hinab. Der Mond stand hell am Himmel, zog ein silbernes Band über die ruhige Bucht.
Als sie am Strand ankamen, hielt Tyrell inne und ließ den Blick über das Wasser schweifen.
»Jetzt sieht alles so friedlich aus. Kaum zu glauben, dass ihr heute Mittag fast …«
»Ja, das war wirklich verdammt knapp.«
Sie sah Tyrell von der Seite an und bemerkte zum ersten Mal sein elegantes, klassisches Profil.
»Aber zum Glück hatten wir dich.«
Tyrell drehte sich zu ihr um und sah sie an.
»Es wäre eine Schande gewesen, ein so hübsches Gesicht zu verlieren.«
Würde man Alexa Jahre später fragen, warum sie es tat, wüsste sie noch immer keine Antwort. Irgendetwas sorgte in dieser Nacht dafür, dass sie einen Schritt auf Tyrell zu tat und ihn küsste.
Tyrell griff ihren Nacken. Sie legte ihre Hände über Tyrells Schultern. Er zog sie näher an sich und öffnete seine Lippen, erlaubte Alexas Zunge, in seinen Mund zu gleiten. Alexa zitterte am ganzen Körper. Es fühlte sich so gut an. Tyrells Lippen waren weich und geschickt, bewegten sich um ihren Mund, während sie den seinen erkundete.
Atemlos trennten sie sich voneinander. Sie sahen sich in die Augen.
Wie gut er aussieht.
Alexa war vollkommen in seinem Blick versunken.
Dann wurde ihr bewusst, was sie gerade getan hatte. Sie blickte zurück zum Haus. Über ihr am Fenster stand Charles und blickte auf den Strand – blickte auf Alexa und Tyrell.

Im Kindle-Shop: Tabu: Verbotenes Verlangen

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8. März 2017

'Die Magie der Bücher' von Nadja Losbohm

Warst du schon einmal der Held deines Lieblingsbuches? Waren seine Emotionen deine? Hast du mit ihm mitgefiebert, -gefühlt und -gekämpft und denselben Schweiß und dieselben Tränen vergossen, die er vergossen hat? Dann weißt du, welche Magie im geschriebenen Wort, welche Magie in Büchern steckt.

„Die Magie der Bücher“ ist eine kleine Sammlung von Kurzgeschichten, die von eben dieser handeln: der Magie der Bücher, die jede Leseratte bestens kennt. Begib dich auf eine Reise über die Wolken und lerne Zauberspiegel kennen, die dir die Liebe deines Lebens zeigen. Triff eine junge Hexe, der ein Buch den Weg weist. Flieg ins Land der Glitzervögel und schwirre mit der lesenden Elfe durch den besten Ort der Welt: eine Bibliothek. Hauptdarsteller, wie kann es anders sein, sind: die Bücher. Lass uns ihre Magie feiern!

Gleich lesen: Die Magie der Bücher (Kurzgeschichten)

Leseprobe:
„Es muss doch einen Weg geben, wie wir die Wolken überwinden können. Du meine Güte! Wir halten Zauberspiegel in den Händen. Da wird es doch wohl auch eine Möglichkeit geben, das Wolkenproblem zu lösen!“, rief der Prinz unter seiner Bettdecke aus, unter der er sich mit samt dem Buch und dem Zauberspiegel verkrochen hatte. Die Inbrunst, mit der er gesprochen hatte, erschreckte nicht nur Rosalina, sondern auch ihn selbst. Schnell streckte er den Kopf unter dem Bettzeug hervor, um nachzusehen und zu lauschen, ob ihn ein Diener des Hofes gehört hatte und schon auf dem Weg zu ihm war, um herauszufinden, was los war. Doch Arian hatte großes Glück. Er machte Puh!, denn weder war vom gelegentlich nervigen Personal etwas zu sehen noch zu hören.
„Ich weiß leider keinen Rat, Arian“, sagte Rosalina traurig. Ihre braunen Augen sahen den Prinzen niedergeschlagen und mit Tränen gefüllt aus dem Spiegel an. Ihr Anblick zerbrach ihm das Herz, doch er ließ auch seinen Ehrgeiz aufleben. Herausforderungen solcher Art stachelten Arian zumeist erst recht an, es zu probieren. Es war wie mit Bäumen, die so seltsam gewachsen waren, dass man an ihnen unmöglich hinaufklettern konnte. Aber Arian wollte diese Bäume erklimmen, und bisher hatte er es stets geschafft. Okay, okay. Man kann Äpfel nicht mit Birnen vergleichen und schon gar nicht Bäume mit Zauberspiegeln. Doch Arian konnte sehr willensstark sein, wenn er wollte. Und in diesem Fall wollte er. „Pass auf, Rosalina. Wir machen Folgendes: Du suchst den Raum, in dem du deinen Spiegel gefunden hast, ab. Du drehst jedes Blatt Pergament, jede Spinnwebe und jede tote Ratte…“
„Irgh!“, machte die Prinzessin.
„…um und suchst nach einem Spruch, einer Formel, einem Hinweis, wie man die Wolken überwinden kann.“
„Und fasst du auch tote Tiere an, um uns zu helfen?“, neckte Rosalina ihn.
„Ich tue etwas weitaus Gefährlicheres“, erwiderte Arian. Rosalina machte große Augen. „Ich befrage meine Lehrer.“ Der Prinz übertrieb natürlich maßlos. Seine Lehrer zu fragen war keineswegs gefährlicher, als eine müffelnde Ratte anzufassen. Allerdings bedurfte es größeren Fingerspitzengefühls. Zu viele Fragen, zu große Neugierde und – zack! – man hatte Verdacht geschöpft. Arian musste es klug anstellen, wenn er nicht wollte, dass sie ihm unangenehme Fragen stellten. Somit legte er sich einen Plan zurecht und wartete zwei Tage, bis er Grüne Geschichte – Lehrstoff über die Vergangenheit des Grünen Königreichs hatte und fügte ganz beiläufig seine Frage ein: „Hat es schon jemals jemand versucht, vom Grünen ins Weiße oder vom Weißen ins Grüne Reich zu gelangen und die Wolkendecke zu überwinden?“
Sehr geschickt eingefädelt!
Lehrmeister Haselbuff, den alle hinter vorgehaltener Hand nur Lehrmeister Rotnase nannten, weil er so einen schönen roten Riechkolben hatte, erklärte: „Vor hunderten und hunderten von Jahren versuchte man es, ja.“ Er nickte und schob sich bedächtig die Brille auf dem Nasenrücken weiter nach oben. „Die da drüben“, damit meinte er die Menschen im Weißen Königreich, „haben sich allerlei absurde Dinge ausgedacht, so zum Beispiel eine Nasenwanne. Stellt Euch das nur vor, Eure Hoheit! Verrückt, nicht wahr?“ Arian lächelte und nickte. Er dachte, es sei wohl besser, einfach zuzustimmen. „Aber ich schweife ab. Verzeiht, Eure Hoheit. Wo war ich? Ah so, ja. Die albernen Erfindungen. Nun, eine davon war das sogenannte Gummiband. Es ist so ähnlich wie ein Seil, aber viel weicher, nachgiebiger und dehnbarer. Sie spannten es zwischen zwei Steinsäulen, dann zogen es zehn Männer zurück, während sich ein Freiwilliger quasi auf das zurückgezogene Gummiband setzte. Schließlich ließen sie das Band los und die Testperson flog gen Sonne, über die Wolken und auf unser Reich zu.“
Die erste Flugreise also?
„Dann hat es funktioniert?“, fragte Arian mit leuchtenden Augen und voller Hoffnung. Er sah sich selbst schon auf diesem sagenumwobenen Gummiband sitzen und durch die Luft fliegen.
„Das war, wie es in der Theorie aussehen sollte. Tatsache ist, der Testpilot flog etwa zehn Schritte weit, prallte gegen die Mauern des Weißen Königreichs und zerplatzte an ihnen wie eine rote Traube.“
Ups!

Im Kindle-Shop: Die Magie der Bücher (Kurzgeschichten)

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7. März 2017

'Ndrangheta: Frauen in den Krallen der kalabrischen Mafia' von Daggi Geiselmann

Ein Schicksalsroman mit Realitätsbezug. Hautnah miterlebt, weil die Autorin jeden Tag mit ähnlichen Situationen konfrontiert wird.

Greta heiratet den gefährlichen ´Ndrangheta-Paten Don Mario Comercio, zuerst macht sie sich über seine Verbrechen keine Gedanken, aber dann erkennt sie, in welche Rolle sie ihren Sohn drängt und will ausbrechen. Dramatische Ereignisse stehen ihr bevor.

Ndrangehta, Cosa Nostra, Camorra, Sacra Crona, amerikanische Mafia sind Organisationen, die nicht lange fackeln und man sollte sich davon fern halten. Die Geschichte ist frei erfunden aber könnte sich durchaus so zugetragen haben.

Gleich lesen: 'Ndrangheta: Frauen in den Krallen der kalabrischen Mafia

Leseprobe:
Blauer Himmel, fünfunddreißig Grad. Greta war mit den Eltern und ihrer älteren Schwester auf den Feldern. Tomaten mussten geerntet und gleich zu Konserven für den Winter verarbeitet werden. Eine anstrengende Arbeit und bei dieser August-Hitze fast unerträglich.
„Ich mach das nicht mehr lange mit. Ich bin keine Sklavin und werde mir mit Pietro ein schöneres Leben aufbauen“, flüsterte Chiara.
„Wie recht du hast. Ich will das auch! Du hast es gut, dass du bald heiraten kannst“, antwortete Greta und schaute ängstlich um sich, ob ihr Vater sie hörte.
Signora Arcardi hatte mittlerweile die erste Kiste mit Tomaten gefüllt und wies Chiara an, die Wasserbehälter zu füllen. Sie wischte sich den Schweiß auf der Stirn mit der Schürze ab und band ihr langes schwarzes Haar fester zum Pferdeschwanz zusammen. Mit ihren fünfundfünfzig Jahren war sie immer noch eine bildschöne Frau, allerdings vom harten Leben gezeichnet. Die beiden Töchter hatten ihre Schönheit geerbt. Greta war für ihre sechzehn Jahre gut entwickelt, und es war eine Augenweide, ihre langen, lockigen schwarzen Haare im Winde wehen zu sehen.
„Ist mir ein Rätsel, wie du die Hitze mit offenen Haaren erträgst!“, fauchte Signora Arcardi kopfschüttelnd. „Aber beeil dich, damit Greta gleich anfangen kann, die Tomaten zu waschen. Papa kommt dann, um sie zu schneiden und durch den Fleischwolf zu drücken!“
„Ich geh ja schon.“ Chiara machte sich mit zwei Fünf-Liter-Behältern auf den Weg zum Brunnen. Ihr treuer Schäferhund Theo folgte ihr auf jedem Schritt. Auch ihm machte die große Hitze zu schaffen, denn er war nicht mehr der Jüngste.
„Brav, Theo, brav. Wir beide verstehen uns. Pass mir gut auf Greta auf, wenn ich weg sein werde, hörst du?“ Chiara sprach mit ihrem Hund, als ob sie einen Menschen vor sich hätte. Schließlich kannten sie sich schon über zwölf Jahre. Als ihr Vater diesen Hund vom Schäfer Giuseppe geschenkt bekommen hatte, war sie acht gewesen.
Während Chiara fünfmal den Weg gehen musste, um die fünfzig Liter Wasser zur Hütte in den Bergen zu schleppen, die außerhalb des kleinen kalabrischen Dorfes Santo Stefano lag, füllten Greta und ihre Mutter fünf Kisten. Nach dem letzten Weg zum Brunnen ließ Chiara sich erschöpft ins Gras fallen.

„Ist ja gut, ist ja gut, die heutige Jugend ist zu nichts zu gebrauchen, verdammte Scheiße“, fluchte Chiaras Vater, als er sie auf dem Boden liegen sah.
„Auf, auf – keine Müdigkeit vortäuschen!“, rief ihr die Mutter zu, um die Worte ihres Mannes zu unterstützen, damit sein Ärger abkühlte.
Langsam erhob sich Chiara, drückte ihrem Vater einen Kuss auf die Stirn und machte sich wieder an die Arbeit. Sie benötigten Stunden, bis alle Tomaten in die hundertfünfzig Flaschen gefüllt waren. Zuvor wurde die Ernte gewaschen, in Stücke geschnitten und im Fleischwolf in Tomatensoße verwandelt. Danach kochten die verschlossenen Flaschen in einem großen, mit Wasser gefüllten Behälter auf einem offenen Feuer viele Stunden.
„Endlich, das wäre geschafft, der Wintervorrat an Tomatensoße ist gesichert“, stellte Signora Arcardi beruhigt fest, als ihr Mann am späten Abend das Feuer löschte.
Als sie sicher sein konnten, dass nichts mehr gloste, machten sie sich auf den langen Fußweg zurück ins Dorf. Die Flaschen mussten über Nacht im Wasser kalt werden.
Nach einer erfrischenden Dusche aßen sie nur noch schnell ein paar mit Salami belegte Brote, dazu gab es hausgemachten Rotwein für die Erwachsenen, Leitungswasser für Greta. Danach fielen alle todmüde in ihre Betten.

So oder so ähnlich gestalteten sich alle Tage für Greta und ihre Familie. Eine kleine erfreuliche Abwechslung war Chiaras Hochzeit, aber danach kam der traurige Abschied, als sie und Pietro nach Mailand zogen.
Ein weiteres schmerzliches Ereignis gab es ein paar Tage später, als Theo starb. Das war ein harter Schlag für alle. Doch Maestro Giuseppe, der Schäfer, und sein Sohn Marcello, ein Schulfreund von Greta, sorgten sofort für Nachschub. Jetzt hatte Greta wieder einen Hund, der ihr treu zur Seite stand, und auch sie redete mit ihm, wie es Chiara immer getan hatte.

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6. März 2017

'Konfekt mit Zucker-Kuss' von Sandra Pulletz

Valentinstag – das Fest der Liebenden steht bevor, doch Valentinas Leidenschaft gilt allein der Konfiserie. Den Männern hat die Studentin längst abgeschworen, das Geschäft in dem kleinen Laden, in dem sie jobbt, um sich über Wasser zu halten, läuft schlecht und kaum jemand interessiert sich für das liebevoll von ihr kreierte Süßgebäck. Und als sei der ewig miesepetrige Chef nicht schon anstrengend genug, erlebt Valentina eine Enttäuschung nach der anderen.

Doch dann steht sie plötzlich ihrem Traumprinzen gegenüber und das Happy End scheint mit einem Mal zum Greifen nah …

Wendet sich Valentinas Leben schließlich doch noch zum Märchen? Und was hat es mit dem alten Mann mit dem auffälligen Hut auf sich?

Gleich lesen: Konfekt mit Zucker-Kuss

Leseprobe:
»Valentina, was treibst du denn schon wieder? Vorne wartet Kundschaft auf dich!«, rief Valentinas Chef verärgert nach hinten in die Küche des kleinen Coffeeshops. »Kemmers Kaffee« hieß er bloß, weil das der Name ihres Chefs war. Das Geschäft war so klein und schäbig, sodass man als Kunde wirklich nur seinen Kaffee zum Mitnehmen wollte, um so schnell wie möglich den Laden wieder verlassen zu können.
Valentina seufzte, denn sie brachte gerade Zartbitter- und Mokkaschokolade über dem Wasserbad zum Schmelzen. »Komme gleich, Herr Kemmer!« Valentina wünschte, er hätte mehr Verständnis für ihre Konfiserie-Leidenschaft. Wenn sie jetzt den Topf stehenließ, würde die Schokolade bestimmt anbrennen und dann konnte sie alles in den Müll werfen.
»Valentina!«, rief Herr Kemmer, diesmal eindringlicher.
Sie gab nur ein halblautes »Mhm!« von sich. Solange er nicht mit der Zunge schnalzte, war alles im Rahmen, so gut kannte sie ihn bereits. Deshalb rührte sie mit dem Teigschaber die weiche Schokolade seelenruhig um und stellte zufrieden fest, dass diese jetzt bereit wäre, sich mit der weichen Butter zu vereinen. Außerdem brauchte sie noch die Schlagsahne und die befand sich im Kühlschrank. Mit ein paar schnellen Handgriffen hatte sie alle Zutaten zusammengerührt, bis auf die Tasse Kaffee. Valentina biss sich auf die Lippen. Wenn sie jetzt nach vorne zum Tresen ging, würde sie Herr Kemmer nicht so schnell wieder zurück zu ihren Pralinen lassen. Dabei war die Masse für die Cappuccino-Trüffel beinahe fertig. Es half nichts, wenn sie den Kaffee wollte, musste sie ihn holen. Lautlos schlich sie nach vorne und blickte in den Verkaufsraum. Ihr Chef bediente gerade mit zusammengekniffenen Augen eine alte Frau im Pelzmantel. Kaum bemerkbar huschte Valentina zur Kaffeemaschine und drückte den Knopf, um den gewünschten Kaffee herunterzulassen.
»Valentina, die Dame hier braucht etwas Hilfe bei der Wahl der Pralinen!« Herr Kemmer hatte Valentinas Auftauchen anscheinend sehr wohl bemerkt, sich umgedreht und lehnte nun am Tresen. Prüfend blickte er seine Angestellte an.
»Oh, ich kann durchaus alle empfehlen. Da ist für jeden Geschmack etwas dabei«, antwortete sie hastig, nahm die Tasse mit dem heißen Getränk in die Hand und war schon auf dem Weg zurück in die Küche.
Ein lautes Schnalzen ließ sie innehalten. Da war es, das typische Geräusch von Herrn Kemmer, das er immer dann machte, wenn er einen Befehl losschickte und keine Widerrede duldete. »Ich sagte doch, die Dame benötigt deine Hilfe! Sofort!«
Valentina wusste, wenn sie ihren Chef jetzt ignorierte, wären ihre Tage hier im Laden gezählt. Aber wenn sie die Schokolade im Stich ließ, waren die Trüffel im Eimer. Sie seufzte schwer, drehte sich schließlich um und ging zurück in den Verkaufsraum. Sanft stellte sie die Tasse am Rand des Tresens ab und setzte ein freundliches Lächeln auf. »Wie darf ich Ihnen helfen?«, erkundigte sie sich bei der Dame im Pelz, die ihre Lippen missmutig aufeinandergepresst hatte. Vermutlich war sie es nicht gewohnt, so lange auf die Erfüllung ihrer Wünsche warten zu müssen. »Ich interessiere mich für diese Pralinen«, sagte sie und wies mit dem Zeigefinger auf die Glasvitrine. Dahinter befand sich eine kleine Auswahl an selbstgemachtem Konfekt, das Valentina hergestellt hatte.
»Sehr gerne doch«, erwiderte Valentina. Es freute sie, dass endlich mal jemand Interesse an ihren Pralinen zeigte. Gleich begann sie zu erklären: »Das hier sind Schnittpralinen, mit Liebe gemacht! Die dahinter sind Knusperpralinen …«
»Ich brauche etwas für meine Enkel«, schnitt die alte Lady ihr das Wort ab.
»Oh … natürlich«, stotterte Valentina. »Ich empfehle Ihnen die Schoko-Lollis. Die sind wirklich entzückend. Oder Cake-Pops! Auch sehr beliebt bei Kindern.« Sie holte je ein Stück aus der Vitrine und präsentierte sie stolz. Die Schoko-Lollis waren mit einem filigranen Muster überzogen und die Cake-Pops waren mit bunten Streuseln verziert. Valentinas Meinung nach müssten Kinder darüber einfach jubeln.
»Aha«, brummte die Kundin und hob eine Augenbraue. »Kann ich vielleicht so ein buntes Ding kosten?«
»Sie meinen einen Cake-Pop? Sehr gerne doch!« Valentina reichte der Frau den Stiel mit dem verzierten Teigkügelchen daran und legte noch eine Serviette dazu.
Skeptisch wurde der Kuchen am Stiel von allen Seiten betrachtet. Schließlich biss die Frau ein Stückchen ab und kaute darauf herum. »Was soll denn das gute Teil kosten?«
»Pro Stück ein Euro fünfzig«, erwiderte Valentina.
»Was? Das ist doch Wucher! Für so eine winzige verzierte Kugel?« Die Kundin schnaubte. »Ich bin doch nicht verrückt!«
»Aber … alleine das Material«, wollte Valentina entgegnen, aber die Frau im Pelz drehte sich einfach um und verließ den Laden. Die Tür fiel krachend hinter ihr ins Schloss. Valentina blickte verlegen auf den Boden. Sie war enttäuscht, denn bis jetzt kamen ihre selbst hergestellten Pralinen und anderen Süßigkeiten nicht gut an. Kaum jemand kaufte etwas davon, wenn er sich einen Kaffee holte. Was war nur mit den Leuten los?
»Ich wusste doch, dass es eine Schnapsidee war, dir die Sache mit den Süßigkeiten zu erlauben!«, schimpfte ihr Chef. »Bis jetzt nur Ausgaben und kaum Einnahmen. Wenn das so weitergeht, kannst du deine Auslage wieder abbauen!« Zur Verdeutlichung schnalzte er wieder mit der Zunge.
Valentina blieb eingeschüchtert vor der Vitrine stehen und überblickte ihre Kreationen. So viel Liebe und Zeit hatte sie darin investiert. Das konnte doch nicht alles umsonst gewesen sein! Sie seufzte. Wenn nicht bald jemand etwas kaufte, musste sie die süßen Verführungen entsorgen, sie waren nun mal nicht ewig haltbar.
»Was riecht hier denn so?«, maulte ihr Chef plötzlich.
Oh nein, dachte Valentina. »Die Cappuccino-Trüffel!«, rief sie entsetzt und stürmte nach hinten in die Küche.
»Wenn die schon so stinken, kauft doch erst recht niemand das Zeug!«, hörte sie ihren Chef ihr nachrufen, doch sie ignorierte ihn.
Hoffentlich ist die Schokolade noch zu retten, dachte Valentina, wusste aber bereits, dass es zu spät war. In der Küche roch es angebrannt. Als Valentina endlich beim Herd angelangt war und in den Topf blickte, verzog sie frustriert ihren Mund und ließ die Schultern hängen. »Oh nein«, murmelte sie. »Zu spät …«

Im Kindle-Shop: Konfekt mit Zucker-Kuss

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