10. April 2013

'Eine Welt in Scherben (Gefangen im Reich der Träume 1)' von Marc Cuny

Der erste Band einer Fantasy-Saga. In einer Welt, in der sich die Sterblichen gegen die Götter erhoben und sie ausgelöscht haben, in der die Wirklichkeit Stück für Stück zerfällt und alles dem Chaos entgegentreibt, während gar die Seelen der Völker selbst in viele Bruchstücke zersplittert sind, kämpft sich der Zwergenkrieger Darnak unter dem Banner der Dämonenjäger von Schlachtfeld zu Schlachtfeld.

Sein Ziel ist klar: Überleben. So lange wie möglich. Als er sich dann eines Tages jedoch in die Elbin Yarella verliebt, gerät sein einfaches Weltbild ins Wanken. Und während der Zwerg im Strudel der Ereignisse mit seiner dunklen Vergangenheit konfrontiert wird, die er im Blut der Schlachten zu ertränken suchte, muss er sich einer zentralen Frage stellen: Was ist es, das eine Seele ausmacht?

Gefühle. Sie sind die Kraft, die uns treibt, die Stütze, die uns stark macht oder aber auch der Fluch, der uns verzagen lässt. Was wäre jedoch, wenn Gefühle mehr wären als das? Nicht nur ein Drang oder eine Empfindung, sondern tatsächlich Wesen von körperlicher Gestalt? Wesen, mit denen man sprechen könnte. Lachen und weinen könnte. Die man berühren könnte. Oder töten ...

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Leseprobe:
... Unzählige Kriege wurden auf ihr ausgetragen. Tyrannen zogen in flammenden Feldzügen über sie hinweg, Bündnisse wurden in ihren ehemals grünen Hainen geschlossen, ihre windumtosten Berge wurden Zeugen von unerschütterlicher Treue und schändlichem Verrat zugleich. Dies ist sie. Unsere Heimat, die Insel, welche schon so viele Jahre oder Weltalter, wie die menschlichen Besucher von früher zu sagen pflegten, im unendlichen Ozean treibt. Nun kommt sie zwar karg und tot daher, doch einst, vor langer Zeit, war sie blühend und schön. Ihre Erde war es, die uns, den Gefühlen, das Leben schenkte. Sie unterteilte uns in drei Völker, nämlich in jenes der Zwerge, Orks und natürlich der mächtigen Trolle. Alle zusammen formen wir seit jeher die Einheit dieses Reiches. Als die Kinder des Landes. Einst gab es viele Clans unter den drei Völkern, denn unsere Insel ist gross und so haben sich die Bewohner in den unterschiedlichen Regionen zu kleinen Gemeinschaften zusammengeschlossen. Die meisten Clans sind längst ausgelöscht, einige haben jedoch bis heute überdauert.
Neben uns Gefühlen gibt es noch andere Bewohner, die Mächtigen, welche über uns und unsere gemeinsame Heimat wachen sollten. Sie waren einst ebenfalls viele, doch mancher unter ihnen hat sich von seiner ursprünglichen Rolle abgewandt, einige sind auch verbannt worden und wieder andere sind dem Ruf der Einsamkeit gefolgt und leben im Exil. Doch zwei von ihnen, die Wichtigsten, welche schon immer grossen Einfluss auf die Geschicke unserer Welt genommen haben, weilen noch heute unter uns. Es sind der Verstand und der König. Erst durch sie wird unser gemeinsames Reich vollständig. Die Gefühlswelt.
Die Geburtsstunde dieser Insel liegt schon weit zurück. Und obwohl die Vergangenheit zunehmend in Vergessenheit gerät, so hüten einige der Ältesten von uns Gefühlen noch die Bruchstücke der Geschichten, welche von dem früheren Glück künden. Mehr können wir nicht tun. Wir Alten haben zwar die Tage vor der grossen Abschottung miterlebt, aber die Ereignisse aus dem ersten Zeitalter dieser Welt hat niemand von uns mit eigenen Augen gesehen. Zu viele Jahre sind vergangen, zu viele Gefühlsgenerationen sind seither über die Erde des Landes gewandert und wieder zu Staub zerfallen. Damals, so lassen die alten Erzählungen verlauten, war vieles anders. Die Natur war nicht tot. Die Stimmen der Vögel schwiegen nicht. Denn in jener Ära war die Gefühlswelt noch im Gleichgewicht.
Das Land brachte seine Kinder hervor, gab den Ersten der Gefühle und dem Verstand, wie auch dem König selbst, Form und Geist. Sie lebten alle in Frieden und Eintracht unter den goldenen Hainen, jung und unerfahren, aber glücklich. Mit der Zeit lernten sie zu sprechen und erkannten, dass es außer ihnen auch noch weitere Völker gab, die auf anderen Inseln lebten und ebenfalls der Sprache mächtig waren. Sie traten mit ihnen in Kontakt, führten sie in ihr Land und besuchten ebenfalls andere Gefühlswelten.
Das Reich blühte auf, der König hatte zahlreiche Freundschaften mit den Herrschern fremder Länder geschlossen. Damals war die Insel ein Ort des Glücks und der Freude, die Sonne schien über grüne Wiesen und es war immer warm. Doch als zwölf Jahre seit Anbeginn der Welt vergangen waren, fiel zum ersten Mal der Schatten des Unheils auf das Land. Nicht alle Besucher waren unserem Reich wohlgesonnen, einige trachteten sogar danach, es zu zerstören. Sie kamen mit Waffen und überzogen das Eiland mit Krieg. Die Bewohner, die bis dahin ein friedliches Leben geführt hatten, konnten dem Ansturm nichts entgegensetzen, sie wurden aus ihren Siedlungen vertrieben, das Land verheert. Selbst der König und der Verstand, welche doch als Mächtige über das Reich wachten, vermochten den Feinden nicht zu widerstehen.
In der letzten Stunde, da die Schlacht verloren schien, trat der König den Anführern der gegnerischen Horden allein gegenüber und forderte sie zum Kampf. Er unterlag. Doch es kam unerwartete Hilfe. Seine Freunde, die er im Laufe all der Weltalter auf den anderen Inseln gewonnen hatte, hielten zu ihm und gemeinsam warfen sie den Feind zurück. Nun machten sich die Bewohner daran, das Zerstörte wieder aufzubauen. Mithilfe der befreundeten Herrscher aus den anderen Eilanden und ihren tröstenden Gefühlen konnte das Land geheilt werden. Aber die Niederlage und der Hass, mit dem die marodierenden Scharen über unser Volk gekommen waren, sollte allen auf ewig in Erinnerung bleiben. Die Gefühlsgeneration aus dieser Zeit wurde zum ersten Mal von einem Gespenst heimgesucht, das sie bis dahin noch nicht gekannt hatte. Angst. Wenn es diesen Barbaren so leicht gelungen war, das Land zu überrennen, konnte es leicht ein zweites Mal geschehen. Trotz den neu erwachten Ängsten blieb der Frieden im Reich wieder für eine Weile ungetrübt. In den folgenden Weltaltern legte sich jedoch ein neuer Schatten über den Glanz des Glücks. Unter dem König und seinen Gefährten, wie auch den Bewohnern ihrer jeweiligen Reiche, entbrannten zunehmend Streitigkeiten. Sie begannen, sich gegenseitig um die Dinge zu beneiden, welche sie jeweils selbst nicht besassen.
Kameradschaft wurde ersetzt durch Eifersucht. Hilfsbereitschaft dagegen durch das Verlangen, die anderen in den Schatten zu stellen. Und so hielten Unmut und Zwietracht Einzug zwischen den Gefährten, bis der einst so unerschütterliche Bund der Inselreiche schließlich zerbrach. Auch diese Tragödie hinterließ ihre Spuren bei den Bewohnern unseres Landes. Sie kamen zum Schluss, dass selbst Freunde zu Feinden werden konnten, und baten den Verstand um Hilfe. Ein Kriegstreiber wie er war, schlug er vor, zum Schutze des Reichs eine riesige Mauer rund um die Insel zu errichten. In ihrer Verzweiflung willigten die Gefühle ein und so begann der Verstand mit dem Bau der Befestigungen. Nun wurde jeder Fremde vorsichtig gemustert, bevor ihm erlaubt wurde, die Gefühlswelt zu betreten, die Bewohner der Insel bedachten jeden Besucher mit Argwohn und Misstrauen.
Und dennoch, obwohl jener Wall lange Zeit feindliche Eroberungsheere von unserem Land fernhielt, wehte der Wind des Krieges über die Wiesen des Reichs. Die folgenden Jahre über mussten nämlich sämtliche Gefühlsgenerationen im Auftrag fremder Herrscher, deren Macht so gross war, dass sie selbst dem König unserer Insel wie einem einfachen Leibeigenen Befehle erteilen konnten, immer wieder Schlachten in fernen Ländern schlagen. Doch die Bewohner scheuten den Kampf, das Geschrei und der Regen aus Blut, die Allgegenwärtigkeit des Todes, das alles erschütterte sie noch immer bis auf den Grund ihrer Seelen. So waren die Gefühle dem König und dem Verstand, der ihn als engster Berater unterstützte, keine große Hilfe. Mehr noch, ihre Angst lähmte sie nahezu vollkommen und machte sie eher zu einem Hindernis denn einer Unterstützung.
Seit der Niederlage gegen die Invasoren von einst hatte sich der Verstand aber unermüdlich in der Kampfkunst geübt. Und mit den Jahren waren sowohl sein Können wie auch seine Macht derart gewachsen, dass er auch alleine mit den anstürmenden Gegnerhorden fertig wurde. Das konnte allerdings nicht ewig so bleiben. Inzwischen hatte sich eine neue Macht in der Gefühlswelt erhoben. Die Liebe. Und dieser unwiderstehliche Zauber schlug die Landesbewohner in seinen Bann. Sie begannen, andere Wesen zu begehren. Weibliche Wesen. Auf den unzähligen Inseln des Ozeans wimmelte es nur so von ihnen.
Ihr Verlangen übertrug sich auf den König und so verspürte auch er zum ersten Mal das Feuer dieser unbeschreiblichen Sehnsucht. Doch die Mauer, die der Verstand um das Land gebaut hatte und die Scheu der Gefühle verhinderten, dass sie jemandem ihre Liebe gestanden. So blieb es viele Jahre lang. Die Bewohner verharrten, eingekerkert in einem Gefängnis, das sie sich selbst geschaffen hatten. Die Gefühle verlangte es allerdings weiterhin nach anderen Wesen und so bat der König, welcher sich dem Einfluss seiner Untertanen trotz seiner Angst vor der Liebe nicht entziehen konnte, einmal mehr den Verstand um Rat. Dieser beschloss, die Bewohner des Landes endlich zu fähigen Kriegern auszubilden, um sowohl ihre in seinen Augen schwächlichen Sehnsüchte auszumerzen, als auch um in zukünftigen Schlachten besser gerüstet zu sein.

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8. April 2013

'R_EVOLUTION' von Boris von Smercek

Reporterin Julie Carlton wittert die Story ihres Lebens: Vor der Küste von Queensland ist ein riesiger Fischschwarm aufgetaucht. Über 400 verschiedene Arten sind gemeinsam auf der Flucht vor einer Gruppe merkwürdig mordgieriger Delfine. Wer oder was hat aus den sanftmütigen Tieren hochagressive Jäger gemacht?

Während ihrer Recherchen trifft Julie auf Dr. Scott. Der Wissenschaftler lädt sie zu einem Besuch seines geheimen Forschungslabors tief im australischen Urwald ein. Zu spät wird Julie klar, dass sie in eine Falle geraten ist. Denn im Dschungel lauert eine absolut tödliche Gefahr ...

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Leseprobe:
Doktor Alvin Scott kramte ein Taschentuch aus der Hosentasche, wischte sich damit den Schweiß von der Stirn und warf einen Blick auf seinen Computerbildschirm. Was für Außenstehende wie ein heilloses Durcheinander von Buchstaben und Zahlen wirken mochte, war für ihn die Zukunft. Diese Formelkette würde – zusammen mit den unzähligen anderen Daten, die er im Lauf der letzten Stunde auf CD-ROMs gebrannt hatte – sein Leben verändern. Mehr noch: Diese Daten würden ihm einen Ehrenplatz im Pantheon der Wissenschaftsgötter sichern. In nicht allzu ferner Zukunft würde man seinen Namen in einem Atemzug mit Kapazitäten wie Linné, Mendel und Darwin nennen. Insbesondere mit Darwin. Alvin Everett Scott, der Mann, der Charles Darwin vom Thron gestoßen hatte. Eine anmaßende, gleichzeitig jedoch auch überaus erhebende Vorstellung.
Auf dem hageren Gesicht des Sechzigjährigen zeigte sich ein schmallippiges Lächeln. Er verschränkte die Hände hinter dem mit schlohweißem Haar bedeckten Kopf und ließ sich genüsslich in seinen Schreibtischstuhl zurücksinken. Sein bandagierter linker Arm behinderte ihn dabei kaum. Die Wunde am Ellenbogen tat nicht mehr weh, zumindest im Augenblick. Und so lange dieser Zustand anhielt, wollte er das Triumphgefühl in vollen Zügen auskosten. Also malte er sich in Gedanken wieder aus, wie sein künftiges Leben in Ruhm und Reichtum aussehen würde. Die weltweiten Konferenzen, zu denen man ihn als Hauptredner einladen würde. Die Heerscharen von Reportern, die für ein Interview Schlange stehen würden. Die unzähligen Dankesbriefe aus aller Herren Länder. Und natürlich das Geld, mit dem er sich endlich leisten konnte, wovon er bisher nur geträumt hatte: ein schickes Häuschen, ein paar Antiquitäten und – auch wenn manche Leute es bei einem Mann seines Alters für unpassend halten würden – einen nagelneuen Sportwagen.
Doch jeder Erfolg hatte seine Schattenseiten. In diesem Fall war es nicht anders, denn in letzter Zeit schienen sich die Unglücke zu häufen. Das ROSCO-Team hatte sich dadurch immer mehr entzweit. Auf der einen Seite standen diejenigen, die es für viel zu riskant hielten, die Forschungsarbeiten weiter voranzutreiben. Diejenigen, denen die Nerven durchgingen und die sich inzwischen sogar dafür stark machten, das Projekt aufzugeben! Auf der anderen Seite stand Doktor Scott, und zwar ganz allein. Aber nie und nimmer würde er jetzt, so kurz vor dem Ziel, aufgeben.
Also hatte er beschlossen, seinen eigenen Weg zu gehen. Sein Kündigungsschreiben hatte er bereits verfasst. Bei nächster Gelegenheit wollte er es in der Zentrale in Townsville einreichen.
Natürlich durfte niemand – weder in Townsville noch hier in der Dschungel-Station – von den heimlich gebrannten CD-ROMs wissen, die vor ihm auf dem Tisch lagen und den Grundstock für sein eigenes kleines Forschungslabor darstellten. Deshalb verstaute er die Datenaufzeichnungen rasch in seiner Aktentasche, die er in der untersten Schublade seines Schreibtischs einschloss.
Scotts Entscheidung, ROSCO zu verlassen und sich selbstständig zu machen, war unumstößlich. Dennoch gab es gelegentlich Momente, in denen sein Hochgefühl durch einen Anflug von Sentimentalität verdrängt wurde. Jetzt zum Beispiel. In Momenten wie diesem fiel ihm der Abschied besonders schwer.
Erinnerungen an längst vergangene Zeiten schlichen sich in sein Bewusstsein. Sein Freund Doyle Rosenstein und er hatten die Forschungsstation vor über zehn Jahren inmitten der australischen wet tropics gegründet. Doyle, Erbe eines international tätigen Pharmaunternehmens und eines ziemlich beträchtlichen Vermögens, hatte beinahe die komplette Finanzierung übernommen, die Station aber dennoch ROSCO genannt – ein Kunstwort, bestehend aus den Anfangsbuchstaben der beiden Nachnamen Rosenstein und Scott. Scott war ihm damals aus Dankbarkeit um den Hals gefallen, zumal Doyle ihm auch noch die alleinige Geschäftsleitung übertragen hatte.
Die folgende Zeit war die schönste in Scotts Leben gewesen. Weitab vom Rummel in Townsville hatte er über sein eigenes kleines Dschungelreich regiert. Er hatte Feldforschung in Reinkultur betrieben und war autark in seinen Entscheidungen gewesen. Nur hin und wieder hatte er einen Bericht in der Zentrale abgeben müssen, aber so lange es mit den ROSCO-Arbeiten bergauf ging, war er mehr oder minder unbehelligt geblieben.
Dann, vor fünf Jahren, hatte Doyle Rosenstein dieses Geschäft mit der NASA abgeschlossen und ROSCO mit einem Projekt betraut, das die Forschungen in eine völlig andere Richtung lenkte. Damit nicht genug. Angesichts der Wichtigkeit des Projekts hatte Doyle auch noch beschlossen, sich selbst an den Forschungsarbeiten zu beteiligen. Also war er von Townsville nach ROSCO übergesiedelt.
Im Grunde gab es daran nichts auszusetzen. Doyle war einer der genialsten Köpfe auf diesem Planeten, zumindest auf dem Gebiet der Molekularbiologie. Ohne sein Zutun hätten sie das Präparat niemals entwickeln können. Aber mit seinem Erscheinen in der Station waren Scotts Tage der Entscheidungsfreiheit gezählt gewesen. Doyle hatte immer mehr das Heft in die Hand genommen. Wer konnte es ihm verdenken? Immerhin war er der Geldgeber. Obwohl Scott auf dem Papier nach wie vor Geschäftsführer war, hatte Doyle ihn de facto zu einem Handlanger degradiert.

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5. April 2013

'Segelfalter' von Andrea von Wilmowsky

Der faszinierende Tatsachenbericht eines echten Nachtodkontaktes. In klarer und offener Sprache wird die außergewöhnliche Liebesgeschichte zweier Menschen erzählt, die aus Stolz und der Unfähigkeit, Schwäche zu zeigen, abrupt endete und in Schmerz und Wut umschlug. Ihre beiderseitige Sprachlosigkeit hält sie in einem ungelösten Konflikt fest. Während Jahrzehnten der Trennung sind beide unfähig, Kontakt miteinander aufzunehmen.

Eines Nachts erscheinen ihr Bilder im Traum, die sich immer wiederholen. Ein Zeichen ... eine Nachricht von ihm ... eine Kontaktaufnahme ... die plötzlich auf wunderbare Weise Heute und Gestern entwirrt und erklärt. Es ist der Beginn einer wunderbaren Vereinigung zweier Seelen, die erst im Tod ihren Frieden miteinander finden können. Eine Reise über die Grenzen unserer Dogmen. Das Buch weckt große Gefühle, tröstet und macht begründete Hoffnung darauf, dass mit dem Tod eben doch nicht alles vorbei ist.

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Leseprobe:
In der Mitte der achtziger Jahre lebte ich in der Nähe von Dresden. Ich konnte mir zu diesem Zeitpunkt nicht vorstellen, jemals aus meiner Heimat wegzugehen. Unsere Kindheit dort war ein kleines Paradies. Wir wohnten in einem gemütlichen Häuschen. Neben uns sechs Kindern und unseren Eltern gab es Omas, Opas, Uromas und etliche Tanten und Onkel, Kaninchen, Hund und Katze und natürlich viele lustige Familienfeiern mit dem Duft von frisch gemahlenen Kaffeebohnen, Pfeifentabak und Kölnisch Wasser 4711. Ich erinnere mich an endlose, heiße Sommer mit flirrender Hitze über gelben Kornfeldern, in denen wir während der großen Ferien tun konnten, was uns Spaß machte. Es gab dunkelgrüne Wälder mit einem Bach, Pilzen und Heidelbeeren darin; eiskalte Winter mit riesigen Schneebergen und krachende Sommergewitter mit zuckenden, grellen Blitzen.
Unsere Familie empfand ein großes Zusammengehörigkeitsgefühl. Bei uns war Weihnachten immer schön und anstrengend zugleich. Bereits in der Vorweihnachtszeit war es spannend, allerdings nie sehr lange. Eine meiner Schwestern beherrschte nämlich die Kunst, mithilfe einer Stricknadel das Schloss des Schrankes zu öffnen, in dem unsere Eltern die Weihnachtsgeschenke versteckt hielten. Damals hat man in Sachsen noch eigene Stollen gebacken, was nichts anderes hieß, als die gewünschten Zutaten zum Bäcker zu bringen, der sie dann buk. Die Stollen wurden ungezuckert abgeholt und im Keller solange gelagert, bis sie saftig und weich waren. Danach bekamen sie ihren köstlichen Überzug aus Puderzucker und viel Butter. Unser Weihnachtsbaum stammte immer direkt aus dem Wald und war groß und bunt. Im Fenster leuchtete ein Schwibbogen aus dem Erzgebirge und auf dem Tisch stand ein roter Nussknacker neben einem Teller voller Pfefferkuchen und Nüsse. Am Nachmittag des Heiligabends musste ich meine Geschwister bis zur Bescherung vom Wohnzimmer fernhalten. Meist gelang mir das ganz gut, weil am Nachmittag im Fernsehen Märchen oder Kindersendungen liefen. Wenn allerdings das Schmücken des Baumes zu lange dauerte, wurde es schwer, die Kleinen zu bändigen. Die Bescherung selbst war immer aufregend und löste ein großes Zusammengehörigkeits- und Geborgenheitsgefühl aus. Zu unseren Festessen kam die gesamte Großfamilie zusammen. Am Heiligabend gab es traditionell Kartoffelsalat mit Würstchen; an den Feiertagen Thüringer Klöße, Muttis Rotkraut und eine riesengroße gefüllte Pute. Wir sahen an den Feiertagen auch gerne gemeinsam fern. „Ein Kessel Buntes“ und „Zwischen Frühstück und Gänsebraten“ waren unsere Favoriten. Wir saßen im Wohnzimmer zusammen und strickten, häkelten, spielten oder schliefen nebenbei.
Wir gehörten keiner Kirche an. Meine Lieblingsoma allerdings glaubte daran, nach ihrem Tod auf der „anderen Seite“ wieder mit ihrem heißgeliebten Mann zusammen zu sein. Der Gedanke war wirklich sehr schön, aber außer ihr glaubte das niemand.
Meine Eltern führten ein offenes Haus. Ständig brachte irgendwer einen Freund oder jemanden aus seiner Klasse mit. Eine meiner Schwestern traf sich häufig mit einem Schulkameraden. Er hieß Jan und war oft mit ihr und anderen Schulfreunden bei uns. Jan war ein hübscher Kerl, er mochte meine Schwester. Sie mochte ihn auch. Unsere Familie hätte sich damals gefreut, wenn die beiden zusammengekommen wären. Ich war zu diesem Zeitpunkt bereits geschieden und beobachtete ihr Verhältnis immer mit der etwas überheblichen Arroganz der Älteren.
Ich arbeitete zu dieser Zeit als Fachkrankenschwester auf der Intensivstation eines kleinen Stadtkrankenhauses. Unsere Station war winzig, sie bestand nur aus vier Betten. Ihre technische Ausstattung war einfach. Gleichwohl, und das hat mich später am meisten überrascht, war die Medizin damals nicht schlechter als später im Westen. Sie war zwar auf das Wesentliche beschränkt, aber auch sehr menschlich und viel individueller, als ich es im Westen erleben sollte. Ich liebte die schwere Arbeit in dieser Welt zwischen Leben und Tod. Das war kein Job wie jeder andere! Von mir und meiner Arbeit hing nicht nur einmal das Leben eines Menschen ab. Wir waren hervorragend ausgebildet, unsere Arbeit wurde anerkannt und geschätzt. In dieser Welt zwischen Mensch und Maschine wurden Gespräche möglich, die man so nirgendwo anders hätte führen können. Es kam hier nicht mehr darauf an, welche Rollen jemand im Leben spielte, sondern nur noch darauf, was für ein Mensch er war. Nichts anderes zählte.
Ich glaubte, alles über das Sterben und den Tod zu wissen. Nach dem Tod kam nichts mehr, da war ich mir sicher. Alles, was ich während meiner Ausbildung über den Menschen, seine Gesundheit und seine Krankheiten gelernt hatte, passte dazu. Der Aufbau und die Funktionen des Körpers und dann sein Tod - aus, vorbei, das war’s! Ich hatte niemals den geringsten Zweifel. Mein Berufsleben schien dieser Auffassung anfangs Recht zu geben. Dann allerdings, im Laufe der Jahre, erlebte ich Merkwürdiges, das nicht so ganz zum Gelernten passen wollte. Darüber hätte ich gerne mit jemandem gesprochen, aber ich tat es dann doch nicht. Ich befürchtete, dass man mir nicht glauben würde. Nur eine alte Schwester hat eines Abends gespürt, was in mir vorging. Als ich nun in Andeutungen über meine Erlebnisse sprach, sagte sie: „ Schau hin und denke nach. Irgendwann wirst Du wissen, was Du gesehen hast!“ Ich gehörte zu den Krankenschwestern, die auch mit Bewusstlosen oder Sterbenden sprachen, sie trösteten oder streichelten. Warum ich das tat, wusste ich selbst nicht, aber ich tat es. Der Tod selbst blieb mir unheimlich. Wenn ich nicht unbedingt etwas bei einem sterbenden Patienten zu tun hatte, habe ich mich wie viele meiner Kollegen dann doch lieber zurückgezogen.
Nach einigen Jahren hatte sich das verändert. Ich setzte mich nun ans Bett und blieb bei dem sterbenden Menschen, solange ich konnte. Das wurden manchmal ganz besonders berührende Momente, in denen ich merkwürdige Erfahrungen machen konnte: Sterbende sprachen plötzlich mit imaginären Personen an der Decke oder in einer Zimmerecke. Sie streckten die Hände nach ihren Eltern, dem Mann oder verstorbenen Kindern aus - alles Personen, die ich im Unterschied zu ihnen nicht sehen konnte. Wenn ihre Angehörigen schwer unter dem bevorstehenden Tode litten, starben manche dieser Menschen dann, wenn ihre Verwandten gerade mal kurz das Zimmer verlassen hatten, um sich einen Kaffee zu holen. Es kam mir vor, als hätten sie diesen Moment bewusst gewählt, um sich ungestört davonstehlen zu können. Sie zögerten auch manchmal ihren Tod hinaus, um noch auf jemanden zu warten. Wie das gehen konnte, war mir ein Rätsel. Den Augenblick des Todes konnte man oft sehen. Nicht nur, weil die Patienten aufhörten zu atmen (das tun sie übrigens manchmal schon viel früher), sondern weil sie dann schlagartig anders aussehen. Ich empfand das immer so, als fehlte ab einem gewissen Moment das Wesentliche - das, was diesen Menschen ausgemacht hat. Da lag plötzlich nur noch eine leere Hülle. Manchmal hatte ich das Gefühl, als sei die Umgebung plötzlich kälter geworden oder sähe irgendwie anders aus. Farben oder Proportionen schienen sich zu ändern. Alles Einbildung, dachte ich. Vorsichtshalber öffnete ich aber trotzdem das Fenster, um die vielleicht wirklich vorhandene Seele hinauszulassen, wie es die Alten taten. Man kann ja nie wissen.

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Mehr über die Autorin Andrea von Wilmowsky und ihre Veröffentlichungen auf www.segelfalter.de.

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