Ein Roman aus Lappland. Yrjö Ahvenjärvi, 65-jähriger Pensionist, verstand sie nie. Die jugendlichen Angeber, die in ihren aufgemotzten Autos sinnlos in der Gegend herumfuhren. Stets auf der Suche nach dem anderen Geschlecht. Und doch setzte er sich intensiv mit der Subkultur der jungen Leute eines Finnisch-lappischen Dorfes auseinander, wurde zu einem der ihren. Seine Ehe und Freundschaften standen kurz vor dem Aus, dennoch ließ er sich nicht von seinem Weg abbringen, zu seinen Entscheidungen zu stehen und dabei kam er einer Überraschung auf die Spur.
Tauchen Sie ein in eine kurzweilige, über kulturelle und geographische Eigenheiten informative, lustige, aber ebenso traurige Geschichte von Generationsunterschieden. Gewürzt mit dem exotischen Flair Lapplands. Ein Roman über die Sinnlosigkeit des Todes junger Menschen. Eine Auseinandersetzung vom Alter mit der Jugend. Von einem Mann, der sich nicht von seinem Weg abbringen lässt. Ein Roman über Liebe, Freundschaft und Generationskonflikte.
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Leseprobe:
Yrjö, ging zügig, mit ausholenden Schritten wie die eines Elches, den stetig leicht bergauf gehenden Waldweg zum Dorffriedhof hinauf. Der Friedhof lag inmitten des nicht sehr dichten Kiefernwaldes. Wald gab es in Hülle und Fülle, 300 Kilometer jenseits des Polarkreises. Aber er bestand aus wenig Unterholz. Die Bäume wuchsen verschwenderisch weit auseinander, als wüssten sie vom vielen unbewohnten Platz, der ihnen für ihre Ausbreitung zur Verfügung stand. Seine Alaskan Malamutehündin Kinkku, sie trug den Namen - Schinken - zu Recht, da sie selbst die für diese Rasse typische Verfressenheit übertraf, zog wild an der Leine. Er hatte Mühe Schritt zu halten, spürte, dass er bereits zu schwitzen begann und wusste, wenn er stehen bliebe, dann würden aus angenehmen minus fünfzehn Grad eine unangenehme Angelegenheit werden. Die höchsten Kiefern und Birken der Gegend reckten das Haupt stolz dem Himmel entgegen, als wollten sie den Seelen der Neuen, die zu ihren Füßen gebettet wurden, die Richtung weisen. Wie auch Kirchtürme war der gesamte Baumbestand innerhalb des Gottesackers höher als irgendwo sonst und hob sich ab vom Rest. Man sah den großen, erhabenen Bäumen ihr Alter an. Sie schienen selbst den nach Holz und Geld gierenden Menschen, derer so viele zu ihren Wurzeln lagen, überlegen zu sein. Die Friedhofsmauer, gesetzt aus ansehnlichen Steinen, die vor langer Zeit mühsam aus dem nahen Fluss hierher geschleppt wurden, konnte man schon von weitem sehen. Umrahmt von dieser mittelalterlich anmutenden, fast eineinhalb Meter hohen Steinmauer, fühlten sich Tote wie Lebendige gut behütet wie in einer Burg. Das Alter sprang einem hier entgegen, war greifbar. Nicht mehr ganz im rechten Winkel, aber respektvoll, trotzten bis zu 300 Jahre alte Kunstwerke vergangener Steinmetze der Unbarmherzigkeit der Zeit und der noch unbarmherzigeren Polarkälte. Wie das schwarze Schaf inmitten der andersfarbigen Artgenossen, jedoch umgekehrt, nahmen sich nur einige weiße Holzkreuze das Recht vor zu existieren. Der stolze, massive Stein herrschte über das Gräberfeld, überdauerte Kriege, Hungersnöte, strengsten Frost und alle Kreuze aus Holz. Es gab wenig, das angepflanzt wurde. Vielmehr war der Boden, der letzten Ruhestätte für die Einwohner des kleinen lappischen Dorfes, kaum zu unterscheiden vom übrigen Waldboden. Wild wuchernd bedeckten ihn Blau- und Preiselbeerpflanzen, unterbrochen von den getretenen Wegen der Angehörigen. Das Erdreich war im Friedhof dichter als im restlichen Wald und wies, da die Steinmauer für Rentiere unüberwindbar war, viel mehr Flechten auf. Er war im Gegensatz zu den Bewohnern, die darunter lagen, voller Leben.
Seit 45 Jahren ruhte dort Yrjös, mit acht Monaten im Mutterleib verstorbener, Sohn. Er band die Leine an den gewohnten Baum vor dem Eingang, war überzeugt, dass sein Vierbeiner ebenso gerne hierher kam; wusste er doch nichts von dem Vogelhaus auf der anderen Seite. Menschen versorgten es mit Vogelfutter und Eichelhäher die ähnlich wild fraßen wie Kinkku, warfen es zu Boden, gaben kleinen Nagern, wenn die Hündin da war, auch größeren Tieren, ein Stück vom Kuchen ab.
Der Hund saß ruhig da und schaute seinem Herrchen nach, der durch die Öffnung in der Mauer ging und das schwere Eisentor hinter sich schloss. Sobald Yrjö verschwand, wirbelte sie den Düften der Nagetiere und den Körnern entgegen, vergrub ihre Schnauze in den Untergrund.
Da in Lappland grundsätzlich kein Platzmangel herrschte, standen die Gräber weit auseinander und wirkten wild durcheinander gewürfelt, als wären die Toten vom Himmel gefallen und genau so, wie sie aufkamen, beerdigt worden. Yrjö war immer schon verleitet die Individualität zu durchschauen, versuchte von Anfang an herauszufinden, wo die Symmetrie versteckt lag. Vielleicht machte gerade diese Besonderheit, da Friedhof eigentlich sonst stets traurig, ihn so sympathisch. Er fühlte hier Friede, die Mauer sorgte für Geborgenheit, die Weite für Freiheit, die großen Bäume und alten Gräber für Bestand und Respekt vor dem Alter, der einem Selbst, in jenen Jahren, nur mehr selten entgegengebracht wurde.
Ein im Schoß der Erde zu Staub zerfallener Körper konnte keinen Ersatz für einen lebendigen Menschen darstellen, aber für Yrjö war der Friedhof die einzige Vater-Sohnbeziehung, die er je gehabt hatte, je haben würde. An Vorstellungskraft mangelte es ihm keinesfalls. Der Sohn war in seinen Gedanken vorhanden und er sah ihn zu einem Mann heranwachsen. Ihm auf Erden näher zu kommen als am Grab war ihm unmöglich und so kam er fast täglich hierher, erzählte ihm vom Wetter, von der Speisekarte und der aktuellen politischen Lage. Sagte ihm, wie alt und wie groß er gerade geworden wäre. Er sprach mit ihm, als stünde er ihm gegenüber. Der Tod Yrjös’ Sohn war der Anfang und nicht das Ende, eines gemeinsamen Lebens gewesen, eines Daseins auf einer geistigen Ebene. Yrjö, ein durchwegs realistisch denkender Mensch, ignorierte, seit er von dem behandelnden Arzt die Hiobsbotschaft überbracht bekam, wie abstrakt es auch sein mochte, dass nie jemand zu ihm ´Vater` oder ´Großvater` sagen würde. Er nahm den Tod hin und glaubte, ohne jedoch an einen Gott zu glauben, ohne den Himmel als Ort der Seelen, als das Paradies zu bezeichnen, dass der Sohn an einem friedlichen Ort seinen Papa hören und verstehen konnte. Kein religiöser Gedanke versteckte sich hinter dem Grabeskult und den Gesprächen, die er pflegte.
»Es ist nicht zu warm für Oktober«, sagte Yrjö zu dem Grab vor ihm mit tiefer kehliger Stimme. Er wippte auf und ab, die Hände in den Taschen der Trainingsanzugsjacke vergraben. Er sah auf die liebevoll gepflegte Grabstätte hinab: Grableuchte, dessen Feuer gleich dem olympischen nie erlosch. Schwarzer Marmor mit gebrochener Rose. Kaarina – zu Deutsch Erika oder Heidekraut, am Boden gepflanzt, kein Krümel beschmutzte die Blumenerde, die den Untergrund bedeckte. Auf dem Grabstein mit goldenen Lettern ein Stern und ein Kreuz mit demselben Datum, darunter ein Schriftzug:
»Dein Flämmchen durfte nie zur Flamme werden
Nur im Mutterbauch warst du, doch nie auf Erden
Du konntest uns kein Lachen schenken
Deiner Seele wir doch stets gedenken.«
Yrjö liebte das Flämmchen, dessen Geist sich weder im olympischen, noch in sonst einem Sinne entfalten durfte. Die Hand fuhr zum Mund und wollte die Pfeife greifen. Es war ein unbewusster Vorgang, welchen er häufig machte. Doch an diesem kalten Tag spürte er im Mundwinkel nur die weißen Bartstoppeln, die ständig sein Gesicht zierten. Er versuchte sich vom versehentlichen Griff nach dem imaginären Rauchutensil abzulenken, indem er durch sein langes, schwer zu bändigendes Haar strich. Es war für einen 65-Jährigen außergewöhnlich dicht, aber auch puderweiß wie der Schnee, der schon bald fallen würde. Eiskristalle rieselten aus der Mähne. Der Schweiß hatte angefangen zu gefrieren.
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"Pilluralli"
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Mikki H. auf der
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Labels: Freundschaft, Liebe, Mikki H., Reisen