31. Juli 2017

'Gefährlich süß' von Eva-Maria Farohi

Vicent Rius ermittelt auf Mallorca – Zweiter Fall

Fernanda Santos liebt Süßigkeiten. Als sie im Flieger von Palma de Mallorca nach Bogotá von den Pralinen nascht, die sie als Gastgeschenke eingepackt hat, stirbt sie – Herzstillstand nach Vergiftung. Weil die Polizei einen Anschlag auf die lokale Supermarktkette vermutet – was dem Tourismus schaden könnte – wird eine Nachrichtensperre verhängt.

Der Journalist Roberto Lopez wittert einen heißen Fall und wendet sich an den inzwischen pensionierten Chefinspektor Vicent Rius. Der darf eigentlich nicht mehr ermitteln, aber zusehen, wie Unrecht geschieht, kann er auch nicht. Vor allem wenn es in seiner Macht steht, dieses zu verhindern …

Gleich lesen: Gefährlich süß: Vicent Rius ermittelt auf Mallorca - 2

Leseprobe:
Endlich. Und diesmal hoffentlich für immer.
Fernanda Uribe Santos zog den Sicherheitsgurt ein wenig enger. Durch das winzige Fenster hindurch beobachtete sie, wie sich die glänzende Tragfläche des Flugzeugs anhob und die Sicht auf die Bucht von Palma verstellte. Kurz war nichts anderes als der Himmel zu sehen, während die Maschine in einem eleganten Bogen die beim Start vorgegebene Richtung änderte.
Tief unten breitete sich das Mittelmeer aus. Schnell gewann das Flugzeug an Höhe, wie Spielzeug wirkten jetzt die Häuser von Mallorcas Hauptstadt.
Ein letzter Blick auf die hohen Gipfel der Serra de Tramuntana, dann war auch das vorbei. Nur noch Wasser war zu sehen und der blaue Himmel. Das Licht der Sonne blendete Fernanda so sehr, dass sie wegschauen musste.
Ihr Nachbar zur Linken blätterte eine weitere Seite der Zeitschrift um, in der er schon vor dem Start gelesen hatte.
„Perdón“, sagte er, als er mit dem Ellenbogen an ihr anstieß.
„Perdón“, sagte auch Fernanda ein wenig später, öffnete den Gurt und drehte ihm das nicht unattraktive Gesicht zu. Dabei strich sie eine Strähne der dunklen Haare aus ihrer Stirn.
Der Mann im Nebensitz musterte sie schweigend, faltete dann umständlich die Zeitung, bevor auch er an dem silbernen Verschluss zu hantieren begann und schließlich aufstand.
Fernanda drängte sich an ihm vorbei, rüttelte an dem Fach über ihrer Sitzreihe.
„Bitte, bleiben Sie sitzen“, rief die Flugbegleiterin, während sie sich hastig aus dem Sitz schälte, in dem sie seit dem Start angeschnallt war. Eilig kam sie durch den Gang herbei.
„Wir haben unsere Flughöhe noch nicht erreicht.“
„Lo siento“, sagte Fernanda, „es tut mir leid, mir ist nicht gut.“ Es war nur die halbe Wahrheit.
Ihr war tatsächlich nicht gut. Was sich nicht zuletzt auf die Flugangst zurückführen ließ – mehr aber noch auf die Mischung aus Medikamenten, die sie in den letzten Tagen wahllos geschluckt hatte.
Bis zum Schluss war sie nicht sicher gewesen, ob es gelingen würde. Immer wieder hatte sie nach ihrer Handtasche gesehen, die sie in den Tiefen des alten Kleiderschranks versteckt hielt und in der sich ihr Pass, ihr Geld und das Flugticket befanden.
Bitte, lass es ihn nicht merken, war alles, was sie in den letzten achtundvierzig Stunden hatte denken können. Und: Er soll pünktlich wie immer in dieser Bar verschwinden, wo er sich volllaufen lassen kann. Ich will nur frei sein.
Alles war genau geplant. Keiner wusste davon.
Nur ihrer Mutter in Bogotá hatte sie es mitgeteilt - von einem dieser Telefonlokale aus. War eigens mit dem Bus nach Palma gefahren und hatte sich krankgemeldet an jenem Tag. Nachher hatte sie ein wenig Ärger bekommen, weil sie keinen Bestätigungsschein beibringen konnte und eine Geschichte erfinden musste.
Egal. Auch das war vorbei.
Viel mehr als alles andere belastete sie das Geld. Die Sorge lag schwer auf ihrer Seele, schlug ihr auf den Magen und bereitete ihr zusätzliche Übelkeit.
Sie hatte es gestohlen. Es stehlen müssen. Denn nicht einen einzigen Cent von dem, was sie verdiente, durfte sie behalten.
Alles nahm er ihr ab. Esteban. Ihr Mann. Jeden Euro musste sie abrechnen. Nicht einmal Schokolade durfte sie für sich kaufen. Die ganz besonders nicht. Esteban wusste genau, wie gerne sie Süßigkeiten aß.
Fernanda fand, was sie suchte, holte die dunkelrote Pappschachtel mit den aufgedruckten Pralinenfotos aus der Plastiktüte und zwängte sich in ihren Sitz zurück.
Der Nachbar schüttelte nur leicht den Kopf, während die Flugbegleiterin sich wieder entfernte.
Sie würde es beichten müssen, dachte Fernanda und sah wieder aus dem Fenster. Gleich wenn sie zu Hause war.
Während sie überlegte, beschäftigten sich ihre Finger mechanisch mit dem Karton, rissen ihn auf, und der herbe Geruch von Kakao stieg ihr in die Nase.
Es war nicht in Ordnung, alte Menschen zu bestehlen. Stehlen war eine schwere Sünde. Noch nie zuvor hatte sie so etwas getan.
Fernanda zog eine der nach Rum duftenden Pralinen heraus und führte sie zum Mund.
Sie hatten es mit Sicherheit nicht bemerkt. Außerdem brauchten sie das Geld überhaupt nicht. Es war mehr eine Gewohnheit, dass man ihnen Geld zur freien Verfügung ließ. Meistens verloren sie es ohnehin oder sie verschenkten es. Obwohl das Personal eigentlich nichts annehmen durfte.
Diese Menschen waren nicht mehr in der Lage, etwas zu merken. Und wenn doch, würde ihnen niemand glauben.
Darum hatte man sie auch in dieses Heim abgeschoben. Sie waren lästig – und anstrengend. Und den ganzen Tag auf Hilfe angewiesen.
Dieses Schicksal sollte ihrer eigenen Mutter erspart bleiben, schwor sich Fernanda, während sie nach einer weiteren Praline angelte.
Sie würde sich um ihre Mutter kümmern. Auch dazu kam sie schließlich nach Hause zurück. Und das Geld würde eine Zeitlang ausreichen. Bis sie wieder Arbeit fand.
Mühsam hatte sie es zusammengetragen. Immer nur einige wenige Euros auf einmal genommen.
Nicht nur, damit niemand Verdacht schöpfte. Auch deshalb, weil sie sich gescheut hätte, ihren Schützlingen alles abzunehmen, und stets darauf wartete, wenn am Monatsersten einige neue Münzen dazukamen, die sie in ihren Portemonnaies verstauten, glücklich, wie kleine Kinder.
Bleierne Müdigkeit stieg in Fernanda auf. Sie konnte kaum noch die Augen offen halten.
Alles war zu viel gewesen. Vielleicht sollte sie nicht weiter ankämpfen. Immerhin versäumte sie nichts. Erst in Madrid musste sie umsteigen. Bis dahin konnte sie sich ein wenig ausruhen.
Kurz schwankte die Maschine noch, dann wurde es dunkel.
Dass ihre Hand erschlaffte, die Pralinen aus der Schachtel glitten, über den Boden kullerten, sich unter den Sitzen verrollten, merkte Fernanda nicht mehr.

Im Kindle-Shop: Gefährlich süß: Vicent Rius ermittelt auf Mallorca - 2

Mehr über und von Eva-Maria Farohi auf ihrer Website.

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28. Juli 2017

'Herz im Fadenkreuz" von Tatjana Flade

Während rechts- und linksradikale Fanatiker das Land mit ihrer Gewalt destabilisieren, findet die Studentin Esther ihre große Liebe in Lys. Doch was stimmt mit ihm nicht? Warum taucht er immer wieder ab? Lys erwidert ihre Gefühle, aber er hütet ein schreckliches Geheimnis. Doch seine Liebe zu Esther bringt ihn in einen gefährlichen Zwiespalt.

Leserstimmen:
„Rasant und flüssig geschrieben bereitete mir 'Herz im Fadenkreuz' spannende Leseunterhaltung. Wirklich lesenswert!“ (Buchblog Seehases Lesewelt)
„Was für mich aber die Anziehungskraft und eine besondere Note des Buches ausgemacht hat, war die unheimliche Aktualität des Themas.“ (Buchblog Wordworld)

Gleich lesen: Herz im Fadenkreuz: Liebe in Zeiten des Terrors

Leseprobe:
Seit mehr als vier Stunden lag er auf dem Dach. Er war Warten gewohnt. Es machte ihm nichts aus. Er konnte sich in Gedanken verlieren, ohne dabei seine Konzentration aufzugeben.
Dabei beobachtete er die Tür und wusste, dass er sofort reagieren würde, wenn sie endlich aufging. Die Sonne schien auf das Flachdach und heizte es auf. Er stellte sich vor, er sei eine Eidechse, die bewegungslos und scheinbar träge Wärme tankte, und war froh, dass er ein kurzärmliges Polohemd trug.
Still lag er auf dem Bauch, das Kinn auf den rechten Arm gestützt, sodass er gerade über den leicht angehobenen Rand des Daches sehen konnte und sein Ziel, die Haustür, im Auge behielt. Sie war braun, aus einem dunklen, sicher sehr schweren und dicken Holz, mit einem kleinen Fenster in der oberen Hälfte, vor dem sich ein schwarzes, schmiedeeisernes Gitter wand. Die Tür hatte keine Klinke, sondern einen schwarzen Knauf. Die Hauswand neben der Tür war weiß, die Farbe sah noch unverbraucht und frisch aus. Rechts von der Tür wuchs ein kleiner grüner Busch. Er hatte jede Einzelheit, die er von seinem Platz aus sehen konnte, in sich aufgenommen. Von seiner Position aus zählte er fünf graue Natursteinplatten. Insgesamt waren es zehn Meter bis zur Vorgartenpforte. Die sah er nicht, weil sie außerhalb seines Blickfeldes lag, aber er wusste, dass sie da war. So wie er mit der Anlage des Hauses und der Nachbarschaft vertraut war. Er hütete sich vor unnötigen Bewegungen, streckte sich nur ab und zu, um nicht im entscheidenden Moment zu steif zu sein. Es roch schwach nach dem trockenen Moos, das stellenweise am rissigen Rand des Daches wuchs. Ein kleiner Käfer krabbelte über seinen Arm. Es kitzelte leicht.
„Schläfst du schon, mein Süßer?“, flüsterte plötzlich eine sanfte Stimme in seinem Ohr.
Er lachte leise. „Nein“, murmelte er. „Du?“
Das hochfeine Mikrofon, das neben der Knopfleiste seines Hemds steckte, fing seine Stimme auf, egal, wie leise er sprach.
„Oh, es wird langweilig. Wann kommt der Kerl endlich?“, sagte die Stimme in seinem Ohr.
„Vielleicht kommt er gar nicht raus.“
„Irgendwann wird er rauskommen. Er hat sicher noch was anderes zu tun heute. – Hast du eigentlich noch gar keinen Hunger?“
„Nein.“
„Ich habe schon zwei Käsestangen gefuttert.“
Es raschelte so laut, dass er mit der linken Hand unwillkürlich an den winzigen Kopfhörer im Ohr griff.
„Was war das?“
„Die Tüte.“
Er hörte, wie sein Partner lachte, und stellte sich vor, wie er gemütlich im Auto saß und eine Käsestange nach der anderen vertilgte. Er grinste in sich hinein.
„Okay, Darling, konzentrier dich wieder auf den Job.“
Damit kehrte erneut Ruhe ein, und er gab sich wieder seinen Gedanken hin, die ihm ganz alleine gehörten und nichts damit zu tun hatten, dass er auf diesem Dach lag. Eine Haarsträhne fiel ihm ins Gesicht, er pustete sie beiseite. Er dachte an Vietnam. Er erinnerte sich gerne an die Zeit dort, an die Abende am Strand, wenn sie am offenen Feuer gegrillt hatten, und an die Ausflüge mit dem Boot hinaus auf das Meer mit seinem klaren, türkisfarbenen Wasser. Er dachte an die Strandläufe, die er vermisste, weil er gerne lief, aber eben nicht auf hartem Asphalt und in dreckiger Stadtluft. Er erinnerte sich auch an das Training in der offenen Halle, an die angenehme Kühle der glatten Matten auf der erhitzten Haut. Die Bilder zogen langsam vorbei und brachten auch die passenden Gerüche und Geräusche mit – den Duft nach Salzwasser und Seetang, nach geröstetem Fisch, die Stimmen in der Dunkelheit am Strand, das Rauschen der Wellen und das Klatschen, wenn ein Körper auf der Matte aufschlug.
Plötzlich bewegte sich die Tür. Alle Gedanken an Vietnam waren sofort ausgeschaltet, die Gegenwart ins Zentrum gerückt, er war bereit.
„Achtung“, murmelte er in das Mikrofon.
Der erste Mann war breitschultrig und trug einen dunklen, etwas zu engen Anzug, besonders das Jackett spannte über dem massigen Oberkörper. Bodyguard. Der zweite war ein hochgewachsener älterer Herr mit sorgfältig gekämmten grauen Haaren, Koteletten und einer eleganten Brille mit Goldrahmen. Er ging aufrecht und war größer als seine zwei Begleiter. Der dritte, drahtig und wie der erste im dunklen Anzug, machte den Abschluss. Noch ein Bodyguard.
Der Schütze auf dem Dach zögerte keine Sekunde. Sein Training übernahm das Handeln, seine Bewegung war blitzschnell und fließend. Er wusste, dass er nur eine Chance hatte, zog geräuschlos sein G28 DMR über den Rand und hatte das Ziel im Fadenkreuz. Sein Puls beschleunigte sich, aber seine Hand blieb ruhig. Es sah den Kopf des alten Mannes, die eisgrauen Augen, die Nasenwurzel. Die Nasenflügel des Mannes bebten leicht. Er schoss.
Es gab nur ein dumpfes Plopp. Er schickte noch einen Schuss hinterher, bevor er sich, ohne einen Blick über den Rand des Daches zu werfen, mitsamt Gewehr zur anderen Seite wegrollte, während drei, vier Schüsse durch den Vorgarten peitschten. Ein kurzer Wutschrei folgte, Rufe, aber er hatte schon die andere Seite des Daches erreicht.
„Ich komme“, stieß er hastig hervor, ließ das aufgerollte Kletterseil herunterfallen und hielt sich bereits daran fest, als es sich noch in der Luft vollends auseinanderfaltete. Unten angekommen, riss er an dem Seil, um es von dem Haken im Mauerwerk zu lösen, aber es hing fest.
„Lass das Seil!“
Hinter ihm stand der weiße Sportwagen, die Beifahrertür war offen, der Motor lief, und er sprang hinein, warf das G28 DMR auf den Rücksitz und schlug die Tür zu. Der Fahrer startete sofort durch, schoss aus dem Hinterhof und war schon auf der Straße, als der Schütze noch eine Decke über die Waffe auf dem Rücksitz warf und sich anschnallte.
„Hast du ihn?“, fragte der Fahrer.
Der andere zuckte mit den Achseln, zog sich den Kopfhörer aus dem Ohr, löste das Mikrofon und steckte beides in die Brusttasche seines Polohemds.
„Ja, ich glaube. Ich wollte nichts riskieren und schauen.“
„Klar. Den Tag möchte ich erleben, an dem du nicht triffst.“
Der Fahrer warf einen Blick in den Rückspiegel. Niemand folgte ihnen.
„Alles okay, Darling?“
„Ja, danke. Der Dreckskerl hatte nichts anderes verdient.“
Der Fahrer hielt ihm kurz die Hand hin, und er schlug ein.
„Wieder einer.“

Buchtrailer:

Im Kindle-Shop: Herz im Fadenkreuz: Liebe in Zeiten des Terrors

Mehr über und von Tatjana Flade auf ihrer Website.

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'Flaschenpost vom Mörder' von Ulrike Busch

Nach einer Partynacht im Sommer 1997 wurde die lebensfrohe Nina Asmus tot am Strand von Amrum gefunden. War es wirklich ein Unglück, wie die Ermittlungen des Vorgängers von Hauptkommissar Kuno Knudsen ergaben?

Zum zwanzigsten Jahrestag von Ninas Tod planen die damaligen Freunde eine Gedenkparty. Am Morgen dieses Tages findet ein Mitglied der Clique eine Flaschenpost am Strand, wie es scheint, ein Geständnis von Ninas Mörder. Und: Der Unbekannte kündigt an, weiter töten zu wollen.

Bei ihren Ermittlungen stoßen Kuno Knudsen und sein Kollege Arne Zander auf Erinnerungslücken, Mauern und Widersprüche. Plötzlich zeigt der Mörder, dass er es ernst meint.

Gleich lesen:
Für Kindle: Flaschenpost vom Mörder (Ein Fall für die Kripo Wattenmeer 3)
Für Tolino: Buch bei Thalia

Leseprobe:
In gleichmäßigem Tempo joggte Frederik den breiten Strand von Nebel entlang. Die Nacht war sternenklar gewesen und so früh am Morgen fühlte die Luft sich an wie Eisgrieß in Zitronentee. Vor einer Stunde hatte die Flut den höchsten Stand erreicht. Die Wogen wurden sichtlich schwächer, mit jedem Wellenschlag zog der Flutsaum sich ein winziges Stück weiter zurück.
Unmöglich, nicht an Nina zu denken. Noch immer sah er sie vor sich, am Badestrand von Süddorf, an dem er sie gefunden hatte. Ausgerechnet er! Seitdem klebte ein Schatten an seinen Fersen, er verfolgte ihn in seinen Träumen und sprang ihn an, wenn er gerade mal wieder glaubte, ihn für immer verscheucht zu haben.
›Es ist nun mal geschehen‹, sagte er sich. ›Es war Schicksal. Guck nach vorn, denk nur noch an Gisa und dich!‹
Frederik verlangsamte seinen Schritt und suchte den nassen Sand nach Strandgut ab. Gisa war verrückt nach ausgefallenen Muscheln oder Steinen und nach bizarr geformtem Treibholz. Da hinten, bei dem Schild, das die Grenze zwischen dem Textilbadestrand und dem FKK-Bereich markierte, glitzerte ein länglicher Gegenstand in der Sonne. Die auslaufenden Wellen rollten ihn sachte hin und her. Frederik näherte sich seinem Fund. Noch im Laufen bückte er sich und fischte ihn aus dem Wasser: eine Flasche aus klarem Glas, verschlossen mit einem Korken. Ein eingerollter Bogen aus blauem Papier lag darin, zusammengehalten von einer Kordel, deren Enden zu einer Schleife gebunden waren.
Flaschenpost von Neptun!
Er schmunzelte. Wie oft hatte er sich als Kind gewünscht, einen Brief von einem Unbekannten zu erhalten, der auf so abenteuerliche Weise versandt worden war! Frederik betrachtete die Flasche. Von welchem Kontinent das Schreiben wohl stammen mochte? Was war das für ein Mensch, der diese Nachricht auf den Weg gebracht hatte, und was hatte er dem Empfänger mitzuteilen?
Fast hätte seine Neugier gesiegt. Doch viel spannender würde es sein, das Geheimnis des Absenders gemeinsam mit Gisa zu lüften! Auf einmal hatte er es eilig, nach Hause zu kommen.

[…]

Gisa stand im Garten und pflückte Wildblumen für den Frühstückstisch. Als Frederik auf das Grundstück radelte, erblickte sie sofort die Flasche in seiner Hand. »Was ist das denn?«
Frederik strahlte. »Na, was wohl?« Er ging ins Haus. Die Wohnküche des alten Friesenhauses mit den niedrigen Zimmerdecken und den kleinen Sprossenfenstern wirkte immer ein wenig düster. Doch mit Kerzenlicht und vielen bunten Accessoires erzielte Gisa dieselbe gemütliche Atmosphäre wie einst Frederiks Großmutter, von der er das Haus geerbt hatte.
Er schob die leere Blumenvase zur Seite, die mitten auf dem Tisch auf die Wildblumen wartete, und postierte seinen Fund an die Stelle. »Schönen Gruß von Neptun.«
Gisa stellte sich lachend vor den Tisch und stemmte die Hände in die Hüften. »Was schreibt er denn?« Sie nahm die Flasche in die Hand und drehte sie. »Wo hast du die überhaupt her?«
»Direkt vom Strand, wie sich das für eine anständige Flaschenpost gehört. Willst du nicht wissen, was drinsteht?«
»Du hast die Flasche wirklich so gefunden, wie sie hier steht, mit dem Brief darin?«
Frederik nickte. »Aus einem Souvenirladen stammt sie nicht.«
Gisa stellte die Flasche wieder zurück. Sie schien sich noch nicht recht mit dem Gedanken anfreunden zu können, den Brief zu lesen. »Jetzt gibt’s erst mal Frühstück.« Sie öffnete die Klappe des Backofens, klaubte die Rundstücke mithilfe einer langen Zange vom Kuchengitter und legte sie in den Brotkorb. Frederik liebte es, wenn die Butter auf den Brötchen schmolz.
Frederik nahm die Kaffeekanne und schenkte die Tassen voll. Er setzte sich hin und musterte die Flasche wie ein seltenes Tier. »Was meinst du, woher die stammt?«
Auch Gisa nahm Platz. Sie griff zum Brotmesser und schnitt die Brötchen auf. »Aus den USA oder Kanada? Australien oder Südamerika?« Sie legte das Messer hin und ließ zwei Finger über die Flasche gleiten. »Das Glas fühlt sich nicht so an, als hätte es lange im Wasser gelegen.«
»Was meinst du denn«, fragte Frederik, »wie müsste Glas sich nach einer langen Reise durchs Meer anfühlen?«
Gisa biss in ihr Brötchen, das sie mit Butter und Himbeermarmelade bestrichen hatte, und kaute. »Weiß nicht«, sagte sie mit halb vollem Mund. »Rau, klebrig, mit Algen bewachsen. Es müsste grünlich schimmern.«
»Und wenn es durch die Wellen und das Salzwasser poliert wurde?«
»Kann natürlich auch sein.«
Frederik belegte sein Brötchen mit Schinken und zeigte mit der Aufschnittgabel auf die Flasche. »Wenn ich ehrlich sein soll, die Form kommt mir nicht sehr exotisch vor. Sieht aus wie jede x-beliebige Schnapsflasche, die man bei uns im Supermarkt kaufen kann.«
»Wie unromantisch! Lass uns weiter raten. Viel interessanter als die Flasche ist doch das, was drin ist.«
»Für Romantik bist du zuständig«, redete Frederik sich heraus.
Gisa stierte Frederiks Fund an wie eine Schlange, die es zu hypnotisieren galt. »Nein, du zuerst.«
»Also, ich tippe, der Absender ist ein reicher alter Mann aus Übersee, der keine Erben hat und seine Farm und hundert Säcke voller Golddukaten demjenigen vermacht, der seine Post findet und sich gleich auf die Reise zu ihm begibt.«
Gisa schüttelte den Kopf. »Ich sehe einen Überlebenden aus dem versunkenen Rungholt. Er will uns mitteilen, dass es die Stadt noch gibt und wir nicht aufhören dürfen, danach zu suchen.«
Frederik tat, als würde er Gisas scherzhaft vorgebrachten Gedanken ernst nehmen. »Du glaubst also, dass die Bewohner von Rungholt seit der Sturmflut vor sechshundertfünfundfünfzig Jahren in den tiefen Schichten des Wattenmeeres darauf warten, dass wir sie freischaufeln? Du meinst, dass sie uns dieses Lebenszeichen geschickt haben, weil sie mit ihrer Geduld am Ende sind?«
Gisa bibberte vor Aufregung. »Wäre doch ein spannender Gedanke. Ich würde mich freiwillig dafür melden, Rungholt auszubuddeln.«
Frederik zauderte. »Aber bitte nur bei Ebbe!«
Plötzlich hatte er das Gefühl, dass jetzt der rechte Augenblick gekommen war, auf seine Zukunftspläne mit Gisa anzuspielen. Heiraten, vielleicht sogar ein Kind bekommen. »Ich denke eher, der Absender ist der Nachkomme eines Fischers aus Nebel, der seiner Liebsten einen Heiratsantrag machen will.« Er nahm den Kaffeebecher in beide Hände und blickte Gisa fest in die Augen. Genüsslich beobachtete er, wie ihr Gesichtsausdruck sich von der Neugier, mit der sie sich auf die Flaschenpost konzentrierte, in Ungläubigkeit und schließlich in Freude verwandelte.
»Ist das dein Ernst?«
Frederik nickte.
Gisa sprang auf, beugte sich zu ihm hinab und fiel ihm um den Hals. »Und jetzt«, sagte sie, »lass uns die Flasche öffnen und nachsehen, welche Überraschung uns erwartet. Vielleicht ist es sogar eine Einladung zu einer Hochzeitsreise nach Südamerika!«
Frederik griff feierlich nach der Flasche und entkorkte sie. Er hielt sie kopfüber, sodass die Papierrolle durch den Flaschenhals rutschte. »Hier.« Er überreichte Gisa die Rolle. »Mach sie auf, lies du zuerst.«
Vorsichtig zog Gisa die Kordel auf, rollte den Briefbogen auseinander und überflog den Text. Ihre Augen verfinsterten sich schlagartig.
Frederik bemerkte, dass ihre Hände zu zittern begannen. Er wurde unsicher. »Was steht denn drin?«
Gisa schob ihm das Papier hin.
Frederik starrte die computergeschriebenen Zeilen an. Die Buchstaben wankten nach rechts und nach links und wirbelten durcheinander. Es war, als würden sie vor seinen Augen tanzen.
22. Juli 1997. Ich habe gemordet. Ich werde es wieder tun.

Im Kindle-Shop: Flaschenpost vom Mörder (Ein Fall für die Kripo Wattenmeer 3)
Für Tolino: Buch bei Thalia

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'Die Hexen von Berlin' von Franziska Nelka

Die Hexenschwestern Isabelle, Annabelle und Michelle sind ganz aufgeregt - das Festival of Arts steht an - unter den Menschen besser bekannt als "Mittelalterspektakel". Alles läuft perfekt, bis auf dem Magier Turnier ein Anschlag auf einen Gaianer ausgeübt wird.

Die Oberhexe Selina und ihre drei Töchter werden verdächtigt. Während die Hexenschwestern ihre Unschuld beweisen wollen, bekommen sie unerwartete Hilfe von den Werwölfen. Als der Altvampir jedoch ihre Mutter entführt, droht alles auseinander zu brechen.

Gleich lesen: Die Hexen von Berlin (Festival of Arts 1)

Leseprobe:
Konzentrier dich. Lösche einfach alles aus deinen Gedanken bis auf die Zitadelle. Denk einfach am besten an den Fledermauskeller. Fledermauskeller. Fledermauskeller. Fledermauskeller … Bingo! Ich bin drin.
Isabelle konnte sich zwar bereits seit fünf Jahren teleportieren, aber noch immer hatte sie manchmal Schwierigkeiten sich genau auf einen Ort zu konzentrieren. Vor allem wenn ihre Gefühle verrücktspielten. Seit Beginn ihres Studiums, den unendlich vielen Studienveranstaltungen und natürlich seit der Trennung von Johannes hatte Isi öfters Probleme ihre Gedanken zu fokussieren und ihre Gefühle im Zaum zu halten.
Gar nicht gut, wenn man eine Hexe ist. Da war Vorsicht geboten. Eine unkontrollierte Aggression und sie könnte Menschenleben gefährden. Nein, das würde sie niemals riskieren! Sie wollte nicht eine dieser Hexen werden, die sich für ihre Vergangenheit schämen mussten. Erst recht nicht, weil sie die neue Oberhexe werden sollte, wenn ihre Mutter ihren Sitz beim hohen Hexenrat an sie übertrug. Zum Glück hatte sie noch ein paar Jahre bevor das geschehen sollte, aber dennoch fühlte sich Isi schon jetzt unter Druck gesetzt.
Als älteste ihrer Geschwister hatte sie sowieso schon immer eine Vorbildfunktion inne. Nun sollte sie auch noch zum Oberhaupt der Hexen werden. Jetzt jedoch stand eine ganz andere Sache an: Das Festival of Arts. Auf dieses mystische Spektakel freuen sich jedes Jahr dutzende Gaianer. Seit sie 16 Jahre alt war, nahm Isi an den Wettkämpfen teil.
In diesem Jahr sollte auch erstmals ihre jüngste Schwester Michelle teilnehmen. Isi fragte sich jedoch, ob sie schon soweit wäre. Nichts nahm ihre kleine Schwester ernst. Ständig nur Scherze machen und rumalbern, hatte sie ihr vorgeworfen. Dabei musste sie selbst öfters insgeheim über ihre Scherze lachen. Einmal hatte Michi ihrer Schwester Annabelle ein Furzkissen unter den Stuhl gelegt. Nicht gerade subtil, zugegeben, aber es hatte gewirkt. Die Schwestern lachten sich halb tot, während Oma Jutta nur mit den Augen rollte und kopfschüttelnd wegging.
Im Fledermauskeller roch es wie immer etwas muffig. Die Fledermäuse waren gerade aus ihrem Winterschlaf erwacht. Jedenfalls dachte Isi das, da sie alle gleich ganz nervös umherflogen, als sie die Hexe sahen. Isi fauchte kurz wie eine Katze in ihre Richtung und ging dann grinsend zur Gewölbetreppe. Der Keller war wie immer spärlich beleuchtet. Kleine künstliche Fackeln an den Wänden sollten wohl für die Menschen gruselig wirken oder die Fledermäuse vertrugen einfach kein anderes Licht. Wie auch immer. Die Hexe schlenderte die Wendeltreppe hinab und schlich auf leisen Sohlen die Gewölbegänge entlang. Der ganze Fußboden war übersät mit Dellen und Wölbungen. Kleine Ziegelsteine unordentlich aneinandergereiht und mittels Lehm zusammengehalten dienten noch immer als Grund genug. Hier könnte ruhig einmal renoviert werden.
Das Festivalgremium saß bereits im Hauptsaal an der Tafel und diskutierte über den diesjährigen Zeitplan. Für die Menschen hieß das Festival „Mittelalterspektakel“. Jedes Jahr lockte es zahlreiche Besucher an. Die Eintrittsgelder wurden dann fair verteilt und die Wettkampfgewinner bekamen eine ordentliche Summe. Im letzte Jahr hatte Isabelle 500 Euro gewonnen. Als wiederholte Gewinnerin beim Magier Turnier hatte sie sich in den letzten drei Jahren ein kleines Ansehen unter den Wettkämpfern erkämpft. Besonders ihr größter Gegner, der Halbvampir Simon, hatte es auf sie abgesehen. Erst letzte Woche hatte sie von ihm eine Handynachricht erhalten: Bald wirst du wissen wie es ist Zweite zu sein! Woher hatte er nochmal meine Handynummer?
Vom Eingangsbogen zum großen Saal aus musterte sie die Versammlung und lauschte ihren Worten. Wie immer sollten wohl zuerst die Schwertkämpfer antreten. Meist waren das nur Dämonen und Wolfsmenschen, Muskelprotze mit wenig Hirn. Danach sollten die Magier Turniere beginnen. Zuerst die allgemeinen Zauberkämpfe, in denen ihre Schwestern mit ihren Fähigkeiten antreten sollten. Danach als Höhepunkt „Das Duell“ mit Isabelle als Favoritin. Als sie ihren Namen hörte, räusperte sie sich kurz und kündigte somit ihre Anwesenheit an. Die Gremienmitglieder schauten sofort in ihre Richtung. Erwischt, dachte sich Isi, die es wieder einmal geschafft hatte sich wie eine Katze anzuschleichen. Nicht einmal der Wolfs-Alpha hatte sie bemerkt.
„Miss Nogra, wir haben die Ehre. Sie kommen, um den Zeitplan für ihre werte Mutter abzuholen?“, fragte der Altvampir Joaquim Henning. Im Grunde lebten die Vampire friedlich mit den Hexen und den anderen mystischen Rassen in Gaia zusammen. Natürlich gab es in jeder Rasse auch schwarze Schafe, dunkle Dämonen, blutgierige Vampire oder böse Hexen. Jede Rasse musste selbst dafür sorgen, dass ihre „Außenseiter“ im Zaum gehalten wurden und vor allem das oberste Gesetz hielten: Kein Aufsehen in der Menschenwelt zu verursachen!

Im Kindle-Shop: Die Hexen von Berlin (Festival of Arts 1)

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27. Juli 2017

'Nett Working' von Ulla B. Müller

Liebe, waterproof

Sich neu zu verlieben könnte so einfach sein, wenn es bei Luisa nicht unbedingt unter Wasser passieren müsste. Bevor die taffe Büroassistentin abtauchen kann, um ihren Traumfroschmann aufzuspüren, muss sie zwei Dinge auf Vordermann bringen: Ihren Kontostand und ihre Figur. Alles nicht so easy! Ihr neuer Job entpuppt sich als Drahtseilakt, und das Fitnessarmband, mit dem die Pfunde nur so purzeln sollen, bringt nichts als Ärger. Wenn Sascha, ihr stets gut gelaunter Tauchlehrer, nicht wäre, hätte sie längst alles hingeworfen. Aber ist dieser allseits beliebte Sportfreak wirklich nur an ihr interessiert?

Ganz anders dagegen Luisas Kollege Alex. Der attraktive Laborleiter mit der hinreißend tiefen Stimme ist zwar zurückhaltend, aber dafür hilft er ihr immer wieder liebevoll aus der Klemme. Schade! Etwas mehr sportlicher Kampfgeist könnte bei dem charmanten Kerl Wunder wirken, findet sie. Stattdessen zieht Alex Bahnen im Hallenbad! Altmodischer geht es ja wohl nicht, oder?

„Nett Working“, das Lesevergnügen mit dem Frischekick für alle modernen Frauen, die Spaß an neuen Trends, Fitness und gefühlvollen Liebesgeschichten haben.

Gleich lesen: Nett Working - Liebesroman

Leseprobe:
Das war er also! Luisa bekam eine Gänsehaut. Noch nie hatte sie solch ein riesiges Exemplar gesehen. Diese Länge! Diese elementare Kraft, die die Muskeln unter seiner samtigen Hülle vermuten ließen! Einfach atemberaubend!
Am liebsten hätte sie den Arm ausgestreckt, um ihn zu berühren. Doch bevor sie diesen Schritt wagen konnte, musste sie wissen, wie Jacques dazu stand. Sie drehte den Kopf zu ihm und sah ihn fragend an. Er wusste, dass sie sich nichts sehnlicher wünschte, als dieses Prunkstück der Schöpfung zu berühren. Aber er gab ihr mit der flachen Hand ein klares Stoppzeichen. Danach bewegte er die Hand waagerecht auf und ab. Im gleichen Atemzug deutete er auf Pierre, den Kameramann, der sich ganz vorsichtig rückwärtsbewegte.
Luisa hatte verstanden. Sie reduzierte die Schwimmbewegungen ihrer Arme und Beine auf ein Minimum. Jacques Cousteau, die beiden Männer der Calypso und sie konnten ihr Glück kaum fassen. Sie waren in diesem Augenblick so dicht an dem riesigen Walhai, dass es viel zu riskant war, ihn durch eine Berührung zu erschrecken. Mit einem kräftigen Schlag seiner riesigen Antriebsflosse hätte er die Tauchgruppe in Lebensgefahr gebracht.
Zu schwebenden Neoprenpuppen erstarrt verfolgten sie das langsame Weiterziehen des Giganten. Als er hinter einem Makrelenschwarm verschwunden war, deutete Luisa dem Leiter der Expedition per Handzeichen an, wie fasziniert sie von dem Ereignis war. Jacques nickte ihr verständnisvoll zu. Im nächsten Moment wies er in die Richtung, in die der Tauchgang fortgesetzt werden sollte.
Von gleichmäßigen Flossenschlägen angetrieben glitt Luisa hinter der Tauchgruppe durch das warme Wasser des Riffs. Ruhig und monoton atmete sie durch die Maske ein und aus. Das sanfte Blubbern der Luftblasen, die aus dem Mundstück ihres Atemgeräts zur Wasseroberfläche perlten, wirkte beruhigend, ja, fast hypnotisch. Sonnenstrahlen fielen durch das kristallklare Wasser und ließen den Sandboden zwischen den Korallenbänken und den umherquirlenden Fischen hell und überdeutlich aufleuchten. Wie in Trance sog Luisa die phantastischen Farben und Formen dieser Wunderwelt in sich auf. Herrlich, diese Schwerelosigkeit ihres Körpers! Wie ein winziges, unbedeutendes Etwas schwebte sie in der unfassbaren Weite des Ozeans dahin.
Mit einem Mal hielt sie in der Abwärtsbewegung inne und betrachtete fasziniert einen Schwarm weiß gebänderter Clownfische, die im wogenden Wasser eine Seeanemone umschwirrten. Als sie über die Riffkante hinwegschwamm, tat sich ein Abgrund auf, der so tief war, dass sie den Boden nur schemenhaft erkennen konnte. Finster war es dort unten, aber Angst hatte sie keine. Mit geschmeidigen Beinschlägen paddelte sie gemeinsam mit den anderen tiefer und tiefer, die Arme dicht an den Körper gelegt.
Da! Was war das? Aus weiter Ferne drang ein dumpfes Alarmsignal an ihre Ohren. Beunruhigt stoppte Luisa ihre Beinbewegungen und lauschte. Kam das Geräusch etwa von ihrem Atemgerät? Mit einem Mal hatte sie das Gefühl, nicht mehr tief genug durchatmen zu können. Panik breitete sich in ihr aus. Während sie immer angestrengter nach Luft rang, versuchte sie die Quelle des Geräuschs auszumachen, das nun grässlich laut und ganz dicht an ihrem Kopf losschrillte. Mein Gott, sie bekam nicht genug Sauerstoff! Für ein zügiges Auftauchen war sie bereits viel zu tief. Gleich würde sie ohnmächtig werden und leblos in die Tiefe sinken. Am liebsten hätte sie um Hilfe geschrien, aber mit einer Tauchermaske auf dem Gesicht? Und wo waren plötzlich die anderen abgeblieben?
Beim nächsten Losschrillen des Alarms riss Luisa die Augen auf. Für eine Sekunde starrte sie schwer atmend ins Schwarze. Dann begann sie so wild mit Armen und Beinen zu rudern, dass ihre Bettdecke im hohen Bogen auf den Boden segelte. Sie war gerettet! Befreit durchatmend starrte sie erst zur Zimmerdecke, dann auf den Wecker, der statt der Alarmintervalle nun einen nervigen Dauerton von sich gab. Warum mussten ihre schönsten Träume immer so ernüchternd enden? Kein sanftes Auftauchen, kein Boot, das an der vereinbarten Stelle auf sie wartete und kein Froschmann, der sie zärtlich in seine starken Arme schloss!
Kaum hatte sie den Wecker zum Verstummen gebracht, fuhr ihr der nächste Schreck in die Glieder. Es war bereits kurz vor halb acht. Ganze zweiunddreißig Minuten blieben ihr, um sich frisch zu machen, adrett anzuziehen, fünf Kilometer durch den dichtesten Berufsverkehr zu preschen und die hundert Meter vom Parkplatz bis zu ihrem neuen Arbeitsplatz in Rekordzeit zurückzulegen. Und das nicht, wie vor kurzem noch, in bequemen weißen Jeans, Klinik-Kasack und Reformhaus-Sandaletten, sondern im schicken, engen Rock mit Bluse und Pumps. In ihrem alten Job in der Privatklinik am Schloss wäre es kein Problem gewesen, ein paar Minuten zu spät zu kommen. Da hatte man morgens eine halbe Stunde Gleitzeit zur Verfügung. Doch seit genau zwei Tagen war sie keine unterbezahlte, teilzeitbeschäftigte medizinisch-technische Assistentin mehr, sondern eine vollzeitbeschäftigte Schnittstelle. So jedenfalls hatte ihr Frederic Marlow die Stelle beim Einstellungsgespräch beschrieben. Dabei vertraute er ihr auch seine Erleichterung an, als er beim Durchsehen der unzähligen Bewerbungen auf sie gestoßen war. Auf ihren erstaunten Blick hin hatte er versichert, dass nur sie die passenden Fähigkeiten mitbrächte. »Ihre Aufgabe, Frau Paulus, ist es ab jetzt, unser Labor und die Produktion informationstechnisch mit der Unternehmensleitung, also mit mir, zu verbinden. Der heiße Draht sozusagen.« Für die ungewollte Zweideutigkeit seiner letzten Worte entschuldigte er sich sofort: »Bitte, nicht falsch verstehen!«
Während sich Luisa von einer roten Ampel zur nächsten vorarbeitete, dachte sie abermals über den seltsamen Verlauf des Einstellungsgesprächs nach, und wieder wurde ihr ganz flau im Magen. Nicht, weil ihr neuer Vorgesetzter attraktiv und ungewöhnlich zuvorkommend gewesen war. Eher wegen ihrer Verunsicherung, der ihn dazu veranlasst hatte, ihr Mut zu machen. »Machen Sie sich keine Sorgen, Frau Paulus«, hatte er ihr zugeraunt. »Das kriegen wir schon hin.«
Das väterliche Wir in seinem verbalen Rettungspaket hatte dann langsam ihre Schreckstarre gelöst. »Verwaltungsarbeit ist zwar absolutes Neuland für mich, aber ich versichere Ihnen, dass ich mich schnell und gewissenhaft einarbeiten werde«, hatte sie mit geröteten Wangen geantwortet. So eine Chance bekam man schließlich nur einmal! Auf keinen Fall durfte sie den Eindruck erwecken, sie könne mit ihrer zukünftigen Arbeit überfordert sein.
»Ich werde Ihnen die anfallenden Aufgaben bis ins Detail erklären. Außerdem können Sie jeder Zeit Herrn Dr. Urdenbach, unseren Laborleiter, fragen, wenn Ihnen etwas unklar ist. Und dann warten wir einfach mal ab, wie Sie zurechtkommen.«
»Danke. Das ist wirklich sehr nett von Ihnen«, war Luisas betretene Antwort gewesen. Bei dem Wort zurechtkommen hatte sie sofort das große, unausgesprochene Fragezeichen in seinem Blick gesehen. Schon klar, ein geschmeidiger Einstieg sah anders aus!
Umso erstaunter war sie über sein wohlwollendes Nicken gewesen, bei dem er einen Zipfel seines Oberlippenbarts mit den Fingern zwirbelte.
Für längeres Haar in männlichen Gesichtern hatte sie nicht viel übrig. Dennoch musste sie zugeben, dass der extravagante Schnäuzer dem stämmigen Mann guttat. Er gab ihm etwas Nobles und lenkte von den kindlich kleinen Ohren ab. Sein akkurater Kurzhaarschnitt wirkte dagegen so einfallslos wie der eines Bundeswehrrekruten. Luisa schätzte ihren neuen Chef auf Ende dreißig. Mit dem hellen Seidentuch in der Brusttasche seines Anzugs hätte er gut in ihrer Lieblingsfernsehserie mitwirken können. Die männlichen Hauptdarsteller spielten darin überwiegend reiche, gutaussehende Aristokraten. Als Regisseurin hätte sie ihm allerdings die Rolle des intriganten Gegenspielers verpasst. Aus welchem Grund konnte sie gar nicht genau sagen. Wahrscheinlich hatte es mit weiblicher Intuition zu tun, dass sie gleich bei der ersten Begegnung nach dem Haar in der Suppe suchte. Vielleicht lag es auch daran, dass ihr Frederic Marlow einfach einen Deut zu nett und zu hilfsbereit war.

Im Kindle-Shop: Nett Working - Liebesroman

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26. Juli 2017

'Die Stadt des singenden Segels - Tad Time #1' von Jonas M. Light

+++ Ein Schauspieler erwacht in einer fremden Welt mit Superkräften +++ Eine Lichtfee wird zum Mentor +++ Ein tödlicher Schatten kehrt in die Welt der Lebenden zurück +++

Tad Parker, ein Schauspieler aus der Kleinstadt Capeville, wacht auf einer verregneten Wiese auf. Seine Erinnerungen sind verblasst. Wie um alles in der Welt ist er hierher gekommen? Als er wenig später eine unheimliche Begegnung mit einer Frau hat, die aus den Flammen eines Feuers erwächst, zweifelt er an seinem Verstand und wähnt sich in einem Traum. Doch schon bald weiß er: Um mehr über seine Vergangenheit zu erfahren, muss er in die Stadt des singenden Segels reisen. Was dann kommt ... nun, lasst euch überraschen!

Gleich lesen: Tad Time #1: Die Stadt des singenden Segels

Leseprobe:
„Was? Du liebst einen anderen?“ Ein Raunen ging durch das Publikum, als Tad seine Geliebte mit diesem Vorwurf konfrontierte. Nach gut 40 Auftritten war es äußert vorhersehbar, an welcher Stelle des Theaterstücks eine Reaktion des Publikums zu erwarten war. Die nächste Reaktion würde kommen, wenn Tad mit seinem Rivalen Ernesto kämpfen und den Tod durch einen Pistolenschuss in die Brust finden würde. Doch daran versuchte Tad im Augenblick noch nicht zu denken. Er fokussierte sich auf seinen nächsten Einsatz.
„Dieser miese Bastard!“, wetterte Tad. „Ich wusste die ganze Zeit, dass er ein Auge auf dich geworfen hat.“ Er stampfte mit seinem rechten Bein auf die Holzplanke der Bühne und ein Knallen schallte durch den Saal, der mit 500 Zuschauern restlos ausverkauft war. Seine Geliebte erschrak und hielt sich die Hand vor ihr Herz, um die Dramatik der Szene zu untermalen. Einige Zuschauer im Saal taten es ihr gleich und eine Dame in der ersten Reihe fieberte gar so mit, dass sie sich an den Arm ihres Sitznachbarn klammerte.
Tad huschte ein kleines Lächeln über sein Gesicht, als er sah, wie enthusiastisch die Leute waren. Gleichsam sehnte er das Ende des Stücks herbei, denn im Kegel des Bühnenscheinwerfers war es verdammt heiß. Ein Teil des Make-ups war bereits von seinen Schweißtropfen hinfortgeschwemmt worden und die Kragenschenkel seines weißen Rüschenhemds sahen aus, als wären sie in einen ockerfarbigen Farbeimer gefallen.
Dann kam die alles entscheidende Szene. Tad holte tief Luft, um seine Konzentration auf den Punkt zu sammeln und polterte in den Saal hinaus: „Ich bringe dich um, wenn du etwas mit ihr gehabt hast!“
Seinem Gegenspieler Ernesto musste es genauso heiß sein wie Tad, denn die Schweißperlen rollten wie Regentropfen über seine Stirn und glänzten im Schein des Lichtes.
„Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig“, konterte Ernesto. „Was ich getan habe, ist kein Verbrechen. Es geschah aus purer Liebe.“
Es war der Satz, der das Fass endgültig zum Überlaufen brachte. Tad zog eine Pistole aus der Jackentasche und richtete diese auf Ernesto. In der Probe war es bei dieser Szene hin und wieder zu Aussetzern gekommen, da die Platzpatronen nicht immer funktionierten und dann statt einem stattlichen BUUMM nur ein wehleidiges KLICK herauskam.
Heute sollte zum Glück alles funktionieren. Ernesto stürzte in wilder Verzweiflung auf seinen Opponenten zu und ergriff seinen Waffenarm. Abermals ging ein Raunen durch das Publikum. Einige Zuschauer hielten ihre Hände vors Gesicht und wollten gar nicht hinsehen. Die Dame am Arm des Sitznachbarn war aufgesprungen und schrie ein verzweifeltes „Tu das nicht, Ernesto!“ in Bühnenrichtung.
Nach einem wilden Gerangel und Geschrei auf der Bühne erschallte endlich das BUUMM und Tad sackte auf den Boden wie ein ausgeknockter Boxer. Sein Kopf schlug unsanft auf dem Holzboden auf.
Was tat man nicht alles für eine gute Show. Morgen würde er bestimmt eine kleine Beule haben. Doch irgendwie war da noch mehr. Tad spürte eine seltsame Schwere in seine Glieder kriechen. Er versuchte, einen Laut von sich zu geben, doch die Worte erstarben in seinem Hals. „Was habe ich getan?“, schallten die Worte Ernestos durch den Raum, die wie ein Echo in Tads Kopf widerhallten. Dann senkte sich der Vorhang und mit ihm legte sich ein dunkler Nebel über Tads Augen.

Im Kindle-Shop: Tad Time #1: Die Stadt des singenden Segels

Mehr über und von Jonas M. Light auf seiner Website zum Buch.

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25. Juli 2017

'Die Entführung des Rasputin' von Mart Schreiber

David ist kein Überflieger, nicht ambitioniert. Aus politischen Dingen hält er sich am liebsten raus. Dennoch ist er mit seinem Leben im Großen und Ganzen zufrieden: Als Moderator der Radiosendung „Tea and Sympathy“ genießt er in seinem Freundeskreis ein bescheidenes Prestige, außerdem ist er seit einem Monat mit der schönen Miriam zusammen.

Als David „Salim“ in die Leitung bekommt, hält er seine Behauptung, den russischen Präsidenten entführt zu haben, zunächst für einen schlechten Scherz. Doch dann überstürzen sich die Ereignisse. Plötzlich sind der Verfassungsschutz und der russische Geheimdienst hinter ihm her und Miriam ist wie vom Erdboden verschluckt. Die Medien schweigen die angebliche Entführung tot. Der Großteil Wiens weiß nicht einmal von dem Gerücht und wenige Tage später taucht der russische Präsident auf einmal wieder in Moskau auf. Hat David sich alles nur eingebildet? Hat die Entführung tatsächlich nie stattgefunden? Aber wo ist dann Miriam und was will der Verfassungsschutz von ihm?

David beschließt, die Wahrheit herauszufinden. Und gerät immer tiefer in den Strudel seiner verdeckten Ermittlungen ...

Gleich lesen: Die Entführung des Rasputin

Leseprobe:
„Hallo ihr Lieben, hallo Fans und Nichtfans, hallo Melancholische und Verzweifelte. Hier ist die 97. Ausgabe von Tea and Sympathy. Und wie immer ist euer David Kapper am Mikro. Gehen wir’s locker an, wie wär‘s mit ‚You’re the one‘ von Kaytranada.“
Ich rückte meine Kopfhörer zurecht. Verrückt, bald würden es hundert Sendungen sein, dachte ich. Und immer noch war es nicht zur Routine geworden. Der erste Anrufer wurde zugeschaltet.
„Hi Doron, wie geht’s?“
Ich erhielt zu jedem Anrufer ein kurzes Briefing, bevor er auf Sendung kam. Name, Alter, manche wollten es nicht genau sagen, dann reichte eine Range, und das Thema in zwei, drei Sätzen.
„Schlecht. Sonst würde ich doch nicht anrufen.“
„Das stimmt auch wieder. Erzähl doch unseren Zuhörern von deinem Problem. Drei Minuten hast du Zeit dafür.“
„Kann ich bitte anfangen?“
„Go on, Doron.“
Ich lehnte mich zurück. Dorons Sorgen waren nichts Besonderes. Erstes Verliebtsein. Seine Freundin wollte keinen Sex, nicht einmal Zungenküsse. Sie war nicht streng katholisch oder muslimisch. Auch die Eltern waren nicht der Grund für ihre Enthaltsamkeit. Behauptete sie jedenfalls. Das ging jetzt schon drei Monate so und er spürte, wie sein Interesse an ihr nachließ.
„Ich liebe sie aber noch immer. Das macht’s ja so schwierig“, sagte er, gefolgt von einer langen Pause.
„Hm, Doron. So etwas kommt leider immer wieder vor. Hatte ich schon dreimal in der Sendung. Natürlich ist jeder Fall anders. Denk mal darüber nach, was du jetzt vorhast. Wir hören uns gleich nach der nächsten Nummer wieder.“
Amanda Seyfrieds beruhigende und gleichzeitig erotische Stimme erklang. Vielleicht empfand ich die Stimme nur deshalb als erotisch, weil sie so verdammt gut aussah. Ich nahm die Kopfhörer ab, denn Tomi, der Chef vom Dienst, fuchtelte wild in meine Richtung.
„Was gibt’s?“, fragte ich ihn.
„Wir haben da einen Anrufer, der behauptet, dass sie den russischen Präsidenten entführt haben. Er will die Forderungen seiner Gruppe verlesen.“
„Hm. Kann das stimmen? Der Präsident ist doch in Wien bei der großen Friedenskonferenz.“
„Ja, aber setz deine Kopfhörer wieder auf. Die Amanda hat gleich ausgesungen.“
„Hi Doron. Wie hat dir die Nummer von Amanda gefallen?“
„Das will ich lieber nicht sagen. Ist doch Old School.“
„Dann bin ich eben Old School, Doron. Ich hab mir ausbedungen, dass in jeder Sendung ein Lied von ihr gespielt wird. Das bringt mich auf eine Idee. Schreibt doch, ob ihr das auch wollt. Wenn, sagen wir mal, zwei Drittel von euch Amanda-Hater sind, dann gebe ich die Sendung ab.“
Kurze Pause. Ich hauchte ein Hm ins Mikrophon.
„Nein, das wäre zu viel des Guten. Dann wechsle ich, hm, sagen wir fürs erste, zu Markéta Irglová. Spiel ich heute noch, falls ihr sie nicht kennt. Aber jetzt zurück zu dir, Doron. Was hast du vor?“
„Ich werde noch einmal mit ihr reden.“
„Gute Idee. Wie heißt denn deine Freundin?“
„Das will ich nicht sagen. Mein Name ist ja auch ein anderer als Doron.“
„Ach so. Stell dir vor, deine Freundin hört zu und hat deine Stimme erkannt. Vielleicht versteht sie jetzt deine Nöte.“
„Glaub ich nicht. Sie würde auf der Stelle Schluss mit mir machen.“
„Wäre das eine Lösung für dich?“
„Auf keinen Fall. Ich wär‘ ja schon zufrieden, wenn sie mich richtig küssen würde.“
„Ich seh‘ schon, wir kommen ein Stück weiter. Nach der nächsten Nummer schaun wir mal, was andere Zuhörer dazu geschrieben haben.“
Die Sache mit der Entführung konnte doch nur ein schlechter Scherz sein. Trotzdem reizte es mich, den Typen in die Sendung zu nehmen. Für Aufsehen würde der Anrufer auf alle Fälle sorgen. Vielleicht würden sogar einige Zeitungen darüber berichten. Zuerst musste ich aber den falschen Doron abfertigen. Ich bekam das Zeichen, dass der Song von Tocotronic in 10 Sekunden ins Fade out gehen würde. Ein kurzer Blick auf die Facebook-Einträge und andere Nachrichten zu Doron. Viel Spott war dabei und typische Ratschläge wie: „Lass sie dunsten“, oder: „Stell ihr ein Ultimatum“.
„Hallo ihr Lieben, das ist die 97. Ausgabe von Tea and Sympathy. Mein erster Anrufer ist noch in der Leitung. Hi Doron. Willst du wissen, was das Netz zu deinem Problem sagt?“
„Nein, will ich nicht. Meine Freundin hat sich grad gemeldet. Sie hat wirklich zugehört und wir treffen uns heute noch.“
„Das klingt doch gut, Doron. Ich halte dir beide Daumen. Wenn ich du wäre, würde ich mich einfach nur freuen. Bleib locker. Deine Freundin mag dich offensichtlich sehr. Und sei froh, dass wir uns die Kommentare aus dem Netz ersparen. Ich hab da aufs erste Hinsehen nichts wirklich Hilfreiches entdecken können.“
„Danke, dass ich drangekommen bin. Magst nicht anstatt der Amanda und der anderen Romantik-Susi etwas Modernes spielen? Zum Beispiel Gitti vom Voodoo Jürgens.“
„Gute Idee. Ciao, Doron. Bevor wir aber die nächste Nummer spielen, muss ich euch warnen. Als nächsten Anrufer haben wir einen angeblichen Entführer in der Leitung. Bleibt dran und lasst euch überraschen.“
Das Humptata-Intro von Gitti drang in meine Ohren. Tomi hatte mir einige Infos zur Friedenskonferenz zusammenstellen lassen. Der russische Präsident war noch in Wien. Morgen sollte die Konferenz mit einem Schlusskommuniqué beendet werden. Bis jetzt waren noch keine Fortschritte gemeldet worden. Im Gegenteil, es wurde gemunkelt, dass die Konferenz sogar kurz vor dem Abbruch stünde. Bis Mitternacht waren es noch gute vierzig Minuten. Vielleicht schlief der Präsident bereits in seiner Suite im Imperial. Denn dort fand auch die Konferenz statt, natürlich komplett abgesichert. Es gab nicht den kleinsten Hinweis auf einen Zwischenfall in den Medien. Tomi hatte sogar die Polizei informiert. Selbst wenn der Anrufer wirres Zeugs faseln sollte, würde ich ihn in der Leitung halten müssen, bis die Rückverfolgung des Anrufs erfolgreich war.
Noch zehn Sekunden. Mein Speichelfluss war stark erhöht. Ich schluckte mehrmals und versuchte, meinen pochenden Herzschlag aus meiner Wahrnehmung zu drängen.
„Hallo ihr Lieben, hier ist David Kapper in der 97. Ausgabe von Tea and Sympathy. Unser nächster Anrufer behauptet, den russischen Präsidenten entführt zu haben. Kaum zu glauben, aber lassen wir es Salim selbst erklären. Hi Salim. Was hat es mit dieser Entführung auf sich?“
„Mein Name tut nichts zur Sache. Ich werde mich kurz halten. Nicht, weil uns die Polizei, die ihr sicher schon verständigt habt, orten könnte.
Offiziell rufe ich von den Philippinen an, in Wirklichkeit sitze ich in Wien.“
Seine Stimme zitterte und hatte sich in den wenigen Sätzen bereits dreimal überschlagen.
„Okay. Was willst du uns mitteilen?“
„Wir haben den russischen Präsidenten aus dem Hotel Imperial entführt. Er lebt und ist an einem sicheren Ort. Übrigens nennen wir ihn Rasputin. Sein wirklicher Name erzeugt bei uns Übelkeit und ein Wortspiel ist es auch noch.“
„Okay, dann nennen wir euer Opfer Rasputin.“
„Was heißt Opfer. Die Opfer sitzen im ausgebombten Aleppo, in den Gefängnissen und in den Flüchtlingslagern. Diese Konferenz macht keinen Sinn. Kein Politiker traut sich, Rasputin die Stirn zu bieten. Er kann machen, was er will. Wenn er Versprechungen macht, dann wird er diese so wie auch bisher nicht halten. Wir können das syrische Volk nicht weiter leiden lassen. All das Gerede bringt nichts. Daher haben wir uns entschlossen, Rasputin zu entführen und ihn erst wieder freizulassen, wenn er folgende Bedingungen erfüllt.“
„Moment mal. Ihr behauptet, den Präsidenten…“
„Rasputin, bitte.“
„Okay, Rasputin entführt zu haben. Warum sollen wir das glauben? Die Medien würden längst darüber berichten, die Innenstadt müsste doch voller Polizisten sein.“
„Rasputin wird verschwunden bleiben. Er wird morgen keinen öffentlichen Auftritt haben, kein Interview geben. Nada! Niente! Rien! Das ist Beweis genug.“
„Dann müssen wir aber bis morgen warten. Hier und jetzt kannst du nichts anbieten?“
„In eurem Postfach liegt ein Brief. In diesem findet ihr ein Blatt mit Rasputins Fingerabdrücken.“
„Das können wir nicht überprüfen. Das könnten genauso die Fingerabdrücke von Herrn Maier oder Müller sein.“
„Die Behörden werden es schnell verifizieren können. Es werden sich im Hotelzimmer von Rasputin genügend Spuren finden lassen.“
„Okay, Salim. Gib uns eine Minute. Wir sehn mal im Postkasten nach.“
Der Anrufer protestierte, nur war er nicht mehr auf Sendung. Tomi hatte ihn off genommen. Die Zuhörer wurden mit „Wien wort auf di“ von Granada berieselt.
„Da ist doch nichts dran, oder?“, fragte ich Tomi.
Er zuckte mit den Schultern. „Nein, eh nicht. Aber dem Verbrecher würd‘ ich’s gönnen.“
„Ist der Anruf wirklich von den Philippinen?“
„Schaut so aus. Das läuft sicher übers Internet. Ich glaub nicht, dass die Polizei eine Chance hat, die IP des Anrufers herauszufinden.“
Die Assistentin nahte mit einem unfrankierten weißen Briefumschlag. „David Kapper persönlich“ stand in Blockbuchstaben darauf geschrieben. Tomi öffnete das Kuvert. Woher hatte er auf einmal die dünnen Handschuhe? Er zog ein einmal gefaltetes A4-Blatt heraus, das leicht verschmierte Fingerabdrücke zeigte. Der Daumen war links, der kleinste Abdruck ganz rechts. Also die rechte Hand von wem auch immer. Das Lied von Granada neigte sich dem Ende zu.
„Hallo, ihr Lieben. Ihr werdet es nicht glauben. Der Kollege hat mir soeben bestätigt, dass ein Brief gefunden worden ist. In diesem steckt wirklich eine Seite mit Fingerabdrücken.“
„Habe ich doch gesagt. Ich will jetzt nur mehr unsere Bedingungen vorlesen.“

Im Kindle-Shop: Die Entführung des Rasputin

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24. Juli 2017

'Meine beiden Leben - Die Hexenjagd' von J.J. Winter

Dank Saphira und Lorelei im letzten Moment dem grausamen Kältetod entronnen, kehrt Jess nach Siena zurück. Dort erfährt sie von Orario nun endlich die ganze Geschichte um ihre Herkunft. Dabei wird schnell klar, dass der Hexenzirkel auch weiterhin vor nichts zurückschrecken wird, um sie zu vernichten, und so beschließen die Ursprünglichen, Jess unter einer falschen Identität in Matadepera zu verstecken, bis der Zirkel ausgelöscht ist.

Doch noch bevor es so weit ist, werden im Hintergrund neue Intrigen gesponnen und Jess gerät zum Spielball der heimtückischen Machenschaften ihrer Feinde. Bald wird deutlich, dass weder der Henker noch sein unbekannter Auftraggeber willens sind, ihre Ziele aufzugeben, und auch Samuel und Valerie lassen keine Gelegenheit aus, um Jess zu schaden. Selbst ihr geliebter Todesengel Raphael geht in seiner Verzweiflung bis zum Äußersten, um seine große Liebe zurückzugewinnen.

Voll Entsetzen muss Jess ein weiteres Mal erkennen, dass nicht nur ihre eigene, sondern auch die Existenz ihrer Familie und Freunde von allen Seiten bedroht wird. Doch inzwischen ist sie um ein Vielfaches stärker geworden, und als ihr schließlich ihr wahres Wesen offenbart wird, zieht sie erbarmungslos in den alles entscheidenden finalen Kampf …

Gleich lesen: Meine beiden Leben - Die Hexenjagd

Leseprobe:
Gegen Mitternacht erreichten Eric und Santiago die Residenz in Impruneta. In den vergangenen Stunden waren sie von Vladimir und Tomasio über die Ereignisse des Tages unterrichtet worden.
Vladimir hatte sogar daran gedacht, für jeden ein Exemplar der Traumbücher zu besorgen. Insgesamt sechs an der Zahl hatte er sorgsam in seinem Aktenkoffer verstaut. Neben seinem Meister sollten auch Orario, Santiago und Marcus eines erhalten. Die letzten beiden waren für Tomasio und ihn selbst gedacht, da auch sie von der Geschichte von Evangeline und dem Todesengel fasziniert waren. Nun, da sie wussten, wer die Wiedergeburt jener Hexe war, die schon seinerzeit einen der mächtigsten Kronprinzen in ihren Bann gezogen hatte, war ihr Interesse, alles zu erfahren, stärker als jemals zuvor.
Außerdem ergaben jetzt einige Vorgänge Sinn und waren logisch nachvollziehbar. Ebenso lieferte ihnen das Wissen um Evangeline eine Erklärung für die außergewöhnliche Beziehung zwischen dem Kronprinzen und seinem Engel.
Sie waren füreinander bestimmt, Seelenverwandte, wie man sie nur selten fand.

***

Während die Ursprünglichen damit beschäftigt waren, die Bücher eingehend zu studieren, um über alles im Bilde zu sein, wenn sie vor Orario traten, hingen die Bastarde ihren eigenen Gedanken nach.
Vladimir dachte an Mariella. Sie war sein Engel. Kurz kamen ihm die Bilder von Jess‘ herzlicher Begrüßung auf der Hochzeit in den Sinn. Sie hatte Eric gebeten, auch Mariella einladen zu dürfen. Das war das erste Mal, dass er nicht in seiner Funktion als Leibwächter auf einer Party erschienen war, sondern als Freund und Ehemann, mit seiner großen Liebe im Arm, während Eric freundlich lächelnd in seiner Nähe stand.
Tomasios Gedanken waren etwas schwerer. Er war gerade im Begriff, den letzten Funken seiner geheimsten Hoffnung im Keim zu ersticken und endgültig zu begraben. Ja, er hatte noch welche gehabt, das musste er sich in diesem Moment eingestehen. So ausweglos seine Situation auch war, so hatte er doch von einem Happy End geträumt. Und einer gemeinsamen Zukunft mit der Kronprinzessin der Vincenzes.
Er, der Bastard, hatte sich zum ersten Mal in seiner langen Existenz gewünscht, keiner zu sein, sondern ein Reiner. Um mit der Frau zusammensein zu können, die er so vergötterte. Einmal hatte er von ihr gekostet, oder besser gesagt sie von ihm. Ohne Vorwarnung war sie über ihn hergefallen und hatte ihn mit sich in den süßen Nebel gezogen.
Unfähig, sich zu wehren, das abzuwenden, was im Anschluss unweigerlich mit ihm passieren würde, tauchte er ab. Ließ sich fortreißen und treiben. Dieser eine Kuss hatte ihn mehr berauscht als alles andere, was er bis dahin erlebt hatte. Und das war schon Einiges gewesen. Sie war ein Mensch, gezeichnet als die künftige Kronprinzessin eines der mächtigsten Clans in Europa und baldige Ehefrau eines der gefürchtetsten und einflussreichsten Kronprinzen, und er war ihr hilflos ausgeliefert, gefangen in einem Kuss.
Von Beginn an war sie unerreichbar gewesen, dennoch, die Hoffnung stirbt zuletzt. Aber hier im Wagen, neben Vladimir und den Adligen, mit einer Ausgabe der Traumbücher in Händen, musste auch er sich nun endlich eingestehen, dass es an der Zeit war, sich von Jess zu verabschieden.

***

Orario war mehr als aufgebracht, als die vier in seinen Privaträumen eintrafen. Gewissenhaft schloss der Zeremonienmeister die Türen und wies Nevio und Aaron an, niemanden bis auf Hörweite heranzulassen.
Eine Viertelstunde später beendete Eric seinen Bericht und überreichte sowohl Orario als auch Marcus ein Exemplar der Traumbücher. Orario war während der ganzen Zeit auffallend still gewesen. Untypisch für den Adligen. Eric war es gewohnt, ständig von Orario durch Zwischenfragen unterbrochen zu werden. Dieses Mal nicht. Mit jedem Wort wurde der Ursprüngliche in sich gekehrter und nachdenklicher. Selbst seine anfängliche Ungehaltenheit legte sich sofort, nachdem der Name „Evangeline“ gefallen war.
Nun saß Orario auf einem der Stühle und blätterte in dem Buch, das er zuvor wie einen wertvollen Schatz in Händen gehalten hatte. Kurz überflog er die Zusammenfassung auf der Rückseite, bevor sein Blick geistesabwesend an dem Kronleuchter über ihm hängen blieb.
Ohne ein Wort erhob sich Orario nach geraumer Zeit und ging aus dem Zimmer. Ernesto ließ wenig später verlauten, dass das Oberhaupt ihrer Riege die Residenz verlassen hatte. Kurz vor Sonnenaufgang kehrte er zurück und begab sich sofort zur Ruhe.
Am nächsten Abend, kurz nach dem Erwachen, stürmte Orario aus dem Haus. Mit lauter Stimme wies er Nevio an, ihn nach Siena zu fahren. Marcus, Eric und Santiago, die ihm in der Hoffnung nach draußen gefolgt waren, eine Erklärung für sein Verhalten zu erhalten, bedeutete er einzusteigen.

Im Kindle-Shop: Meine beiden Leben - Die Hexenjagd

Mehr über und von J.J. Winter auf ihrer Website.

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20. Juli 2017

'Arakkur: Das ferne Land' von Pascal Wokan

Es gibt kein Licht ohne Schatten.

Das Schicksal Andurals wurde in einer gewaltigen Schlacht an den Hängen der großen Schlucht entschieden und der Feind aus den fernen Landen besiegt. Nun brodelt es im Landesinneren und Rebellen unter der Führung eines Mannes namens Friedensstifter drohen die Fundamente des gesamten Reiches zu stürzen. In diesen Zeiten liegt es nun an Cathien Bündnisse zu schmieden, an Alrael den Schatten seiner Vergangenheit gegenüberzutreten und an Elhan uralten Rätseln und Prophezeiungen auf den Grund zu gehen. Denn der Feind erstarkt von neuem und plant die Kontrolle über die Schlucht vollends zu ergreifen. Ein Krieg zwischen Leben und Tod entfacht, die Zukunft Andurals steht auf dem Spiel …

Der zweite Band der Arakkur-Saga.

Gleich lesen: Arakkur: Das ferne Land

Leseprobe:
Der zweite Mond stand hell und klar am Himmel, als Draia ihren Blick über die Versammlung schweifen ließ. Ganz Vorlia war aus den hintersten Winkeln des Reiches zusammengekommen, ob Gewöhnlicher, Erhobener oder Fürst. Sie alle waren auf Befehl des Herrschers gekommen, um der Hinrichtung beizuwohnen. Der weite, marmorierte Platz war bis zum Bersten mit Menschen gefüllt, die schmalen, stählernen Türme in der Nähe warfen lange Schatten über die Versammelten. Ein schwacher Wind kam auf und brachte den Geruch nach Blut und Tod mit sich. Es geschah nicht oft, dass Maedhros, der Herrscher Vorlias, seine Macht öffentlich demonstrierte, dennoch kam es manchmal zu besonderen Ereignissen vor.
Der Herrscher saß am anderen Ende des weitläufigen Platzes, auf einem hohen Thron, der aus den versilberten Gebeinen seiner besiegten Feinde bestand. Er hielt die bleichen, klauenartigen Hände im Schoß gefaltet, das lange, schwarze Haar umfloss in sanften Wellen seine schwarz-weiß gestreifte Robe. Aus einem zerfurchten und mit Rissen durchzogenen Gesicht blickten schwarze Augen auf die Menge herab. Sie wirkten leer und tot, nichts Menschliches war mehr darin erkennbar.
Draia leckte sich nervös über die Lippen. Der Anblick des Herrschers ließ sie stets frösteln. Er wirkte nicht wie ein Mensch aus Fleisch und Blut, sondern eher wie eine Kreatur aus der Finsternis.
Schweigsam saß er da. Neben ihm standen in respektvollem Abstand die Mächtigsten des Reiches, darunter auch Draias Vater Vhail’tar, der Fürst des östlichen Dominiums. Mit keinem Anzeichen gab er zu erkennen, was in ihm vorging, sie wusste es aber besser: Er war nervös, verlagerte immer wieder das Gewicht von einem Bein auf das andere. Leider hatte er auch allen Grund dazu, schließlich war Draias Schwester die Ursache dafür, weshalb sie an diesem Umlauf einberufen worden waren. Dilarias naive Handlung, ihr Versagen.
»Im Namen des Imperators, dem ruhmreichen Maedhros, Körper und Atemseele des einzig wahren Gottes, werden diese Verräter gerichtet«, rief Cuaneth’lis, der Armeeführer Vorlias, weit über den Platz hinaus.
Sofort kehrte Ruhe in der Menge ein. Sie blickten starr und furchtsam in Richtung des steinernen Podestes, der sich in ihrer Mitte erhob. Darauf saßen mehrere Gefangene, die mit Händen und Füßen an großen Blöcken angekettet worden waren. Sie waren nackt, Wunden, Narben und Dreck überzogen ihre bleichen Körper.
Draia sah genauer hin und erkannte einen von ihnen. Er war ehemals ein hochrangiger Reto gewesen, der in den persönlichen Diensten ihres Vaters gestanden hatte. Natürlich würde man keine Spur zum östlichen Fürsten zurückverfolgen können, dennoch war es durchaus eine gefährliche Situation, in der sich das Haus Tar nun wiederfand.
»Sie haben gegen den Willen unseres Herrschers gehandelt. Wer gegen sein Wort handelt, widersagt sich der Gerechtigkeit unseres Gottes!«
Draia spürte die Angst und Anspannung, die sich unter den versammelten Menschen ausbreitete. Sie standen allzu steif da, niemand streckte sich oder tippelte von einem Bein auf das andere. Überdies schwiegen sie und warfen sich nervöse Blicke zu; kein Geflüster war zu hören, kein Plaudern. Wie eine reißende Welle, brachen die Worte des Armeeführers über ihnen ein und erstickten jegliche Gedanken. Die Gefangenen waren hoch angesehene Bürger Vorlias, machtvoll und einflussreich. Und doch waren sie nur Staub im Wind.
»Das ist nicht richtig!«, flüsterte jemand in ihrer Nähe.
Draia wandte sich um, und versuchte den Sprecher auszumachen. Ihr blickten jedoch nur ausdruckslose Mienen entgegen. Unwirsch strich sie sich eine weiße Strähne aus dem Gesicht und widmete sich wieder den Gefangenen. Sie zitterten vor Kälte und stöhnten ihr Leiden heraus. Einige unter ihnen waren übel zugerichtet worden, andere hingegen hatte man wohl erst am Morgen aufgegriffen und direkt zum Versammlungsplatz gebracht.
Warum hat sie nicht auf mich gehört? Ich verfluche meine verdammte Schwester! Wenn nun herauskommt, dass wir daran beteiligt waren, dann wird uns das den Kopf kosten
»Unser göttlicher Herrscher hat verfügt, dass niemand es wagt, seine Hand nach Andural auszustrecken«, erhob Cuaneth’lis erneut seine Stimme. »Diese Untertanen haben sich schuldig gemacht, von den Vorkommnissen gewusst zu haben. Ferner haben sie den Geächteten, der sich einstmals Kael'tir nannte, sogar unterstützt.« Er stieß seinen langen Speer auf den Boden, knirschend zerbrach ein Teil des Marmors. »Sie werden deshalb gerichtet und das Haus Tir wird aufgelöst. Jeder Untergebene dieses Reiches möge sich daran erinnern, dass ein Gesetz unseres Herrschers, gleichbedeutend dem Gesetz unseres Gottes ist!«
Draia schüttelte energisch den Kopf, als sie dies hörte. Dieser Mann war kein Gott, sie konnte das einfach nicht akzeptieren. Er war ein Mensch, wenn auch unbeschreiblich mächtig.
Der Herrscher erhob sich von seinem Thron. Sofort ließen sich die Versammelten ehrerbietig auf den Boden nieder. Cuaneth’lis neigte ebenfalls den Kopf und trat respektvoll zurück. Draia folgte dem Beispiel, wusste aber bereits, was nun passieren würde - es war schließlich nicht die erste Hinrichtung, der sie beiwohnte.
Maedhros ging einen Schritt nach vorne und streckte ruckartig die Hand aus. Sein Gesicht war eine starre Maske, die Augen dunkel und unergründlich. Als die Gefangenen auf dem Podest dies sahen, fingen sie an zu heulen und zerrten verzweifelt an ihren Fesseln. Doch Jeglicher Versuch war vergeblich, es gelang ihnen nicht, sich zu befreien. Zwar waren sie Erhobene, in der Gegenwart des Herrschers waren ihre Kräfte aber beinahe wirkungslos.
Maedhros trat noch einen Schritt vor und presste dann seine klauenartige Hand zu einer Faust zusammen. Im gleichen Moment zerplatzten die Gefangenen in einer roten Fontäne aus Fleisch und Blut. Die aufgebrochenen Körper stürzten zu Boden, weißer Rauch kräuselte sich aus den Leichen hervor. In langen Bahnen flog der Rauch auf den Herrscher zu und vereinigte sich mit dessen Leib. Kurz umgab ihn eine dunkle Aura, es schien, als würden schwarze Schlieren von seinem Körper abperlen und ihn nur widerwillig freigeben. Dann war es vorbei, die Atemseelen der Bestraften aufgesogen und verzehrt.

Im Kindle-Shop: Arakkur: Das ferne Land

Mehr über und von Pascal Wokan auf seiner Website.

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19. Juli 2017

Danielle A. Patricks

Danielle A. Patricks ist das Pseudonym einer aus Österreich stammenden Autorin. Ihre Herzgeschichten erzählt sie mit Gefühl, Leidenschaft und Spannung - eben mit viel Herz. Beim Schreiben wandern die Finger über die Tastatur, Worte fliegen wie von Zauberhand auf den Bildschirm, Charaktere, Menschen mit Fehlern und Vorzügen, betreten die fiktive Leinwand ...

Sie selbst liebt ihre Familie und die Ruhe. Mit ihrem Mann, ihren drei Kindern, deren Vornamen für das Pseudonym Pate standen, sowie mit einigen Haustieren lebt sie in einem kleinen idyllischen Dorf in der Steiermark.

Danielle A. Patricks wünscht ihren Leserinnen, sich entspannt zurückzulehnen und in die Welten ihrer Hauptdarstellerinnen einzutauchen, mit ihnen Leid, Freude, Romantik, die einzig wahre Liebe und natürlich das alles entscheidende Happy End zu erleben.

Weblink: www.herzgeschichten.net


Bücher im eBook-Sonar:




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'So weit uns Träume tragen' von Christiane Lind

„Man nennt die Titanic auch das Schiff der Träume.“ Der Steward verbeugte sich. „Ich bin mir sicher, am Ende unserer Reise werden Sie mir zustimmen.“

Frühjahr 1912: Die Schauspielerin Paula hat ihr Erbe ausgeschlagen, um auf der Bühne zu stehen. Gemeinsam mit der Kostümbildnerin Luise erobert sie die Berliner Theaterwelt im Sturm. Doch von einem Tag auf den anderen stehen die Freundinnen vor dem Nichts. Als ein Verehrer ihnen ein Erste-Klasse-Ticket für die Titanic schenkt, ergreifen die jungen Frauen mutig die Chance auf ein neues Leben. An Bord des eleganten Luxusdampfers lernt Luise den schüchternen Steward Leonard kennen und lieben, während der geheimnisvolle Ferdinand von Fahlbusch großes Interesse an Paula zeigt.

Wird es ihm gelingen, ihr Herz zu erobern? Ist Paula bereit, ihre Träume über Bord zu werfen?

Ein dramatischer Schicksalsroman über Liebe und Sehnsucht, Hoffnung und Verrat, Träume und Wirklichkeit.

Gleich lesen:
Für Kindle: So weit uns Träume tragen. Titanic-Roman
Für Tolino: Buch bei Thalia

Leseprobe:
Cherbourg, 10. April 1912
Inzwischen war es dunkel und Paula verspürte Enttäuschung, dass sie das prachtvolle Schiff nicht in den Hafen einfahren sehen würden. Obwohl, die Titanic würde sicher beeindruckend aussehen mit all den Lichtern an Bord. Seit Stunden hatten die Mitreisenden von nichts anderem gesprochen. Je länger das Schiff auf sich warten ließ, desto mehr wuchsen die Erwartungen an seine Pracht.
„Sie kommt! Sie kommt!“ Der Ruf pflanzte sich durch die Menschenmenge fort, die vor Kurzem aus den Wartesälen geströmt war und am Hafen ausgeharrt hatte. Wie viele von ihnen mochten wohl mit ihnen reisen, fragte Paula sich und sah sich mit neugierigen Augen um. Wenn sie nach der unglaublichen Menge an Koffern und Kisten ging, die an den Kai transportiert worden war, dann mussten noch etliche Menschen gemeinsam mit Luise und ihr in Cherbourg an Bord gehen. Einige Passagiere der ersten Klasse hatte sie bereits im Wartesaal gesehen, aber nun waren noch mehr von ihnen angereist, wenn sie die auffallende Sammlung von Automobilen richtig einschätzte.
Vor Paula ging eine Frau, deren atemberaubendes Kleid Luise anzog wie Honig die Bienen. Über einem weinroten, sanft glänzenden Unterkleid, dessen Saum mit edelster Stickerei verziert war, schwebte – anders konnte Paula es nicht nennen – ein durchsichtiger Hauch von Stoff, besetzt mit Hunderten glitzernder Steinchen. Wer mochte diese Frau sein, die zu einem derart profanen Anlass ein so edles Kleid trug?
„Das … das …“, flüsterte Luise Paula zu und ihre Augen glänzten sehnsüchtig, „das ist Pariser Chic. Ich habe davon in Zeitschriften gelesen, aber nicht zu hoffen gewagt, es einmal zu sehen.“
Während die eleganten Menschen bei Luise wahre Begeisterungsstürme auslösten, fühlte Paula sich eher unwohl. Ärger wallte in ihr auf, als sie entdecken musste, dass die exquisit gekleidete Dame einen winzigen, braunen Hund in der Handtasche mit sich trug, während Paula den armen Valentino vor dem Wartesaal hatte abgeben müssen. Hoffentlich vergaß man ihn nicht und hoffentlich stellte er nichts an.
„Schau dir das an.“ Luise stupste Paula an. Sie deutete auf eine ältere Frau, die gemeinsam mit einem jungen Mann, wohl ihr Sohn, an Bord gehen wollte. Um sie herum war ein Gepäckwall aufgebaut. „Vierzehn Schrankkoffer habe ich gezählt. Vier kleine Koffer und noch drei Kisten. Paula, da passen wir nicht hin.“
„Vielleicht hätten wir zweiter Klasse reisen sollen.“ Paula sah sich etwas beklommen um. Neben ihnen stiegen vornehm aussehende Menschen aus ihren Automobilen und gingen zielstrebig auf die Tenderschiffe zu. Männer und Frauen, denen Gepäckträger oder Diener und Zofen folgten, die eine Vielzahl von Koffern und Hutschachteln und kleinen Paketen schleppten. Paula entdeckte die Namenszüge bekannter französischer Modehäuser auf dem Reisegepäck. Und dazwischen Luise und sie, die ihre Koffer selbst schleppten, weil sie sich die Trinkgelder für Gepäckträger sparen mussten. Gar nicht zu reden davon, wie abgewetzt und billig ihre Habe aussah. Würden Luise und sie sich nicht immer als Hochstaplerinnen fühlen? Würden die wahrlich Reichen nicht merken, wie wenig Paula und Luise zu ihnen gehörten?
Doch bald verdrängte die Neugier die quälenden Gedanken aus Paulas Kopf und sie streckte sich, um das Bild der ankommenden Titanic in sich aufzunehmen. Schließlich wollte sie ihren Freunden vom Theater alles so detailgetreu wie möglich berichten können. Eine bunte Truppe hatte sich am Kai eingefunden. Von Menschen, deren Kleidung zwar sauber, aber mehrfach geflickt war, bis hin zu geschmackvoll angezogenen Damen mit ihren Verehrern, die sich etwas abseits hielten und sich die Wartezeit mit Champagner und Häppchen vertrieben, was Paulas Magen zum Knurren brachte. Warum nur hatten Luise und sie ihren spärlichen Proviant bereits auf der Zugfahrt verputzt? Den fliegenden Händlern, die ihnen überteuertes Brot, das sie Baguette nannten, anboten, wollte Paula ihr Geld nicht in den Rachen werfen. Also wartete sie mit brummendem Magen und wachsendem Durst darauf, dass das berühmte Schiff deutlich verspätet anlegte. Paula wünschte sich nur noch, endlich die Gangway zu betreten, in ihrer Kabine die unbequemen Schuhe von den Füßen zu schleudern und sich dann – welch ein Luxus – Essen bringen zu lassen.
Daher sprang sie auf, wie alle Menschen um sie herum, als der Ruf „Sie kommt! Sie kommt!“ ertönte und von dröhnenden Schiffssirenen aufgenommen wurde. Paula reckte sich, um über die Schultern der anderen Passagiere und Neugierigen hinweg einen Blick auf die Titanic werfen zu können. Nichts. Eine Mauer aus Menschen versperrte ihr die Sicht. Luise und sie wechselten einen Blick, nickten sich zu und stellten sich auf Luises gewaltigen Koffer. Sie hielten sich an den Armen und verrenkten sich die Hälse, um einen Eindruck von dem Schiff zu gewinnen. Und da kam sie, gezogen von vier Schleppern, die gegen die Titanic winzig wie Fischerboote wirkten. Selbst Luise, die sonst nie auf den Mund gefallen war, verschlug der Anblick des majestätischen Schiffes die Sprache.
Als die Titanic endlich im Hafen vor Cherbourg ankerte, leuchteten die Lichter an Bord wie zu einer Parade. Paula hatte einiges über das Schiff gelesen und sich ein Bild von dem Luxusdampfer gemacht. Aber ihn hier zu sehen, in seiner Pracht und Herrlichkeit, übertraf alle Erwartungen. Die Titanic erinnerte Paula an eine Naturgewalt, etwas Urtümliches, Großartiges, nicht von dieser Welt. Der riesige und gleichzeitig elegante Dampfer wirkte wie etwas, das Götter und nicht Menschen hergestellt hatten. Das schwarze Schiff mit weißem Kragen und Dutzenden von Bullaugen tauchte aus dem Nachthimmel auf. Nicht nur die Lichter funkelten, auch der weiße Aufbau der Titanic strahlte. Am meisten beeindruckten Paula die vier riesigen, orangefarbenen Schornsteine, die in den Himmel ragten wie Signalfackeln. Eine Herausforderung an die Götter. Der hochaufragende Mast, von dem sich Seile über das ganze Schiff spannten, stand einsam an der Spitze wie ein Leuchtturm.
Zu ihrer Überraschung fröstelte Paula und sie rieb sich die Oberarme. Ihr schien es, als wäre das nicht nur der leichten Brise geschuldet, die mit der Dämmerung einherging. Es lag an der Titanic, die dort draußen ankerte, zu gewaltig, um in den kleinen Hafen einlaufen zu können. In ihrer Mächtigkeit und Unbeweglichkeit erinnerte die hell erleuchtete Silhouette des gewaltigen Dampfers Paula an ein urzeitliches Wesen, das auf sie lauerte. Ein gewaltiges Monster, das Luise und sie verschlingen würde. Mach dich nicht verrückt, rief Paula sich zur Ordnung. Das unheimliche Gefühl, das die Titanic ihr vermittelte, kam sicher durch den Rauch, der aus drei Schornsteinen aufstieg und sich mit dem grauen Himmel vermischte. Die Abenddämmerung legte eine mystische Atmosphäre über die Ankunft des Dampfers. Wäre die Titanic im Licht des Nachmittags in den Hafen eingelaufen, hätte Paula das Schiff sicher nur bewundert.
Aber so, bedingt durch die Verspätung, und auch weil der Hafen das mächtige Schiff nicht aufnehmen konnte, entsprach ihre erste Begegnung mit der Titanic so gar nicht den Vorstellungen, die Paula sich gemacht hatte.
Sie hatte sich sehr darauf gefreut, vom Kai auf die Gangway zu steigen und den dort verbleibenden Menschen zum Abschied zu winken. Bereits im Wartesaal hatten sie aus den Worten der Mitreisenden zu ihrer Enttäuschung erfahren müssen, dass sie das Schiff mit Motorbooten anfahren würden, weil der Hafen von Cherbourg nicht tief genug für die Titanic war. Also stellte sich Paula mit Luise in die Reihe der Wartenden, die auf die kleinen Boote steigen wollten. Zwei Tenderschiffe mit den sprechenden Namen Nomadic und Traffic würden die Passagiere zum großen Dampfer bringen.
Erst jedoch musste das Gepäck an Bord gebracht werden, damit die Passagiere es in ihren Kabinen vorfinden würden und sich frisch machen konnten. Die erneute Wartezeit zerrte an Paulas Nerven und sie verfluchte im Stillen all die Passagiere, die mit so unglaublich viel Gepäck reisten und sie dadurch aufhielten.
„Du mit deinem riesigen Koffer“, schimpfte Paula und musterte Luise mit zusammengezogenen Brauen. Zwei Matrosen schleppten sich unter der Last des Schrankkoffers ab, den Luise allein von Berlin nach Cherbourg transportiert hatte. „Du hältst alle auf.“
„Ach, das ist noch gar nichts“, mischte sich ein Matrose ein. Er grinste breit und zwinkerte Luise freundlich zu. „Ein Ehepaar hat sechzehn Koffer an Bord gebracht. Das war eine Plackerei, sag ich Ihnen. Da ist der Koffer nichts dagegen.“
„Für eine Woche?“, fragte Paula ungläubig und musste schlucken. Mit was für Menschen würde sie auf dem Schiff reisen? Wie sollten Luise und sie sich da nur einfügen, mit den wenigen Kleidern, die sie besaßen? „Oder für eine längere Reise?“
„Tja, das weiß ich nicht“, sagte der Matrose mit einem Achselzucken. „Normalerweise reden die nicht mit unsereins.“ 2

Im Kindle-Shop: So weit uns Träume tragen. Titanic-Roman
Für Tolino: Buch bei Thalia

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18. Juli 2017

'Deckname Nikita' von D.W. Crusius

Moskau - Dezember 1990, wenige Wochen nach der Wiedervereinigung. Zufällig erfährt ein Mitarbeiter der Britischen Botschaft von einem geplanten Putsch gegen Gorbatschow. Einer der Putschisten ist Oleg Kirillowitsch. Doch wer ist Oleg? Ist er ein Steinzeit-Stalinist oder tschetschenischer Terrorist? Handelt er im Auftrag eines US-amerikanischen Geheimdienstes?

Paul Bachmann, zwangspensionierter Mitarbeiter des BND, soll nach Moskau reisen und herausfinden, was die Putschisten planen.

Gleich lesen: Deckname Nikita

Leseprobe:
Moskau 1990
1. Britische Botschaft

Man kann nicht behaupten, Bradley Dixon hätte eine herausragende Position in der Botschaft bekleidet. Er stand am Publikumsschalter, nahm Visaanträge entgegen, prüfte die Vollständigkeit der vorgelegten Unterlagen und, soweit möglich, deren Echtheit. Für russische Verhältnisse hatte er ein fürstliches Einkommen, welches ihm gestattete, in der Moskauer Damenwelt den spendablen Gentleman zu spielen. Zumindest wie Russinnen ihn sich vorstellten. Sein Äußeres war very british, wie er gelegentlich vor sich hin murmelte, wenn er sich abends im Spiegel prüfend musterte, bevor er das Haus verließ und zu seiner Verabredung eilte. Hochgewachsen, schlank, Schnurrbart, immer Anzug mit Weste, oft Fliege, gerollter Regenschirm, notwendiges Attribut des Gentleman in London auf der Bond Street. Auf den Bowler verzichtete er. In den ersten Tagen seines Dienstes in Moskau waren ihm halbwüchsige Kinder gefolgt und hatten Gemeinheiten gerufen, wie er aus ihrem Gelächter schloss.
Seit gut einem Jahr war er in Moskau stationiert. Seine schöne Gattin Carolyne hatte es vorgezogen, in London zu bleiben. Sie entstammte der britischen High Society, ihre familiären Wurzeln reichten bis Heinrich VIII zurück, eher noch weiter, wie ihr Herr Vater sehr herablassend und sehr nebenbei andeutete. Er saß im Unterhaus, ein Hinterbänkler, ohne erkennbares politisches Profil. Er hätte problemlos heute den Torys, morgen der New Labour angehören können, niemand hätte es bemerkt, nicht einmal er selbst. Wohl deshalb hatte er weitreichende Beziehungen zu allen politischen Schattierungen. Ihm hatte Bradley auch seinen lukrativen Job im diplomatischen Dienst zu verdanken, wobei er den Verdacht nicht los wurde, sein geschätzter Herr Schwiegerpapa wollte ihn möglichst schmerzlos und möglichst weit von der britischen Insel fernhalten. Moskau schien ihm geeignet. Bradley bedauerte das nicht, im Gegenteil. Er fühlte sich pudelwohl in Moskau.
Carolyne machte nicht die geringsten Anstalten, ihm in den Hort des Bösen zu folgen, wie Präsident Reagan Moskau einmal genannt hatte. Der wahre Grund, weshalb sie es vorzog in London zu bleiben, war wohl dieser Mann, zu dem sie eine enge Beziehung pflegte, wie der Chef der Security Bradley in verzweifelt um geschäftsmäßige Kühle bemühten Tonfall zu erklären versuchte.
»Wir mischen uns nicht gerne in die familiären Angelegenheiten der Mitarbeiter des diplomatischen Dienstes ein, Bradley, im Gegenteil, ich hasse Gespräche dieser Art. Aber Sie kennen die Vorschriften, ich muss Sie ansprechen. Wir sind keine Moralapostel, es geht ausschließlich um die Sicherheit des Auswärtigen Dienstes, auch um Ihre. Bringen Sie die Sache in Ordnung.«
Zum Szenarium gehörte allerdings auch Irina, Bradleys Geliebte in Moskau. Über bizarre Querverbindungen hatte Carolyne von ihrer Existenz erfahren. Nicht Bradley brachte jetzt die Sache in Ordnung, wie der Mann von der Security gefordert hatte, sondern Carolyne.
An jenem bewussten Tag im Dezember 1990, neun Tage vor Weihnachten, kippte sein Wohlbefinden abrupt ins Gegenteil. Der Trennungsstreit zwischen Carolyne in London und Bradley in Moskau, dieser simple Tatbestand, zog sich jetzt über mehrere Monate hin und heute früh hatte ihm Carolynes Anwalt per Botschaftspost den gerichtlichen Antrag auf Scheidung zugestellt. Der Brief lag geöffnet auf seinem Schreibtisch, als er gegen 8:30 ins Büro kam. Aus unerfindlichen Gründen hatte der Anwalt den Brief an die Botschaft geschickt, nicht an seine Privatanschrift. Trotz des Zusatzes auf dem Umschlag – persönlich und zu Händen von … – wird jeder Brief in der Poststelle der Botschaft erst durchleuchtet und dann geöffnet. Er konnte ja mit Anthrax verseuchtes Papier oder eine Splitterbombe enthalten.
In einem Ausbruch finsterer Entschlossenheit hatte Bradley um 9 Uhr Carolynes Anwalt seine Zustimmung zur Scheidung über den Ticker der Botschaft zukommen lassen. Um 9:30 hatte er dem Anwalt erneut getickert, dass er seine Zustimmung zurückzöge. Wenige Minuten später bekam er die Antwort – einmal zugestimmt ist unwiderruflich. Schließlich sei er Beamter und Jurist und man könne deshalb halbwegs rationales Handeln von ihm erwarten.
Frustriert verzog er sich mit einer Cola Dose, die Whisky enthielt, in den Kopierraum. Auf dem Weg zurück in den Schalterraum roch ein Kollege seine Alkoholfahne und gemeinsam marschierten sie wieder in den Kopierraum. Einige Minuten später schloss sich ihnen ein weiterer Kollege an. Bradley wollte seine Frustrationen hinunter spülen und seine Kollegen unterstützten ihn mitfühlend. Der Kopierraum war häufig Ort vertraulicher Gespräche, weil alle davon ausgingen, dort werde man nicht abgehört. Darüber hinaus war die Abgeschiedenheit geeignet, im Fall einer unerwarteten Magenverstimmung unbeobachtet einen stimulierenden Schluck Whisky zu sich zu nehmen. Anschließend ging man mit einem Pfefferminz unter der Zunge zurück an seinem Arbeitsplatz.
Um 11:30 Uhr machten sie sich zu dritt zu einem verfrühten Lunch in das Restaurant des International auf und Bradley berichtete weitere Details seiner wiedererlangten Freiheit. Völlig überflüssig. Sie hatten es noch vor ihm von einer geschwätzigen Frau der Poststelle erfahren. Informationen dieser Art verbreiten sich ähnlich schnell, wie sich die Nachricht vom Ausbruch des Dritten Weltkrieges verbreitet hätte. Gemeinsam beschlossen sie, aus gesundheitlichen Gründen den Dienst für Merry Old England zu beenden, und nicht in die Botschaft zurückzukehren.
Vom Hotel International wechselten sie mit mehreren Russen des Ministeriums für Kommunalwirtschaft, die den Abschluss eines spektakulären Korruptions-Deals feierten, in die Wohnung eines der Russen, der – wie er wortreich erklärte – größere Mengen Wodka, Whisky und Cognac aus ähnlichen Geschäften bevorratete. Sie kannten den Mann von gelegentlichen Banketts, der russischen Variante eines gigantischen Besäufnisses. Er bewohnte eine winzige Wohnung in einer Seitenstraße der Ulitsa Leninskaya in einem selbst für Moskauer Verhältnisse trüben Bau, dessen Außenfront an die Mauern eines Zuchthauses der deutschen Kaiserzeit erinnerte. Bradley meinte, im achten Stock befand sich die Wohnung, genau wusste er es später nicht mehr. Die sparsam eingerichtete anderthalb Zimmerwohnung des Gastgebers – Gennadi oder Sergej? – so ähnlich jedenfalls, reichte gerade für zwei Personen. Jetzt drängelten sie sich zu acht in der winzigen Bude. Nach Abmessung und Inhalt zu urteilen, war der Kühlschrank das wichtigste Möbelstück.
Irgendwann erwischte Bradley der bei solchen Ereignissen unvermeidliche moralische Kater, und er erzählte seinen Saufkumpanen weitere Einzelheiten dieser verdammten Shlyukha in London, was die russische Variante einer Bordsteinschwalbe ist. Sie hörten aufmerksam zu, obwohl sie es schon wussten, klopften ihm demonstrativ kameradschaftlich auf die Schultern, gaben ihm Ratschläge für die Zukunft. Wie erfreulich – sagten sie -, nun habe er das Joch der Ehe abgeschüttelt. Frei von angestaubten britischen Moralvorstellungen läge ihm jetzt das Moskauer Nachtleben zu Füßen. Der Gastgeber, er hatte tatsächlich enorme Mengen Alkohol bevorratet, füllte immer wieder Bradleys Glas, selbst dann, wenn es noch nahezu voll war. Die Russen schütteten ungefähr die dreifache Menge Schnaps runter, die Bradley schaffte. Was sie für Gründe hatten, sich dermaßen zu besaufen, wusste er nicht, aber ein Russe braucht keinen besonderen Anlass. Die Zustände seines geliebten Mütterchen Russland bieten ausreichende Voraussetzungen für umfängliche Besäufnisse zu jeder Tages- und Nachtzeit.
Erwähnenswert ist noch, dass Bradley über das Telefon der Garderobiere im International Irina angerufen und ihr wortreich erklärt hatte, er stehe ihr nun vollständig zur Verfügung. Sie war ein großartiges Mädchen mit nur einem Schwachpunkt – ihre Nationalität. Russin – das sah man in der Botschaft nicht so gerne und hatte schon Grund für allerlei unerquickliche Diskussionen geliefert. Eine ferne, wenn auch flatterhafte Gattin mit familiären Wurzeln, die tief in die snobistische Londoner High Society reichten, war ihnen lieber, als eine kleine Russin, die als Verkäuferin im Kaufhaus GUM ihr kärgliches Brot verdiente, und von der man nicht wusste, ob es Querverbindungen zum KGB gab. Bisher hatte Bradley ihre vorgeschriebene Sicherheitsüberprüfung durch den Service verhindern können, zumindest glaubte er das. Er hatte die Adresse einer älteren Frau im selben Wohnblock angegeben, deren Name auch Irina war. Eine billige Lüge, die jederzeit platzen konnte.
Es ging in den Abend. In der Zwischenzeit hatten sie sich mit einer versalzenen Suppe gestärkt, Boretsch, wie Bradley sich später mühsam erinnerte. Irgendwann brach dann doch so etwas wie Selbsterhaltungstrieb bei ihm durch, und er erklärte seinen Saufkumpanen, dass er eine nächtliche Verabredung habe und nun gehen müsse. Sie begleiteten ihn zum Fahrstuhl, bedauerten lautstark die Frau, um die es sich nach ihrer Überzeugung handeln musste, denn er sei ja wohl nicht mehr zu sexuellen Betätigungen auf dem Kanapee in der Lage. Damit lagen sie richtig. Bradley hatte Mühe, halbwegs geradeaus zu laufen.

Im Kindle-Shop: Deckname Nikita

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17. Juli 2017

'Tödliche Tabus' von Siegfried Langer

Bist du mutig? Mutig genug, dich in ein Leben hineinzuversetzen, das dir fremd und bizarr erscheint? Ein Leben, so viel anders als dein eigenes? Ein Leben jenseits deiner Vorstellungskraft?

'Tödliche Tabus' ist ein Thriller, der im Hier und Heute spielt, mitten in Deutschland. Und dennoch führt er dich in eine parallele Gesellschaft. In eine Gesellschaft der Obsession, der Sucht und des Verlangens. Und doch auch in eine Gemeinschaft voller Vertrauen, Hingabe und Liebe.

'Leben und leben lassen', so lautet hier die Devise. Aber wehe dem, der an den Falschen gerät, denn es geht jemand um, der Leben nimmt.

Ist Björns Bruder Ole diesem Jemand ins Netz gegangen? Seit Wochen hat sich Ole nicht mehr bei Björn gemeldet, sein Briefkasten wurde seit Tagen nicht geleert, die Lebensmittel im Kühlschrank sind verschimmelt. Björn durchstöbert Briefe, Notizen, Visitenkarten. Hilfreich wären die E-Mails seines Bruders; doch wie lautet das Passwort des Accounts? Als er es endlich herausfindet, erfährt er Dinge aus dem Leben seines Bruders, die er nie für möglich gehalten hätte ...

Gleich lesen: Tödliche Tabus: Thriller

Leseprobe:
„Ich möchte, dass du heute nach Feierabend zu mir nach Hause kommst. Es ist wichtig, Björn. Ich mache mir große Sorgen um deinen Bruder: Ich befürchte das Schlimmste!“
Die Dringlichkeit in der Stimme seiner Mutter ließ Björn keine Wahl.
Sie klang so verzweifelt wie damals, als sie ihm verkündet hatte, dass man ihr das zweite Bein ebenfalls abnehmen musste.
Und so machte sich Björn auf den Weg und stand nun vor ihrem Haus in der Lübecker Innenstadt, fuhr sich mit der Hand durch sein allmählich lichter werdendes schwarzes Haar und klingelte. Es verging keine Sekunde, bis das ihm bekannte Summen des Türöffners ertönte. Sie musste die Fernbedienung dazu bereits in den Händen gehalten haben, hatte also schon gewartet - kein gutes Zeichen.
Björn wunderte sich. Was war so dringend, dass sie ihn mit solcher Vehemenz herbeizitierte? Vor allem, da er doch erst gestern bei ihr zu Besuch gewesen war.
„Ich bin im Wohnzimmer“, hörte Björn ihre tiefe Stimme, während er die Haustür hinter sich ins Schloss fallen ließ.
Er schlüpfte aus seiner dunkelblauen Cordjacke, hängte sie an die Garderobe und ging durch den Flur, an der Küche vorbei, in den rückwärtigen Wohnbereich. Seine Mutter saß da, in ihrem Rollstuhl, die Hände im Schoß. Nur für eine Sekunde sah sie ihm in die Augen, dann wanderte ihr Blick wieder zurück auf einen imaginären Punkt vor ihr auf dem Teppich. Ihre dunkelbraun getönten Haare - ansonsten sehr gepflegt frisiert – hatten heute weder Kamm noch Bürste berührt. Björn schritt zu ihr, beugte sich zu ihr hinab und gab ihr einen Kuss auf die Wange.
„Setz dich!“
Björn nahm Platz auf dem gemütlichen, altmodischen Sofa, das seine Mutter ihr Eigen nannte, solange er sich zurückerinnern konnte – und er war jetzt achtunddreißig Jahre alt. Erst vor wenigen Wochen hatte es einen neuen dunkelblauen Bezug erhalten, die überdimensionierten Kissen ebenso.
Hier, an diesem Wohnzimmertisch hatten sie gemeinsam Mutters neunundsechzigsten Geburtstag gefeiert, keine vierundzwanzig Stunden waren seitdem vergangen. Björn, seine Schwester Marga und deren drei Kinder. Die Vier waren schon da gewesen, hatten Kuchen gegessen und Kaffee getrunken, als er gegen halb fünf eingetroffen war. Seine Zahnarztpraxis hatte Björn gestern wegen des Geburtstags vorzeitig verlassen. Margas Mann fehlte, wie immer. Mutter mochte ihn nicht; hauptsächlich deswegen, weil er eine Zigarette nach der anderen rauchte. Es erinnerte sie zu sehr daran, dass sie viel zu lange dem gleichen Laster gefrönt hatte. In einem langen, schleichenden Prozess hatte sie dafür ihre Beine eingetauscht. Marga umging den Konflikt und ließ ihren Mann einfach zu Hause. Ein bewährtes Arrangement. Dennoch schien die Situation äußerst angespannt. Ole war die Ursache dafür, Björns vier Jahre jüngerer Bruder.
Das Telefon stand direkt neben Mutters Kuchenteller und jedes Mal, wenn es klingelte, unterbrach Mutter sich mitten im Satz, schluckte schnell hinunter oder ließ die Gabel auf den Teller plumpsen. Und jedes Mal, wenn sie sich mit ihrem Namen meldete, zeichnete sich auf ihren eben noch hoffnungsfrohen Gesichtszügen nach wenigen Sekunden Enttäuschung ab. Ihre Schwester, ihre zwei Brüder, Cousinen, Cousins, ihre alte Tante Hildegard aus Stade, Nachbarn, ehemalige Patienten des Marien-Krankenhauses: Mutter würgte sie alle ab, nahm die Geburtstagsglückwünsche entgegen und beendete die Gespräche, so schnell es die Höflichkeit erlaubte. Nur, um danach erneut auf den nächsten Anruf zu warten, während Marga erzählte, wie es den Kindern in der Schule erging, welche Blumen in ihrem Garten gerade blühten oder welche Liebeleien und Kleinkriege sich draußen in ihrem Dorf abspielten. Mutter hörte nur mit halbem Ohr zu, starrte immer wieder auf das Telefon. Doch der sehnsüchtig erwartete Anruf blieb aus. Als Björn gegen acht als Letzter der Gäste ihr Haus verlassen hatte, war die Stimmung des Geburtstagskindes auf dem Nullpunkt angekommen.
Wie gestern auch, stand die Kaffeekanne auf dem Tisch. Das reichhaltige Angebot einer liebevoll eingedeckten Kaffeetafel hatte sich in eine einzelne Tasse, einen Kuchenteller und eine Platte mit einer überschaubaren Anzahl Kuchenstücke verwandelt, die Reste von gestern.
„Du hast sicher Hunger“, sagte Mutter. „Vom Eierlikörkuchen ist ja zum Glück was übrig geblieben. Den magst du doch so gerne.“
„Neue Kalorien“, sagte Björn und strich sich sein Hemd glatt.
‚Wenn man erstmal über die dreißig ist, darf man auch langsam etwas Bauch bekommen’, pflegte seine Mutter in solchen Situationen regelmäßig zu erwähnen; heute nicht.
„Schenk dir etwas Kaffee ein!“
„Und du?“
„Ich habe den ganzen Tag über Kaffee in mich hineingeschüttet. Für heute lasse ich es besser gut sein. Ist gesünder.“
Sie streckte ihre Hand aus, und Björn bemerkte, dass sie stark zitterte.
„Ja, besser, wenn ich mir selbst einschenke.“
„Ich habe heute deinen Vater angerufen.“
Björn verschluckte sich. Seine Eltern hatten nicht mehr miteinander gesprochen, seit – ja, seit sein Vater ihr damals verkündet hatte, dass er sie verlassen würde. Es war exakt an dem Tag gewesen, als seine Mutter das erste Mal ohne Beine aufgewacht war. Nachdem man sie aus dem Marien-Krankenhaus entlassen hatte, war er aus der gemeinsamen Wohnung bereits verschwunden gewesen, aus ihrem Leben ebenso. Björn und seine Geschwister hatten ihrer Mutter eine kleinere Wohnung besorgt; gelegen in einem malerischen Lübecker Stadthaus, mit ebenerdigem Eingang, sodass sie auf niemanden angewiesen war, wenn sie raus oder rein wollte, in ihrem neuen Rollstuhl.
„Du hast was?“
„Ich habe heute deinen Vater angerufen!“
Acht Jahre waren vergangen seit der Trennung. Acht Jahre, in denen Björns Vater immer wieder versucht hatte, Kontakt aufzunehmen. Er wollte sich zumindest erklären. Doch Mutter war hart geblieben. Und ihre Kinder hatten Verständnis dafür gezeigt, vollstes Verständnis.
„Wie … wie geht es ihm?“
„Danach habe ich nicht gefragt.“

Im Kindle-Shop: Tödliche Tabus: Thriller

Mehr über und von Siegfried Langer auf seiner Website.



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